top of page

These Words - Teil 1

 

Langsam aber sicher verschwand die Sonne hinter den Wipfeln der Bäume und tauchte die Gegend in ein schummriges Licht. Eine Straßenlaterne nach der anderen glomm auf und sorgte dafür, dass Passanten nicht über die leicht unebenen Steine des Gehwegs stolperten. Doch obwohl die Sonne nun weg war, blieben die Temperaturen unerträglich. Der leichte Wind, der aufkam, brachte nicht die ersehnte Abkühlung.

 

Vittoria hatte das Fenster in ihrem Arbeitszimmer so weit geöffnet, wie sie nur konnte, und die Vorhänge bauschten sich in der Brise ein wenig auf. Doch der Wind war warm. Ihr Shirt klebte ihr am Oberkörper und ihre Haare hingen ihr strähnig ins Gesicht.

 

Ungeduldig blies sie eine Strähne aus ihrem Blickfeld und beugte sich wieder über ihren Laptop. Sie schlug die Beine übereinander, merkte jedoch gleich, dass die Position ungünstig war und veränderte sie sofort wieder. Aber irgendwie schien ihr die jetzige auch nicht besonders zuzusagen. Sie zappelte eine Weile hin und her, bis sie schließlich genervt von sich und dem Wetter den Laptop zuklappte und sich ins Schlafzimmer aufmachte.

 

Hier waren den ganzen Tag über die Rollläden unten gewesen und es herrschte eine zwar kühlere Luft, als in der restlichen Wohnung, aber dafür war es stickig und man hätte die Luft mit einem Messer zerteilen können. Erschöpft warf sie sich auf die Tagesdecke und stöhnte laut. „Schreckliches Wetter“, sagte sie zu sich selbst.

 

London war um diese Jahreszeit alles andere als angenehm. Im Winter fror man sich den Hintern ab, weil der Wind durch jede Ritze pfiff und im Sommer schwitzte man sich zu Tode, weil es einfach keine Abkühlung brachte. Selbst der nahegelegene Hyde Park war menschenleer, weil sich kaum noch jemand nach draußen wagte.

 

Nur ganz langsam drehte sie sich auf den Bauch, zog den Laptop zu sich heran und klappte ihn wieder auf. Doch noch bevor sie einen Buchstaben getippt hatte, hörte sie das Klappern des Schlüssels und danach das Zufallen der Haustüre. Ein Lächeln breitete sich auf ihren Lippen aus und mit einem Satz war sie auf den Beinen und unterwegs Richtung Tür.

 

Ben hatte einen fünfzehn Stunden-Flug hinter sich und war so erschöpft wie man nur sein konnte. In Greenwich war es zwar auch warm gewesen, doch in Chicago, wo er seinen Zwischenstopp gemacht hatte, und im Flugzeug selber, waren die Temperaturen ziemlich angenehm gewesen. Die Taxifahrt vom Flughafen hierher hatte ihn alleine um gute acht Stunden zurückgeworfen und er wäre am liebsten nur noch ins Bett gefallen.

 

Bevor er jedoch auch nur einen Schritt Richtung Schlafzimmer gemacht hatte, schlangen sich zwei Arme um ihn und Lippen drückten sich fest auf seine. Er schmeckte sofort ihren nach Eistee riechenden Atem, roch den Schweiß auf ihrer Haut. Wie ein Reflex erwiderte er den Kuss und zog sie in seine Arme. „Gott, was habe ich dich vermisst“, flüsterte er zwischen zwei Küssen. „Kommst du mit unter die Dusche?“, hauchte sie zurück und zog ihn, ohne seine Antwort abzuwarten, ins Badezimmer.

 

Wenig später lagen sie in leichten Kleidern auf ihrer Dachterrasse und genossen die nun endlich kühler werdende Luft. Sie hatte sich an seine Brust gelegt und lauschte seinem regelmäßigen Atem, während sie die kleinen Wölkchen am Himmel beobachtete. Seine Nähe nach all der Zeit wieder zu spüren war Balsam für ihre Seele. Seit Monaten hatten sie nur über Telefon und Internet kommuniziert und jetzt war er endlich wieder bei ihr.

 

Vittoria drehte sich zu ihm um und sah in seine braunen Augen. „Du hast mir gefehlt“, sagte sie leise. Er lächelte. „Und du mir erst“, erwiderte er und küsste sie. Es fühlte sich seltsam an, ihre Lippen zu spüren. Zugleich vertraut und fremd. Als wäre sie jemand anderes. Oder vielleicht war er jemand anderes geworden?

 

„Ist irgendwas nicht in Ordnung?“ Ihre Stirn hatte sich in Falten gelegt, als sie ihn beobachtet hatte. Sein Blick wirkte entrückt, doch vielleicht war er nur müde. Und als hätte er ihre Gedanken gelesen, sagte er, dass er lieber ins Bett gehen würde, weil der Flug ihn doch sehr mitgenommen hatte. Sie nickte verstehend und folgte ihm in Schlafzimmer.

 

Doch als sie beide dann nebeneinander lagen, konnte Ben plötzlich nicht mehr schlafen. Er hatte das Gefühl, dass etwas anders war. Zwar hatten sie, so oft es möglich war, über Facetime miteinander gesprochen, doch an manchen Tagen war es anders gewesen. Sie war so anders gewesen. Ihre Art zu sprechen, wie sie in die Kamera blickte, wie sie sich bewegte. Und jetzt, wo er neben ihr lag und ihren ruhigen, regelmäßigen Atem hörte, kam er nicht umhin sich zu fragen, ob sie beide sich verändert hatten.

 

Am nächsten Tag erwachte er erst um die Mittagszeit. Er hatte so tief und fest geschlafen, dass er gar nicht gemerkt hatte, wie Vittoria aufgestanden war. Sie hatte bereits ihre morgendliche Joggingrunde hinter sich gebracht, geduscht, sich angezogen und Frühstück gemacht. Als er nun in die Küche kam, stieg ihm der Duft von Kaffee und Spiegelei in die Nase. Genüsslich sog er ihn ein. „Das riecht wunderbar!“, sagte er begeistert, gab seiner Freundin einen Kuss und nahm das Tablett mit dem Geschirr raus auf den Balkon.

 

Als sie es sich gemütlich gemacht hatten, sah Ben sie an. „Wie waren die letzten Monate für dich?“

 

„Einsam“, war das Erste, was ihr einfiel. Als sie seinen verwirrten Gesichtsausdruck sah, setzte sie hinzu: „Die Wohnung war jeden Tag so leer und ich habe immer versucht, irgendetwas zu unternehmen. Aber ich konnte nicht täglich bei meinen Eltern auftauchen. Irgendwann wäre ich ihnen auch auf die Nerven gegangen. Meine Schwester hat alle Hände mit den Zwillingen zu tun, Anna war arbeiten und Meg und Thomas waren im Urlaub.“

 

„Und was ist mit deinem Buch?“ Er biss genüsslich in ein Stück Gurke.

 

Vittoria seufzte. „Ich komme einfach nicht weiter.“ Seitdem sie angefangen hatte Romane statt Drehbücher zu schreiben, hatte sie bereits zwei Werke veröffentlicht. Diese waren auch ganz gut angekommen, doch jetzt verlangte ihr Verlag eine Fortsetzung und das fiel ihr alles andere als leicht. Und trotzdem machte es ihr Spaß. Ein Roman bedeutete viel mehr Freiheiten als ein Drehbuch. So hatte sie endlich einmal Platz, ihre kompletten Gedankengänge nieder zu schreiben und war nicht immer darauf angewiesen, was der Regisseure aus ihren Vorschlägen machte. Um das Thema zu wechseln, fragte sie: „Und wie war es, mit Robert zu drehen?“

 

Ben war die letzten Monate in Connecticut gewesen, um den Film „The Big Wedding“ zu drehen. Und mit ihm spielten unter anderem Hollywoodgrößen wie Robert de Niro und Robin Williams mit. Eigentlich hatte Vittoria ihn um jeden Preis begleiten wollen, doch die Arbeit hier zu Hause hatte das leider nicht zugelassen. Außerdem hasste sie die Art von Frauen, die ständig an ihren Freunden klebten. Noch zu lebhaft stand ihr das Bild von Cassandra, Bens letzter Freundin, vor Augen.

 

Und als hätte er auf dieses Stichwort gewartet, begann er sofort, ihr von seinen Co-Stars vorzuschwärmen. Lächelnd hörte sie ihm zu, stellte ab und zu ein paar Zwischenfragen und freute sich einfach nur darüber, dass ihm seine Arbeit immer noch so viel Spaß machte wie früher.

 

Es war nun schon drei Jahre her, seit sie sich kennen gelernt hatten. Damals waren sie sich nicht besonders grün gewesen, hatten nur gestritten und gezankt. Doch mit der Zeit war ihnen beiden klar geworden, dass sie ohne einander nicht konnten. Und es stellte sich schnell heraus, dass sie gut zusammen auskamen.

 

Im Dezember vor drei Jahren, kurz vor Weihnachten, waren sie schließlich ein Paar geworden und seit dem auch im Großen und Ganzen ziemlich glücklich miteinander gewesen. Natürlich gab es hier und da ein paar Streitigkeiten über alltägliche Sachen. Doch die meiste Zeit hatten sie, wenn sie denn zusammen waren, gut miteinander harmoniert.

 

Dass Ben immer noch seinem Beruf als Schauspieler nachging und dadurch die meiste Zeit kaum zu Hause war, war für Vittoria am Anfang schwierig gewesen. Sie hatte ihm oft Vorwürfe gemacht, sich nicht genug Mühe zu geben oder war eifersüchtig geworden, wenn er Szenen mit Frauen gehabt hatte, doch mittlerweile hatte sie genug Vertrauen zu ihm und sie wusste, dass er sie von ganzem Herzen liebte. Auch wenn ihr nicht entgangen war, dass er in letzter Zeit immer seltsamer geworden war. Auf manche Fragen hatte er komisch reagiert, war ihr ausgewichen oder hatte eine dämliche Gegenfrage gestellt. Meist war es dabei um ihre Zukunft gegangen, ob sie weiterhin in ihrem Stadthaus in London leben wollten oder nicht doch vielleicht in die USA ziehen sollten. Aber davon hatte er meistens nichts hören wollen.

 

Nun, da er hier vor ihr saß, würde er ihr hoffentlich nicht mehr so leicht ausweichen können, dachte sie, und wartete ab, bis er zu Ende erzählt hatte. „Wie lange bleibst du in London?“, fragte sie schließlich und sie sah gleich an seinem Blick, dass ihm diese Frage gar nicht gefiel.

 

„Wieso fragst du?“, stellte er wie von ihr erwartet eine Gegenfrage. Und das brachte ihr italienisches Temperament wieder zum Vorschein. Augenblicklich schlug ihre Stimmung um, ihre Augen sprühten Funken und er ahnte, dass er Mist gebaut hatte. Vorsichtshalber ging er schon mal in Deckung und wappnete sich für einen Angriff von vorne.

 

„Benjamin Thomas Barnes!“, fauchte sie, stemmte sich auf die Hände hoch und beugte sich ein Stück über den Tisch, sodass ihre Gesichter nun nicht mehr durch die Tischplatte getrennt waren, sondern der Abstand ziemlich geschrumpft war, was ihm ein bisschen Angst machte. Doch irgendwie gefiel es ihm auch, wenn sie so war, und er musste sich ein Grinsen verkneifen, was sie sicherlich nur noch wütender gemacht hätte. „Du wirst mir, verdammt noch mal, nicht mehr mit diesen blöden Gegenfragen kommen. Ich frage dich, weil ich es wissen will. Weil ich als deine Freundin ein Recht darauf habe, es zu wissen! Und ich habe ein Recht darauf, dich zu fragen, wann immer ich will. Also antworte mir gefälligst, wenn ich dir eine Frage stelle!“

 

Sie schnaufte leicht, was sicherlich nicht ihrer Kondition zu Schulden war, sondern eher den hohen Temperaturen, die schon wieder hier herrschten. Und er fragte sich, wie sie es überhaupt geschafft hatten, miteinander zu schlafen, ohne dabei völlig zu dehydrieren. Doch in diesem Moment war es ihnen beiden wohl völlig egal gewesen. Immerhin hatten sie sich im April das letzte Mal gesehen und nun war es Anfang September.

 

Beschwichtigend hob er daher seine Hände und zog die Schultern hoch. „Schon gut, es tut mir leid“, sagte er, wollte nach ihrer Hand greifen, doch sie zog sie zurück. Daher ließ er sich wieder in seinen Stuhl sinken und sah sie mit großen Augen an. „Im November habe ich einen Termin hier in London. Bis dahin bleibe ich hier.“

 

Befriedigend stellte er fest, dass ihr das ein bisschen den Wind aus den Segeln nahm. Es würden immerhin fast drei Monate sein, in denen er nur für sie da sein konnte. Doch sie wollte so schnell nicht aufgeben. Das war nicht ihre Art. „Allein die Tatsache, dass ich fragen muss, um zu wissen, wann du wo bist, ist schon scheiße. Findest du nicht?“

 

Bevor er ihr eine Antwort gab, stand er auf, ging um den Tisch herum, stellte sich hinter sie und umarmte sie von hinten. Dabei sträubte sie sich ein bisschen gegen seine Berührung, doch als er sie hinter ihr Ohr küsste, gab sie die Gegenwehr auf. „Du hast Recht, Liebling“, flüsterte er in ihre Ohrmuschel und jagte ihr trotz der Hitze eine Gänsehaut über den Rücken. „Und es tut mir leid. Ich werde dich in Zukunft mehr über meine Termine informieren. Einverstanden?“

 

Sie befreite sich aus seiner Umarmung, stand auf und nahm ihren noch vollen Teller mit in die Küche. „Schade, dass ich dich immer erst auf so etwas hinweisen muss“, giftete sie noch halbherzig zurück, bevor sie im Inneren des Hauses verschwand. Doch er grinste nur. Das war seine Vittoria, und er liebte sie für ihre Art. Nur sein Bauchgefühl sagte ihm, dass die Spannungen noch nicht vorbei waren.

 

Später am Tag, als es besonders heiß war, waren sie bei Vittorias Eltern zum Essen eingeladen. Eigentlich hatte er erwartet, dass alle da sein würden, auch Katarina mit ihrem Mann und ihren beiden Wirbelwinden von Kindern, die eindeutig mehr italienisches Blut abbekommen hatten, als ihrem Vater lieb sein konnte. Doch sie waren nur zu viert.

 

„Es ist schön, euch beide wieder hier zu haben“, sagte Karolina, Vittorias Mutter, und drückte Ben an ihren Busen. Er mochte sie gerne, war allerdings manchmal ein bisschen mit ihrer herzlichen Art überfordert. Vittoria hatte es ihm einmal damit erklärt, dass sie nun versuchte, all die Jahre, die sie ihre jüngste Tochter so unflätig behandelt hatte, damit wieder gutzumachen. Ihm wäre es jedoch eindeutig lieber gewesen, wenn sie ihn nicht wie einen Sohn behandelt hätte. Irgendwie war ihm das ziemlich unangenehm.

 

Das Essen verlief dank der Hitze draußen ziemlich ruhig, was keiner von ihnen gewöhnt war. Immer wieder versuchte jeder von ihnen, besonders George, Karolinas zweiter Ehemann, ein Gespräch zu beginnen, doch irgendwie hatte keiner große Lust, zu antworten.

 

Als es wieder daran ging, dass das junge Paar sich auf den Weg machen wollte, nahm George Ben zur Seite, während Vittoria ihrer Mutter noch in der Küche half. Der Ältere führte den Freund seiner Stieftochter nach draußen in den Garten, sodass sie außer Hörweite der Frauen waren, und fragte: „Ist alles in Ordnung zwischen euch? Vittoria wirkt leicht angespannt, seit du wieder da bist.“

 

Ben knirschte mit den Zähnen. Eigentlich hatte er gehofft, dass sie es beide gut verbergen konnten, dass es heute zwischen ihnen gekriselt hatte. Doch offenbar war George ein ziemlich guter Beobachter. Und er machte sich ehrliche Sorgen um Vittoria.

 

„Na ja“, sagte Ben und druckste herum. „Wir haben uns heute Morgen ein bisschen gestritten. Dabei hatte ich eigentlich vor, ihr was ganz Anderes zu sagen.“

 

George zog eine Augenbraue hoch. „Und das wäre?“

© by LilórienSilme 2015

  • facebook-square
  • Instagram schwarzes Quadrat
  • Twitter schwarzes Quadrat
bottom of page