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These Words - Teil 2

 

In der Küche hatten Karolina und Vittoria mittlerweile alles wieder auf Vordermann gebracht und zumindest Vittoria war bereit für die Abfahrt. „Come stai, bambina? Hai l‘aria un po‘ distrutta[1]“, sagte Karolina und strich ihrer Tochter zärtlich über die Wange. Eigentlich hätte Vittoria das kalt lassen müssen, doch die vergangenen Jahre hatten sie und ihre Mutter sich wieder näher kommen lassen, und so musste sie gegen den Drang ankämpfen, nicht loszuweinen.

 

Sie biss sich auf die Lippe, um die Kontrolle wieder zu gewinnen. „Ben und ich haben uns gestritten“, sagte sie schließlich und schluckte die Tränen tapfer runter. „Eigentlich hatte ich ihn gar nicht so anfahren wollen, aber er war so lange weg und ich weiß nie, wie lange er wirklich weg ist und wann er wieder kommt. Und vor allem sagt er mir nie, wie lange er bleibt. Und dann weiß ich nicht, mit wem er weg ist, was er macht, wenn er weg ist und was nicht. Ich meine, ich möchte ihm so gerne vertrauen, aber…“

 

Doch Karolina unterbrach sie. „Was, aber? Entweder du vertraust ihm oder du vertraust ihm nicht. Etwas dazwischen gibt es nicht. Hat er denn etwas getan, um dein Misstrauen zu wecken?“

 

Vittoria ließ die Schultern hängen. „Nein, natürlich nicht.“

 

„Ecco! Dov’è il problema?“[2]

 

„Non c’è un problema, mamma![3]“, rief Vittoria und warf die Hände nach oben. Und bevor ihre Mutter noch etwas erwidern konnte, kamen die Männer zurück in die Küche. Auf Bens Gesicht lag ein Lächeln, als er Vittoria ansah. Doch als er ihre verkniffene Miene sah, erlosch es augenblicklich wieder. Was war nur heute los mit ihr? Ob sie etwas merkte?

 

Auf dem Weg nach Hause schwiegen beide. Natürlich hatte er mitbekommen, dass sie und ihre Mutter sich angeschrien hatten. Doch da er noch immer kein Italienisch sprach, was auch schon öfter ein Streitthema zwischen ihnen gewesen war, wusste er natürlich nicht, um was es gegangen war. Und nachfragen wollte er erst recht nicht. Das hätte sie vermutlich nur noch mehr auf die Palme gebracht. Schon jetzt schien sie stärker zu kochen als der Asphalt auf den Straßen.

 

Als er das Auto abstellte, brauchte sie keine zwei Sekunden, um sich abzuschnallen und die Tür hinter sich zuzuwerfen. Er hatte Mühe, mit ihr Schritt zu halten, als sie die Stufen zu ihrer Penthousewohnung hochstapfte und ihn dabei ziemlich alt aussehen ließ. Als er endlich oben war, hatte sie sich schon im Badezimmer verschanzt.

 

Resignierend warf er die Wohnungstür ins Schloss, warf seine Schuhe in die Ecke und ging in die Küche, wo er sich aus dem Kühlschrank ein Glas Eistee holte. In wenigen Zügen hatte er es geleert, wollte sich gerade neu einschenken, doch dann hielt er inne. Wieso war es nur so aus dem Ruder gelaufen? Eigentlich hätten sie beide doch glücklich darüber sein sollen, dass sie nun endlich wieder zusammen waren. Doch die Situation war völlig außer Kontrolle geraten und eigentlich hatten sie kein einziges liebes Wort mehr miteinander gewechselt, seit sie gestern ins Bett gegangen waren.

 

Er wusste schon lange, dass sich etwas zwischen ihnen verändert hatte, doch dass die Veränderung so aussah, damit hatte er nicht gerechnet. Vielleicht musste er sich schneller entscheiden, als ihm lieb war. Dabei wollte er doch noch ein paar Tage abwarten um zu sehen, ob sich sein Gefühl auch in ihrer Gegenwart bewahrheiten würde. Doch so sehr hatten sie sich, seitdem sie ein Paar waren, nicht mehr gestritten.

 

Entschlossen stellte er das Glas wieder ab und ging zur Badezimmertür. Dort klopfte er zweimal dagegen und wartete auf eine Reaktion. Als diese ausblieb, lehnte er sich gegen den Türrahmen, rutsche daran herunter und blieb auf dem Boden sitzen. „Wir müssen reden“, sagte er leise, wusste jedoch genau, dass sie ihn hören konnte. „So geht das nicht weiter mit uns.“

 

„Was du nicht sagst?!“, drang ihre erstickte Stimme zu ihm durch und sofort bildete sich ein Kloß in seinem Hals, denn er konnte hören, dass sie geweint hatte.

 

Sein Herz zog sich schmerzhaft zusammen. Das hatte er nie gewollt. Nie hatte er gewollt, dass sie seinetwegen weinen musste. Es sei denn vor Freude. Doch von Freude waren sie wohl beide im Moment weit, weit entfernt.

 

Er legte eine Hand an das Holz, bildete sich ein, dass er sie so berühren konnte, doch er fühlte nur die raue Maserung. „Was ist nur mit uns passiert?“ Seine Stimme war nicht mehr als ein Flüstern. „So hatte ich das alles nicht geplant. Ich hatte mir meine Rückkehr viel schöner vorgestellt. Aber irgendwie ist alles ganz anders gekommen. Und ich glaube“, er musste ein paar Mal schwer schlucken, bevor er weitersprechen konnte, „ich glaube, dass wir langsam den nächsten Schritt tun sollten.“

 

Es dauerte eine Weile, bis er eine Antwort bekam, doch er gab ihr die Zeit, darüber nachzudenken, was er gesagt hatte. „Was soll das heißen?“, fragte sie schließlich und er verfluchte sich selbst dafür, dass er das Thema überhaupt angeschnitten hatte. Er hätte wissen müssen, dass sie es von ihm hatte hören wollen. Sie gab sich nicht mit Andeutungen zufrieden.

 

Doch dann straffte er sich. Es musste gesagt werden. Ob es nun unangenehm war oder nicht. Sie würden nicht ewig so weitermachen können. Das wollte er auch gar nicht. Und sie vermutlich genauso wenig.

 

„Warte hier! Lauf nicht weg!“ Blitzschnell erhob er sich. Als er den Entschluss gefasst hatte, kam es ihm auf einmal gar nicht mehr so abwegig vor, wie noch Augenblicke zuvor. Irgendwie erschien es ihm jetzt sogar richtig, es zu tun. Und vor allem wollte er es schnell tun, bevor ihn wieder der Mut verließ.

 

Nur am Rande registrierte er noch ihre sarkastische Bemerkung, dass sie sich wohl kaum von der Stelle rühren würde, dann war er auch schon wieder in der Küche verschwunden.

 

Im Badezimmer hatte Vittoria sich auf dem Badvorleger vor der Badewanne zusammen gerollt. Ihre geröteten Augen hatte sie in ein Handtuch vergraben und erst, nachdem sie reingeschnäuzt hatte, bemerkt, dass es von Ben war. Als er ihr gesagt hatte, dass sie hier warten solle, hatte sie es gegen die Tür geworfen.

 

Nun wartete sie seit einer geschlagenen halben Stunde darauf, dass etwas passierte. Doch sie konnte nur gedämpfte Geräusche hinter der Badezimmertür hören, die sie nicht zuordnen konnte. Was zum Teufel hatte er vor? Als es dann auch noch an der Wohnungstür klingelte, platzte sie beinahe vor Neugier, doch sie riss sich zusammen. Diese Genugtuung wollte sie ihm nicht geben.

 

Erst, als sie beinahe eingeschlafen war, klopfte es wieder an der Tür und sie schreckte hoch. Draußen war es mittlerweile fast dunkel geworden und ein kühler Wind wehte zum Fenster herein. Kam nun vielleicht endlich die erhoffte Abkühlung?

 

„Würdest du bitte einmal rauskommen?“ Seine Stimme klang merkwürdig, anders als sonst, und das machte ihr irgendwie Angst. Natürlich hatte auch sie die Veränderung zwischen ihnen bemerkt, dem jedoch keine besondere Bedeutung zugemessen. Immerhin veränderten die Leute sich nun mal und es war nur natürlich, dass es bei ihnen unabhängig voneinander passierte, da sie kaum noch Zeit miteinander verbracht hatten. Bisher hatte sie aber gedacht, oder vielmehr gehofft, dass sie sich noch in die gleiche Richtung entwickelten. Jetzt war sie sich aber nicht mehr so sicher.

 

Zögerlich stand sie auf und drehte den Schlüssel im Schloss um. Leise quietschend öffnete sich die Tür und sie stand ihm gegenüber.

 

Er hatte sich umgezogen. Das durchgeschwitzte Shirt hatte er gegen ein dunkelrotes, leichtes Hemd getauscht, was sich in der kühlen Brise, die nun durch die Zimmer wehte, um seinen Körper kräuselte. Am liebsten hätte sie ihn berührt, doch sie wusste nicht, ob er das gewollt hätte. Sie hatte ja keine Ahnung, was nun auf sie zukam.

 

Wobei sie eigentlich ziemlich genau vermutete, was nun folgen würde. Doch sie verbat sich selbst, daran zu denken, wollte nicht ihr Kopfkino einschalten und sich alle möglichen Szenen vorstellen. Es kostete sie genug Kraft, nun seine Hand zu nehmen und sich von ihm auf die Dachterrasse führen zu lassen. Wenn sie sich jetzt auch noch ausmalte, wie ihre Situation zwei Stunden später sein könnte, würde sie die Beherrschung verlieren und vermutlich in Tränen ausbrechen. Und das wollte sie nicht. Nicht vor seinen Augen.

 

Als sie oben auf der letzten Treppenstufe standen, hielt er an, drehte sich zu ihr um und bat sie, die Augen zu schließen. Zögerlich kam sie dieser Aufforderung nach. Es kam ihr ein bisschen seltsam vor, weil sie doch eigentlich wusste, wie es dort oben aussah. Doch sie vertraute ihm. Noch, jedenfalls…

 

Vorsichtig führte er sie nun nach oben, die letzte Stufe hinauf, die Ecke herum und zur Tür hinaus. Sofort spürte sie den angenehmen Luftzug, der jetzt draußen herrschte. Die Luft war nicht mehr so schwer und es lag ein Knistern in der Luft, wie vor einem Gewitter. Ob es heute Nacht endlich regnen würde, nach fast drei Monaten Trockenzeit? Es würde jedenfalls sehr gut zu ihrer Stimmung passen, dachte sie ironisch.

 

Gefühlsmäßig führte er sie nun in die Mitte der Terrasse, dort, wo normalerweise der große Sonnenschirm und der Tisch mit seinen sechs Stühlen standen. Hatte er das alles weggeräumt? Wieso? Was hatte er vor?

 

„Setz dich“, flüsterte er und sie spürte, wie er ihre Hände nach unten zog. Behutsam führte er sie weiter runter, bis sie den Boden berühren konnte, und merkte, dass er dort eine weiche Decke ausgebreitet hatte. Sie zog fragend die Augenbrauen zusammen, doch er sagte nichts. Das Ganze kam ihr ziemlich seltsam vor.

 

Als sie hörte, dass er sich auch gesetzt hatte, nahm er wieder ihre Hände in seine und bat sie, die Augen wieder zu öffnen. Sie hatte Angst davor, was nun kam. Ihr Herz hämmerte wild gegen ihren Brustkorb, in ihrem Kopf rauschte es plötzlich und ihr Verstand schrie: „Lauf weg, lauf weg!“ Doch ihre Füße bewegten sich nicht. Stattdessen öffnete sie ihre grünen Augen und ihr blieb die Luft weg, als sie sah, was er getan hatte.

 

 

 

[1] Come stai, bambina? Hai l‘aria un po‘ distrutta.=Wie geht’s dir, Kleine? Du siehst ein bisschen erschöpft aus.

[2] Ecco! Dov’è il problema?=Aha! Wo ist dann das Problem?

[3] Non c’è un problema!=Es gibt kein Problem!

© by LilórienSilme 2015

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