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Prolog

 

~ Aztec Gold

 

Sanfte Wellen schlugen gegen den bauchigen Bug einer Handelskaracke, brachten das mächtige Schiff zum Schaukeln und ließen das Holz des Rumpfes knarren. Die Seile und Segel hingen schlaff herunter, denn es wehte kein einziges Lüftchen. Es war so still und ruhig, dass man es beinahe mit der Angst zu tun bekommen konnte. Der frische Mond, der aufgegangen war, tat sein Übriges zu dieser gespenstischen Nacht.

 

Dutzende von Männern schlichen über den Landungssteg, der vom Hafen Havannas zu dem großen Segler führte. Jeweils zwei von ihnen trugen eine große Truhe zwischen sich. Sie hatten Stoffbahnen um ihre Sohlen gebunden, damit sie mit dem harten Leder ihrer Stiefel kein Geräusch auf dem Holz machten. Nur leise gezischte Befehle waren zu hören, als sie die El Rubi Segundo erreichten und in den Frachtraum hinab stiegen. General Don Rodrigo de Torres stand an der Luke bereit und bedeutete seinem Schreiber, die Anzahl der Kisten genau zu notieren.

 

Sie hatten bereits die 17 anderen Handelsschiffe beladen, hatten dafür seit einer Woche jede Nacht geschuftet und die Kisten an Bord geschafft, damit sie noch pünktlich den Hafen verlassen konnten. Torres blieb nicht mehr viel Zeit. In wenigen Monaten musste er zurück in Spanien sein, sonst würde sich der ganze Aufwand nicht gelohnt haben.

 

„Hast du alles aufgeschrieben?“, fuhr er seinen Schreiberling an. Der junge Spanier zuckte unter dem herrischen Ton seines Herrn zurück. Obwohl es kaum mehr als ein Flüstern gewesen war, hatte seine Stimme ihn getroffen wie ein Peitschenhieb. Als er damals bei dem General angeheuert hatte, hatte er sich sein Leben auf See irgendwie anders vorgestellt, dachte Montoya zerknirscht. Seine Mutter wäre sicherlich nicht so stolz auf ihn, wenn er ihr immer die Wahrheit schrieb, sobald sie einen Hafen angelaufen hatten.

 

Doch er wusste, dass, wenn er sich bewehren würde, er aufsteigen konnte. Und wenn alles gut ging, würde er mit Mitte Dreißig sein eigenes Kommando führen. Doch davon war er noch mindestens achtzehn Jahre entfernt. Er war noch jung und hatte dafür zu sorgen, dass der General zufrieden war. Daher nickte er nur, anstatt zu antworten. Er wusste, hätte er etwas gesagt, hätte Torres ihm wieder eine Backpfeife verpasst.

 

Aber der General war zufrieden, besah sich die Liste genau, ging jeden Punkt einzeln durch und reichte sie dann an den Kapitän weiter, damit er sie in seiner Kajüte verschließen konnte. Don Balthesar de la Torre nickte und steckte das Papier in die Innentasche seiner zweireihigen Jacke. Dann zog er sich wieder den schwarzen Mantel enger um die Schultern, um die auffälligen Goldknöpfe daran vor jeglichen Licht zu bewahren. Nur die kleinste Unachtsamkeit könnte sie verraten. Und wer hätte es nicht merkwürdig gefunden, wenn ein Haufen vermummter Gestalten an Bord der spanischen Flotte entdeckt wurde, nur weil ein Knopf im Licht der Sterne gefunkelt hatte?

 

Die Nacht war beinahe rum, als die letzte Kiste an Bord ging. Der Kapitän gab gerade den Befehl die Planke einziehen, als ein Wagen vor dem Steg hielt. Ein Mann in einem langen Mantel mit einer tief ins Gesicht gezogenen Kapuze brachte die zwei schwarzen Pferde mit einem harten Ruck der Zügel zum Stehen. Doch sie waren zu gut abgerichtet um zu Wiehern. Sie waren vollkommen still und regungslos, als das Gespann erst einmal zum Stehen gekommen war.

 

Der Wagen war schmucklos, eine einfache Droschke mit halb geschlossenem Verdeck und ohne Türe. Kein Wappen war irgendwo zu sehen, nur dunkles Holz und schwarzer Stoff, um das Gefährt im Schutze der Dunkelheit zu verbergen. In einer Vollmondnacht hätte man ihn vielleicht gut erkennen können, doch da der Mond nur eine schmale Sichel war, die kaum Licht spendete, lag das Innere völlig in Finsternis.

 

Der Kutscher band die Zügel am Bock fest und sprang herunter. Montoya, der neugierig an die Reling getreten war, bemerkte, dass er keine Schuhe trug, sondern barfüßig war. Seine Hose reichte ihm nur knapp über die Waden und war am Saum zerrissen, und er ging breitbeinig, wie ein Mann, der lange an Deck eines Schiffes gedient hatte. Was hatte er nur hier zu suchen?

 

Formvollendet streckte er seine linke Hand ins Innere der Droschke und stellte sich neben die Türe. Eine kleine Hand, von einem Lederhandschuh umschmeichelt, erschien aus der Finsternis des Verdecks, legte sich in die schwielige Pranke des Kutschers und eine Gestalt stieg aus dem Wagen aus. Montoya sah sofort, dass es sich um eine reiche Frau handeln musste. Ihre Schultern waren schmal, auch wenn der üppige Mantel das zu verstecken versuchte. Doch der Stoff der Kapuze schimmerte leicht, sogar in diesem spärlichen Licht. Und er hatte schon zu viel Seide transportiert, in Augenschein genommen, befühlt und gesehen, um nicht zu wissen, welche Eigenschaften dieser Stoff besaß.

 

Das Kleid, welches sie trug, war so schwarz wie das Fell der Pferde. Für diese Gefilde war es vielleicht ein wenig zu schwer, doch die Nacht war kühl, obwohl es Mitte Juli war. Durch den wolkenlosen Himmel konnte die Hitze, die sich tagsüber gesammelt hatte, ungehindert entweichen und die Luft blieb gereinigt und frisch zurück.

 

Die Frau sagte etwas zu dem Kutscher, kramte in ihrem Beutel herum, den sie um ihr Handgelenk trug, und zahlte ihm drei Münzen in die Hand. Dann verabschiedete sie sich und kam zum Schiff herüber. Sie betrag die Planke mit einer solchen Sicherheit und Eleganz, dass er nicht umhin kam festzustellen, dass dies nicht das erste Schiff war, was sie betrat. Als sie an ihm vorbei ging, leuchtete das große Medaillon, was sie auf der Brust trug, kurz auf.

 

Montoya schüttelte den Kopf, warf einen Blick nach oben in den Himmel, doch der Mond war noch immer schmal und die Sterne wurden beinahe von der Schwärze des Firmaments verschluckt. Es gab gar kein Licht, was das Metall reflektiert haben könnte.

 

Er tat es als Sinnestäuschung ab und eilte der Dame hinterher. Zielstrebig steuerte sie auf den General zu. Als der sie bemerkte, veränderte sich seine Haltung augenblicklich. Er zog sich den Hut vom Kopf, wobei die Feder daran beinahe abgerissen worden wäre, legte sich den Hut auf die Brust und verneigte sich kurz. „Señora“, flüsterte er und sie nickte. Mit einem Wink befahl er Montoya ihm und der Dame in die Kapitänskajüte zu folgen.

 

Im Inneren des Schiffes brannten nur wenige Kerzen. Selbst der Kapitän hatte nur zwei in der Kabine entzündet, die ein schummriges Licht auf alles warfen und Schatten erzeugte, wo vielleicht gar keine waren. Montoya fühlte sich unbehaglich. Irgendwie bereitete ihm diese Frau Gänsehaut, was vielleicht aber auch nur an der Tatsache lag, dass er ihr Gesicht nicht sehen konnte. Als er nochmals auf ihr Medaillon blickte, erkannte er endlich, was es war.

 

Eine riesige Münze, etwa in der Größe einer Hand, hing an einer Kette um ihren Hals. Auf der Münze selbst prangte ein Totenkopf, der von seltsamen Zeichen umgeben war. Doch was ihm am meisten Angst machte, war, dass der Schädel zu lächeln schien.

 

Montoya wurde aus seinen Gedanken gerissen, als der Kapitän sich umdrehte. „Was hat das zu bedeuten, General?“, sagte er, verschränkte die Arme hinter dem Rücken und musterte die dunkel gekleidete Gestalt. Torres zuckte mit keiner Wimper. „Dies, Capitán de la Torre, ist Maria. Sie wird Euch nach Spanien begleiten.“

 

De la Torre zog die Augenbrauen hoch, bis sie unter seinem Hut zu verschwunden drohten. Er war ein kleiner Mann mit einem kräftigen Bauch und breiten Schultern. Sein Gesicht wirkte verkniffen und vom Wetter gegerbt. Wenn er einen aus seinen kleinen Schweinsäuglein musterte, bekam man unweigerlich das Gefühl, das Abendessen zu sein und nicht der Esser selbst. „Ihr wisst, dass eine Frau an Bord Unglück bringt?“

 

„Diese nicht“, erwiderte Torres. „Bei ihr verhält es sich eher umgekehrt: sollte ihr ein Leid geschehen, ist Euer Schiff verloren.“

 

Die Ader an der Stirn des Kapitäns begann gefährlich zu pulsieren, als er das hörte, und es kam Montoya so vor, als würde sein Hals gewaltig anschwellen, bis es schien, als sitze der kleine Kopf direkt auf den breiten Schultern. „Wollt Ihr mir etwa drohen?“

 

„Ich will Euch warnen. Achtet auf diese Frau, wie auf Euren Augapfel. Denn sie ist mehr wert als der ganze Schatz an Bord dieser Schiffe.“

© by LilórienSilme 2015

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