LilórienSilme
~ Fanfiction-Autorin ~
Kapitel 1
~ Bottles of Ships
Der Sand unter seinen Füßen knirschte, als Jack hinunter zum Wasser ging. Seine Stiefel waren bereits mit einer Salzkruste überzogen und bis zur Hälfte nass und sandig. Doch es störte ihn nicht. Er hatte, was er wollte.
Hinter ihm hörte er die schweren Schritte seines 1. Maats, der unter dem Gewicht des Sackes, den er auf dem Rücken trug, ächzte und stöhnte. Jack selbst trug nur ein Gefäß mit sich, doch für ihn war es das wertvollste. Wie einen Schatz drückte er es an seine Brust, als bestünde es auch purem Gold und nicht aus einfachem Glas. Groß und bauchig lag es in seinen Armen und darin tobte ein Sturm.
Sein letztes Abenteuer hatte ihm viel abverlangt. Noch immer konnte er nicht glauben, wie sich diese Situation letztendlich entwickelt hatte. Nicht, dass er daran gezweifelt hätte, sie würde gut für ihn ausgehen. Er, der bereits aus dem Reich von Davy Jones entkommen war, der Captain der Black Pearl, die er nun in einem viel zu kleinen Maßstab bei sich trug. Wenn ihn etwas aufhalten konnte, dann war es sicherlich nicht mehr Captain Blackbeard, nicht mehr Davy Jones, den es auf den Grund des Meeres gezogen hatte, und auch nicht mehr Angelica.
Der Gedanke an die Frau, die er erst vor wenigen Stunden auf einer einsamen Insel zurückgelassen hatte, machte ihn auf seltsame Weise nachdenklich. Er hatte vor Gibbs zugegeben, dass er gewisse Regungen für sie verspürt hatte, doch was genau waren das eigentlich für Regungen gewesen?
Er verbot sich jeden weiteren Gedanken daran, drehte sich schwungvoll und mit einem wilden Lächeln auf den Lippen zu Gibbs herum, der mittlerweile etwas abgeschlagen war, und rief ihm zu: „Nun komm schon! Ich will vor Sonnenuntergang in Tortuga sein!“
Schwitzend hielt Gibbs inne. Der ältere Mann mit dem weißen Backenbart schnaufte gefährlich unter dem Gewicht dieser ganzen Schiffe, die er bei sich trug. Sie waren zwar nur so groß, dass sie gerade in eine große Flasche passten, doch auch Glas und ein bisschen Holz konnte verdammt schwer werden, wenn man es drei Stunden lang auf dem Rücken trug und mit sich schleppte. Doch er wagte kein Widerwort gegen seinen Captain. Dafür respektierte er Jack viel zu sehr.
Dennoch konnte er sich eine sarkastische Bemerkung nicht verkneifen. Als er tief durchgeatmet hatte und sich der Strand nicht mehr um ihn zu drehen schien, packte er den Sack, warf ihn wieder über den Rücken, und murmelte so, dass Jack es garantiert nicht würde hören können: „Und wieso, zum Teufel, sind wir dann nicht direkt mit dem Boot dorthin gefahren?“
Eigentlich konnte er sich denken, wieso dem so war. Sollte Jack mit einem Schiff – und sei es auch nur eine winzige Jolle – irgendwo auftauchen, würde man es ihm sofort wegnehmen. Und das, obwohl Barbossa nun Captain der Queen Anne’s Revenge war. Wer konnte schon sagen, ob der unbeugsame Hector nicht doch noch andere Pläne hatte? Gibbs hatte dem alten Haudegen nie wirklich über den Weg getraut. Trotzdem hätte er sie bis zur nächsten Stadt mitnehmen können. Dann müssten sie jetzt nicht mehr den ganzen Weg zu Fuß zurück legen.
Als die Sonne bald langsam am Horizont verschwand, war Gibbs kurz davor aufzugeben. Er hatte einen hochroten Kopf, seine Kehle war staubtrocken, seine Beine zitterten bei jedem Schritt und sein Rücken schmerzte von dem Gewicht. Am liebsten wäre er sofort in den weichen Sand gesunken und hätte geschlafen, bis er nicht mehr müde war. Und das wäre vermutlich eine lange Zeit gewesen.
Doch dann sah er es: Lichter in der Ferne! Sie glimmten, kämpften noch gegen die letzten Strahlen der Sonne an, aber er war sich ziemlich sicher, dass es das war, wofür er es hielt.
Seine Schritte beschleunigten sich auf einmal wie von selbst und nach nur zwanzig Minuten strammen Gehens lief er an Jack vorbei, der gerade damit beschäftigt war, den Affen zu ärgern, der auf der winzigen Miniaturausgabe seines Schiffes gefangen war und ihn durch das Glas anbrüllte. „Nerviges kleines Ding“, giftete er ihn an und schüttelte die Flasche. „Wenn wir das Schiff zurück haben, bleibst du einfach da drin.“ Und um seine Worte entsprechend zu untermalen streckte er ihm die Zunge heraus.
Als Gibbs an ihm vorbei lief, staunte er nicht schlecht über die plötzliche Mobilität des alten Mannes. Verwirrt sah er ihm nach, rannte ihm dann hinterher und holte ihn schließlich wieder ein. „Auf einmal so ungeduldig, Master Gibbs?“
„Aye, Captain!“, schnaufte er zwischen zwei großen Schritten. „Die Aussicht auf einen kräftigen Schluck und ein weiches Bett lassen einem Mann Flügel wachsen.“ Er packte das dünne Ende seiner Last ein bisschen fester und fasste nach, damit die Gläser etwas bequemer auf seinem alten Rücken lagen. Er hatte nicht damit gerechnet, dass es tatsächlich angenehmer werden würde, doch so konnte er seine Last leichter tragen und sie schlug ihm nicht bei jedem Schritt gegen seine jetzt schon geschundene Rückseite. Heute Nacht würde er selig schlummern.
Als es dunkel war und die Sterne sich endlich ihren Platz am Himmel gegen das Rot und Gold der Sonne erkämpft hatten, ragte Tortuga vor ihnen auf. Schon von weitem hatten sie die Schreie, die Pistolenschüsse und das laute Gelächter gehört und es fühlte sich beinahe so an, als würden sie nach einem langen harten Tag nach Hause kommen. Nur auf einem Schiff konnte man sich wohler fühlen.
Die Straßen der Stadt waren beinahe genauso trocken wie in allen anderen Städten in der Umgebung. Hätte es hier nicht eine Vielzahl von Betrunkenen gegeben, die ihre Humpen Bier und Wein ständig verschütteten, wäre man nicht, wenn man sich wieder einmal auf die Nase legte, weil die Beine nicht mehr so wollten wie sie sollten, in einer Pfütze aus abgestandenem Alkohol, ein bisschen Wasser und vermutlich auch menschlichen Ausscheidungen gelandet, sondern hätte nur Staub geschluckt.
Jack jedoch umschiffte diese Lachen elegant, setzte einen Fuß vor den anderen, wich hier einem Trunkenbold und da einer Bordsteinschwalbe aus und steuerte zielsicher auf die übelste Kneipe der ganzen Stadt zu. Gibbs behagte es bei dem Gedanken nicht, dort einzukehren. Immerhin hatten sie noch die ganzen Schiffe bei sich. Kam nur einer auf die Idee, man könne mit den Gläsern einen Streit anfangen, war die Black Pearl vermutlich für immer verloren.
Vorsichtig folgte er seinem Captain, trat dahin, wo auch Jack hintrat, und schob sich hinter ihm durch die Türe des Gasthauses Schwarze Hure. Der Laden machte seinem Namen alle Ehre, denn hier drinnen herrschte beinahe vollkommene Dunkelheit. Hatte Gibbs bei seinem ersten Besuch hier noch geglaubt, dass die Schwarze Hure tatsächlich eine dunkelhäutige Frau war, wurde er schnell eines Besseren belehrt. Denn das Gasthaus – wenn es sich denn als solches bezeichnen durfte – hatte seinen Namen daher, dass man hier kaum die Hand vor Augen sehen konnte und jedes der Mädchen nicht nur in das gleiche schwarze Kleid gehüllt war, sondern durch das schummrige Licht auch noch alle das gleiche Gesicht hatten.
Um mit den gläsernen Gefängnissen der Schiffe nicht irgendwo versehentlich anzustoßen, blieb Gibbs nahe der Tür stehen. Doch leider verlor er Jack schnell aus den Augen und folgte ihm lieber wieder. Dabei achtete er darauf, sich langsam durch den Schankraum zu bewegen, denn er wollte um keinen Preis riskieren, dass seine wertvolle Fracht zu Bruch ging. Vermutlich hätte sein Captain ihm dann auch etwas gebrochen.
Sie fanden einen Tisch in einer Nische weit weg von der Türe. Ein Mann saß noch daran, dann der war bereits so betrunken, dass er mit dem Kopf auf der harten Tischplatte eingenickt war. Mit einem Stoß beförderte Jack ihn auf den Boden und nahm an seiner Stelle Platz. Er winkte unbestimmt in das dämmrige Licht hinein und hoffte einfach darauf, dass ein Mädchen es bemerken würde und ihnen etwas zu Trinken brachte. Sie mussten allerdings ein wenig warten. Eine Zeit, in der Gibbs vorsichtig versuchte seinen riesigen Beutel zu verstauen, sodass ihn niemand sehen konnte.
Das allerdings war ein eher sinnloses Unterfangen, denn bei dem wenigen Licht konnte ohnehin kaum jemand etwas erkennen. Trotzdem wollte er kein Risiko eingehen. Wer konnte schon sagen, von wem sie beobachtet oder gar verfolgt worden. Leider war es ja so, dass sein Captain ein ziemlich auffälliger Mann war, den viele bereits zu Gesicht bekommen hatten. Und außerdem schuldete er noch einer Menge Leute Geld.
Als endlich das Mädchen mit dem Bier kam, packte der 1. Maat seinen Krug, setzte ihn an und leere ihn in einem einzigen gierigen Zug. Dabei packte er das Mädchen am Arm und hielt sie davon ab, gleich wieder zu verschwinden. Stattdessen forderte er sie auf, ihm erneut nachzuschenken, was sie bereitwillig tat. Als sie wieder ging schenkte sie ihm ein anerkennendes Lächeln.
Nachdem er seinen Durst gestillt hatte, sah Gibbs Jack neugierig und auffordernd an. „Also, Jack, was tun wir hier?“
Der Captain warf einen übertriebenen Blick in seinen eigenen Humpen, erspähte darin bereits wieder den Boden und winkte ein zweites Mal ins Halbdunkel hinein. „Nun, ich würde sagen, wir trinken, bis wir umfallen. Und dann“, er stockte kurz, als man ihm nachschenkte, „dann trinken wir weiter!“ Er erhob seinen Becher und hielt ihn seinem Gegenüber hin. „Nimm, was du kriegen kannst!“
„Und gib nichts zurück!“ Mit einem heftigen Stoß ließen sie ihre Krüge aneinander knallen, warfen die Köpfe in den Nacken und tranken aus. Dann krachten beide Gefäße gemeinsam wieder zurück auf die Tischplatte und Jack sah Gibbs eindringlich an. „Du hast nicht zufällig Geld dabei?“
Als der Morgen langsam graute, leerte sie das Gasthaus allmählich. Das war allerdings auch kein Wunder, denn sobald es hell draußen wurde, wurde das Licht besser. Und niemand, der hier die Nacht verbracht hatte, hatte das große Bedürfnis, dies alles bei hellem Tageslicht zu sehen. Wer konnte schon ahnen, was man dann alles entdecken konnte in den bisher verborgenen Ecken und Winkeln? Oder wie wohl die Hure aussehen mochte, wenn man sie bei Sonne betrachtete?
Die beiden Männer saßen noch immer an demselben Tisch in der Nische, hatten ein Dutzend leere Krüge vor sich stehen und hingen mehr oder weniger beherrscht auf ihren Stühlen. Gelegentlich ertönte ein lautes Schnarchen von Gibbs, dessen Kopf nach hinten gekippt war, als er eingeschlafen war. Jack hingegen versuchte um jeden Preis wach zu bleiben. Er wollte seine Beute nicht aus den Augen lassen. Selbst dann nicht, wenn er zu betrunken war, um überhaupt geradeaus zu gucken. Und gerade als sein Kopf mit einem lauten Knall auf die Tischplatte zu sinken drohte, nahm er eine Bewegung aus dem Augenwinkel wahr.
„Hallo, Jackie.“
Die raue Stimme seines Vaters machte ihn beinahe augenblicklich wieder nüchtern. Es dauerte noch eine Weile, bis sich seine Augen wieder fokussiert hatten, doch dann sah er das faltige Gesicht von Captain Edward Teague vor sich, das ihn anlächelte und dabei eine Menge Goldzähne entblößte. „Hallo, Dad. Was machst du denn hier?“
Seine Zunge war immer noch schwer und es fiel ihm nicht leicht die Worte richtig zu artikulieren. Doch er riss sich zusammen. Wenn sein Vater hier war, dann war er entweder in großen Schwierigkeiten oder würde gleich etwas erfahren, was ihm durchaus von Nutzen sein konnte.
Egal, welche Möglichkeit von beiden es war, er musste dabei unbedingt einen klaren Kopf haben. Also schüttelte er sich kurz, kniff sich zwei Mal ins Handgelenk und blinzelte, bis das Gesicht seines Vaters scharfe Konturen annahm. Dann lehnte er sich in seinem Stuhl zurück und wartete.
Wenn er genau darüber nachdachte, war es ziemlich ungewöhnlich, seinen Vater hier anzutreffen. Vor einigen Wochen noch hatte er ihm in London das Leben gerettet und ihm von dem Ritual der zwei Kelche erzählt. Und jetzt war er wieder hier. Dass er unzweifelhaft auf seinem Schiff hierher gekommen war, stand wohl außer Frage. Doch wieso war er hier und nicht in der Schiffbruch Bay?
Ein ungutes Gefühl machte sich in Jacks Brust breit. Irgendetwas sagte ihm, dass ein Sturm bevorstand. Und der brach los, als er nun hörte, wie Captain Teague sagte: „Hast du die Pearl gefunden?“