LilórienSilme
~ Fanfiction-Autorin ~
~ Sterbliche Freuden
Es war bereits einige Zeit ins Land gestrichen, als ich erschöpft aber unendlich glücklich auf einer kleinen Anhöhe außerhalb Valmars saß und die Stadt unter mir betrachtete. Viele Häuser waren abgerissen worden, um aus dem Stein und dem Holz neue errichten zu können, die wieder bewohnbar waren. So hatten wir nach und nach die Grenzen der Stadt weiter nach innen verlegt. Auch die große Halle war wieder aufgebaut worden, die goldenen Türen glänzten nun blank geputzt in der untergehenden Sonne und warfen kleine Lichtreflexe in ihre Umgebung.
Es war mir nicht leicht gefallen, eine Übersicht über das ganze Chaos zu behalten, doch mit Hilfe von Ithil-dî, Telperion, sowie auch meinen alten Gefährten Gimli und Legolas war es mir gelungen, ein wenig Ordnung zu schaffen. Auch wenn ich mich noch nicht mit dem Gedanken anfreunden konnte, dass ich nun das Oberhaupt dieser Gemeinschaft sein sollte.
Wie war es damals nur meinen Eltern gelungen, ein Reich in Lórien aufzubauen? Auch sie konnten es kaum leichter gehabt haben. Und es schmerzte mich immer noch, auch nach all den Jahren, wenn ich daran dachte, dass meine Mutter nun nicht mehr war. Ob ihr Geist eines Tages aus Mandos’ Hallen zu uns zurückkehren würde?
Hinter mir konnte ich dünne Ledersohlen über die Grasspitzen streifen hören. Und als ich mich umdrehte, sah ich Legolas den Hügel erklimmen, auf dem ich saß. Ohne ein Wort setzte er sich neben mich und blickte in dieselbe Richtung. Nach einer Weile spürte ich, wie er mich von der Seite ansah und ich konnte dem Drang nicht widerstehen, ihn ebenfalls anzusehen. Es war lange her, dass ich sein Gesicht so genau betrachtet hatte, doch er war nicht ein bisschen gealtert seit dem Tag, an dem ich ihn zum letzten Mal gesehen hatte.
„Ich hätte nie gedacht, dass ich dich wiedersehen würde“, sagte er leise und seine Augen schienen sich an meinem Gesicht festzusaugen, ganz so, als müsste er genauestens überprüfen, ob ich es wirklich war. „Als wir Aragorn zu Grabe getragen haben, hatte ich für einen kurzen Moment das Gefühl, deine Anwesenheit gespürt zu haben, doch ich konnte dich nirgends sehen.“
Es war sicherlich nicht die feine elbische Art, aber irgendwie konnte ich ihn nicht anlügen. „Ich war dort“, sagte ich also. Da meine Wangen sich vor Scham zu röten begannen, senkte ich den Kopf und hoffte, dass er es nicht bemerkt hatte. Doch meine Sorge war unbegründet. Höflich übersah er es und schaute stattdessen wieder zur Stadt zurück. „Dann hat mich mein Gefühl doch nicht getäuscht“, sagte er und lächelte leicht.
Ich setzte zu einer Erklärung an, doch er gebot mir mit einer Geste Einhalt. „Du musst dich nicht entschuldigen. Ich habe dir damals versprochen, dass ich warten werde. Und das tue ich noch immer.“ Seine blauen Augen sahen in meine, tief in mich hinein, bis auf den Grund meiner Seele, bis ich das Gefühl hatte, nackt vor ihm zu stehen. Nun hatte ich nichts mehr zu verbergen, es gab keine Geheimnisse mehr und nichts, was ich hätte verstecken müssen.
„Du hast ihn sehr geliebt“, sagte er. Es war keine Frage, sondern eine Feststellung, eine unumstößliche Tatsache. „Doch offenbar hast du ihn nicht genug geliebt. Denn sonst könntest du nicht mehr mit mir hier sitzen. Wie also wird es weitergehen?“
Natürlich wusste ich, dass er nicht darauf hinaus wollte, wie es nun mit der kleinen Gemeinschaft in Valmar weiterging, doch aus irgendeinem Grund war ich noch nicht bereit, über meine Gefühle zu sprechen. Deswegen erklärte ich ihm, dass ich vorhatte, einen gewissen Rhythmus in unseren Tagesablauf zu bringen, in welchem wir drei Mal gemeinsam essen und morgens ein Gebet sprechen würden. So sollte ein bestimmter Ablauf geschaffen werden, der allen ein wenig Festigkeit vermitteln konnte.
Die Elben waren nie ein Volk, was besonders religiös gewesen wäre, da es nicht nötig war, die Valar zu verehren. Sie waren seit jeher auf derselben Welt gewandelt, hatten bei Feierlichkeiten in der ersten Reihe gesessen und Segenssprüche erteilt. Doch die Zeiten hatten sich geändert. Die Valar waren in unerreichbare Ferne gerückt, waren aus dieser Welt geschieden und lebten nun in einer, die für uns einfaches Volk nicht mehr zu betreten war.
Doch ich wusste genau, dass sie so gut über uns wachten, wie es ihnen möglich war. Und das wollte ich den übrigen, die mit mir in Valmar geblieben waren, vermitteln. Ich wollte ihnen zeigen, wie gütig sie waren und dass sie ihre Kinder nicht vergessen hatten. Das ging jedoch nur, wenn sie die Liebe Vardas und die Stärke Manwes selbst erfuhren.
„Wie willst du das anstellen?“, fragte Legolas mich. Er hatte den Themenwechsel mit einem Lächeln quittiert, aber nichts erwidert. Interessiert musterte er mich nun und ich konnte es kaum verhindern, dass ich erneut errötete. Es war lange her, dass man mich so angesehen hatte.
Um ein wenig Zeit zu gewinnen räusperte ich mich. „Ich möchte, dass jeder einzelne einen ganzen Tag alleine auf dem Götterberg verbringt. Dort soll er beten. Und vielleicht, wenn sie es gewillt sind, werden sie ihm eine Eingebung schicken.“
„Denkst du denn, dass sie es tun werden?“
Ich dachte kurz darüber nach, wie ich es ihm am besten erklären sollte, denn dies hatte nichts damit zu tun, dass die Götter uns vielleicht als unwürdig erachteten. Vielmehr ging es darum, jedem einzelnen zu vermitteln, dass er eine Kraft in selbst hatte, die nur geweckt werden musste. „Ich habe mich wohlmöglich etwas unglücklich ausgedrückt“, sagte ich. „Ich bin sicher, dass Varda, Manwe, Orome und all die andern nichts lieber täten, als zu uns zu sprechen. Doch ihnen mangelt es an Stärke dazu. Je mehr wir jedoch an uns glauben und ihnen unseren Glauben als Kraft übermitteln, desto mehr können wir wachsen. Verstehst du, was ich meine?“
Wieder blickte er mir tief auf den Grund meiner Seele. Dann nickte er schließlich lächelnd. „Ich frage mich, woher du das alles weißt. Sprechen sie denn noch zu dir?“
Ich schüttelte den Kopf. „Es liegt an diesem Ring.“ Ich hielt ihm Caeya hin, welcher im Rot der Sonne dunkelgrün leuchtete. „Alle Valar haben ihn berührt und ihn gesegnet. Dadurch kann ich vielleicht ein bisschen besser verstehen, wie es um sie bestellt ist.“
Legolas zuckte zurück. „Aber er ist doch nicht wie der Eine Ring, oder?“ Seine Augen waren groß geworden und er blickte das zierliche Schmuckstück an, als wäre es eine hinterlistige Schlange, die jeden Moment zustoßen könnte. Beruhigend legte ich ihm eine Hand auf den Arm. Dabei spürte ich erneut das Prickeln, wenn wir uns berührten, das wie kleine Hitzewellen durch meine Handfläche jagte. „Nein“, erwiderte ich sofort. „Nie wird er eine Waffe sein. Sondern viel mehr ein Kompass, der uns den richtigen Weg weisen soll. Ob wir ihn schließlich gehen, bleibt immer noch unsere eigene Entscheidung. Ich möchte auch, dass du weißt, dass ich niemanden zwinge, hier zu bleiben. Es steht euch allen frei zu gehen.“
Seine Hand umfasste meine, die noch immer auf seinem Arm ruhte, sanft und drückte sie liebevoll. „Wie könnte ich dich jetzt verlassen, da ich dich endlich wiedergefunden habe? Wie töricht wäre ich, das Kostbarste erneut zu verschenken?“ Er hauchte einen zarten Kuss auf meinen Handrücken und es ließ mich erschaudern. Wieso nur rief er solche Gefühle in mir wach? Was war so besonders daran, dass er mich liebte?
Vielleicht, weil ich auch etwas für ihn empfand, sagte eine leise Stimme in meinem Kopf. Doch noch immer, nach all den langen Jahren, konnte ich meine Schuldgefühle nicht ganz überwinden. Ich wusste, dass es albern war, denn er hatte Recht: hätte ich Haldir mehr als mein Leben geliebt, wäre ich ihm nachgefolgt. Aber es gab eine endgültige Tatsache, die selbst die lautesten Zweifel mit nur einem Streich hinfort wischen konnte: ich war noch hier! War dies nicht alleine Zeichen genug, dass mein Leben noch lange nicht zu Ende war, dass es noch so viel für mich zu tun gab, um schon gehen zu müssen? War es mir vielleicht zum Schluss doch vergönnt, ein wenig Glück zu erfahren?
Während wir zur Stadt zurück gingen, ließ er meine Hand nicht los. Und es störte mich in keinster Weise, dass man uns erstaunte Blicke zuwarf. Vielleicht war es die Tatsache, dass wir beide so vor Frohsinn strahlten. Vielleicht lag es aber auch einfach nur daran, dass man so etwas in Valinor seit ewigen Zeiten nicht mehr gesehen hatte.
Doch das kleine Stückchen Glück, welches ich mir erobert hatte, und würde es auch nur für einen kurzen Moment anhalten, wurde je überstrahlt. Meine Cousine kam aufgeregt auf mich zugelaufen, als sie uns näher kommen sah. Flankiert wurde sie von ihrem Ehemann, der kaum mit ihr Schritt halten konnte. Erst blickte auch sie irritiert auf meine und Legolas’ ineinander verschlungenen Hände, dann hellte sich ihr Gesicht wieder auf, wie als hätte sie sich eben wieder daran erinnert, was sie mir mitteilen wollte. „Kann ich dich alleine sprechen, Lilórien?“, sagte sie feierlich.
Etwas widerwillig ließ ich Legolas’ Hand los. Und ich spürte auch gleich die Kühle, die seine Wärme hinterlassen hatte. Doch ich tröstete mich mit dem Gedanken, dass es nicht für allzu lange Zeit sein würde. Also folgte ich Ithil-dî. Sie führte mich ein paar Schritte von den anderen weg, dann nahm sie meine rechte Hand in ihre und führte sie zu ihrem flachen Bauch.
Erst war ich über diese Geste sehr verwundert, denn was hätte ich dort fühlen sollen. Meine Verwirrtheit musste sich in meinem Gesicht widergespiegelt haben, denn sie bedeutete mir, noch etwas genauer zu spüren. Und dann nahm ich tatsächlich etwas wahr: es fühlte sich an, wie wenn eine Träne auf die salzigen Massen des Meeres träfe, oder jemand in den Sturm blies, doch es war unverkennbar.
Stürmisch schlang ich die Arme um ihre schmalen Schultern und drückte sie so fest an mich, dass sie mich schon nach kurzer Zeit wieder von sich schieben musste, weil sie keine Luft mehr bekam. „Wie kann das sein?“, stammelte sie, völlig überwältigt von Glück und Zweifeln. „Dass Milui ein Kind empfangen hat, war schon ein Wunder. Doch dass ich jetzt auch schwanger sein soll, erscheint mir wie ein Traum.“
„Komm, setzen wir uns“, sagte ich und führte sie zu einer kleinen Sitzgelegenheit in der Nähe. Ich nahm ihre Hände in meinen Schoß und streichelte ihre Handrücken beruhigt, denn sie schien immer noch völlig aufgewühlt zu sein. „Deine Schwangerschaft ist wahrlich ein Wunder, liebste Cousine!“ Ich lächelte über das ganze Gesicht. „Und du solltest dieses Geschenk beschützen.“
„Das habe ich auch vor!“, sagte sie entschlossen. Natürlich wusste ich, dass sie ihre Worte auch so meinte. Ich hätte mir keine bessere Mutter vorstellen können als Ithil-dî. Deswegen strich ich ihr über ihre wunderschönen Haare. „Ich weiß! Doch du solltest wissen, dass du dafür einen Preis zahlen wirst. Noch nicht heute und gewiss auch noch nicht morgen. Doch irgendwann. Mach nicht so ein bestürztes Gesicht!“, fügte ich noch schnell hinzu, als ich ihre vor Schreck geweiteten Augen sah. „Wie ich euch bereits gesagt habe, scheint sich das Gleichgewicht der Unsterblichkeit ein wenig verschoben zu haben. Selbst wenn wir zweifellos noch mit einem weitaus längeren Leben gesegnet sind, als Menschen oder selbst Zwerge, ist es nicht mehr unendlich.“
Ithil-dî legte schützend ihre Hände auf ihren Bauch und streichelte ihn gedankenverloren. Dabei glitt ihr Blick weit in die Ferne, zu etwas, das nur sie selbst sehen konnte. „Du meinst also, dass mein Kind nicht mehr unsterblich sein wird, wenn es zur Welt kommt.“
Ich schüttelte den Kopf. „Nein“, und sie sah schon hoffnungsvoll hoch, „ich glaube, dass wir schon nicht mehr unsterblich sind.“