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Kapitel 10

~ Verlobung

 

Der neue Tag begann mit einem Gebet. Noch bevor ich etwas zu mir genommen hatte begab ich mich auf die Wiese des Máhanaxar, die noch immer von den umgestürzten Thronen der Valar umgeben war. Wir hatten nicht vor, diese Relikte wegzuschaffen, denn sie sollten uns daran erinnern, dass die, die nun nicht mehr bei uns waren, früher unter uns gewandelt waren.

 

Der Morgen war noch kühl, denn die Strahlen der Sonne hatten bisher noch keine Gelegenheit gehabt, die Erde zu erwärmen. Trotzdem streifte ich meinen Mantel von meinen Schultern, sodass meine Arme nackt waren, und reckte sie gen Himmel. Ich schloss die Augen und wartete darauf, dass sich ein bestimmtes Gefühl einstellen würde, dann begann ich einen leisen Rhythmus zu intonieren.

 

Nach und nach gesellten sich immer mehr Elben zu mir, bis wir schließlich alle versammelt waren. Ich verstummte, als ich die Anwesenheit des Letzten spürte, und drehte mich zu ihnen um. „Ich begrüße Euch“, sagte ich leise, aus Angst, meine laute Stimme könnte die Magie des Morgens vertreiben. „Es freut mich zu sehen, dass nun alle hierher gefunden haben.“ Ich machte eine ausladende Geste und bedeutete ihnen so, sich in einem Kreis aufzustellen.

 

Wir richteten uns zur aufgehenden Sonne hin aus und ich begann das morgendliche Gebet auf Quenya. Die Worte hatten mich bei dem ersten Morgengruß so selbstverständlich gefunden, dass man hätte denken können, ich würde sie schon mein ganzes Leben lang jeden Tag aufsagen.

 

Lange hatte ich darüber nachgedacht, an was die Elben wohl noch glauben mochten. Das erste Licht, was sie damals, zu Beginn der Welt erblickt hatten, waren die Sterne gewesen. Doch ihr Erscheinen war stetig, sie gaben keinen Rhythmus vor. Der Mond war das zweite Licht auf Arda gewesen, aber es erschien mir als profan, das Himmelsgestirn zu grüßen, was unsere Vorfahren so verehrt hatten. Denn wir waren ganz und gar nicht wie sie.

 

Anar, die Sonne, jedoch erschien mir als etwas Neues, Unverbrauchtes und Wunderschönes, was etwas mehr Helligkeit und Wärme in unser aller Leben bringen könnte, auch wenn es der Natur der Elben nicht entsprach. Denn trotz allem unterwarf sich unser Körper, zumindest der der weiblichen Elben, immer noch dem Mondzyklus. So trugen wir, mit dem Licht der Sterne in unseren Augen, etwas von allem in uns.

 

Als die Sonne sich schließlich über den Horizont schob, begrüßten wir Arien, die Maia der Sonne, wünschten ihr eine sichere Fahrt über den Himmel und beendeten unseren Morgengruß. Gemeinsam begaben wir uns nun in die Große Halle, um dort gemeinsam unser morgendliches Mahl zu uns zu nehmen. Alle schienen zu warten, bis ich meinen Platz eingenommen hatte, dann setzten auch sie sich: Legolas zu meiner Rechten und Ithil-dî zu meiner Linken.

 

Noch konnte man von ihrer Schwangerschaft nichts bemerken, ihr Leib hatte sich noch nicht gewölbt, aber sie schien von Tag zu Tag heller zu strahlen und beinahe kam es mir so vor, dass sie kein Kind, sondern das Licht von Laurelin in sich trug. Es machte mich unendlich glücklich, sie so zu sehen.

 

Nach dem Essen begab sich jeder wieder an seine eigenen Arbeiten heran. Manche bauten noch immer an ihren neuen Häusern. Andere stellten Nahrungsmittel her, gingen auf die Jagd oder aufs Feld. Mir hatte man keine besondere Aufgabe zutragen wollen, außer, dass ich über alles wachen sollte. Es erschien mir ein wenig ungerecht, dass alle anderen körperliche Arbeiten verrichten sollten, nur ich nicht. Doch jeder Protest war niedergeschmettert worden, schließlich wäre ich ja von den Valar auserwählt worden.

 

Also machte ich einen kleinen Spaziergang durch die Stadt. Bald gesellte sich Legolas zu mir. Gimli war gerade dabei, einem jüngeren Elb das Schmiedehandwerk näher zu bringen, doch einen so geschickten Lehrling hatte er sich unter den Elben nicht erhofft. Ich konnte sehen, dass es ihm sichtlich Freude bereitete, gebraucht zu werden.

 

Legolas entführte mich nun in einen Teil der Stadt, den wir wieder als Garten anlegen wollten. Dazu hatte man bereits einige Pflanzen aus Oromes Wäldern und Lóriens und Yavannas Gärten hergeschafft, denn auch dort, an den äußersten Ausläufern des Landes, fraß bereits das Meer an den Küsten. Noch war es nicht so wunderschön grün, wie in den größeren Anlagen, aber mit ein wenig Pflege würde es nur wenige Jahre dauern, bis auch hier alles dicht bewachsen war.

 

Wir setzten uns auf eine Bank und ich ließ meinen Blick ein wenig über meine Umgebung gleiten. Es war erst so wenig Zeit vergangen, seit die Götter Delos von hier vertrieben hatten, und doch war es, als hätte es ihn nie gegeben. Sein Name wurde nicht mehr erwähnt und dass seine Frau wohlmöglich ein Kind zur Welt gebracht haben könnte, hatte man scheinbar über die Schwangerschaft von Ithil-dî völlig vergessen.

 

„Freust du dich für sie?“, fragte er, als hätte er meine Gedanken gelesen. Ich lächelte ihn an. „Oh ja, das tue ich. Nie hätte ich erwartet, dass dieses Wunder geschehen würde. Doch es erscheint nur logisch. Vielleicht ist es mir ja tatsächlich auch noch vergönnt, einmal Mutter zu werden.“

 

Er strich mir zärtlich über den Arm. „Ist das denn dein Wunsch?“ Ich nickte ohne zu Zögern. Seit ich gespürt hatte, dass es möglich war, war dieser Wunsch noch stärker in mir herangereift. Vielleicht sogar stärker, als ich es jemals vermutet hätte.

 

Seufzend drehte er sich von mir weg. „Es scheint, als wollte Eru uns für den Verlust des unsterblichen Lebens etwas schenken, damit uns die verkürzte Zeit nicht ganz so trostlos erscheint.“ Ich nickte langsam. Auch ich hatte bereits diesen Gedanken geäußert, dass es vielleicht ein Geschenk des Göttervaters an uns war. Doch ob Gabe oder nicht, ich würde es bereitwillig annehmen, sollte es mir zuteil werden. „Egal wie lange mein Leben noch dauern sollte“, fuhr Legolas fort, „ich möchte nicht einen Tag mehr ohne dich sein, meine Liebste.“

 

Fest sah er mir in die Augen, während er meine Hände nahm und sie an seine Brust drückte. Ich konnte seinen Herzschlag fühlen und wieder überkam mich dieses erregende Prickeln, wenn ich ihm nah war. Ob es ihm auch so ging? Er schien all seinen Mut zusammen zu nehmen, um weitersprechen zu können. „Würdest du den Bund mit mir eingehen wollen?“

 

Ich schluckte schwer, als die Frage und ihr Sinn langsam in meinen Verstand sickerten. Irgendwie hatte ich geahnt, dass er mich dies fragen würde über kurz oder lang. Aber fest damit gerechnet hatte ich nun auch wieder nicht. Ich musste daher ein paar Mal tief Luft holen, um meinen rasenden Puls zu beruhigen. Ich öffnete den Mund um zu sprechen, doch es kam nur ein merkwürdiges Krächzen heraus, da meine Kehle sich anfühlte, als hätte der Wüstenwind hindurch gefegt.

 

Er nahm mir die Antwort jedoch ab. Seine Hände ließen meine los, legten sich sanft wie ein Hauch auf meine Wangen und zwangen mich so, ihm weiter in die Augen zu sehen. Langsam, wie wenn jemand die Zeit drängt, langsamer zu laufen, senkte er sein Gesicht zu meinem herab. Ich verstand erst nicht, was es bedeuten sollte, doch als seine Lippen den meinen so nah waren, begriff ich es. Für einen Moment zögerte ich, doch dann war es auch schon zu spät.

 

Dieses Kribbeln, was ich zuvor gespürt hatte, wenn er mich berührte, war nichts im Vergleich zu dem, was ich nun fühlte. Als sich unsere Lippen berührten, vergaß ich die ganze Welt um mich herum. Meine Sorgen und die Last, die ich schulterte, wurden völlig bedeutungslos und nichtig. Arda schien still zu stehen und alles Leben hielt den Atem an, mir eingeschlossen. Und ein warmes Gefühl breitete sich von meinem Gesicht bis hin in meine Zehen und Haarspitzen aus. Mein ganzer Körper bebte vor Glück.

 

Als er plötzlich von mir abließ, merkte ich, dass ich die ganze Zeit über nicht geatmet hatte und sog überrascht die Luft ein. Immer noch konnte ich seine Lippen und seine Hände auf mir spüren. Dann sah ich ihn an. Doch er blickte nicht zurück. Erstaunen lag in seinen Augen und als ich seinem Blick folgte, sah ich, was er sah: Caeya leuchtete.

 

Der Glanz war so hell, dass es mir unmöglich vorkam, ihn zuvor nicht bemerkt zu haben. Vorsichtig hob ich meine Hand und ich könnte spüren, dass der Ring warm war. Es war jedoch keine Hitze, die mir die Haut zu versengen drohte, sondern eine angenehme Wärme, wie man sie vermutlich als Säugling in den Armen seiner Mutter erlebt. Was hatte Varda gesagt? Der Ring war ein Kompass? Wollte er mir nun sagen, dass ich meinen Kurs gefunden hatte?

 

Legolas streckte seine Hand nach dem grünen Stein aus und streichelte vorsichtig darüber. „Ich denke“, flüsterte er, „dass unser Bund wohl als gesegnet gilt.“ Dann lächelte er mich an. Und das tat er mit solch einer Freude, dass es mir unmöglich war, es nicht zu erwidern. Wir küssten uns erneut, dieses Mal länger und intensiver, und als ich dachte, es wäre genug, fiel es mir schwer, mich von ihm zu lösen. Eigentlich wollte ich mich gar nicht von ihm entfernen. Ich wollte bei ihm sein, ihn nahe bei mir haben, Tag und Nacht, wollte nicht mehr auf dieses Gefühl verzichten, was er in mir auslöste. Doch wir beide hatten eine Aufgabe zu erfüllen.

 

So nahm er mich bei der Hand und führte mich zurück in die Stadt. Mittlerweile war es Mittag geworden und es wurde Zeit für das nächste Mahl. Wir betraten gemeinsam die Halle, in der es schon verführerisch duftete. Und obwohl ich vermutlich Hunger haben musste, gab mein Magen keinen Laut von sich. Ich war gesättigt von dem Glücksgefühl der Liebe, welches mich voll und ganz einzunehmen schien.

 

Ich musste so gestrahlt haben, dass man es mir vermutlich über Meilen hinweg ansah. Ithil-dî kam sogleich auf mich zu, löste meine Hand aus Legolas’ sanftem Griff, lächelte ihn entschuldigend an und zog mich bei Seite. Auf ihrem Gesicht wechselten sich Freude und Verwirrung miteinander ab und sie sah mich fragend an. „Was ist geschehen? Du siehst so glücklich aus“, sagte sie.

 

Meine Wangen röteten sich augenblicklich. Aus irgendeinem Grund fühlte ich mich ertappt und schämte mich plötzlich. Wohlmöglich lag es daran, dass ich noch nie so intensive Gefühle für jemanden empfunden hatte. Natürlich hatte ich Haldir damals sehr geliebt, doch dies war nichts im Vergleich zu dem, was ich jetzt fühlte. „Legolas hat mich gefragt, ob ich den Bund mit ihm eingehen möchte.“

 

Meine Cousine stieß einen erstickten Freudenschrei aus. „Und du hast natürlich Ja gesagt!“ Sofort drehten sich alle Köpfe in der Halle zu uns um und ich fühlte mich noch unwohler. Als die Blicke immer bohrender wurden, hielt ich es nicht mehr aus. Ich atmete einmal tief durch, straffte meine Schultern und stellte mich wieder neben Legolas. Ich nahm seine Hand, sodass es jeder sehen konnte, schenkte ihm noch ein Lächeln, dann wandte ich mich an die Gemeinschaft. „Liebe Freunde“, sagte ich, „ich verkünde Euch eine freudige Nachricht: Prinz Legolas von Eryn Lasgalen bat mich um meine Hand.“

 

Lauter Jubel brandete los und ich konnte die wahrhaftige Freude von ihnen allen spüren. Es machte mich glücklich, dass sie sich so für mich freuten. Zeigte es mir doch, wie sehr sie mich alle lieben mussten. Anscheinend hatte ich wirklich meinen Platz gefunden.

 

Ich drückte Legolas’ Hand fester, da ich Angst hatte, den Halt zu verlieren. Es erschien alles so unwirklich für mich. Hatte ich doch bisher keinen richtigen Platz gehabt, zu dem ich zu gehören schien. Doch nun war es anders. Nun fühlte ich mich zu allen, die hier versammelt waren, zugehörig. Und sie fühlten sich mir zugehörig. Wir waren eine Gemeinschaft, in Zuneigung miteinander verbunden.

 

Verlegen senkte ich den Kopf. „Es wird also bald ein großes Fest geben“, sagte ich schüchtern, da es mir ein wenig unangenehm war, so sehr im Mittelpunkt zu stehen. An dem Tag, an dem wir den Bund eingehen würden, würde es vermutlich noch stärker der Fall sein. „Ich bitte Euch also daher, Vorbereitungen für eine Hochzeit zu treffen, so Euch dies bei Eurer täglichen Arbeit möglich ist. Doch nun: esst!“ Ich breitete die Arme aus und bat jeden Platz zu nehmen. Wir speisten gemeinsam, danach überbrachte uns jeder Einzelne seine Glückwünsche für diese frohe Botschaft und am frühen Nachmittag ging jeder wieder seinen Arbeiten nach.

 

Auch ich hatte dieses Mal etwas zu tun. Ich setzte mich in die Sonne auf den Rand eines fast fertigen Brunnens in der Mitte des Platzes vor der Halle und nahm Pergament, Feder und Tinte zur Hand. Es gab nun eine Menge zu planen. Ich musste mich nach den Traditionen hier erkundigen, wie so eine Zeremonie vollzogen wurde und ich würde alles vorbereiten müssen.

 

Als ich noch einen Blick auf Caeya warf, lächelte ich. Nichts hätte mich in diesem Moment von meinem Glücksgefühl abbringen können. Und es erschien mir, als könnte nie wieder etwas Schlimmes passieren. Wie unrecht ich damit doch hatte.

 

 

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Namensbedeutung:

 

Máhanaxar - Der Ring des Schicksals, Versammlungsplatz der Valar vor den Toren von Valmar

Arien - Die Maia der Sonne, die die letzte Frucht Laurelins in einem Schiff über den Himmel segelt

Laurelin - Der Jüngere der Zwei Bäume von Valinor

© by LilórienSilme 2015

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