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Kapitel 8

 

~ Shades of Pray

 

Der Besuch auf dem Markt hatte Elizabeth ziemlich aufgewühlt. Manchmal hatte sie das Gefühl, dass die Händler ganz genau wussten, dass sie im Besitz von Geld und in der Gesellschaft nicht geachtet war. Doch woher hätten sie das wissen sollen? Sie kamen nur alle paar Monate hierher und nahmen nicht am öffentlichen Leben teil.

 

Verwirrt, enttäuscht und verärgert stampfte sie mit ihrem Sohn am Arm ziemlich unfein durch die Straßen der kleinen Handelsstadt und hielt nach einem gemütlichen Café Ausschau, in welchem sie sich mit Billy eine Tasse Tee und ein bisschen Gebäck gönnen würde. Den Auftritt eben hatten sicher ein paar Leute mitbekommen. Und wenn sie nun mit eingezogenem Schwanz nach Hause zurückkehrte, würde sie sich nur zum Gespött machen.

 

Innerlich hasste sie sich für diese Gedanken. Sie hatte nie viel darauf gegeben, was andere über sie dachten. Natürlich hatte sie eine gute Erziehung genossen, hatte aber auch immer schon ihren eigenen Kopf besessen. Wie sonst, wenn nicht mit ihrer Starrköpfigkeit, war sie damals in das Abendteuer mit Jack Sparrow und den Untoten geraten? Sie erinnerte sich noch, als wäre es erst gestern gewesen, dass Pintel und Ragetti sie auf die Black Pearl gebracht und vor Barbossa gestellt hatten. Wie hatte sie sich damals gefürchtet, war jedoch aus viel zu stolz gewesen, um sich das anmerken zu lassen. Sie hatte hoch gepokert und beinahe mit ihrem Leben dafür bezahlt. Doch letztendlich war dies alles zu etwas gut gewesen.

 

Sie bogen in eine breite Straße ein, auf der es von Kutschen wimmelte. Für so eine kleine Stadt gab es hier ziemlich viele reiche Bürger, die selbstverständlich alle etwas auf sich hielten und nicht zu Fuß unterwegs waren. Sie genoss es jedoch, ein bisschen spazieren gehen zu können. So war sie unabhängiger und musste sich nicht in den trägen Fluss einreihen, der nun über das Kopfsteinpflaster zuckelte.

 

An einer Ecke zu einer Straße, die nur aus festgetretenem Boden bestand, fand sie endlich das Café, nachdem sie gesucht hatte. Und da es bereits mittags war, waren fast alle Tische besetzt. Sie ergatterte noch einen ganz hinten in der Ecke und war sogar froh, darüber sich ein bisschen zurückziehen zu können. Die Dame hinter der Theke lächelte ihr freundlich zu, als sie vorbei gingen, doch Elizabeth wusste genau, dass sie eines der größten Klatschmäuler von ganz Port Royal war. Lisa Smith, die Tochter eines Bäckermeisters aus London, hatte früh geheiratet, war mit ihrem Ehemann schließlich hierher gekommen, um eine kleine Chocolaterie zu eröffnen. Keiner hatte ahnen können, dass dieses Geschäft wie eine Bombe bei den wuchtigen Damen der obersten Gesellschaftsschicht einschlagen würde und sie noch dicker machte. Und Lisa sicherte sich deren Sympathie, indem sie sie alltäglich, wenn sie zur Teestunde das Café betraten und jeder wusste, dass alle Tische nur für Margaret Thatcher, eine Cousine dritten Grades des Duke of Marlborough, und ihr Gefolge aus aufgescheuchten Hühner, reserviert waren, mit Klatsch versorgte.

 

Wenn sie allein an diese Frau dachte, richteten sich bei Elizabeth sämtliche Härchen im Nacken auf und sie bekam eine Gänsehaut auf den Armen. Sie war Margaret erst einmal offiziell begegnet und ihr danach immer aus dem Weg gegangen. Doch alleine das hatte ihr genügt, sich dieser Frau nicht mehr als auf zweihundert Metern zu nähern.

 

Es war an dem Tag gewesen, als sie völlig abgerissen die Stadt betreten hatte, nachdem Will sie am Strand zurück gelassen hatte. Sie hatte noch immer ihre Kleidung getragen, die sie als Piratenfürst und Captain der Empress zuletzt anhatte, und war mit kaputten Stiefeln und flickiger Jacke von Bord einer Handelskogge gegangen, die sie für ein paar Schilling mitgenommen hatte. Ihr erster Weg hatte sie hinauf auf den Hügel geführt, wo einst ihr Haus gestanden hatte. Doch das Anwesen war nicht mehr als eine Ruine gewesen, abgebrannt und ausgeraubt von Barbossas verfluchter Crew. Danach hatte sich niemand mehr dorthin gewagt, da alle behaupteten, dort würde es spuken.

 

Auf der Suche nach einem Schlafplatz war sie ziellos durch die Straßen geirrt, hatte Leute angesprochen, in der Hoffnung, jemand würde ihr Unterschlupf gewähren. Doch das tat niemand. Also war sie weiter gelaufen, bis sie schließlich völlig übermüdet und hungrig an Margaret geraten war, die mit ihrer aufgeplusterten Tochter Henriette und einem Gefolge von mindestens fünf Nilpferden in Seidenkleidern unterwegs war. „Meine Güte!“, hatte sie Margaret echauffiert. „Seht Euch nur dieses traurige Mädchen an. Da möchte einem das Herz schwer werden, wenn man solche Schönheit verschwendet sieht.“ Und gerade, als sie weiterziehen wollte, war Henriette näher an sie heran getreten.

 

Sie und Elizabeth kannten sich noch aus ihrer Jugend, in der sie gemeinsam zur Schule gegangen waren. Und wenn jemand Elizabeth erkannt hätte, dann war es Henriette. Denn ganz im Gegensatz zu ihrer Mutter wusste Elizabeth sehr wohl, dass Henriette nicht so beschränkt war, wie immer behauptet wurde. Allerdings wurde ihre Klugheit gut unter einer Schicht Puder, einer Lockenperücke, etwa siebzig Pfund Übergewicht und mindestens zwei Tonnen Tüll, Seide und Rüschen versteckt. „Lizzy?“

 

Abrupt war Margaret stehen geblieben, als hätte man den Saum ihres Kleides an den Boden genagelt, und ihr plumpes Gesicht war noch blasser geworden, als sie es ohnehin schon gepudert hatte. Elizabeth hatte noch versucht, Henriette davon zu überzeugen, einfach weiterzugehen, doch diese hatte offenbar ihr weiches Herz entdeckt und schloss ihre alte Schulfreundin erleichtert in die Arme. „Oh mein Gott, Lizzy! Wir dachten, du seiest tot! Genauso, wie dein lieber Vater. Aber hier bist du! Und du bist sogar noch dünner geworden. Was hast du nur alles durchmachen müssen?“

 

„Tja, weißt du, Hetty“, hatte sie gestottert und dabei einen Blick auf das Mondgesicht ihrer Mutter geworfen, deren Mund zu einem schmalen Schlitz geworden war, der rot wie eine hässliche Schnittwunde mitten in ihrem Gesicht lag. Der eisige Sturm, der auf diese herzliche Umarmung folgte, war vergleichbar mit dem anderen Ende der Welt, an dem sie versucht hatten, Jack zu finden. Und doch war es auf eine gewisse Weise noch grauenvoller, viel grauenvoller.

 

Seit dem hatte Elizabeth es vermieden, Familie Thatcher über den Weg zu laufen. Nicht nur, weil Margaret die Eiskönigin persönlich war. Sondern auch, weil Hetty sie jedes Mal begrüßte wie eine Schwester. Was den Zorn ihrer Mutter nur noch mehr entfachte. Und eigentlich wollte sie ihre ehemalige Schulfreundin nicht in Schwierigkeiten bringen. Allerdings war sie schon genug damit gestraft, Margaret als Mutter zu haben. Da waren ein paar Tage Hausarrest fast eine Erholung. Besonders, wenn Margaret beschloss, ihre Schwägerin am anderen Ende der Stadt zu besuchen und dort auch über Nacht blieb. Mr. Thatcher genoss diese Zeit auch immer am meisten. Und am liebsten genoss er sie mit einer dicken Zigarre und einer großen Flasche Bourbon.

 

Doch wenn Elizabeth sich nun in dem geräumigen Café im pariser Stil umblickte, bestand heute keine Gefahr, Margaret zu begegnen. Also setzte sie Billy auf die Bank, nahm ihm seinen Hut und sein Tuch ab und ging schließlich zur Theke, um für sie beide eine heiße Schokolade und ein paar Kekse zu bestellen. Sie bezahlte die Rechnung gleich und trug alles selbst zum Tisch, wo Billy sich bereits sehr vertraut mit der Blumenvase gemacht hatte. Diese lag nun leer und umgekippt neben ihm, während sich das Wasser, was vorher noch in der Vase war, über die Tischplatte ausbreitete. Unschuldig wie an seinem Geburtstag sah er sie mit den großen Augen seines Vaters an. „Tut mir leid“, murmelte er.

 

„Schon gut, mein Kleiner“, sagte sie, stellte ihren Imbiss auf einen freien Stuhl und begann damit, das Chaos wieder zu beseitigen. „Aber du solltest wirklich aufpassen, was du tust. Irgendwann verletzt zu noch jemanden oder dich selbst.“ Als sie sah, dass er kurz davor war zu weinen, beruhigte sie ihn schnell wieder, indem sie ihn in den Arm nahm und küsste. Dann hielt sie ihm das Tellerchen mit den Keksen hin. Fröhlich packte er zu und verschlang gleich das erste kleine Gebäck, noch bevor sie selbst Platz nehmen konnte.

 

Eine Weile saßen sie nun so da, beobachteten das Kommen und Gehen der Gäste und tranken ihre Schokolade. Sie hatte ihre Tasse noch nicht halb leer getrunken, da näherte sich ihnen ein Gentleman. Er trug eine weiße Kniebundhose über weißen Strümpfen, hatte schwarze Schuhe mit goldenen Schnallen an und eine blaue Jacke, die ihn als Offizier der Royal Navy auswies. Seinen Hut hatte er sich gerade vom Kopf gezogen und verneigte sich nun vor ihr. „Mylady, darf ich Ihnen Gesellschaft leisten?“

 

Anstatt etwas zu sagen, starrte sie ihn nur ungläubig an. Mittlerweile waren alle Tische wieder besetzt und es war kein Wunder, dass man sich dort zusammen setzen musste, wo man sich vielleicht auch nicht kannte. Aber wieso hatte er sich gerade ihren Tisch ausgesucht?

 

Als sie ihm nicht antwortete, richtete er sich wieder gerade auf. „Captain Henry Miller von der Royal Navy, im Dienste Ihrer Majestät König George II. Zu Ihren Diensten, Miss Swann.“ Die Erwähnung ihres Mädchennamens riss sie wieder aus ihrer Trance heraus und ließ sie sich ihrer guten Manieren erinnern. „Danke, Captain“, sagte sie daher, erhob sich und reichte ihm ihre Hand, damit er einen Kuss darauf hauchen konnte. „Doch mein Name ist nicht mehr Swann, wie Sie sicher wissen. Mittlerweile bin ich verheiratet.“

 

Sie bot ihm einen Stuhl an und er setzte sich. Dabei zwinkerte er Billy linkisch zu, der das Ganze allerdings noch nicht so richtig begreifen konnte. Und bevor er wieder in irgendwelche Schwierigkeiten geriet, schob er sich noch einen Keks in den Mund. „Und verwitwet, wie ich gehört habe. Mein Beileid zu Eurem Verlust. Er war sicher ein guter Mann.“

 

„Das war er. Ein ehrlicher Mann und ein Waffenschmied.“ In dem Moment, in dem sie es sagte, verfluchte sie sich selbst dafür. Wieso log sie? Sie musste sich nicht dafür schämen, was Will war und wer sie war. Und doch hatte sie das Gefühl, dass sie diesem Miller nicht trauen durfte.

 

„Wie ist er gestorben?“, fragte Captain Miller und nahm eine Position ein, die verriet, dass er äußerst aufmerksam und interessiert an diesen Informationen war. Doch bevor Elizabeth beginnen konnte, kam Lisa an ihren Tisch und brachte Miller eine Tasse heiße Schokolade. Dabei lächelte sie ihm kokett zu und zeigte mehr von ihrem Dekollete, als nötig gewesen wäre. Zu Elizabeth’ großer Überraschung jedoch ignorierte er diese Gesten, bedankte sich nur freundlich und hielt weiter mit ihr selbst Augenkontakt, in der Erwartung einer Antwort auf seine Frage.

 

Ehrlich beeindruckt lächelte Elizabeth ihn an. „Nun“, fuhr sie fort, als Lisa sich wieder entfernt hatte, „wir waren auf der Überfahrt nach England, als uns ein Sturm überraschte. Es hat etwas gedauert, bis ich den Weg zurück nach Port Royal fand, doch schließlich bin ich wieder hier gelandet.“

 

Captain Miller nippte vorsichtig an seiner Tasse, verzog kurz das Gesicht, nahm eines der kleinen Töpfchen, die auf jedem Tisch platziert waren, und würzte seine Schokolade mit etwas Zimt nach. „Und wann habt Ihr geheiratet?“

 

„Das war auf der Überfahrt selbst. Der Kapitän des Schiffes hat uns getraut, nachdem die Hochzeit an Land unter keinem guten Stern gestanden hat.“

 

Er trank erneut einen Schluck und dieses Mal schien es ihm besser zu schmecken. „Ich hörte bereits davon. Ihr hattet eine kleine Meinungsverschiedenheit mit Lord Beckett. Böse Zungen behaupten, Ihr hatten ebenfalls Schuld an seinem Tod.“

 

Elizabeth wusste, dass es diese Gerüchte gab. Doch was hätte sie tun sollen? Wenn sie dagegen angegangen wäre, hätte man das nur als Beweis dafür gesehen, dass sie unbedingt ihre Unschuld beweisen wollte, was quasi einem Schuldeingeständnis gleichkam. Daher hielt sie in dieser Sache lieber den Mund. „Man erzählt sich so manches, Captain Miller. Doch Ihr solltet nicht alles glauben, was man Euch erzählt.“ Sie lächelte unverbindlich und griff nach Billys Hut. Ihr Bauchgefühl riet ihr zur Flucht. Etwas stimmte mit diesem Mann nicht.

 

Als sie sich vom Tisch erhob, erhob auch er sich. „Das habe ich auch nicht vor, Miss Swann.“ Die Tatsache, dass er, trotz ihrer Intervention, wieder ihren Mädchennamen benutzt, verstärkte ihr unangenehmes Gefühl nur noch mehr. „Deswegen möchte ich Euch heute Abend zum Essen einladen. Seid mein Gast in dem Haus, welches Ihr einst selbst bewohnt habt. Für den jungen William werden wir ein Hausmädchen abstellen, das sich um ihn kümmern wird. Dann können wir in aller Ruhe die Dinge besprechen, die ich nur aus Eurem Mund hören möchte.“

 

Hastig band sie Billy das Tuch wieder um und reichte ihm seinen Hut, damit er ihn wieder aufsetzen konnte. Sie selbst warf sich ihr eigenes Tuch über die Schultern und griff nach der Hand ihres Sohnes. „Captain Miller, das ist sehr freundlich von Ihnen, doch ich muss leider ablehnen. Es tut mir leid.“

 

Mit diesen Worten rauschte sie an ihm vorbei aus dem Laden und war um die nächste Ecke verschwunden, noch bevor er sich wieder in aller Seelenruhe hingesetzt hatte. Er überschlug die Beine, trank seine Schokolade aus und lächelte in die Tasse hinein. „Oh ja, Miss Swann“, sagte er leise zu sich selbst, „es wird Euch in der Tat noch sehr leid tun.“

© by LilórienSilme 2015

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