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Kapitel 7

 

~ Ein ungutes Gefühl

 

Den Nachmittag verbrachte ich weiter damit, durch die Gärten Bruchtals zu wandeln. Ich genoss es hier zu sein, denn es fühlte sich seltsam vertraut und doch fremd an. Es war nicht mein zu Hause, und doch fühlte ich mich hier sehr wohl, was für mich nicht selbstverständlich war.

Ich musste daran denken, wie ich vor so vielen Jahren dieses Land hatte verlassen müssen. Es war in der Nacht gewesen, als mich schlimme Träume gepackt hatten. Ein Feuer war ausgebrochen, das ganz Mittelerde zu verbrennen drohte. Ich hatte alles in Flammen stehen sehen: Lórien, die Wälder, die Flüsse, die Berge. Sogar die Tiere und Vögel waren in dieser Hitze umgekommen, hatten ihr nicht entkommen können.

Verzweifelt hatte ich nach der Ursache dieser Feuersbrunst gesucht, doch ich hatte sie nicht finden können. Bevor ich schier verzweifelt war, hatte sich dann plötzlich ein anderes Bewusstsein vor meines geschoben. Ich hatte eine Dunkelheit gespürt, die so kalt und grausam war, dass ich sofort davon erwacht war. Mein gesamter Körper war von Schweiß überzogen gewesen und meine Glieder hatten gekrampft. Es hatte eine Zeit lang gedauert, bis ich mich hatte aufrichten können.

Schließlich war ich zu meinen Eltern gelaufen, hatte ihnen alles erzählt, was ich gesehen hatte, und meine Mutter hatte mich in ihren Spiegel schauen lassen. Dort hatte ich das Antlitz erblickt, das mich seither manchmal noch im Schlaf verfolgte. Es war schön gewesen, gar keine Frage, wie Elben nun einmal schön waren. Seine Haut war glatt gewesen wie Seide und so weiß wie frisch gefallener Schnee. Seine Haare waren schwarz wie die Nacht gewesen und seine Lippen so rot wie neues Blut. Doch seine Augen waren das gewesen, was mich erschreckt hatte, denn es hatte sich nichts in ihnen gespiegelt. Es waren nur zwei schwarze Löcher gewesen, die alles verschlungen hatten.

Ein eiskalter Schauer überkam mich, als ich an diese Vision zurückdachte. Ich wünschte mir so sehr, dass ich sie einfach vergessen konnte, doch das war nicht möglich. Diese Bilder hatten sich vermutlich bis in alle Ewigkeit in meine Augen gebrannt. Und kurz danach hatte ich das Schiff betreten, das mich von meinen Eltern nach Valinor gebracht hatte.

Ungewöhnlich laute und ungelenke Schritte holten mich aus der düsteren Gedankenwelt zurück, in die ich versunken war, und mir gelang es gerade noch so meine nicht so fröhliche Stimmung zu verbergen, als jemand neben mir auftauchte.

Erst wollte ich auf meiner Augenhöhe nach einem Gesicht suchen, doch dann merkte ich, dass derjenige kleiner war als ich selbst. Ich war nicht viel größer, denn für eine Elbe, die auch noch von den Noldor abstammte, war ich recht klein geraten. Ich maß gerade einmal fünfeinhalb Fuß und wirkte neben meiner Mutter, die mannshoch gewachsen war, tatsächlich wie ein Kind. Doch derjenige, der nun neben mir stand, war noch kleiner als ich, jedoch nicht so klein wie Herr Bilbo.

Ich drehte mich zu ihm und erkannte den Zwerg von dem Festmahl, das Herr Elrond für die Gemeinschaft um Thorin Eichenschild gegeben hatte. Es war eben jener Zwerg, der mir über den Tisch hinweg zugezwinkert hatte, der Bogenschütze unter ihnen.

Für einen Zwergen trug er recht wenig Bart, hatte gerade einmal einen dunklen Schatten davon am Kinn und auf den Wangen. Seine Haare waren ebenfalls dunkel und er trug sie lang bis zu den Schultern. In seinen braunen Augen blitzte es spitzbübisch auf, als sich unsere Blicke begegneten, und er lächelte mich offen an. Er kam mir recht jung vor und doch hatte er breite Schultern und kräftige Hände, die er nun vor sich locker verschränkte. Seine Füße steckten in schweren Stiefeln.

„Guten Abend“, sagte er galant und verneigte sich leicht.

„Guten Abend“, erwiderte ich, unsicher, was ich nun tun sollte. Sollte ich ihn vielleicht fragen, wie es ihm ging? Oder wie es ihm hier gefiel? Wie unterhielt man sich mit einem Zwerg, der so offen unverschämt war, dass es mir fast peinlich war?

Er drehte sich schließlich von mir weg und blickte mit mir gemeinsam über den Teil des Gartens, der vor uns lag. Die Sonne ging hinter den Bergen schon unter, tauchte die Wolken über uns in helles Rosa, Rot und Lila. Fast beiläufig sagte er: „Verfolgt Ihr mich?“

Verdutzt sah ich ihn an. Sein ganzes Verhalten kam mir ziemlich impertinent vor. Doch ich war zur Höflichkeit erzogen worden, also versuchte ich mich erneut an einem Lächeln. „Ich verstehe nicht, was Ihr meint, Herr Zwerg.“

Er wandte sich mir wieder zu und griff nach einer meiner Hände. Seine fühlten sich kratzig und rau an, als habe er damit viel gearbeitet, was vermutlich auch stimmte, und ich spürte Schwielen an den Fingern. Und doch drückte er nicht fest zu. Fast kam es mir so vor, als würde er besonders vorsichtig mit meinen Händen umgehen, als könnte er sie zerbrechen, wenn er sie zu hart anfasste.

„Mein Name ist Kíli“, stellte er sich vor und hauchte mir einen Kuss auf den Handrücken. „Zu Euren Diensten.“

Ich errötete unter seiner Berührung und schämte mich sogleich dafür. Wie konnte es sein, dass ein Zwerg plötzlich so charmant war? Hätte mich Haldir so sehen können, wäre ich vermutlich am liebsten auf der Stelle im Boden versunken. Ich konnte nur hoffen, dass uns jetzt niemand beobachtete, der meinem Verlobten später davon berichten könnte.

Meine Stimme war belegt, als ich zu antworten versuchte. Ich musste mich erst räuspern, bevor ich einen Ton herausbrachte. „Ich bin Lilórien“, sagte ich. „Meine Mutter ist die Herrin Galadriel aus Lothlórien. Vielleicht habt Ihr schon einmal von ihr gehört?“

„Man sagt, sie sei sehr schön“, erwiderte er gelassen, als würde es ihn nicht interessieren. Er ließ meine Hand wieder los, doch seine dunklen Augen blieben an mir kleben, betrachteten mich einmal von oben bis unten, dann sah er mir wieder ins Gesicht. „Doch sie kann kein Vergleich zu Euch sein.“

Wieder zwinkerte er mir zu, wie er es schon zuvor getan hatte, und auf einmal wurde mir ziemlich warm. Ein Kloß bildete sich in meinem Hals und ich konnte nichts mehr sagen, selbst wenn mir eine Erwiderung darauf eingefallen wäre. Ich spürte, wie ich noch tiefer errötete, wie meine Wangen aufglühten, was ihn offensichtlich belustigte, denn sein Grinsen wurde nur noch breiter und unverschämter.

Doch zu meiner großen Erleichterung hörte ich, wie sich weitere Schritte näherten. Von der einen Seite des Gartens vernahm ich, dass sich ein weiterer Zwerg näherte, und ich wollte schon einfach davoneilen, weil ich zwei von dieser Sorte garantiert nicht hätte ertragen können. Aber bevor ich ziemlich unfein mein Kleid raffen und rennen konnte, erschien Lindir hinter Kíli in einem der Bögen, die zum Haupthaus führten. Er beobachtete die Szene zwischen mir und dem Zwerg kritisch, bemerkte offenbar meine Scham und wollte schon dazwischen gehen.

„Kíli!“

Die Stimme, die uns alle wieder zur Räson brachte, gehört einem blonden Zwerg. Doch er musste schon älter sein, denn sein Bart war länger. Zwei kleine Zöpfe hingen ihm seitlich neben dem Mund. Und obwohl seine Augen blau waren, sahen sie doch vom Ausdruck her genauso aus wie die des Zwerges, der mir eben noch einen Handkuss gegeben hatte.

„Fíli!“, rief Kíli begeistert aus und winkte ihn näher heran. Meiner Vermutung nach mussten es Brüder sein. „Komm her, ich möchte dir Lilórien vorstellen.“

Der blonde Zwerg trat nur zögerlich näher, denn er sah im Gegensatz zu seinem Bruder schon Lindir, der noch im Dunkeln verborgen war. Und bevor einer von ihnen noch etwas sagen konnte, erlöste mich der Berater Herrn Elronds aus meiner Lage.

„Herrin“, sagte er so laut, dass auch die Brüder es hören mussten, und trat vor mich. „Der Rat versammelt sich bald. Die Herrin Galadriel wünscht Eure Anwesenheit.“ Er verneigte sich kurz vor mir, warf Kíli und Fíli einen ziemlich unschönen Blick zu und wandte sich dann wieder um.

Erleichtert atmete ich auf, verneigte mich ebenfalls und versuchte so würdevoll wie möglich das Weite zu suchen. Diese Begegnung hatte mich sehr aufgewühlt. Bisher hatten sich alle Begegnungen mit dem anderen Geschlecht auf züchtige Unterhaltungen bezogen. Nie wäre Haldir auf die Idee gekommen, sich mir so frech zu nähern. Und schon gar nicht hätte er die Schönheit meiner Mutter in meinen Schatten gestellt, wusste doch jeder, dass sie dem Schönheitsideal der Elben mehr entsprach, als ich es je tun würde.

Ich versuchte so unauffällig wie möglich zu Lindir aufzuschließen, der mich schließlich fragend musterte. Seine Abneigung gegen die Zwerge war kaum zu übersehen und er wäre sicherlich dazwischen gegangen, wenn dieser Zwerg noch aufdringlicher geworden wäre. Einerseits hätte ich es in diesem Moment vielleicht gutgeheißen, doch andererseits wäre das der Gastfreundlichkeit wegen, die Herr Elrond ihnen allen gewährt hatte, kein guter Einfall gewesen.

„Geht es Euch gut, Herrin?“, fragte er nun doch ehrlich besorgt und blieb stehen. Eigentlich wollte ich lieber weiter gehen, aber ich wusste, dass er sicher keine Ruhe geben würde, bis ich ihm geantwortet hatte.

„Ja“, sagte ich daher aufrichtig, denn nun fühlte ich mich nicht mehr so unsicher. Bei unserer nächsten Begegnung, sollte es denn eine geben, würde ich hoffentlich etwas schlagfertiger sein und den Zwerg in seine Schranken weisen. „Es war nichts. Nur eine harmlose Unterhaltung.“

Er wirkte nicht sonderlich überzeugt, doch dann glätteten sich die Falten auf seiner Stirn wieder. „Ich bin erleichtert, sobald sie Imladris wieder verlassen haben. Ihre Anwesenheit hier bringt unser sonst so ruhiges und gesittetes Leben gehörig durcheinander.“

Nun musste ich lächeln. „Ich kann Euch gut verstehen“, sagte ich. „Wären sie in meinem Zuhause aufgetaucht, wäre es vermutlich eine ähnliche Folter für mich gewesen, wie sie es nun für Euch ist. Lasst uns hoffen, dass sie nicht mehr lange bleiben werden.“

Er nickte mir zustimmend zu, dann führte er mich in das Observatorium, wo meine Mutter bereits auf mich wartete. Sie trug einen silbergrauen Mantel über ihrem weißen Kleid und hatte sich an den Rand der Plattform gestellt. Es schien, als würde sie nur auf uns warten. Also verabschiedete ich mich von Lindir und nahm an dem großen Steintisch Platz, der in der Mitte stand.

Ein ungutes Gefühl überkam mich. Noch immer war mir nicht klar, wieso ich hier sein sollte. Doch wenn meine Mutter darauf bestand, dann gehorchte ich ihr.

Welches Thema würden wir wohl behandeln heute? Was hatte Saruman der Weiße gesehen, dass er es für nötig hielt, uns alle zusammenzurufen? Und wieso ausgerechnet jetzt und hier? Hatte es wohlmöglich doch etwas mit den Zwergen zu tun?

Ich hörte, wie die Stimmen von Gandalf und Herrn Elrond ebenfalls die Stufen heraufkamen. Sie schienen über etwas zu streiten, was wohl unzweifelhaft mit der Fahrt der Zwerge zu tun haben musste. Lindir war also offenbar nicht der einzige, der sich darüber leicht echauffierte. Doch welches Interesse konnte der Zauberer daran haben, dass die Zwerge den Erebor zurückeroberten?

Ich versuchte meinen Geist zu leeren, denn ich war mir sicher, dass wir auf diese Fragen bald Antworten erhalten würden. Doch wieso war ich dann so unruhig? Wieso stellten sich mir diese feinen Härchen im Nacken auf, wenn ich an diese Beratung dachte?

Das ungute Gefühl breitete sich weiter in meinem Magen aus, als ich sah, wie der Zauberer und der Herr von Imladris die Stufen heraufkamen. Sie hatten beide ihre Stirn in Falten gelegt und Gandalf sagte: „Mit oder ohne unserer Hilfe, diese Zwerge werden zum Berg marschieren. Sie sind entschlossen ihre Heimat zurückzufordern. Ich glaube nicht, dass Thorin Eichenschild der Meinung ist jemanden Rechenschaft schuldig zu sein. Das bin ich übrigens auch nicht.“

Seine Stimme klang verärgert, was ich ihm nicht verdenken konnte. Immerhin war er frei in seinem Willen, war seine Existenz doch von den Valar selbst begründet worden. Und er war von ihnen hierher geschickt worden, um über Mittelerde zu wachen. So ähnlich wie ich auch, wenn ich genauer darüber nachdachte.

Als mich der Zauberer hier oben auf meinem Stuhl erblickte, sah ich Erkenntnis in seinen grauen Augen aufblitzen, während Herr Elrond gleichzeitig sagte: „Nicht mir müsst Ihr Rechenschaft ablegen.“

In meinen Ohren klang es ein wenig unangemessen, was er sagte, hörte es sich doch ganz so an, als wäre meine Mutter eine herrschsüchtige Ehefrau, die immer alles wissen wollte. Doch Gandalfs Gesicht hellte sich auf, als er sie schließlich erblickte. Elegant drehte sie sich zu ihm um und nannte ihn beim Namen, nachdem er auch den ihren mit großer Freude gesagt hatte.

Der Graue warf mir einen warnenden Blick zu, der nicht ganz ernst gemeint war. Und ich wusste genau, dass er mir damit sagen wollte, dass ich ihn das nächste Mal gefälligst zu informieren hatte, wenn ich mit meiner Mutter reiste. Doch ich lächelte nur leise zurück. Also wandte er sich wieder meiner Mutter zu. „Nae nin gwistant infanneth“, sagte er, „mal ú-eichia i Chíril Lorien.[1]“ Und dies bestätigte mich wieder in der Vermutung, dass ich neben ihr nicht halb so hell leuchtete, auch wenn sie mir etwas anderes versichert hatte.

Doch dieser Gedanke verbitterte mich nicht. Ich betrachtete es eher nüchtern. Was wäre ich für eine Tochter gewesen, wäre ich eifersüchtig auf meine Mutter? Dieser Gedanke kam mir absolut absurd vor.

Ich erhob mich von meinem Stuhl, denn auf einmal ergriff wieder dieses schlechte Gefühl Besitz von mir, das mich nichts mehr auf der Sitzfläche hielt. Es war wie der Stich einer Biene, der mich auffahren ließ.

Elrond quittierte meine plötzliche Bewegung mit einem Stirnrunzeln, Gandalf beachtete mich nicht weiter, sondern ging näher an meine Mutter heran. „Ich wusste nicht, dass Herr Elrond nach Euch geschickt hat“, sagte er und ließ es beinahe wie eine Frage klingen.

„Das hat er nicht“, antwortete ihm da plötzlich eine andere Stimme, die mir eine Gänsehaut auf die Arme trieb. „Sondern ich.“ Und mit diesen Worten trat Saruman der Weiße aus dem Schatten heraus und eröffnete die Besprechung des Weißen Rates.

 

 

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[1] Das Alter mag mich verändert haben, aber nicht so die Herrin von Lórien.

© by LilórienSilme 2015

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