LilórienSilme
~ Fanfiction-Autorin ~
Kapitel 8
~ Der Weiße Rat
Erstaunen sammelte sich in den grauen Augen Gandalfs und für einen Moment glaubte ich sogar großen Unmut in ihnen zu sehen, als er die Stimme seines Zunftbruders erkannte. Er schloss kurz die Augen, um sich offensichtlich zu sammeln. Dann drehte er sich um. „Saruman“, sagte er und begrüßte den Obersten des Ordens der Istari.
Mir kam es so vor, als würde der Graue nicht wollen, dass der Weiße hier war. Und das machte mich stutzig. Gandalf hatte doch nicht etwa etwas zu verbergen?
Auch mich erfasste immer eine große Unruhe, wenn ich Saruman begegnete, was vermutlich daran lag, dass er mich beinahe immer wie ein Lehrmeister ansah, der eine besonders unartige und unkluge Schülerin zu maßregeln hatte. Ich konnte nicht verhehlen, dass ich eine Antipathie gegen ihn hatte. Doch trotz allem versuchte ich ihm mit dem größtmöglichen Respekt zu begegnen, der ihm auch zustand. Andernfalls hätte es eine große Schande für mich und meine Familie bedeutet und die Glaubwürdigkeit meiner Mutter wohlmöglich noch in Frage gestellt. Das wollte ich in keinem Fall!
Gandalf und Saruman ließen sich nun an dem großen Steintisch nieder. Meine Mutter hatte ihren Mantel abgelegt und schritt langsam die Steinsäulen ab, während Herr Elrond sich etwas abseits hingestellt hatte. Ich hatte mich zwischen die beiden Zauberer gesetzt und wartete ab, was geschehen würde.
„Sag mir, Gandalf“, begann Saruman nun die Unterhaltung, „hattest du im Ernst geglaubt, es bliebe unbemerkt, was du im Schilde führst?“
Mir war klar, dass er damit die Fahrt der Zwerge ansprach. Ich konnte mir gut vorstellen, dass Saruman es nicht guthieß, was sein engster Verbündeter hier tat. Vielleicht hasste er die Zwerge sogar so sehr wie alle anderen Elben.
Schließlich musste Gandalf zugeben, dass ihn das Schicksal vom Einsamen Berg schon lange beschäftigte. Der Drache Smaug, würde er sich mit dem Feind verbrüdern, würde ein schrecklicher Gegner für uns sein, das hatte mir auch schon meine Mutter klargemacht. Und ich wollte mir gar nicht erst ausmalen, was es bedeuten würde, wenn eine Feuerechse erneut auf die Welt losgelassen würde.
Bisher schlief Smaug noch, doch was wäre, wenn die Zwerge ihn erwecken würden mit ihrem Drang, den Berg und ihr Königreich zurückzuerobern? Sollten sie in den Erebor eindringen, würde der Drache zweifellos erwachen und auf Rache sinnen. Konnten dreizehn Zwerge da tatsächlich etwas gegen ausrichten? Ohne Verbündete?
Doch Saruman beschäftigte anderes. Er wehrte sich vehement dagegen, dass es erneut einen Krieg geben könnte, denn für ihn war Sauron keine Bedrohung mehr. „Er wurde bezwungen“, sagte er. „Er wird seine volle Stärke nie wiedererlangen.“
„Ohne den Ring der Macht“, merkte ich an und beinahe sofort spürte ich, wie der Weiße mir einen strengen Blick zuwarf, „kann Sauron nicht zurückkehren. Und ohne den Einen Ring sind auch die anderen Ringe nichts wert. Selbst wenn sie verloren sind.“ Meine Augen suchten die von Gandalf, denn mir war durchaus bewusst, dass er auf den Ring von Thráin, Thorins Vater, anspielte, der mit samt seinem Träger vor Jahren schon verschwunden war. Und mir war auch bewusst, dass ich ihm mit dieser Aussage gewissermaßen in den Rücken fiel.
Doch auch Herr Elrond schien derselben Meinung zu sein wie ich. „Gandalf“, sagte er, „seit 400 Jahren leben wir nun schon in Frieden. Einem hart erkämpften und schützenswerten Frieden.“
„Ja, aber haben wir das?“, erwiderte er. „Haben wir Frieden? Trolle ziehen von den Bergen in die Täler! Sie plündern Dörfer, zerstören Höfe. Orks haben uns auf der Straße angegriffen!“ Seine Wangen glühten leicht auf und seine Aufregung darüber war deutlich sichtbar.
Doch Herr Elrond lächelte nur milde. „Kaum ein Anlass zum Krieg.“
Dem konnten ich und Saruman zwar nur zustimmen, denn diese fast unbedeutenden Ereignisse konnten kaum darauf hindeuten, dass bald etwas Schreckliches passieren würde. Und doch gab es etwas, was mich innehalten ließ. Gandalf war bisher nie jemand gewesen, der weiße Mäuse sah oder Probleme suchte, wo keine waren. Meine Mutter hatte mir versichert, dass man ihm trauen konnte. Und auch Varda selbst hatte dies zu mir gesagt.
„Hier ist etwas am Werk“, sagte Gandalf, „das viel bösartiger ist als Smaug.“ Es gäbe einen Nekromanten in Dol Guldur, der den Großen Grünwald krank werden lasse, sodass die Waldmenschen ihn nur noch den Düsterwald nennen würden, berichtete er. Und dass Radagast der Braune ihm diese Geschichte bestätigt hatte.
Von dem braunen Zauberer hatte ich auch schon etwas gehört, war ihm aber noch nicht begegnet. Die Art jedoch, wie ablehnend Saruman darauf reagierte, dass Gandalf diese Informationen von Radagast habe, ließ mich vermuten, dass der Weiße etwas gegen ihn hatte. „Er ist ein einfältiger Narr“, sagte er und machte eine wegwerfende Handbewegung, als wäre dieser Zauberer im Gegensatz zu ihm selbst ein Nichts.
Meine Abneigung gegen den Obersten der Istari wuchs mit jedem Wort, das er sprach. Seine Überheblichkeit gegenüber allen anderen, vielleicht bis auf meiner Mutter, machten ihn mir ganz und gar unsympathisch und bald schon konnte ich mich kaum noch beherrschen, ihm nicht über den Mund zu fahren und ihm zu sagen, dass ich es unverschämt fand, wie er sich verhielt. War er nicht dazu angehalten, jedem eine helfende Hand zu reichen, der sie benötigte? Und war er nicht auch dazu verpflichtet, sich jede noch so geringe Äußerung anzuhören, weil er nun einmal so einen großen Einfluss besaß? Gab es nicht dieses Sprichwort, dass aus großer Kraft auch große Verantwortung folgte?
Während Saruman über Radagast und seinen Konsum von Pilzen sprach, was ich ehrlich gesagt nicht so ganz verstand, ballte ich meine Fäuste unter der steinernen Tischplatte und biss die Zähne zusammen. Meine Mutter wäre sicherlich nicht erbaut darüber, wenn ich noch etwas Ungehöriges sagen würde.
Und trotzdem machte es mich wütend, wie arrogant dieser Zauberer war, dass er nicht einmal in Betracht zog, dass er vielleicht doch im Unrecht liegen könnte. Niemand war unfehlbar! Wieso musste gerade jemand wie Saruman der Meinung sein, dass es keine andere Ansicht der Welt gab als seine?
Meine düsteren Gedanken wurden unterbrochen, als Gandalf etwas aus seinem Mantel hervorholte. Sofort spürte ich, wie die Luft um uns herum kälter und grausamer wurde, als wäre ein Schatten über uns hinweggefegt. Eine Gänsehaut zog sich von meinen Armen hinauf zu meinen Schultern und ließ mich frösteln.
„Was ist das?“, sprach Herr Elrond die Frage aus, die auch in meinem Kopf herumwirbelte. Ich wagte nicht einmal, etwas näher an dieses verhüllte Ding heranzugehen, so sehr ängstigte es mich. Und dabei konnte ich noch nicht einmal erkennen, was es war. Es musste ein länglicher Gegenstand sein, den Gandalf in ein Tuch geschlagen hatte. Als er das Tuch nun entfernte, sank mir das Herz herab.
Ich spürte, wie alle Farbe aus meinem Gesicht wich, und meine Lippen sprachen aus, was ich befürchtete, noch bevor ich sie davon abhalten konnte: „Eine Morgul-Klinge!“
Ehrfurcht und Entsetzen erkannte ich in allen Gesichtern ringsherum. Und es zeigte sich erneut, dass mein theoretisches Wissen über Schwerter und Klingen von Nutzen war, denn ich erkannte die Waffe, die nun vor uns auf dem Tisch ausgebreitet war. „Sie wurde geschmiedet“, flüsterte ich vor Furcht, „für den Hexenkönig von Angmar.“
„Und sie wurde mit ihm begraben!“ Meine Mutter sah mich entsetzt an, als sie das sagte. „Als Angmar unterging, nahmen die Menschen des Nordens seinen Leichnam und alles, was er besaß, und verschlossen es in den Felshöhlen von Rhudaur.“ Ihre Stimme grollte tief und bedrohlich, und ließ meine Ohren klingeln. Dunkle Bilder tauchten vor meinem inneren Auge auf, die ich gern ausgeblendet hätte.
„Tief im Stein begruben sie ihn“, fuhr sie fort. „In einer Gruft, so dunkel, dass kein Licht sie je erreicht.“ Ihre blauen, sonst so strahlend hellen Augen fanden meine und ich sah in ihnen dieselbe Besorgnis, wie ich sie auch in mir selbst spürte.
Herr Elrond versuchte einen kühlen Kopf zu bewahren. Doch auch er konnte sich der düsteren Magie nicht entziehen, die von dem Schwert ausging. Auch er wollte die Hände danach ausstrecken, unterließ es jedoch gleich wieder. „Das ist nicht möglich“, wisperte er, mehr zu sich selbst als zu uns anderen. „Ein mächtiger Zauber liegt auf diesen Grüften; sie können nicht geöffnet werden.“ Mit jedem Wort war er sicherer geworden in dem, was er sagte. Doch auch sein harter Gesichtsausdruck konnte nicht verstecken, dass er ebenso besorgt war wie meine Mutter und ich.
Selbst, als Gandalf zugeben musste, dass es keinerlei Beweise dafür gab, dass diese Klinge tatsächlich aus des Hexenmeisters Grab stammte, waren wir anderen uns doch sicher, dass hier etwas vor sich ging.
Erschöpft erhob ich mich von meinem Stuhl, weil ich nicht mehr sitzen konnte. Mein Hinterteil schmerzte bereits und mein Rücken ebenfalls. Diese Beratung lief in eine völlig andere Richtung, als ich es zunächst angenommen hatte. Wie konnte die Unternehmung dieser dreizehn Zwerge von scheinbar so unbedeutender Gesinnung so weite Wellen schlagen? Was hatte Gandalf damit losgetreten, als er Thorin Eichenschild aufsuchte und ihm diese Idee in den Kopf setzte, den Erebor zurückzugewinnen?
Ich zweifelte nicht daran, dass der Zauberer es war, der die Steine ins Rollen gebracht hatte. Ich selbst mochte unbedeutend sein in diesem Schachspiel, ein Bauer vielleicht, den man opfern konnte. Doch Gandalf der Graue war mit großer Sicherheit ein wichtiger Spieler, wenn nicht sogar einer der Spielmacher.
Doch wer war sein Gegner? War es möglich, dass der Nekromant, von dem er und Radagast gesprochen hatten, tatsächlich der war, der vor so vielen Jahren besiegt worden war? Und wenn ja, wieso kam er ausgerechnet jetzt zurück? Der Eine Ring war noch immer verloren, vermutlich in den Wassern des Anduin ins große Meer gespült worden und damit wohlmöglich für immer verschwunden. Was also könnte Sauron wollen? Selbst wenn er die Ringe der Zwerge nun alle beisammen hatte, die noch existierten, ohne den Herrscherring waren sie nichts wert.
Mein Blick fiel auf die Hand meiner Mutter, an der Nenya im Licht der Laternen glitzerte. Hatte auch dieser Ring noch eine Bedeutung in der Geschichte? Und was würde mit Narya, den Gandalf trug, und Vilya, den Elrond trug, sein? Würden sich die Drei Ringe der Elben zusammenschließen, um dem Einen zu trotzen? Konnten sie das überhaupt?
Langsam aber sicher begann sich die Nacht dem Ende zu neigen. Im Sommer waren die Tage lang, sodass es nur kurz dunkel wurde. Und die Vögel kündigten bereits die Sonne an, die den Himmel fern im Osten schon grau färbte. Hatten wir wirklich die gesamte Nacht hier gesessen und geredet? So lange war mir die Zeit gar nicht vorgekommen, seitdem Lindir mich geholt hatte.
Plötzlich erklang die Stimme meiner Mutter wieder in das Gerede von Saruman hinein, das ich versuchte auszublenden, weil es mir sinnlos erschien. Ich wusste, dass es respektlos war, doch mein Widerwille, ihm zu lauschen, war zu groß.
„Sie brechen auf!“, hörte ich nun meine Mutter sagen, aber ein Blick in ihre Richtung zeigte mir, dass sie nicht mit ihrem Mund gesprochen hatte. Ihre wachsamen Augen lagen auf Gandalf, der schuldbewusst dreinsah, und in diesem Moment wurde mir klar, was meine Mutter meinte.
Dass Lindir in diesem Moment die Treppe heraufkam und verkündete, dass die Zwerge fort waren, war daher für mich überflüssig.
Herr Elrond nickte seinem Berater dankbar zu, dass er ihm diese Information überbracht hatte, dann wandte er sich an den Rest von uns. Er breitete die Arme aus und sagte: „Es tut mir leid und ich will gewiss nicht unhöflich erscheinen, doch meine Pflichten verlangen nach mir. Entschuldigt mich daher.“ Er nickte Saruman noch einmal zu, dann verließ er in Begleitung Lindirs den Rat.
Auch ich wollte mich verabschieden, doch Saruman hielt mich zurück. „Bitte, Kind“, sagte er, erhob sich schwerfällig von seinem Stuhl und kam gestützt auf seinem Stock zu mir herüber. „Würde es Euch etwas ausmachen, mich nach unten zu meinem Pferd zu begleiten? Die Stufen machen mir doch sehr zu schaffen.“
Wie gern hätte ich ihm gesagt, dass es nicht nötig war, sich vor mir so aufzuführen, dass ich genau wusste, dass der Stab, den er trug, nicht dazu diente, sich auf ihn stützten. Doch wieder hörte ich die Stimme meiner Mutter in meinem Kopf, die sagte: „Ich muss allein mit Gandalf sprechen. Danach erwarte ich dich in meinen Gemächern.“
Unmerklich nickte ich, zum Zeichen dafür, dass ich verstanden hatte. Dann wandte ich mich dem weißen Zauberer zu und versuchte mich an einem Lächeln. Ich hielt ihm meinen rechten Arm hin und her hakte sich bei mir unter. Gemeinsam gingen wir die Treppe des Observatoriums hinunter.
Als wir etwa auf der Mitte angekommen waren sagte Saruman plötzlich: „Glaubt Ihr es?“
Verwirrt sah ich ihn an. „Was glaube ich?“
„Das, was Gandalf gesagt hat. Glaubt Ihr, dass die Geister aus Rhudaur sich erhoben haben, um zu ihrem Meister zurückzukehren?“
Entsetzt blieb ich stehen. Darüber hatte ich noch gar nicht nachgedacht. Wenn das Grab des Hexenkönigs geöffnet worden war, wieso dann nicht auch das der anderen? „Ihr… Ihr glaubt“, stotterte ich, „dass die Neun wieder in den Diensten Saurons stehen?“
Ungehalten zog er mich weiter. „Pffft“, machte er nur. „Ich glaube gar nichts! Solange der Eine Ring nicht gefunden wird, haben wir nichts zu befürchten.“ Nun waren wir unten angekommen, wo sein Pferd bereits für ihn bereitgestellt worden war. Leichtfüßig, wie ich es mir gedacht hatte, schwang er sich in den Sattel. Er nahm die Zügel auf und setzte seine Füße in die Steigbügel. Doch bevor er seinem Pferd die Fersen gab, blickte er mich noch einmal scharf an. Konzentriert kniff er die Augen zusammen, als versuche er etwas in meinem Gesicht zu finden. Als er jedoch nichts fand, glätteten sich seine Züge wieder und er setzte ein falsches Lächeln auf. „Ihr solltet nicht alles glauben, was Gandalf Euch erzählt, Kind.“
Dann preschte er davon. Sein weißer Mantel wehte hinter ihm her. Zurück blieben nur der schale Geschmack auf meiner Zunge und das ungute Gefühl in meinem Herzen.
to be continued...