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Kapitel 7

 

~ One last Adventure

 

Jack hatte eine ganze Weile vor sich hingestarrt, nachdem sein Vater wieder einmal einfach verschwunden war. Gibbs hing noch immer wie ein Sack Kartoffeln auf seiner Bank, hatte den Kopf in den Nacken gelegt und schnarchte zum Steine erweichen laut. Zum Glück jedoch war das Gasthaus leer, sodass sie niemand rausschmeißen würde, wenn sie hier noch eine Weile saßen und ihren Schnaps tranken.

 

Nach dem heftigen Stich ins Herz hatte Jack den Wein vom Tisch gestoßen. Etwas war ihm an dieser Situation äußerst seltsam vorgekommen. Wieso hatte es nur auf einmal so schrecklich weh getan? Doch nachdem er den zweiten Becher Rum geleert hatte, war ihm das Ganze nicht mehr so schrecklich vorgekommen, sondern eher nur noch seltsam. Und mit seltsamen Dingen kannte er sich aus. Man nahm sie entweder hin, oder ignorierte sie. Er würde in diesem Fall beides tun.

 

Seine Finger spielten gedankenverloren mit der bauchigen Flasche, die auf seinem Schoß lag und vor sich hin gewitterte. Er fragte sich, ob er richtig gehandelt hatte. Doch was hätte er tun sollen? Er konnte schlecht alle Schiffe aus Blackbeards Sammlung immer mit sich herum schleppen. Und seinem Vater konnte er vertrauen.

 

Mit einem lauten Knall flog die schwächliche Holztür des Gasthauses auf und eine Bande von ungewaschenen Piraten strömte in den Schankraum. Sofort herrschte ein heilloses Durcheinander, in dem Tische umgestoßen, Stühle geworfen und Becher zerbrochen wurden. Das spärliche Licht von draußen kündigte den Sonnenaufgang an und beleuchtete die traurige Szene, die sich Jack plötzlich bot. Jetzt war ihm auch klar, wieso nie genug Kerzen in der Schwarze Hure brannten, um die Räume ausreichend auszuleuchten. Sonst hätte man gesehen, dass die Binsen am Boden seit Jahren nicht mehr gewechselt worden waren und dass die Treppe hinauf in die Zimmer völlig von Würmern zerfressen und sicherlich instabil war. Dort wäre niemand freiwillig hochgegangen. Wie die Zimmer selbst aussahen, wollte er sich lieber nicht vorstellen.

 

Krachend fiel die Tür nach einer Weile wieder in ihr Schloss zurück, doch sie hatte einen schlimmen Schaden davon getragen. Eine Angel hielt das Gewicht nicht mehr und riss ab. Nur die Klinke verhinderte noch, dass das Brett nachgab und einfach heraus fiel. Dann rief jemand nach Rum.

 

Verdutzt blickte Jack auf, während Gibbs aus seinem tiefen Schlaf endlich erwachte. Verwirrt sah sich der alte Mann um, als wundere er sich, wo er sich gerade befand. Dann schien es ihm wieder einzufallen. Er wischte sich mit der Hand kurz über sein noch verschlafen wirkendes Gesicht, dann suchte er in den fast leeren Bechern nach einem Schluck, fand ihn schließlich und stürzte ihn herunter. Dann bemerkte auch er etwas.

 

Eine Stimme erhob sich unter den vielen, die nun im Raum erschollen. „Bringt uns Rum und Frühstück! Meine Männer sind hungrig und vor allem sind sie durstig!“, rief sie rau und knarzig und sofort eilte eines der Mädchen los, um den Koch in der Küche zu wecken, der garantiert eingeschlafen war, nachdem der letzte Gast vor drei Stunden das Gasthaus verlassen hatte. Der Sprecher ließ sich auf dem nächstbesten Stuhl nieder, der in seiner Nähe stand. Seine Stiefelabsätze schlugen Hart auf der Tischplatte auf, als er seine Füße darauf ablegte, dann blickte er hinüber zu dem einzigen Tisch, der noch besetzt war.

 

Im nächsten Augenblick war er auch schon wieder auf den Beinen, sah die beiden Männer, die dort saßen, entsetzt an. Wie konnte das sein, dass sie auch hier waren? Er hatte so sehr gehofft, dass es das letzte Mal war, dass er sie gesehen hatte. Doch offenbar hatte er sich getäuscht. „Jack“, sagte er wenig respektvoll, „deine Anwesenheit hier überrascht mich in der Tat sehr. Eigentlich hatte ich gehofft, dich das letzte Mal gesehen zu haben.“

 

„Und deine Anwesenheit erhellt diesen Raum so sehr, wie nur eine einzelne Kerze es tun könnte, Hector“, erwiderte der ehemalige Captain.

 

„Was machst du hier?“ Beide hatten diese Frage gleichzeitig ausgesprochen und bevor erneut ein Streit daraus entstehen konnte, sprang Gibbs in die Breche. Er zog die Aufmerksamkeit auf sich, indem er lauthals verkündete, dass sie nur hier waren, um einen guten Schluck Rum zu genießen. „Weiter nichts!“

 

„Weiter nichts also?“ Barbossa kniff die Augen zusammen und sah den alten Mann eindringlich an. Er hatte noch nie besonders gut lügen können. Dafür war er ziemlich gut darin, sich Märchen und Seemannsgarn auszudenken. Und auch dieses Mal schien Gibbs nicht die ganze Wahrheit zu sagen, auch wenn die leeren Becher auf dem Tisch zumindest einen Teil der Lüge wahr machten. Allerdings war das nur die eine Hälfte der Geschichte. „Dann trinkt doch einen Schluck mit mir und wir stoßen auf Edward Teach an. Dass er endlich vom Angesicht der sieben Weltmeere verschwunden ist und nie wieder zurückkehrt!“

 

Das Mädchen brachte drei neue Becher, die bis zum Rand mit Rum gefüllt waren. Der Fusel war billig und gestreckt, doch er würde einen guten Kopfschmerz verursachen und das war im Moment das einzige, was Barbossa interessierte. Er wollte keine neuen Abenteuer und wenn er sich das recht überlegte, wollte er auch gar nicht wissen, was Jack wieder ausheckte. Er hatte jetzt sein eigenes Schiff, nachdem er die Black Pearl gerächt hatte, mehr brauchte er nicht, außer einem guten tiefen Schluck.

 

Sie hatten bereits die anderen Gasthäuser leer getrunken, bevor sie hierher gekommen waren. Seit dem sie gestern Mittag die Stadt erreicht hatten, war keiner der Mannschaft wieder nüchtern gewesen. Und Barbossa hatte nicht vor, dies abreißen zu lassen. Denn wenn er wieder klar im Kopf wurde, musste er auch darüber nachdenken, wie er weiterhin an Geld kommen wollte, um diese Saufgelage zu bezahlen.

 

Dass er sich in der Taverne Getreue Braut so großzügig gezeigt hatte, hatte aber auch seine guten Seiten gehabt. Bevor der Bastard Carver sie vor die Tür gesetzt hatte, waren alte Bekannte aufgetaucht, die sich nur zu gern an dem Gelage beteiligt hatten, auch wenn man sie in den letzten Jahren nicht mehr zur Crew gezählt hatte. Jetzt entdeckten auch sie, mit wem Barbossa dort sprach, und eilten zum Tisch hinüber.

 

„Bei Davy Jones’ Hintern, sieh’ nur, das ist Jack Sparrow!“ Bevor Jack wusste, wie ihm geschah, schlangen sich zwei Arme um ihn, drückten ihn gegen eine breite Brust und nahmen ihm den Atem. Das allerdings war sein großes Glück. Hätte er nämlich noch Luft bekommen, hätte er unweigerlich den fiesen Gestank eingeatmet, der von den beiden Neuankömmlingen ausging. „Und der alte Graubart ist auch da! Was für eine Freude.“

 

„Graubart?“ Gibbs fasste sich ans Kinn und zupfte an den Enden seines Backenbartes. Dabei versuchte er, die Haare in sein Blickfeld zu ziehen, um die Farbe etwas genauer in Augenschein zu nehmen. Doch dieses Mal machte ihm seine Sorgfältigkeit, mit der er seine Gesichtsbehaarung immer trimmte, einen Strich durch die Rechnung. Denn sie war so kurz, dass es nicht ging. „Ich darf doch sehr bitten!“ Er beschloss, erst einmal beleidigt zu tun und vorzugeben, die beiden nicht zu kennen, die nun neben ihnen standen und begeistert von einem zu anderen blickten. Doch leider würde ihm das wohl niemand abkaufen. Dafür hatten sie zu lange auf der Black Pearl gedient.

 

Jack hingegen bedachte die beiden mit einem interessierten Blick. „Pintel und Ragetti, was für eine Überraschung! Was treibt euch zwei Halunken denn hierher und in diese erlauchte Gesellschaft von Captain Hector Barbossa? Hat er euch bestochen, damit ihr wieder zu seiner Crew gehört?“

 

Ragetti und sein Onkel glucksten unisono. „Nein“, sagte der Jüngere, dessen eine Augenhöhle mittlerweile eine schwarze Augenklappe zierte, nachdem man ihm sein geliebtes Holzauge genommen hatte. „Wir haben bei Carver gearbeitet, nachdem ihr verschwunden wart. Und als der Captain“, dabei wies er mit dem Daumen auf Barbossa, „hier letzte Nacht auftauchte, haben wir gedacht, dass es vielleicht wieder ein neues Abenteuer gibt.“

 

Gütig war Jack die Bemerkung mit dem Captain übergangen, zog jedoch jetzt eine Augenbraue hoch, sodass sie beinahe unter seinem roten Kopftuch verschwand. Seinen geliebten Hut hatte er neben sich auf die Bank gelegt. „Und, hat der gute Hector ein neues Abenteuer für euch?“

 

„Nein“, sagte Ragetti enttäuscht und senkte den Kopf auf die Brust. Er spielte mit einem stumpfen Dolch herum, indem er sich den Dreck unter den Fingernägeln herauskratzte. „Er sagt, er will keine Abenteuer mehr erleben.“ Dabei wirkte er so niedergeschlagen wie ein kleiner Junge, dem man gerade erklärt hatte, dass Weihnachten ausfallen würde.

 

Jack hingegen wirkte einigermaßen überrascht. „Keine Abenteuer mehr? Was ist los, Hector? Hat Blackbeard dich deiner Männlichkeit beraubt?“ Er hoffte, seinen alten Feind damit aus der Reserve locken zu können, doch dieser zog nur einen Mundwinkel nach oben und entblößte dadurch seine verfaulten Zähne. „Nein, Jack. Ich bedenke nur, mich noch einige Jahre an ihr zu erfreuen. Man wird auch nicht jünger, weißt du.“ Er wirkte ein wenig nachdenklich, als er das sagte, und Jack musste unweigerlich an seine eigene Sterblichkeit denken.

 

Wie wäre sein Leben wohl verlaufen, wenn er Davy Jones’ Herz erdolcht hätte? Dann müsste Elizabeth nun nicht mit der Bürde einer zurückgelassenen Frau leben, sondern mit der einer Witwe. Kurz fragte er sich, was wohl besser war, doch dann beschloss er, dass es ihn nicht interessierte. Nichts hatte ihn je sonderlich viel interessiert, außer sein eigenes Wohl und das seines Schiffes. Dass er sich dadurch auch um seine Mannschaft zu kümmern hatte, war für ihn immer ein annehmbares Übel gewesen. Doch eigentlich war er ziemlich egoistisch. Erst, als er William und Elizabeth begegnet war, hatte er gelernt, dass man auch gelegentlich selbstlos handeln konnte. Doch dieser Schwäche hatte er sich nicht öfter als nötig hingegeben.

 

Die Sache mit Angelica war da eine ziemliche Ausnahme gewesen. Als er ihr gesagt hatte, dass er das Kloster mit einem Bordell verwechselt hatte, hatte er gelogen. Er hatte gewusst, dass dort Nonnen lebten. Er wäre auch ziemlicher Narr gewesen, hätte er das übersehen. Das große Kreuz am Eingang war unschwer zu erkennen gewesen. Allerdings hatte er nicht geplant, dort so einer Frau zu begegnen. Er hatte kein Geld mehr in den Taschen gehabt, aber ihm hatte nach der Gesellschaft einer Frau gelüstet. Und was lag näher, als sich an Frauen heranzuwagen, die noch nie im Leben bei einem Mann gelegen hatten? Er hatte gehofft, dass sich sehr leicht herumzukriegen sein würden.

 

Das Mädchen, welches ihm zuerst über den Weg gelaufen war, war auch leicht zu überreden gewesen. Leider hatte sie ihn nicht in ihre eigene Kammer geführt, sondern in Angelicas. Und die hatte ihm ziemlich die Hölle heiß gemacht. Sie hatte ihn angeschrien, ihm eine Ohrfeige nach der anderen versetzt, bis er sie geküsst hatte. Sie hatte ihn weiter geschlagen, als ihre Lippen schon aufeinander gelegen hatten, doch nach einer Weile war der Widerstand gebrochen gewesen und sie ihm verfallen.

 

Dass sie ihm nach ihrer gemeinsamen Nacht im Kloster nachlaufen würde, hätte er nicht ahnen können. Dass sie ein Wildfang, hatte er jedoch gleich gemerkt. Und dass sie Blackbeards Tochter war, hätte er nicht einmal erraten, wenn man ihm einen unmissverständlichen Hinweis darauf gegeben hätte. Sie war vielleicht die einzige Frau auf den sieben Weltmeeren, die am ehesten seiner Vorstellung einer Partnerin entsprach. Und trotzdem, sollte man ihn vor die Wahl stellen: das Meer oder Angelica. Er würde sich immer für das Meer entscheiden. Wenn er jedoch beides würde haben können, wäre er auch dem nicht unbedingt abgeneigt.

 

Nachdenklich zwirbelte er seinen Kinnbart und starrte ins Leere, auf einen Punkt genau über Barbossas Schulter. Man wurde zwar nicht mehr jünger, dachte er, aber vielleicht gab es noch eine Möglichkeit, die Jahre, die ihnen blieben, auszukosten, bis auf den letzten Tropfen auszuquetschen.

 

„Was würdest du dazu sagen“, begann er und sein Blick kehrte aus der Ferne zurück, bis seine dunklen Augen mit der schwarzen Umrandung seinen Gegenüber wieder fixiert hatten, „wenn wir uns zu einem allerletzten Abenteuer aufmachen? Wir beide, Hector. Du, ich und das Meer.“

 

„Und was wird soll das für ein Abenteuer sein?“ Barbossa wirkte gelangweilt, spielte gedankenverloren mit der Feder an seinem Hut und schenkte Jacks Gerede nicht mehr Aufmerksamkeit, als einer Fliege, die über seinem Kopf schwebte. Pintel und Ragetti hingegen begannen sofort aufzuhorchen. Ihre Augen fingen begeistert an zu leuchten und es war unschwer zu erkennen, dass sie ziemlich aufgeregt wirkten. Gibbs gähnte genüsslich, machte sich aber nicht die Mühe, mit seiner Hand seinen weit aufgerissenen Schlund zu verdecken. Stattdessen griff er nach seinem fast leere Becher und nahm noch einen kräftigen Schluck, bis der Boden zu erkennen war.

 

Jack beugte sich verschwörerisch vor. Im Rest des Gasthauses herrschte immer noch ein heilloses Durcheinander und so konnte sie eigentlich niemand verstehen. Doch er wollte kein Risiko eingehen. Selbst, wenn niemand in der Nähe war, der auch nur Anstalten machte, ihrem Gespräch lauschen zu wollen, konnte man nicht vorsichtig genug sein.

 

Vorsichtig griff er unter den Tisch und holte die Flasche mit der Black Pearl hervor. Er platzierte sie genau in der Mitte. Pintel und Ragetti rissen überrascht die Augen auf und stotterten, während Barbossa nur einen flüchtigen Blick darauf warf. „Was soll das, Jack? Mich interessieren die Miniaturen von Blackbeard nicht. Die Schiffe sind verloren. Und, so leid es mir tut, die Pearl ebenso.“

 

„Und was wäre, wenn dem nicht so wäre?“ Sparrow zog beide Augenbrauen hoch zu seinem Haaransatz, legte den Kopf ein wenig nach hinten und grinste so breit, dass man seine Goldzähne aufblitzen sehen konnte. Als Barbossa nicht antwortete, griff er erneut unter den Tisch und holte zwei weitere Flaschen hervor, die er neben die erste stellte. „Bist du immer noch an einer eigenen Flotte interessiert?“

© by LilórienSilme 2015

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