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Kapitel 6

 

~ The Story

 

Binnen weniger Augenblicke war die Mannschaft der El Rubi Segundo auf das Oberdeck der Flying Dutchman gebracht worden. Niemand war davon gekommen. Und nun standen sie alle hier, inklusive der Mannschaft der El Infante.

 

Das Schiff, auf das man sie gebracht hatte, gefiel Maria ganz und gar nicht. Es war alt, das konnte sie sehen. Die Reling bestand aus brüchigem, von Holzwürmern angeknabbertem Holz, genauso wie das Deck, die Masten und alles andere. Die Planken waren grün angelaufen, wirkten wie mit Algen überzogen und glitschig, und das Segel bestand aus flatterndem Seegras. Unheimliche Stimmung herrschte an Bord, denn niemand wagte ein Wort zu sagen. Und die Mannschaft selbst war schweigsam, schien auf etwas oder jemanden zu warten. Sogar Capitán de la Torre schwieg, was Maria für ein kleines Wunder hielt.

 

Eine Gänsehaut überzog ihre Arme, als sie sich suchend umblickte. Sie hatte bereits von diesem Schiff gehört, jedoch nicht geglaubt, dass es wirklich existierte. Jetzt schallt sie sich allerdings eine Närrin. Sie wusste, dass es Magie gab. Wieso also sollte es keine Geisterschiffe geben?

 

Plötzlich ertönte ein Klopfen tief unten im Bauch des Schiffes. Es klang, als würde Holz auf Holz schlagen und dabei wurde ein unheimlicher Rhythmus erzeugt, der die merkwürdige Mannschaft dazu brachte, mit einem ihrer Beine auf das Deck zu pochen, bis jeder von ihnen mit einfiel und das ganze Schiff zu erzittern schien. Ein besonders grimmig aussehender großer Kerl blinzelte sie verschlagen aus seinen zusammen gekniffenen Augen an und zeigte dabei zwei Reihen spitzer Zähne. Als das Klopfen immer lauter wurde lachte er diabolisch und ließ sie keinen Moment lang aus den Augen.

 

Unweigerlich wollte sie schon vor ihm zurückweichen, denn es gefiel ihr ganz und gar, wie er sie hungrig musterte, als wäre sie ein Stück Fleisch und er ein Raubtier, was sie fressen wollte. Sie kam sich beinahe vor, als würde sie einem Hai genau in seine kleinen dunklen Tieraugen blicken und den Jagdtrieb darin erkennen.

 

„Maccus!“

 

Ein scharf gebrülltes Wort brachte die Mannschaft zum Stillstehen. Binnen eines Augenblicks änderte sich die Stimmung an Deck, schlug um von bedrohlich zu gastfreundlich, und das Ganze ging so schnell, dass sie es erst begriffen hatte, als der Haifischmann sie auf einmal freundlich anlächelte, den Kopf neigte und den Weg frei gab für einen anderen Mann.

 

„Was habe ich euch eigentlich in den letzten Jahren beigebracht, ihr Fischköpfe?“ Der junge Mann, der nun zwischen der Mannschaft hervor trat, trug ein weinrotes Hemd, das über der Brust aufgeknöpft war, darüber eine schwarze, zweireihige Jacke und eine dunkelgraue Stoffhose. Seinen Kopf zierte ein dunkles Tuch, was seine tiefbraunen Locken bändigte. Seine haselnussbraunen Augen funkelten jeden der Männer an, die zur Crew gehörten. „Sie sind unsere Gäste, nicht unsere Gefangenen. Schüchtert sie gefälligst nicht mehr so ein!“

 

Als er sich zu den Neuankömmlingen umdrehte, verrutschte das Hemd ein wenig und Maria konnte eine lange Narbe über seinem Herzen erkennen, als hätte es ihm jemand herausgeschnitten.

 

Sie zuckte ertappt zusammen, als er sie plötzlich ansah. Dann straffte sie sich wieder, zog die Kapuze von ihrem Kopf, die sie sicherheitshalber aufgesetzt hatte, und sah ihm direkt in die Augen. Das war nicht Davy Jones, dessen war sie sich sicher. Wieso also sollte sie Angst vor einem Mann haben, der vermutlich jünger war als sie? Zumindest sah er jünger aus. Allerdings könnte er mehr Jahre zählen als sie. Auf diesem Schiff konnte man sich nie sicher sein.

 

„Wer hat hier das Kommando?“, fragte sie mit fester Stimme und sah den Mann mit der Narbe auf der Brust herausfordernd an. Der Wind trieb ihr das Salzwasser ins Gesicht und fraß an ihrer Selbstbeherrschung, doch sie wollte um keinen Preis hier vor allen das Gesicht verlieren.

 

Der Mann mit der Narbe trat vor. Es war schon eine Weile her, dass er eine Frau gesehen hatte. Genauso wie seine Mannschaft hatte er die letzten sechs Jahre auf See verbracht, hatte unglückselige Matrosen aus dem Wasser gefischt, ihnen das Leben geschenkt oder ihnen den Tod und eine sichere Überfahrt gewährt, kurz: er war seinen Pflichten als neuer Captain der Flying Dutchman nachgekommen. Und die Göttin hatte ihn damit belohnt, dass sie ihm sein hübsches Gesicht gelassen hatte.

 

Nachdem seine Hand das Herz von Davy Jones erstochen hatte, war der Fluch von der Mannschaft abgefallen und sie waren wieder menschlich geworden. Allerdings konnte Will nicht leugnen, dass sie einige Eigenschaften ihres alten Lebens wohl immer beibehalten würden. Selbst wenn Maccus nicht mehr der Mann mit dem Hammerhaikopf war, sein Blick war immer noch zum Fürchten.

 

Er sah der Frau sofort an, dass sie nicht auf das Deck eines Schiffes gehörte. Sie war nur ein paar Zentimeter kleiner als er, hatte dunkles Haar und dunkle Augen und eine olivfarbene Haut. Ihre Schönheit war selbst dadurch noch zu erkennen, dass sie wohl eine Zeit lang auf dieser Sandbank gestanden und auf Rettung gehofft hatten. Und vermutlich war sie um die dreißig, das zumindest verrieten ihm die kleinen Fältchen rund um Mund und Augen, die man vielleicht nur erkannte, wenn man genau hinsah. Doch vor allem war es der Stolz in ihren Augen, der ihn glauben machte, dass sie vermutlich eine Frau von hohem Rang war. Oder sie war besonders töricht.

 

Spöttisch grinsend kam er zu ihr herüber geschlendert, hakte die Daumen in das Tuch um seine Hüfte ein, welches seine Hose an Ort und Stelle hielt, und betrachtete sie von oben bis unten. Seine Mannschaft quittierte das mit leisem Gelächter. „Das Kommando führe ich, wenn es Mylady recht ist“, sagte er ruhig.

 

„Und wer seid Ihr, Señor?“ De la Torre hatte offensichtlich seine Sprache wieder gefunden, denn nun mischte er sich plötzlich in die Unterhaltung mit ein. Er kam aus der dritten Reihe hervor, in der er sich bisher versteckt hatte, und stellte sich neben Maria. „Mein Name ist Capitán Don Balthesar de la Torre. Mit wem haben wir hier das Vergnügen?”

 

Bevor Will antworten konnte, mischte die Frau sich ein. Er schaffte es kaum Luft zu holen, da hatte sie schon angesetzt und sagte: „Das ist Captain William Turner, Don Balthesar. Er hat den Befehl über die Flying Dutchman und über den Wind, wenn ich mich recht erinnere. Zumindest solange die Göttin Euch holt ist. Heute scheint sie mit ihrer Schwester jedoch einen Streit zu führen. Wollt Ihr uns an Bord Eures Schiffes Willkommen heißen, Captain Turner?“

 

„Aye“, sagte er, immer noch grinsend, „das möchte ich. Doch Ihr seid mir gegenüber im Vorteil, Mylady, denn Ihr wisst meinen Namen, ich aber nicht den Euren. Seid doch so gütig und lasst uns arme Kielratten nicht dumm sterben.“

 

Sie quittierte seine Frechheit mit einem hochmütigen Blick, sah jedoch ein, dass er Recht hatte. Die Höflichkeit gebot sich vorzustellen. Sie musste ihm ja nicht die ganze Wahrheit direkt auf seine dumme Nase binden. „Maria Felipez, zu Euren Diensten“, sagte sie daher und verneigte sich ironischerweise vor ihm, während ihr der Wind immer noch den Regen ins Gesicht schleuderte. Eine Bö brachte sie beinahe aus dem Gleichgewicht, doch sie richtete sich wieder voll Würde auf.

 

De la Torre hingegen war seiner Würde gänzlich beraubt worden. Seine Augen weiteten sich vor Schreck, bis er aussah wie einer dieser niedlich Äffchen, die nachts besser sehen konnten als tagsüber. Sein Mund klappte auf und er fing an zu stottern. De Torres schließlich drängte sich nach vorne, um ihm einen kräftigen Schlag auf den Rücken zu geben, der ihn wieder zur Gesinnung brachte. Der General wirkte nicht halb so erschrocken wie der Capitán. „Die Flying Dutchman? Dieses Schiff ist vor sechs Jahren in einem Sturm verschollen. Wie kann es nun wieder segeln?“

 

„Was tot ist, kann niemals sterben“, ertönte ein Ruf aus der Mannschaft und der Rest antwortete mit lautem zustimmendem Geheule. Maria überlief ein Schaudern. Dass sie hier auf diesem Schiff landen würde, hatte die Göttin so gewiss nicht geplant. Doch vielleicht konnte sie diesen Umstand zu ihrem Vorteil nutzen, denn immerhin hatte der Erste Maat ihr eine Frage gestellt, die sie zu beantworten gedachte.

 

Der Mann, der sie auf der Sandbank begrüßt hatte, stand nun neben dem Captain. Eine gewisse Ähnlichkeit ließ sich nicht leugnen zwischen den beiden. Wohlmöglich hatte sie dort Vater und Sohn vor sich, die beide an dieses Geisterschiff gebunden waren, bis Calypso es gefiel, sie zu entlassen.

 

Captain Turner trat nun vor den General. „Wie Ihr sehr wohl sehen könnt, liegen diese Planken nicht auf dem Grund des Ozeans. Was den Rückschluss zulässt, dass es noch voll fahrtüchtig ist. Leider ist es jedoch so, dass wir nur einmal in zehn Jahren einen Hafen anlaufen können.“ Bei diesen Worten machte er ein mehr als enttäuschtes Gesicht, was allerdings wohl nicht ganz ehrlich gemeint war. „Daher stelle ich Euch vor die Wahl.“

 

Jetzt wurde es interessant. Maria beugte sich ein wenig vor. Dabei glitt der Verschluss ihres durchnässten Mantels auf und ihr Medaillon kam zum Vorschein. Nur eine Ecke war zu sehen, doch Will hatte es bemerkt. Es hatte ein Herzschlag genügt um zu erkennen, was sie da um den schlanken Hals trug. Die Frage allerdings war eine andere: wie war sie in den Besitz des Goldes gekommen? Vor Jahren schon war die Kisten mit dem Gold von Cortés auf der Isla de la Muerta verschlossen worden und niemand konnte diese Insel finden. Es sei denn, er war schon einmal dort gewesen. Sein neuer siebter Sinn für Übernatürliches jedoch sagte ihm, dass sie keine Untote war.

 

Er überspielte die Tatsache, dass er ihr Schmuckstück erkannt hatte, breitete stattdessen die Arme aus, um so das Schiff und alle, die sich darauf befanden, einzuschließen. „Segelt unter meinem Kommando für die nächsten vier Jahre, dann bringe ich Euch an Land. Oder springt wieder zurück ins Wasser und versucht Euer Glück auf eigene Faust. Solltet Ihr jedoch sterben, kommen wir Euch holen und geleiten Eure unsterbliche Seele in das Reich von Davy Jones.“

 

Kaum hatte er zu Ende gesprochen, da packten bereits eine Reihe der Seeleute verzweifelt nach der Reling und schwangen sich hinüber. Weder Capitán de la Torre, noch Capitán de Lanz hatten die Chance, ihre Männer zurückzurufen. Stattdessen sah de Lanz, was seine Untergebenen taten, und sprang nach einem kurzen Zögern hinter ihnen her. Sie hörten noch eine Weile das leiser werdende Platschen der Männer, dann war das einzige Geräusch das Heulen des Windes in der Takelage. Es kam Maria beinahe so vor, als hätten sie plötzlich ihren Standort gewechselt.

 

Bevor sie aber weiter darüber nachdenken konnte, drehte Will sich zu seiner Mannschaft um. „Angler!“, brüllte er, dann, nach einem kleinen Moment, in dem rein gar nichts passierte, kam Bewegung in seine Mannschaft. Etwas schob sich durch die Männer nach vorne und als er vor ihr stand, sah Maria den größten und dicksten Mann, den sie je gesehen hatte. Er musste über zwei Meter groß sein, hatte einen fetten Bauch, einen gewaltigen Kiefer und prankenartige Hände. In seinem Gesicht gab es nicht viel zu entdecken, außer den winzigen Augen, die sich hinter Fettwulsten verbargen.

 

Gigantisch baute er sich neben dem Captain auf und verschränkte die langen, dicken Arme vor der breiten Brust. „Aye, Sir.“

 

„Quartiermeister, zeigt dem General und dem Capitán bitte ihre Kajüten, den anderen ihre Kojen. Um Señora Maria werde ich mich kümmern.“

 

Er antwortete mit einem weiteren tief tönenden „Aye, Sir“, winkte mit seinen gewaltigen Händen und die Männer folgten ihm wie die Schafe in den Bauch des Schiffes. Nur Montoya, der ebenfalls an Bord geblieben war, warf Maria noch einen letzten Blick zu, bevor sie alle verschwanden. Will hingegen trat auf sie zu und bot ihr galant seinen Arm an. „Darf ich bitten?“ Sie hakte sich bei ihm unter und ließ sich von ihm in seine Kabine führen, wo er ihr einen Stuhl heranzog und sie darauf platzierte. Von einer Anrichte, die verdächtig nach einer auf der Seite liegenden Galionsfigur aussah, nahm er zwei Kelche, stellte sie auf den Tisch und goss eine goldene Flüssigkeit hinein.

 

Schwungvoll nahm er in einem großen Lehnstuhl Platz, legte die Füße auf der Tischkante ab und ergriff den übervollen Kelch. Er prostete ihr zu, trank dann einen großzügigen Schluck und sah sie danach über den Rand des Gefäßes hinweg an. „Nun, Mylady, wollt Ihr mir nicht erzählen, wie Ihr in den Besitz dieser zauberhaften Halskette gekommen seid?“

 

Erschrocken griff Maria nach dem Medaillon, ließ es aber sofort wieder los, als sie merkte, dass sie sich durch diese einfache Bewegung verraten hatten. Er wusste es also. Er wusste, woher das Gold stammte, und er würde sich ganz sicher nicht mit Lügen abspeisen lassen. Der Herr über den Wind war sicherlich nicht so dämlich und würde ihr alles glaube, was sie im erzählte. Sie musste ihre Worte daher sorgfältig abwägen und durfte sich nicht in Widersprüchen verstricken. Sie seufzte tief, bevor sie ihn wieder ansah. „Das ist eine ziemlich lange Geschichte, Captain.“

 

Er machte eine wegwerfende Handbewegung. „Wie es aussieht, haben wir noch ein paar Jahre Zeit. Erzählt sie mir doch bitte.“

© by LilórienSilme 2015

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