LilórienSilme
~ Fanfiction-Autorin ~
Kapitel 6
~ Der Weg nach Moria
Die Nächte wurden immer kälter und die Tage immer düsterer. Nebel zog in der Nacht auf und verzog sich nur noch selten, bis die Sonne sich wieder neigte. Die Kälte kroch unaufhaltsam und die ganze Zeit über durch die Kleidung und in unsere Herzen. Mutlosigkeit machte sich unter uns breit.
Wir alle waren sehr schweigsam geworden, seid wir die mit Schnee bedeckten Berge hinter uns gelassen hatten und nun durch eine karge Felsenlandschaft zogen. Niemand sprach viel, nur wenn es sein musste. Alle schienen zu spüren, dass der tiefe Verrat durch Saruman noch weite Kreise ziehen würde. Weitere Kreise, als wir zu der Zeit noch ahnen konnten.
Ich war jedes Mal froh, wenn wir rasteten und ich mich am Feuer aufwärmen konnte. Denn trotz der Elbenseide war die kalte Feuchtigkeit immer bis tief auf die Knochen zu spüren. Immer öfter ereilten mich Visionen von Varda. Doch jedes Mal wachte ich auf, bevor ich Antworten erhalten konnte auf meine vielen Fragen. Ich wusste nicht, ob das Absicht oder Zufall war. Doch ich verwendete jede freie Minute drauf, über den Sinn nachzudenken. Denn ich war mir sicher, dass sie mir etwas sagen wollte.
In der Zeit, in der wir auf Moria zusteuerten, hatten wir keine Zwischenfälle zu beklagen. Unser Weg ging ruhig weiter. Und nur noch selten nahm ich den Geist von Gollum war. Es beunruhigte mich manchmal, dass uns niemand folgte. Hatte man uns wirklich noch nicht entdeckt, oder wiegte man uns in falscher Sicherheit? Gingen wir gar auf eine Falle zu, wenn wir nach Moria zogen? Würde man uns dort schon erwarten?
All diese Fragen schwirrten auch in dieser Nacht wieder in meinem Kopf umher. Ich hatte mich bereit erklärt, die erste Wache zu übernehmen und so saß ich, dicht in meinen Mantel gehüllt, etwas abseits und horchte auf meine Umgebung. Die Augen hatte ich geschlossen, so konnte ich mich auf Geräusche besser konzentrieren. Doch ich war unruhig. Etwas näherte sich. Aber ich hatte das Gefühl, dass es nur näher zu kommen schien, wenn auch wir uns bewegten. Es war wie eine dunkle Wolke, die vom Horizont aufzog. Das Schlimme war nur, dass selbst der Wind sie nicht vertreiben konnte.
Um die Finsternis in meinem Herzen etwas vertreiben zu können begann ich leise eine Melodie zu summen. Bald tauchten Bilder vor meinem geistigen Auge auf. Bilder, von denen ich dachte, dass ich sie bereits vergessen hatte. Doch da waren sie wieder. Es waren Bilder von Mittelerde, wie es in den früheren Tagen gewesen war. Nur die Sterne standen am Himmel und Elben wanderten umher. Das schöne Volk war noch ganz alleine auf der Welt. Denn es waren die Altvorderen Tage. Das Licht der beiden Bäume leuchtete noch hell. Und die Silmarilli gab es noch nicht.
Zu diesen Tagen lebte ich noch nicht. Doch Manwe hatte mir oft vorgesungen und so hatte ich einen Blick auf die Schönheit der Welt erhaschen können, bevor das Licht der beiden Bäume erloschen war. Manchmal wünschte ich mir, ich hätte diese Zeit erlebt. Und noch sehnlicher wünschte ich mir, dass ich im ersten Ringkrieg gefallen wäre. Vielleicht hätten mein Leben und mein Tod dann diesen zweiten Krieg verhindert.
Aber das war natürlich Unsinn. Was kann ein einzelnes Leben schon bewirken? Was kann ein einzelner Wille bewegen, wenn nicht noch andere das Selbe wollen? Es heißt zwar immer, dass ein Wille Berge versetzen kann. Aber wie steht es, wenn man sich gegen ein ganzes Gebirge wenden muss? Was kann dann ein einzelner Wille bewegen? Kann er den Schnee von den Gipfeln fegen oder kann er nur einen leisen Wind erzeugen, der bald wieder vergeht? Was kann ich bewegen?
~*~*~*~
Als die Sonne aufging, stutze ich. Hatte ich die ganze Nacht hier gesessen? Ich hätte Aragorn wecken sollen, damit er die zweite Wache übernehmen konnte. Aber das hatte ich nicht getan. Ich fühlte mich plötzlich sehr müde. Ich spürte, dass meine Kräfte bald zu Ende gingen. Und was konnte ich dann noch für die Gemeinschaft tun?
Ich weckte Aragorn jetzt und bat ihn, die Anderen zu wecken. Ich zündete das Feuer erneut an und bereitete ein karges Frühstück zu. Ich jedoch hatte keinen besonders großen Appetit. So setze ich mich unter einen Baum und beobachtete die Gefährten. Sie wusste nicht, wer ich war. Sie hatten keine Ahnung, ob sie mir vertrauen konnten. Und doch taten sie es. Sie stellten Elronds Wille nichts entgegen. Sie hatten keine andere Wahl gehabt.
Dann wurde mir plötzlich klar, dass sie alle die Wahl gehabt hätten und sie auch jetzt noch hatten. Nur ich hatte niemals die Wahl gehabt. Mir war es von Anfang an bestimmt gewesen, diesen Weg zu gehen. Ob ich es nun gewollt hätte oder nicht. Eru hatte mich auserkoren, diesen Pfad zu beschreiten und ich hatte es angenommen, ohne zu fragen. Denn ich hatte schon damals gewusst, dass ich nicht hätte Nein sagen können. Dazu saß diese Bestimmung zu tief in meiner Seele. Wenn mit Arwen Lúthiens Schönheit wieder auf die Erde gekommen war, so war mit mir Berens Schicksal, einen bestimmten Weg in seinen Tod zu gehen, wieder auf die Erde gekommen. Denn er war nur diesen Weg gegangen, weil er auch nicht die Wahl gehabt hatte.
Sanft berührte mich eine Hand an der Schulter und zog mich aus meinen Gedanken wieder in die Realität. Aragorn war zu mir getreten. Er sagte mir, dass es Zeit war, weiter zu gehen. Ich nickte ihm zu. Als er sich wieder entfernte, spürte ich, dass einen Tränen mein Gesicht hinunterlief. Mein Weg setzte sich nun fort und ich musste ihn gehen.
Von dieser Nacht an war ich noch verschlossener, als ich es ohnehin schon gewesen war. Nun sprach ich überhaupt nicht mehr. Ich antwortete nicht mal mehr mit Nicken oder Kopfschütteln. Ich ging einfach nur noch meinen Weg.
Dann endlich spürte ich, dass die dunkle Wolke ganz nah war. Und jetzt begriff ich auch, dass sie nicht von alleine näher gekommen war, sondern dass wir uns ihr genähert hatten. Denn diese dunkle Wolke war Moria. Moria mit seinen Toren aus Stein, seinen Wänden und Decken aus Edelsteinen und seinen Böden aus mithril. Das stand uns jetzt unmittelbar bevor.
Als wir den Weg zu den Mauern hinaufgingen, stieg mir der faulige Geruch eines Gewässers in die Nase, das sich wohl schon seid Jahrhunderten nicht mehr bewegt hatte. Kaum ein Windhauch bewegte unsere Gewänder und kein bisschen Grün erfreute unsere Augen. Nur verdorrtes Buschwerk und abgestorbene Bäume lugten aus dem kalten Boden hervor. Sie waren die Vorboten für diese verlassene Gegend.
Ein ungutes Gefühl beschlich mich, als ich sah, dass auf diesem Weg, auf dem wir jetzt gingen, schon lange niemand mehr gewandert war. Keine Spuren wühlten den Boden auf. Er war platt gedrückt worden vom Regen und an manchen Stellen löste sich die Erde bereits und drohte, abzurutschen.
Der Weg hinauf war sehr steinig und uneben. Ich konnte mir vorstellen, dass es für die Hobbits große Mühe bedeutete, Schritt zu halten. Aragorn war sicheren Trittes, genau wie Legolas und ich. Boromir fiel zurück, weil er mit seinem Schild schwer zu tragen hatte. Auch für Gimli war es nicht leicht. Aber die Freude, seinen Vetter zu sehen, trieb ihn wohl an.
Endlich blieb Gandalf stehen und ich dachte schon, dass wir unser Ziel erreicht hätten. Doch er sagte: „Frodo, komm und hilf einem alten Mann.“ Das Wasser eines alten Kanals stürzte sich weit vor uns in die Tiefe, doch er war so hoch gebaut worden, dass wir selbst hier noch die Feuchtigkeit spüren konnten.
Frodo ging hinüber zu Gandalf und der alte Mann legte einen Arm um den Hobbit. Dann gingen sie weiter. Gandalf sagte weiter: „Was macht deine Schulter?“
„Sie fühlt sich besser an“, sagte Frodo und Erleichterung schwang in seiner Stimme mit. Dann sprach wieder der Zauberer. Aber seine Worte waren so leise gesprochen, dass ich sie nicht vernehmen konnte. Doch ein Gefühl sagte mir, dass sich das Gespräch um den Ring drehte. Sie blieben stehen und ich konnte Entsetzen in den Augen des Halblings sehen. Ich blieb stehen und schaute ihn aufmerksam an. Doch schnell senkte ich den Kopf wieder, denn in diesem Moment ging Legolas an mir vorbei und ich fürchtete, er könne mein Gesicht sehen.
Als ich an Frodo und Gandalf vorbeiging, hörte ich den Hobbit fragen: „Wem kann ich dann vertrauen?“
„Du musst dir selbst vertrauen“, sagte Gandalf. „Vertraue auf deine eigene Stärke.“
Doch Frodo verstand nicht, was er ihm damit sagen wollte. Ich beschloss, dem Gespräch nicht weiter zu folgen. Es wäre zu unhöflich, hätte ich weiter gelauscht. Auch wenn Gandalf sicherlich genau wusste, dass von mir keine Gefahr ausging, denke ich, dass er der Überzeugung war, Frodo durch unnötige Zuhörer nicht noch mehr beunruhigen zu wollen.
Durch das Gespräch abgelenkt, hörte ich plötzlich Gimlis Stimme, die die Stille durchbrach. Ehrfurchtsvoll und freudig zugleich sagte er: „Die Mauern von Moria!“ Alle blickten auf und mussten erkennen, dass wir sie schon die ganze Zeit vor der Nase hatten. Doch dank des Nebels hatten wir sie nicht sehen können.
Ich sah einen See vor uns liegen. Sein stinkendes Wasser war so dunkel, dass man selbst am Rand nicht den Grund sehen konnte. Und dahinter erstreckte sich eine beinahe glatte Felswand, die so hoch war, dass man den Kopf in den Nacken legen musste, um das Ende zu sehen. Zwei Bäume standen dort und ich vermutete, dass sie den Eingang bewachten. Doch zunächst mussten wir den See umlaufen.
Als wir auf der anderen Seite ankamen, suchten wir eben jenen Eingang zu den Höhlen. Und besonders Gimli ging mit Eifer an die Sache. Mit seiner Axt klopfte er gegen die Felswand und sagte: „Zwergentüren sind unsichtbar wenn sie geschlossen sind.“ Seine Axt gab ein metallisches Klirren von sich, als sie gegen das Gestein schlug. Doch es klang nicht hohl, wie er erhofft hatte.
„Ja, Gimli“, sagte Gandalf jetzt. Auch er suchte nach der verschlossenen Tür. „Und selbst ihre Meister können sie nicht finden, wenn ihr Geheimnis vergessen ist.“ Seine Augen huschten wachsam über den Stein, doch dann blieb sein Blick an den beiden Bäumen hängen. Auch er vermutete hier die Tür. Obwohl es eigentlich viel zu offensichtlich war, eine Zwergentür mit zwei Bäumen zu flankieren.
Legolas nutze natürlich die Gelegenheit und stichelte nach. Er und Gimli waren immer noch nicht mit dem Gedanken zufrieden, einen so langen Marsch zusammen unternehmen zu müssen. „Das wundert mich nicht bei den Zwergen“, sagte er und erntete ein Grummeln seines Gefährten. Über mein Gesicht huschte jedoch seid langem endlich wieder ein Lächeln. Dieser Elb konnte ja richtig lustig sein, wenn er wollte. Vermutlich würde das aber auch nicht das einzige Mal sein, bei dem sich diese beiden in den Haaren liegen würden.
Gandalf steuerte auf den Zwischenraum der Bäume zu und tastete den Fels dort ab. Dann wurde es auch mir klar. Was hier die Tore markierte, war ithildin, ein seltenes Metall, was man nur sehen konnte, wenn Sternen- oder Mondlicht auf es fiel. Und als Gandalf dies zu uns gesagt hatte, schob sich nun endlich zum ersten Mal in dieser dunklen Nacht der Mond zwischen die Wolken und das Metall begann zu strahlen. Erstaunt blickten alle auf die Tür, die sich nun abzeichnete.
Doch meine Gedanken waren nicht mehr hier in Mittelerde. Sie waren wieder in Valinor. Aber dieses Mal dachte ich nicht an Varda oder die Gärten. Nein, ich dachte an meine Freundin zurück, meine einzige Freundin, die ich dort hatte. Ihr Name war Ithil-dî und wir waren seid jeher zusammen gewesen, als ich in den Unsterblichen Landen war. Ich musste daran denken, wie wir gemeinsam in den Gärten gelegen hatten und dem Farbenspiel der Bäume zugesehen hatten. Und mein Herz wurde wieder schwer. Denn nun wünschte ich mich noch mehr zurück.
„Hier steht: Die Türen von Durin, des Herrn von Moria: Sprich Freund zu tritt ein“, sagte Gandalf und holte mich zurück in die Kälte der Welt. Ich betrachtete die Inschrift über dem Tor und stellte fest, dass es elbische Worte waren, die dort eingemeißelt waren. Ein bisschen verwunderte es mich schon, da Elben und Zwerge nun schon sehr lange nicht mehr gut miteinander auskamen. Aber das zeigte nur, wie alt diese Miene in Wahrheit war.
„Und was soll das bitte bedeuten?“, fragte Merry zu Recht. Denn auch ich konnte mir keinen Reim darauf machen.
Aber Gandalf sagte: „Ganz einfach: Wenn du ein Freund bist, sage das Losungswort und die Tür wird sich öffnen.“ Das klang nur logisch. Also legte er seinen Stab auf die Mitte, die ein großer eingemeißelter Edelstein bildete und sagte: „Annon edhellen edro hi ammen [1]!“
Doch entgegen unseren Erwartungen tat sich nichts. Die Tür blieb verschlossen und ich begann, darüber nachzudenken, ob Gandalf mit seiner Behauptung doch falsch lag. Oder er hatte einfach nur das falsche Losungswort benutzt. Also sprach er noch einmal. Doch auch dieses Mal geschah nichts. Er wartete eine Weile, dann stemmte er sich mit seinem ganzen Gewicht gegen die Türe. Aber sie bewegte sich nicht. Außerdem war er wahrscheinlich viel zu leicht, um sie zu bewegen.
„Da rührt sich überhaupt nichts“, sagte Pippin, während Gandalf sich dagegen stemmte.
„Ich kannte einstmals jeden Zauberspruch in allen Sprachen der Elben, Menschen oder Orks.“ Resignation lag in seiner Stimme und ich bin mir heute noch sicher, dass er zu diesem Zeitpunkt der Meinung war, dass wir diesen Weg umsonst gekommen waren.
„Und was willst du nun tun?“, fragte Pippin weiter, mit einer Stimme, die jede Mutter sofort mit einer Backpfeife gestraft hätte.
Und so war es auch nicht verwunderlich, dass Gandalf die Geduld verlor und reif: „Mit deinem Kopf die Tür einschlagen, Peregrin Tuk! Wenn der sie nicht aufbringt und ich ein wenig Ruhe vor törichten Fragen habe, dann will ich nach dem Losungswort suchen.“ Er schnaufte und ließ sich auf einem Stein in der Nähe nieder. Wir anderen taten es ihm gleich.
Außer Aragorn und Sam. Sie gingen zu dem Pony Lutz und befreiten es von seiner Last und dem Zaumzeug. Mit feuchten Augen blickte Sam den Menschen an. Doch Aragorn sagte: „Die Mienen sind kein Ort für ein Pony. Selbst für den tapferen Lutz nicht.“
„Mach’s gut, Lutz“, sagte Sam traurig.
Aragorn klopfte dem Pony hoch einmal auf die Hinterhand und schob es dann sanft in die Richtung, aus der wir gekommen waren. „Ab mit dir“, sagte er. „Mach dir keine Sorgen, Sam. Er kennt den Weg nach Hause.“
Ich saß auf einer Wurzel und dachte still bei mir, dass ich alles dafür geben würde, mit Lutz nach Hause zu dürfen. Aber mein Pflichtgefühl hielt mich hier. Ich blickte mich um und sah, dass Legolas sich auf den anderen Baum stellt hatte und über den See blickte. In seinen Augen spiegelten sich die Sterne und sein blondes Haar glänzte im Mondlicht.
Ich musste an Haldir denken, als ich das Silberne in Legolas’ Haaren sah. Auch mein Verlobter hatte einmal dieses goldene Haar gehabt. Doch jetzt war er alt geworden und es würde nicht mehr lange dauern, bis sein Haar so grau war, wie das meines Vaters. Ein komisches Gefühl erwachte in mir. Was, wenn ich Haldir nach unserer ersten Nacht für meinen Vater halten würde, wenn er im Mondlicht über mir wäre?
Peinlich berührt durch diesen Gedanken, kroch die Schamesröte in mein Gesicht. Ich hatte noch nie das Bett mit einem Mann geteilt. Und wenn dieser Mann aussah wie mein Vater, dann würde es sicher keine Freude für mich sein. Und wenn es keine Freude für mich war, wie konnte es dann eine Freude für Haldir werden?
Ich hörte mit halbem Ohr, wie Gandalf eine Beschwörungsformel nach der anderen sprach. Doch keine vermochte, die Tür zu öffnen.
Aber dann drang ein anderes Geräusch an mein Ohr und es riss mich aus meinen Gedanken. Ich drehte den Kopf, um zu sehen, woher das Geräusch kam und sah, dass Merry und Pippin Steine in das dunkle Wasser warfen. Dort wo sie ins Wasser fielen, zogen Wellen ihre Kreise, die immer größer wurden. Der Anblick wirkte beinahe beruhigend, wenn nicht dieses Kribbeln im Nacken wäre, das mir die Haare zu Berge stehen ließ. Etwas sagte mir, dass der See nicht so unbewohnt war, wie er aussah. Aber ich hoffte inständig, dass ich mit dieser Vermutung falsch lag.
Aragorn machte mir diese Hoffnung jedoch zunichte, als er Pippin beim Arm packte, der gerade noch einen Stein werfen wollte, und sagte: „Schrecke nicht das Wasser auf.“ Fragend blickte ich ihn an, doch er wand sich ab. Wer oder was lebte dort unten? Konnte es uns gefährlich werden?
Der Zauberer inzwischen gab auf. Er konnte das Losungswort einfach nicht finden. Dabei hatte er schon alles probiert, was er wusste. Ernüchtert blickte ich noch einmal auf die Inschrift. Und da kam mir ein Gedanken. Was wäre, wenn das Losungswort offensichtlich war? Nur wer der elbischen Sprache mächtig war, konnte es wissen. Und in dieser Zeit waren das nicht mehr sehr viele.
Kaum war mir der Gedanken gekommen, hatte Frodo ihn auch schon ausgesprochen: „Es ist ein Rätsel!“
Doch dann zog etwas anderes meine Aufmerksamkeit an. Das Kribbeln im Nacken wurde stärker und ich drehte mich wieder zum See um. Die Wellen, die durch die Steine entstanden waren, waberten immer noch auf der Wasseroberfläche. Aber sie waren nun wesentlich größer geworden. Sie schlugen sacht gegen die abgestorbenen Bäume, die im Wasser lagen und trieben immer weiter auf den See hinaus.
Aragorn und Boromir standen neben Pippin und staunten so wie ich über diese Merkwürdigkeit. Ich konnte nicht an mich halten und stand auf. Ich stellte mich hinter die Menschen und horchte. Und dann hörte ich etwas. Oder ich spürte es mehr, als dass ich es hörte. Der Boden schien leicht zu vibrieren, als würde ein großer Felsbrocken über eine Straße gezogen. Und diese Vibration kam aus dem See. Entsetzen packte mich. Wir mussten hier schnell verschwinden, so viel war sicher.
Frodo erhob sich und fragte: „Wie hießt das elbische Wort für Freund?“
„Mellon“, antwortete Gandalf und die Tür öffnete sich mit dem Geräusch von zwei Felsplatten, die übereinander schrappten. Aber das war es nicht, was mich erzittern ließ. Es waren die Wellen. Sie hatten sich scheinbar umgedreht und kamen nun auf das Ufer zu. Sie waren viel zu groß, als dass es noch die Wellen der Steine hätten sein können.
Eilig erhoben wir uns und gingen in die Miene. Gandalf ging voraus. Er steckte einen Edelstein in seinen Stab und entfachte damit ein Licht. Wir Anderen folgten ihm.
„Und nun, Elbenherr, werdet Ihr die berühmte Gastfreundschaft der Zwerge kennen lernen“, sagte Gimli und es war nicht zu überhören, dass er sich freute, in einer Behausung der Zwerge zu sein. „Prasselnde Kaminfeuer, Malzbier, gut abgehangenes Fleisch. Denn dies, mein Freund, ist die Heimstätte meines Vetters Balin. Und sie nennen es eine Miene. Eine Miene!“
Doch als wir einige Schritte gegangen waren und das Licht des Steines in Gandalfs Stab sich ausbreitete, sahen wir das Unglück. „Das ist keine Miene“, rief Boromir. „Das ist ein Grab!“ Überall auf dem Boden lagen Skelette herum. Ihre Münder waren weit aufgerissen, zu einem stummen Schrei für die Ewigkeit. In machen Leibern steckten noch die Pfeile, die sie niedergestreckt hatten.
Legolas nahm einen Pfeil aus der Brust eines Toten und stellte mit Entsetzen fest, dass Orks dies alles getan hatten. Der Gestank von diesen widerlichen Kreaturen hing noch in der Luft. Und die Verwesung verschlimmerte es nur noch. Die Sinne schwanden mir.
Doch die Anderen drängten nach draußen. Ich wollte sie noch aufhalten, aber es war zu spät. Ein Fangarm packte Frodo bei den Füßen und zerrte ihn nach draußen. Sofort sprangen die Hobbits hinterher und riefen nach Aragorn. Die Großen folgten dem Geschrei, doch meine Beine wollten mich nicht mehr tragen. Zu viel Leid und Schmerz strömte auf mich ein. Ich konnte nur noch sehen, wie sich ein hässlicher Kopf aus dem Wasser schob und Frodo zu verschlingen drohte.
Aragorn, Boromir, Gandalf und Legolas konnten das Ungetüm im Zaum halten und Frodo befreien. Doch damit wollte sich der Wächter der Tore nicht zufrieden geben. Er wollte seine Beute behalten. So schnell sie konnten, rannten alle zurück in die Mienen. Legolas feuerte noch einen Pfeil auf den Kopf des Ungeheuers los und kam dann als Letzter in der Dunkelheit an.
Rasend vor Wut kam der Wächter aus dem Wasser und drängte in die Mienen. Doch er war zu groß. Er riss die Türen aus und brachte die Wand darüber zum Einsturz. Der Boden erzitterte, als die Steinmassen aufschlugen und von oben kamen noch etliche kleine Steine auf uns hernieder.
Doch dann war endlich Ruhe. Kein Laut kam mehr von draußen und wir wagten nicht zu sprechen. Niemand wollte glauben, dass wir nun keine andere Wahl mehr hatten, als diesen Weg zu gehen. Sonst hatten wir immer die Möglichkeit gehabt, umzukehren.
„Jetzt bleibt uns nur noch eine Möglichkeit“, sagte Gandalf und sprach damit aus, was wir alle fühlten. „Wir müssen es mit der langen Dunkelheit Morias aufnehmen.“ Und langsamen Schrittes ging er voraus und leuchtete uns mit seinem Licht den Weg durch die Leichen der Zwerge.
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[1] Annon edhellen edro hi ammen!=Tor der Elben, öffne dich für uns!