LilórienSilme
~ Fanfiction-Autorin ~
Kapitel 5
~ Proud Vicky
Der Dreh zum neuen Abenteuer-Film „Die Chroniken von Narnia – Prinz Kaspian von Narnia“ lief bereits seit zwei Wochen. Andrew spürte, dass immer mehr Spannungen in der Luft lagen, obwohl er selber davon nichts mitbekam. Vittoria ließ sich so selten am Set blicken, wie es nur möglich war. Wenn er sie doch einmal höchstpersönlich an seiner Seite haben wollte, um eine Szene erneut zu besprechen, tauchte sie genau zwei Minuten vorher auf und verschwand, sobald die Klappe gefallen war. Sie hatte kaum die Möglichkeit gehabt, die Darsteller der vier Pevensie-Geschwister kennenzulernen. Doch irgendwie schien es ihr nichts auszumachen.
Nachdem sie eine Szene fertig gedreht hatten und Vittoria wieder verschwinden wollte, hielt er sie jedoch dieses Mal rechtzeitig auf. Normalerweise kümmerte er sich nach dem erfolgreichen Take erst einmal um das Material, um es sich noch einmal anzusehen. Dieses Mal verzichtete er darauf und packte sie, bevor sie sich wieder aus dem Staub machen konnte.
„Eigentlich hatte ich mir die Arbeit mit dir etwas anders vorgestellt“, zischte er, während er sie etwas abseits von allem in eine Ecke schob, wo sie ungestört sein würden. Er drückte sie mit dem Rücken an die Wand und baute sich vor ihr auf. Doch sein wütender Blick schien sie nicht zu beeindrucken. Trotzig wie ein kleines Kind schaute sie zurück.
Sie verschränkte die Arme vor der Brust, wollte ihm damit zeigen, dass sie keinesfalls vorhatte nachzugeben. Doch er senkte den Blick dieses Mal nicht, gab nicht klein bei, sondern wurde nur umso wütender. Schließlich verlor sie den stummen Streit und ließ die Arme wieder sinken. „Und ich dachte, deine Schauspieler sind keine Voyeure. Da haben wir uns wohl beide in die Irre führen lassen.“
„Jetzt hör aber auf!“, fuhr er sie an. Bei seinem scharfen Ton fuhr sie zusammen. „Das hat er doch nicht mit Absicht gemacht. Es war ein Missgeschick.“ Sie verstand seine Weise einzulenken, aber sie war nicht bereit, auf das Angebot einzugehen. „Dennoch hat er sich nicht entschuldigt. Stell dir vor!“ Sie schob sich an ihm vorbei und verschwand für diesen Tag wieder vom Set. Andrew sah ihr kopfschüttelnd hinterher. Er wusste bald nicht mehr, was er noch tun sollte. Sobald sie auch nur erahnte, dass Ben dort sein könnte, wo auch sie bald sein würde, machte sie einen großen Bogen um alles. Als wenn sie es riechen könnte.
Und als ob Ben es dieses Mal auch gerochen hätte, kam er auf Andrew zu. Er trug bereits sein Kostüm und mit seinen Extensions, die er bekommen hatte, sah er richtig gut aus in seiner Rolle. Er freute sich schon darauf, ihn endlich spielen zu sehen. Doch jetzt würde er ihn sich erst einmal zur Brust nehmen und ihn zur Rede stellen. Er hasste es, wenn an seinem Set so eine miese Stimmung herrschte.
Ben drehte sich zur Seite und warf sich in Pose. „Na, was sagst du? Gefalle ich dir so?“, fragte er. Andrew musste grinsen. Er hatte wirklich eine gute Wahl getroffen. Der Junge war talentiert und nicht abgehoben. Jetzt musste er nur noch dafür sorgen, dass Vittoria das genauso sah.
„Du siehst großartig aus!“, sagte er und klopfte dem Jüngeren auf die Schulter. „Allerdings müsste ich trotzdem mal mit dir reden.“ Ben sah ihn skeptisch an. Hatte er etwas falsch gemacht? Er hatte doch noch nicht eine einzige Szene gespielt. War er vielleicht doch nicht die Idealbesetzung? Er hatte schon oft davon gehört, dass der Regisseur sich alles noch einmal überlegte, weil der Darsteller letztendlich doch nicht zu passen schien. Doch meistens passiert so etwas nicht schon vor der ersten Klappe.
Stirnrunzelnd trat er neben den Regisseur. Sie stellen sich so hin, dass sie weiterhin das Set beobachten konnten. Gerade übte Georgie Henley ihren Part mit einem imaginären Löwen. „Klar, was ist denn los?“, fragte Ben. Er versuchte dabei möglichst lässig zu klingen und wappnete sich innerlich für eine große Enttäuschung.
Andrew holte noch einmal tief Luft, suchte die richtigen Worte. „Es geht um Miss Marconi…“ Doch bevor er überhaupt zu Ende sprechen konnte, fuhr sein Schauspieler ihm über den Mund. „Vergiss es!“, rief er und unterstrich seine Worte mit großen Gesten. „Ich werde in keinem Fall mit dieser Frau reden. Sie hat mich mit einer Shampooflasche beworfen.“ Er zeigte auf seine Stirn, auf der immer noch ein leichter blauer Fleck zu sehen war. „Mit einer Vollen!“
Andrew nahm Ben die Arme herunter und sah ihn eindringlich an. „Ich weiß, aber sie hat sich doch nur so erschrocken, weil du sie unter der Dusche erwischt hast. Sie hat das ganz sicher nicht mit Absicht getan.“ Ben schnaubte. „Wahrscheinlich wollte sie dich nicht mal treffen. Entschuldige dich doch bitte bei ihr. Das Ganze ist sowieso schon anstrengend genug für mich. Mach es mir nicht noch schwerer.“
Ben überlegte. Natürlich wollte er Andrew den Gefallen tun, doch sein Stolz hielt ihn davon ab. Es ging ihm schlicht und ergreifend gegen den Strich, vor dieser Furie zu Kreuze zu kriechen, die ihn beworfen und beschimpft hatte, obwohl er nur einen kleinen Fehler begangen hatte. Er beschloss also, einen Kompromiss einzugehen. Er würde es einmal versuchen, sich mit ihr zu versöhne. Sollte dieser Versuch allerdings fehlschlagen, würde er es dabei belassen. Er hatte Besseres zu tun, als sich mit jemandem wieder vertragen zu wollen, der ihn nicht im Geringsten interessierte. Genau genommen fand er sie sogar äußerst arrogant. Sie ließ sich nie beim Dreh blicken, nur auf strickte Anordnung Andrews hin, und verschwand immer sofort, ohne ein einziges Wort mit jemandem zu wechseln. Wenn sie morgen hierher kam, würde er sie ansprechen, das versprach er.
Am nächsten Tag und an den folgenden ließ sich Vittoria jedoch nicht blicken. Andrew erzählte ihm, dass sie sich wohl erkältet hatte, aber das glaubte er natürlich nicht. Seine ersten Szenen wurden daraufhin ohne sie gedreht. Erst eine Woche später lief sie ihm wie zufällig am Buffet über den Weg, welches man für die Crew aufgebaut hatte, damit sie nicht während des Drehs am Hungertod starben. Sie war gerade dabei, sich ein Sandwich zu nehmen, als er sie von hinten ansprach. „Darf ich kurz mit Ihnen sprechen?“, fragte er so höflich wie möglich.
Da sie gerade genussvoll hatte in ihr Brot beißen wollen, war sie für die Unterbrechung nicht gerade dankbar. Genervt drehte sie sich zu ihm um und sah ihn herausfordernd an. Alleine wie er schon dastand und sie mit diesem schelmischen Blick bemaß, den ein Mann immer zeigte, wenn er eine fremde Frau nackt gesehen hatte, hätte sie beinahe dazu veranlasst, ihm ihr Essen ins Gesicht zu schleudern. Doch sie hielt sich zurück, wollte erst das kleinste falsche Wort abwarten, um ihn dann in Grund und Boden zu stampfen. Sie würde es sich nicht bieten lassen, sich von ihm noch mehr zu demütigen. Er hatte sicher sowieso schon dem halben Team erzählt, dass er sie unter der Dusche gesehen hatte. Deswegen ließ sie sich auch so selten am Set blicken. Sie hatte immer das Gefühl, dass man hinter ihrem Rücken tuschelte. Und das war garantiert sein Verdienst. „Was kann ich denn für den Prinzen tun?“, fragte sie.
Arrogant, schoss es ihm wieder durch den Kopf. Obwohl er bestimmt einen Kopf größer war als sie schaute sie ihn an, als säße sie weit über ihm auf einem Thron und er wäre ein lästiges Insekt, was man zertreten müsste. In diesem Moment kam sie ihm vor wie ein weiblicher Captain Barbossa. Sofort blockte er innerlich wieder ab und wollte sich schon wieder umdrehen und gehen, denn so etwas hatte er nicht nötig, sagte er sich. Doch er riss sich zusammen. Er deutete auf das Sandwich in ihrer Hand. „Schmeckt’s?“
Ohne Vorwarnung explodierte sie. „Du dämlicher Idiot!“, schleuderte sie ihm entgegen und wedelte dabei mit dem Brot vor seiner Nase herum, dass der Salat nur so flog. „Erzählst dem ganzen Set, wie du mich unter der Dusche gesehen hast. Dabei habe ich dir überhaupt nichts getan. Das warst du selber Schuld. Was kommst du auch, ohne anzuklopfen, in ein Badezimmer gerannt?“
Perplex starrte er sie an. Zum Glück waren alle anderen weit genug entfernt von ihnen, sodass keiner hören konnte, wie sie ihn beschimpfte. Er pfiff auf sein Versprechen. Genau genommen hatte er sowieso nur versprochen, sie anzusprechen. Und das hatte er getan. Nun würde er diesem hysterischen Weibsbild nie wieder ein Wort widmen. Außer eines noch. „Meine Schuld? Du hast mir doch diese verdammte Flasche an den Kopf geworfen. Wie ein Baseballspieler aus der Hölle. Ich hatte eine riesen Beule auf der Stirn und meine Szenen mussten verschoben werden. Nur weil du dich ein bisschen zierst.“
„Oh, seine Szenen mussten verschoben werden“, äffte sie ihn nach und stemmte eine Hand in die Hüften. Dabei rutschte eine Tomate zwischen den restlichen Salatscheiben hervor und klatschte auf den Boden. „Das ist der verwöhnte Prinz sicher nicht gewöhnt, dass man ihn wie einen Aussätzigen behandelt. Ich geb’ dir einen Tipp: wenn du dich nicht wie ein kleines Mädchen benimmst, behandelt dich auch keiner mehr so.“
Etwas abseits dieser Szene standen die vier Hauptdarsteller, William Moseley, Anna Popplewell, Skandar Keynes und Georgie Henley, und beobachteten, was sich zwischen ihrem Kollegen und der unbekannten Frau abspielte. Sie konnten nicht verstehen, was gesprochen wurde, sahen aber die wortreichen Gesten der beiden und schlossen daraus einiges. „Ob das seine Freundin ist?“, fragte Georgie, die Ben mittlerweile als ihren dritten großen Bruder akzeptiert hatte.
Anna runzelte die Stirn. „Nein, das sieht für mich nicht so aus“, sagte sie. „Kennt sie überhaupt jemand von euch?“ Doch alle schüttelten den Kopf. „Sie sieht auch nicht sehr nett aus“, sagte Skandar. „Mit ihr möchte ich nichts zu tun haben.“ Die anderen stimmten ihm zu und besonders Anna zeigte große Abneigung gegenüber dieser äußerst zickig wirkenden Frau. Sie wusste schließlich am Besten, wie weibliche Personen im Showgeschäft sein konnten.
„Hoffentlich kommt sie nicht zu uns rüber“, sagte William. Doch da wurde bereits zur nächsten Klappe gerufen und die Vier kehrten der Szene den Rücken zu. Wenig später hatte Vittoria sich wieder verzogen, vorher aber noch eine Rüge von Andrew erhalten, weil sie sich bei den Schauspielern wieder nicht vorgestellt hatte.
Ben saß mit verschränken Armen in einem Stuhl und starrte düster vor sich hin. Diese Frau war einfach nicht zu fassen! Da war er froh, dass er an so einem großen Projekt teilnehmen konnte, nachdem er beim Sternenwanderer nur eine kleine Gastrolle ergattert hatte, und jetzt machte so ein dummer Zufall ihm alles kaputt. Er liebte die Schauspielerei und er hatte vor, damit alt zu werden. Aber wenn er jedes Mal so etwas erleben musste, würde er sich das noch mal überlegen.
Wieso war es überhaupt so weit gekommen? Er wusste, dass es seine Schuld war, dass sie so sauer auf ihn war, doch er würde den Teufel tun, das auch noch vor ihr zuzugeben. Wenn sie es nicht einmal einsah, sich für den Wurf mit der Shampooflasche bei ihm zu entschuldigen, würde er sich auch nicht dafür entschuldigen, dass er sie nackt gesehen hatte. Er wusste sowieso nicht, was es da zu entschuldigen gab. Sie hatte schließlich die Tür offen gelassen.
Eigentlich war diese ganze Situation ziemlich kindisch, wenn er genau darüber nachdachte. Doch wenn dieser Film abgedreht war, würde er nie wieder etwas mit dieser Frau zu schaffen haben. Warum sollte es ihn also kümmern, was sie über ihn dachte. Sollte sie ihn doch für einen perversen Spanner halten. In spätestens einem Jahr würde sie aus seinem Leben verschwunden sein. Bis dahin würde er das ganze Getuschel hinter seinem Rücken aushalten müssen.
William kam in der Drehpause beim Mittagessen mit seiner Mahlzeit zu Ben an den Tisch und setzte sich ihm gegenüber hin. Er lächelte ihm kurz zu, widmete sich dann aber wieder seinem Gemüse. Irgendwie war er nicht in der Stimmung zu reden. Hoffentlich hielt Will die Klappe.
„Wer war diese Frau, mit der du dich gestritten hast?“ Ben rollte mit den Augen. Wieso geschah eigentlich immer das Gegenteil von dem, was er sich wünschte? Er räusperte sich ein paar Mal, um etwas Zeit zu schinden, stopfte sich noch mehr Brokkoli in den Mund. Doch irgendwann wurde es lächerlich. Will sah ihn immer noch fragend an. Er war noch zu jung um genügend Feingefühl entwickelt zu haben, um still zu sein, wenn jemand offensichtlich auf eine Frage nicht antworten wollte. Doch er mochte ihn. Er war zwar sechs Jahre jünger, aber im Grunde verstanden sie sich gut. Er wollte nicht noch einen weiteren Streit vom Zaun brechen.
Langsam schluckte er den letzten Bissen hinunter und legte die Gabel bei Seite. „Sie hat das Drehbuch geschrieben“, sagte er nur. Vielleicht würde Will das genügen.
Doch da hatte er weit gefehlt. „Und wieso hat sie dich beschimpft wie ein wild gewordener Handfeger?“ Ben musste über diesen Vergleich grinsen. Er hatte immer gewusst, dass sie ihn an etwas erinnerte, war aber bisher der Meinung gewesen, dass es eher ein tasmanischer Teufel war. „Woher kennst du sie überhaupt? Sie hat sich bei uns jedenfalls noch nicht vorgestellt.“
„Es gab da ein kleines Missverständnis zwischen uns, als wir uns bei Andrew begegnet sind. Und bisher waren wir nicht in der Lage, das zu klären. Aber ich sehe auch nicht, dass es nötig wäre, es zu tun.“ Damit erhob er sich und brachte sein leeres Geschirr zur Essensrückgabe. Aber Will wollte so schnell nicht aufgeben und fragte ihn weiter aus, bis Ben schließlich die Geduld verlor. „Frag sie bitte selber danach“, sagte er heftiger, als beabsichtigt. Will zuckte zurück, beließ es aber schließlich dabei. Er war nicht scharf darauf, Unstimmigkeiten im Team zu verursachen.
Am nächsten Drehtag schließlich hatte Andrew es endlich geschafft, Vittoria zu überreden, sich den Schauspielern vorzustellen. Mit zusammen gebissenen Zähnen ging sie auf die Vier zu, dankbar dafür, dass Ben an diesem Tag frei hatte. Kurz vorher nahm sie sich noch einmal zusammen, dann sagte sie mit einem strahlenden Lächeln, was sie ebenso verwunderte, wie auch die vier Hauptdarsteller: „Ich bin Vittoria. Von mir stammen diese unsäglichen Zeilen, die ihr jeden Tag aufsagen müsst.“
Es entstand ein unangenehmes Schweigen, bei dem jeder den anderen abzuschätzen versuchte, es aber keinem so richtig gelingen wollte. „Wie gefällt es euch denn bisher? Also, den Film, meine ich. Wie gefallen euch die Szenen?“ Bei ihrem lächerlichen Versuch, die Situation aufzulockern, kam sie sich vor wie ein Vater, der seiner Tochter etwas über die Menstruation erzählen sollte. Wie sollten sie das Drehbuch schon finden? Sie hatten es gelesen und wollten die Rolle weiterhin haben.
„Mir gefällt besonders die Szene, in der Lucy mit Aslan im Wald spricht“, sagte Georgie schließlich. Damit schien der Bann gebrochen und alle erzählten von der Stelle, die sie am besten fanden. Vittoria war froh, dass sie es taten, denn sie hatte bisher nie mit jemandem in ihrem Alter so über ihre Arbeit sprechen können. Meg war zwar ihre beste Freundin, aber sie hatte irgendwie nie richtig verstehen können, was ihr das Schreiben bedeutete. Will und besonders Anna wussten, was die Kunst für jemanden sein konnte.
„Wie oft hast du die Bücher dafür lesen müssen?“, fragte Anne sie am Abend, als der Drehtag zu Ende war. Vittoria hatte den ganzen Tag am Set verbracht und es hatte sich herausgestellt, dass man nur über sie geredet hatte, weil niemand wusste, wer sie war, Andrew ihr aber offenbar höchstes Vertrauen entgegen brachte. Das hatte sie etwas milder gestimmt und sie hatte versprochen, von nun an jeden Tag zu kommen. Außer an Tagen, an denen nur Ben zum Dreh zu erschienen hatte. Diese wollte sie, wie bisher, meiden. Allerdings gab sie auch auf vielfaches Drängen von Will keinen Grund dafür an. Stattdessen ignorierte sie ihn jedes Mal, wenn er sie danach fragte, und beantwortete indes Annas Frage. „Das weiß ich nicht mehr. Aber ich weiß, dass ich es fast auswendig kann.“ Sie lachte.
„Beweis es!“, rief Georgie und auch Skandar wollte es wissen. „Na gut“, sagte sie. „Der erste Absatz des Buches lautet wie flogt: ‚Es waren einmal vier Kinder, die hießen Peter, Suse, Edmund und Lucy. Einst hatten sie ein erstaunliches Abenteuer erlebt. Sie öffneten die Tür eines verwunschenen Wandschrankes, stiegen hinein und befanden sich plötzlich in einer ganz anderen Welt. In dieser fremden Welt waren sie Könige und Königinnen eines Landes namens Narnia. Während sie in Narnia lebten, glaubten sie viele Jahre zu regieren. Als sie aber durch die Schranktür zurückkehrten und sich wieder in ihrer Heimat – in England – befanden, war inzwischen offenbar gar keine Zeit verstrichen, und sie schilderten nur einem einzigen, verständnisvollen Erwachsenen ihre Erlebnisse.’ [1]“ Nun sah sie alle Vier abwartend an. „Und, habe ich den Test bestanden?“
William runzelte die Stirn, wirkte aber offensichtlich belustig. „Das kann ich nicht sagen. Ich habe das Buch nicht bei mir.“ Anna jedoch knuffte ihn leicht in die Seite und sah Vittoria an. „Ich fand, das klang sehr nach Lewis. Ich habe die Bücher schon früher gern gelesen. Welches war dein Lieblingsbuch?“ Und daraufhin entbrannte eine Diskussion über die sieben Bücher, bis sie schließlich vor dem Hotel waren, wo die Vier schliefen. Georgie und Skandar waren beide schon sehr müde, denn der Tag war anstrengend gewesen. Doch Anna und Will hatten noch Lust, etwas mit ihr zu unternehmen. Und so zogen sie noch einmal los.
Eine Woche später, nachdem Vittoria nun jeden Tag am Set war, wurde erneut eine Szene am Strand gedreht. Es war schon etwas wärmer geworden, doch als sie die Schuhe auszog, um den Sand zwischen ihren Zehen genießen zu können, musste sie feststellen, dass er noch ziemlich kalt war. Sie zog daher die Socken lieber wieder an und wärmte sich die Hände an ihrem Kaffeebecher.
Die Darsteller waren noch in der Maske, doch sie und Andrew waren bereits dabei, über die Szene zu sprechen. Gerade wollte sie ihn davon überzeugen, dass es dramatischer wäre, den Zwerg erst ins Wasser fallen und dann retten zu lassen, als Andrew ein breites Grinsen aufsetzte und an ihr vorbeilief. Verdutzt sah sie ihm hinterher.
Ben kam auf die beiden zugelaufen und Andrew schien sich riesig darüber zu freuen. Ihr allerdings entlockte es nur ein müdes Augenrollen und sie fand die Möwen am Himmel sowieso viel interessanter. Während sie weiter an ihrem Kaffee nippte, unterhielten sich die beiden Männer über belanglose Dinge. Sie hörte gar nicht erst hin. Was würde es bringen? Sie würde sich mit ihm doch nur wieder in die Haare bekommen.
Als Ben sich dazu entschlossen hatte, heute Morgen zum Set zu fahren, hatte er nicht damit gerechnet, dass sie auch da sein würde. Daher kam es ihm sehr gelegen, dass Andrew ihn vorher abfing und in ein Gespräch verwickelte. So bestand wenigstens keine Gefahr, dass sie ihn erneut mit Kraftausdrücken bedachte. Doch allein die Art, wie sie dort im Sand stand, den Kaffee in der Hand, die Füße, nur mit Socken bekleidet, im Strand vergraben hatte und ihm nur diesen einen geringschätzigen Blick zugeworfen hatte, machte ihn schon wieder rasend. Er wusste nicht einmal wieso. Doch irgendwie schaffte sie es, dass er, jedes Mal, wenn er sie sah, ihr eine Beleidigung entgegen schleudern könnte. Vermutlich wollte er sich immer noch für die Shampooflasche bei ihr bedanken.
Plötzlich nahm er eine Veränderung in ihrem grimmigen Gesicht wahr. Sie hatte sich umgedreht und zu den Wagen, die oben am Strand geparkt waren, hoch geschaut. Er folgte ihrem Blick und sah die anderen Vier, wie sie in voller Montur nun auf sie zusteuerten.
„Hey, Suzie Q!“, rief Vittoria, als die Vier fast bei ihr waren. Er hatte gar nicht gewusst, dass sie auf Oldies stand. Er musste grinsen, als er sah, dass die anderen keine Ahnung hatten, wovon sie sprach. Sie schien doch keinen so schlechten Geschmack zu haben. Außerdem hatte ihm das Drehbuch ja auch gefallen. „Du siehst großartig in dem Kleid aus.“ Und das stimmte auch. Anna trug ein lilafarbenes Kleid, was sich atemberaubend um ihre Kurven schmiegte. Auf dem Rücken trug sie Köcher und Bogen, über die Schulter hatte sie eine rote Tasche gehangen. Die Haare trug sie offen. Ben musste sich eingestehen, dass er jetzt ein wenig verstehen konnte, wieso Kaspian sich in Susan verlieben würde.
Er schüttelte den Kopf, wie um diese Gedanken loszuwerden. Dabei fiel sein Blick auf Will und er begriff, dass sich sein jüngerer Kollege wohl eben genau dasselbe gedacht hatte. Denn Wills Augen wanderten immer, wenn Anna nicht hinsah, über ihren Oberkörper, der in ein Korsett gezwängt worden war, und sie unglaublich aussehen ließ. Er grinste. Vielleicht könnte aus den beiden ja ein hübsches Paar werden, wenn Anna nur nicht so sehr mit sich selbst beschäftigt wäre. Gerade zupfte sie an ihrem Oberteil herum, doch Vittoria nahm ihre Hände weg und sprach beruhigend auf sie ein.
Langsam schlenderte er auf sie zu, hin- und hergerissen zwischen dem Wunsch, Vittoria nicht zu begegnen, die anderen aber begrüßen zu wollen. Schließlich entschied er sich für Letzteres. Es war unhöflich, so daneben zu stehen und nichts zu sagen. Da hatte er ihr eindeutig etwas voraus.
„Guten Morgen, ihr Vier“, begrüßte er sie, merkte dabei aber gar nicht, dass er die fünfte Person damit ausschloss. Sie jedoch hatte es sofort bemerkt und warf ihm einen giftigen Blick zu. Er zuckte innerlich zusammen, sagte sich aber, dass es eh keinen Unterschied machen würde. Sie hasste ihn sowieso schon. Da kam es auf das auch schon nicht mehr wirklich an.
Im weiteren Verlauf des Tages liefen sie sich allerdings immer wieder über den Weg und er ertappte sich bei dem Wunsch, sie hätte doch, wie die letzten Tage auch, zu Hause bleiben können. Als er wieder einmal im Stuhl von Andrew neben ihr Platz genommen hatte, weil es sonst keine andere Sitzmöglichkeit gab, hörte er sie leise summen. Erst konnte er darüber nur den Kopf schütteln, denn offenbar war sie tief in das Drehbuch auf ihrem Schoß versunken. Doch dann hörte er genauer hin.
„Harry Truman, Doris Day, Red China, Johnnie Ray“, sang sie leise vor sich hin, „South Pacific, Walter Winchell, Joe DiMaggio.“ Erst erkannte er es nicht, doch dann fielen ihm die nächsten Zeilen des Liedes ein und er summte leise mit ihr mit, sodass sie es nicht hören konnte.
Den ganzen restlichen Tag über und in der Nacht hatte er noch diesen Song im Kopf. Selbst am nächsten Morgen summte er ihn noch unter der Dusche und er musste das Radio lauter stellen, um es endlich aus dem Ohr zu kriegen.