LilórienSilme
~ Fanfiction-Autorin ~
Kapitel 5
~ Schnee auf dem Caradhras
Diese Nacht war mein Schlaf sehr unruhig. Ich fürchtete mich vor den Schneemassen, die auf uns warten würden oben auf den Pässen des Nebelgebirges. Was würde dort oben geschehen? Ich musste etwas ahnen, denn wohl war mir bei dem Gedanken ganz und gar nicht. Etwas würde passieren. Aber was es sein würde, vermochte mein Verstand nicht zu enthüllen. Mir blieb nur zu warten.
Langsam aber sicher kroch die Kälte durch den Stoff, der meinen Körper wärmen sollte. Selbst das Feuer, das Gandalf entfacht hatte, brachte kaum Schutz. Doch die Hobbits musste das noch viel mehr mitnehmen, denn sie waren nicht wie wir Elben. Ich konnte hören, wie ihre Zähne klapperten und wie sie voll Angst zueinander flüsterten. Nur Frodos Stimme war nicht zu vernehmen. Ich versuchte, seinen Verstand zu erreichen, doch der Ring ließ es nicht zu. Vielleicht hatte er ihn schon mehr unter seiner Kontrolle, als wir dachten.
Als am Morgen endlich die Sonne ihre warmen Strahlen aussandte, wurden auch die Gemüter ein wenig erwärmt. Wir stärken uns für den Anstieg und machten uns auf.
Als mein Fuß den ersten Schnee berührte, kam mir ein Gedanke: Man würde mich als Elbe erkennen, denn ich hinterließ kaum Abdrücke in dem kalten Wasser. Konnte ich das zulassen, oder war das nicht von Bedeutung? Ich wusste es nicht. Doch zur Sicherheit reihte ich mich ganz am Ende des Zuges ein.
Der Anstieg machte uns allen schwer zu schaffen. Die Kälte versteifte unsere Glieder und die Luft brannte in unseren Lungen wie Feuer. Nebelwolken kamen aus Mund und Nase und mir kam der Gedanke, dass das Gebirge vermutlich seinen Namen daher hatte. Doch dies verwarf ich schnell wieder mit einem Lächeln. Hatte das Gebirge doch seinen Namen, wie ich wusste, durch die dichten Nebelschwaden erlangt, die fast immer über seinen niedrigen Ausläufern hingen, so dass man die Hand vor Augen nicht sehen konnte, wenn man durch seine dichten Nadelwälder ging.
Wir mussten jetzt immer häufiger Rast machen und es wurde immer schwerer, ein Feuer zu entzünden. Denn Holz gab es hier kaum noch. Und wenn wir welches fanden, war es ganz aufgeweicht und untauglich geworden. So mussten wir uns bald damit begnügen, uns in unsere Mäntel zu hüllen.
Unsere Füße trugen uns unaufhaltsam dem Gipfel entgegen und Gandalf zog weit ausschreitend voran. Sein Wille war ungebrochen, obwohl er doch sicher auch die Macht des Ringes spüren musste. Aber vermutlich konnte er dies besser verstecken als ich, die sehr schwach geworden war durch die Kälte.
Meine Finger zitterten trotz Handschuhen, und als ich sie abnahm, sah ich, dass meine Nägel blau angelaufen waren. In der Hoffnung auf Besserung schob ich sie mir unter die Arme. Glück hatte ich nur mit meiner Kapuze, die mir meine Ohren wärmte. Aber meinen Füßen war wohl nicht mehr zu helfen. Vielleicht lag es an meiner Angst. Vielleicht wollte ich nicht hier sein. Aber ich spürte trotzdem, dass diese Reise nicht nur das Leben der Gefährten verändern würde. Ich spürte auch, dass mein Leben wohl nicht mehr dasselbe sein würde, wenn der Ring erst einmal vernichtet war. Würden wir ihn überhaupt vernichten können?
Als ich meinen Gedanken nachhing und auf Erleuchtung hoffte, fiel mir ein Hobbit vor die Füße. Frodo war im tiefen Schnee ins Straucheln geraten und gestürzt. Und plötzlich kam eine Art von Erleuchtung. Ich spürte in diesem Augenblick eine Verbundenheit zu einem sehr starken, aber von Zweifeln geplagten, Geist, vermochte aber nicht zu sagen, wem er gehörte. Instinktiv glitt meine rechte Hand zum Knauf meines Schwertes und meine Muskeln spannten sich an.
Aragorn half Frodo, sich wieder aufzurichten. Der Hobbit griff an seinen Hals, doch die Kette, die den Ring bei ihm halten sollte, war nicht mehr an ihrem Platz. Verwirrt blickte er sich um und suchte mit den Augen den Weg ab, den er gefallen war.
Meine Augen fanden die Kette und den Ring. Eine behandschuhte Hand griff danach und hob ihn vor sein Gesicht. Es war Boromir. Faszination lag in seinem Blick, aber auch etwas, das ich nicht ergründen konnte. Es war, als sähe er zum ersten Mal in seinem Leben das Licht, so sehr hingen seine Augen an dem Stück Gold, das nun vor seinem Gesicht baumelte.
Langsam ging seine andere, freie Hand nach oben. „Ein seltsames Geschick, dass wir so viel Angst und Zweifel erdulden, wegen eines so kleinen Dinges.“ Eine Spur von Wahnsinn verschleierte nun seinen Blick und mich überfiel wieder einmal die Angst um unsere Mission. Sollte sie hier schon enden, mit dem Tod einer der Gefährten? „So ein kleines Ding…“
Aragorn hatte mehrmals schon den Namen seines Waffenbruders gerufen, doch seine Stimme war nicht zu ihm durchgedrungen. Er sprach erneut seinen Namen, dieses Mal lauter. Boromirs Hand hatte beinahe den Ring ergriffen, als er aus seiner Starre erwachte und sein Blick sich klärte. „Gib Frodo den Ring zurück.“
Mit langsamen Schritten kam er den Weg hinunter zu Frodo und Aragorn, der seine Hand auf die Schulter des Halblings gelegt hatte. Doch mit jedem Schritt, mit dem er dem Ringträger näher kam, wuchs sein Widerwillen, ihm den Ring zurückzugeben. Und trotzdem sagte er: „Wie du willst. Mir ist es gleich.“
Kaum kam der Ring in seine Nähe, griff Frodo danach. Ob er ihn Boromir entziehen wollte, um ihn so vor dem schädlichen Einfluss zu schützen, oder ob er ihn einfach nur aus Gier an sich nahm, vermochte wohl niemand zu sagen. Lachend durchwühlte der Mensch nun die Haare des Halblings, warf sich sein Schild auf den Rücken und stapfte erneut dem Gipfel entgegen.
Als ich sah, wie Aragorn im selben Augenblick wie ich seine Hand vom Schwertgriff nahm, wusste ich, dass ich eben seinen Geist gespürt hatte.
Unruhig war die Gemeinschaft geworden seid diesem Zwischenfall. Jetzt spürten alle, dass etwas nicht in Ordnung war und dass es nicht nur von außen her einwirkte, durch unsere große Anzahl von Feinden. Wir wussten nun alle, dass wir stärker zusammen halten müssten, wenn wir unsere Reise zu einem sicheren und von allen erwünschten Ende bringen würden.
Doch der Berg verlangte viel von uns. Stürme von eisiger Kälte wehten uns entgegen und unsere Augen konnten wir kaum offen halten. Gandalf ging voraus und schlug mit seinem Körper und seinem Stab eine Schneise in den Schnee, sodass die Anderen besser vorankamen. Boromir und Aragorn hatten sich der Hobbits angenommen und sie unter ihre Mäntel genommen. So würden sie es ein bisschen wärmer haben. Denn ihre kleinen Körper waren nicht ausgelegt für solch eine bittere Kälte.
Meine Füße waren kalt und schwer. Doch sie hielten sich auf der Schneedecke, weil ich elbischen Geblüts war. Ich war so leicht, dass ich kaum Spuren hinterließ. Doch trotzdem war es nicht leichter für mich. Denn der Wind drohte, mich aus dem Gleichgewicht zu bringen. Und würde ich stürzen, so würde wohl erst der Boden tief unter mir mich auffangen.
Eis hatte sich in den Haaren festgesetzt. Ein Feuer zu entzünden, wäre hier ein aussichtsloses Unterfangen gewesen. Einfacher wäre es sicher gewesen, Sauron Aug um Aug gegenüber zu treten.
Als sich eine gewisse Routine in unsere Schritte geschlichen hatte, vernahm ich plötzlich ein Flüstern, das bald anschwoll. Erst dachte ich, der Wind würde mir einen Streich spielen oder die Götter selbst würden unsere Schritte überwachen. Doch dann vernahm auch Legolas die Rufe.
Er lenkte seine Schritte nach vorne und blickte in den Sturm hinaus. Er konnte kaum seine Augen offen halten, doch er versuchte unerbittlich, die Quelle dieser Stimmen ausmachen zu können. „Es sind grausame Stimmen in der Luft“, sagte er, mehr zu sich selbst als zu uns anderen. Sein Gesicht war so kalt, dass selbst der Schnee, der auf seine Haut traf, nicht schmolz. Lange würden wir alle nicht mehr standhalten können. Der Berg würde uns in die Knie zwingen.
„Das ist Saruman!“, brüllte Gandalf plötzlich. Ob aus plötzlicher Furcht vor dem, was der Weiße Zauberer mit uns vorhatte, oder weil die feste Stimme von Gandalf mich erschrak, trat ich einen Schritt zurück. Ich spürte, wie der Schnee unter meinem Fuß nachgab. Und noch ehe ich mich versah, versank ich bis zum Knie und vermochte mich nicht zu befreien.
Aber zum Befreien hatte ich auch keine Zeit, denn kaum hatte Gandalf seine Worte ausgesprochen, hörten wir, wie etwas oberhalb unserer Köpfe abbrach. Felsbrocken regneten auf uns hernieder und einer kam direkt auf mich zu. Wahnsinnig vor Angst zerrte ich an meinem Fuß, doch er löste sich keinen Zoll aus dem Schnee. Meine Augen weiteten sich vor Schreck, als ich nach oben blickte und den Felsen über mir sah. Nur noch einige Sekunden und er würde mich begraben.
Doch dann passierte etwas Wunderbares. Ob aus Gunst der Valar oder einfach nur so, Legolas sprang zu mir, packte mich um die Brust und legte sein ganzes Gewicht hinein, um mich an die Felswand zu ziehen. Mit einem saugenden Geräusch löste sich endlich mein Fuß aus dem Loch und kaum standen wir gepresst an der Felsigen Wand, schlug der große Stein auf die Stelle, wo ich eben noch gestanden hatte.
Alle hatten sich in Sicherheit gebracht. Angst lag in all ihren Gesichtern. Doch Aragorn sagte: „Er versucht, den Berg zum Einsturz zu bringen!“ Als ob wir das nicht selber gerade gesehen hätten. Doch er hatte Recht mit dem, was er nun sagte: „Gandalf, wir müssen umkehren!“
Wilde Entschlossenheit zeigte sich in den Zügen des Zauberers, als er verneinte. Er kämpfte sich hoch aus dem Schnee und ich konnte Sarumans Stimme hören, wie sie in der alten Sprache der Elben, dem Quenya, den Berg beschwörte, sodass er uns nicht passieren lassen sollte.
Kaum stand Gandalf am Abgrund, ertönte nun seine Stimme in Sindarin gegen den Wind: „Losto Caradhras! Sedho, hodo, nuitho i ruith! [1]“
Ich empfand es als bitteres Verbrechen, dass Saruman, der zum Feinde geworden war, die alte, ehrwürdige Sprache meines Volkes für einen so bösen Zauber missbrauchte. Wut stieg in mir auf und ich wünschte, ich könnte auch einen Zauber sprechen, der uns beistehen könnte. Doch leider besaß ich solch eine Gabe nicht.
Gandalfs Worte hatten nicht gewirkt und unaufhaltsam drangen die Sarumans immer noch an meine Ohren. Ich bemerkte, dass Legolas immer noch seinen Arm um mich hielt. Verwirrt versuchte ich, mich von ihm zu lösen. Doch er klammerte sich an mich, als wolle er das drohende Unheil so abwenden. Denn es war ein Unheil im Gange. Nicht nur, dass nun der Blitz über unseren Köpfen in den Berg schlug und eine Lawine auslöste. Nein, es bestand auch die Möglichkeit, dass Legolas nun entdeckt hatte, wer ich in Wirklichkeit war. Denn ein Mann würde es wohl kaum versäumen, einen weiblichen Busen zu bemerken.
Aber ihm blieb keine Zeit, darüber nachzudenken. Denn nun begruben uns die Schneemassen unter sich und ich verlor Legolas’ Arm, der mir in diesem Moment dann doch sehr willkommen gewesen wäre. Der Schnee drückte schwer auf meinen Körper und Dunkelheit umfing mich. War nun Alles verloren?
Mir kam in den Sinn, dass ich meine Mutter und meinen Vater wohlmöglich nie wieder sehen würde. Wir würde sie das auffassen? Wäre sie traurig um meinen Tod? Und wie würde es wohl erst mein Verlobter aufnehmen? Was würde mit Haldir geschehen? Er würde sich sicherlich eine neue Braut suchen. Aber auf der anderen Seite hatte er so lange auf mich gewartet, dass er wohl vor Traurigkeit sterben würde, käme ich nicht von dieser Reise zurück.
Konnte ich das zulassen? Konnte ich zulassen, dass er an gebrochenem Herzen starb, obwohl ich ihn nicht einmal halb soviel lieben konnte, wie er mich? Ich war es ihm schuldig, dass ich heil nach Hause zurückkam und ihn nach dem Kriege endlich ehelichen würde.
Ich nahm all meine Kraft zusammen und versuchte, eine meiner Hände zu bewegen. Durch die Bewegung aber spürte ich erst, wie kalt es mir wirklich war. Da ich nun ganz von Schnee umgeben war, wurden meine Kleider ganz durchnässt und ich fror bitterlich. Meine Zähne schlugen klappernd gegeneinander, mein Körper wehrte sich gegen jede Bewegung. Doch dann endlich fand meine Hand das Freie. Ich hatte gerade noch die Kraft, mich nach oben zu ziehen.
Als alle wieder frische Luft geschnappt hatten und sich in Sicherheit wiegten, ergriff Boromir erneut das Wort. Er sagte: „Wir müssen den Berg sofort verlassen. Schlagen wir uns zur Pforte von Rohan durch und dann über die West-Fold zu meiner Heimatstadt.“
Doch dies löste nur eine Diskussion aus. Aragorn erhob nun das Wort gegen den Sturm. „Die Pforte von Rohan führt uns zu nach an Isengart heran!“ Und damit hatte er vollkommen Recht. Wenn es dem Weißen Zauberer schon gelang, uns auf einem Berg den Weg schwer zu machen, was würde dann geschehen, wenn wir uns erst einmal in seiner Nähe aufhielten?
„Überschreiten können wir den Berg niemals“, sagte nun Gimli. Sein Bart war starr vor Eis und Kälte. „Gehen wir unter ihm hindurch. Lasst uns den Weg durch die Minen von Moria gehen.“
Vielleicht ahnte niemand, was Moria für ein Ort war. Für Zwerge war es ein wunderschöner Platz, an dem sie ihre Fähigkeiten testen konnten und nach Edelsteinen suchen konnten. Doch für mich war Moria in meinen Träumen immer ein schwarzes Loch gewesen, das uns alle verschlang, sobald wir in seine Nähe kamen. Ich hatte schreckliche Angst vor diesem Ort. Aber vielleicht war es der einzige sichere Weg, den wir noch einschlagen konnten.
Dennoch gab es in diesen Minen Schlimmeres, als den Hass, den Zwerge für die Elben hegten. Gerüchte gingen um, dass ein Balrog, ein altes Wesen des Feuers, bestehend aus Schatten, dort unten wohnte. Ob man dem trauen konnte, wusste niemand zu sagen. Doch ich sah in Gandalfs Blick, dass er genau daran gerade dachte. „Lasst den Ringträger entscheiden“, sagte er schließlich.
Der Wind wollte nicht aufhören, uns ins Gesicht zu lachen. Frodo musste sich schnell entscheiden, sonst wäre es wohl nicht lange gut gegangen. Und als Frodo noch nachdachte, kreuzte mein Blick den von Legolas. Er sah mich verwirrt an. Hatte er etwa etwas bemerkt? Hatte er mich erkannt? Oder vielleicht wollte er auch einfach nicht glauben, was soeben geschehen war. Ich konnte seinen Blick nicht deuten. Und ich hörte auch kaum, wie Frodo sich für den Weg durch die Minen entschied.
Als wir nun wieder denselben Weg den Berg hinab gingen und wir beinahe am Ende des ersten Schnees waren, fühlte ich plötzlich, dass ein fremder Geist in der Nähe war. Verwirrt und wahnsinnig erschien er mir. Und trotzdem war er alt. Ich schritt hinüber zu Gandalf, denn wir hatten eine Rast eingelegt. Der Abstieg war schwerer geworden, als wir es angenommen hatten.
Der Alte Mann saß auf einem Stein und rauchte Pfeife. Sein Blick war fern. Doch als ich ihn ansprach, blickte er mir in die Augen. „Ich befürchte, wir sind nicht alleine“, flüsterte ich.
Er blies den Rauch aus und blickte sich zu den Gefährten um. Wir waren etwas abseits des Feuers und so konnte uns keiner hören. „Ich befürchte es auch. Aber Spuren habe ich noch keine gesehen. Was ist deine Befürchtung, wer uns folgen könnte?“
„Mir würde nur ein Geschöpf einfallen“, sagte ich und beobachtete die Bäume um uns herum. „Gollum.“
Gandalfs Augen weiteten sich. Hatte er diese Möglichkeit noch nicht in Betracht gezogen? Das konnte ich fast nicht glauben. Schließlich war er immer derjenige gewesen, der alles um sich herum am besten wahrnahm. Und ein Geschöpf wie Gollum war nicht schwer zu entdecken, auch wenn er sich gut zu verstecken wusste.
Nun war es also eine beschlossene Sache: Unser Weg würde uns durch Moria führen. Und danach würden wir an meiner Heimat vorbeikommen. Aber was würde dort geschehen? War dort meine Reise zu Ende? Die Zeit würde es zeigen.
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[1] Losto Caradhras! Sedho, hodo, nuitho i ruith! =Schlafe, Caradhras! Sei still, bleibe ruhig und bezähme deine Wut!