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Kapitel 49

 

~ Call of Freedom

 

Der Tumult, der auf Jacks Worte hin ausgebrochen war, war nur schwer wieder unter Kontrolle zu bringen. Alle riefen gleichzeitig durcheinander, brachten Ansprüche an, die bezeugen sollten, dass ihnen die Black Pearl nun gehörte.

So schrie Barbossa, dass man ihm die Queen Anne genommen hatte und er dafür Entschädigung wollte. Pintel und Ragetti schlugen sich auf seine Seite. Jack dagegen bekam Unterstützung von Mullroy und Murtogg, die schlagfertig bekräftigten, dass die Pearl schon immer Jacks Eigentum gewesen war und es nun auch wieder werden sollte. Sogar Captain Teague verlangte einen Ausgleich für die versenkte Venganza. Immerhin würde er Doña Esmeralda Maria Consuela Anna de Sevilla so schon schwer genug erklären können, dass er das Schiff, was sie ihm geliehen hatte, verloren hatte. Cotton jedoch hielt sich aus allen raus.

Als es Atlacamani zu bunt wurde, hob sie die Hände und rief nach Ruhe. Doch erst, als sie ihre Kräfte einsetzte und den Wind aufbrausen ließ, verstummten alle. „Ihr seid wirklich unglaublich undankbare Geschöpfe!“, rief sie erbost und alle, ohne Ausnahme, zogen die Köpfe ein. Sie sah jedem so lange in die Augen, bis derjenige beschämt den Blick senken musste. Dann sagte sie: „Wir hätten jedem von euch ein Geschenk gemacht. Doch weil ihr so gierig seid, werdet ihr nun nichts mehr bekommen.“

Wieder brach eine laute Diskussion an. Dieses Mal beendete Maria jedoch das Chaos. Sie trat auf ihre Ziehmutter zu, legte ihr beruhigend die Hände auf die Unterarme und sah sie bittend an. „Bitte, Mutter, das kannst du ihnen nicht antun. Sie haben sicher ihre Lektion gelernt, nicht wahr?“ Dann drehte sie sich zu ihnen um. Sofort nickten alle einstimmig und bekräftigten, dass es ihnen leid täte und dass sie ganz sicher nie wieder so habgierig sein würden bei Geschenken. „Siehst du, Mutter? Sie entschuldigen sich sogar bei dir. Vermutlich sind sie nur noch etwas erhitzt von der Schlacht. Hab ein Nachsehen.“

Die Göttin blickte noch immer finster. Nur wenn sie auf Maria blickte wurde der Ausdruck in ihren Augen samtweich und sie lächelte. „Na gut“, sagte sie schließlich. „Aber nur, weil mich meine Tochter so nett darum gebeten hat. Und damit eines ganz klar ist: danach steht ihr alle in meiner und in ihrer Schuld!“

„Natürlich!“, rief Barbossa sofort. Er hob eine Hand, als würde er auf der Stelle einen Schwur darauf leisten wollen. „Das steht ganz außer Frage, Herrin.“ Er verneigte sich leicht, doch die Göttin achtete schon nicht mehr auf ihn. Sie winkte das Ganze lässig ab, dann wandte sie sich dem Meer zu.

Es war für sie ein Leichtes, die versenkten Schiffe wieder aus der Tiefe zu holen, doch sie wollte es ihnen allen nicht so leicht machen. Das tat sie ganz alleine nur Maria zuliebe. Zumindest redete sie sich das ein. Sie tat es selbstverständlich auch, um die Sterblichen damit an ihre Schuld zu binden. Sollten die Götter sie also einmal um Hilfe rufen müssen, aus welchen Gründen auch immer, band dieses Versprechen sie daran, ihnen diese Hilfe auch zukommen zu lassen. Egal, wo auf der Welt sie sich auch befanden.

Als erstes beförderte sie die beiden Schiffe, die man verloren hatte, wieder zu Tage, und wenig später segelte Captain Teague nach Spanien zurück. Im Schlepptau hatte er seine Troubadour, die ihm die Göttin ebenfalls geschenkt hatte.

Auch Barbossa nahm dankend seine Queen Anne‘s Revenge entgegen. Doch das brachte ihn nun in die missliche Lage, keine Crew mehr zu besitzen, denn die meisten waren mit dem Schiff versenkt worden. Entschlossen baute er sich also vor den verbliebenen Matrosen auf, die nicht mit einem Schwur auf Leben und Tod an die Dutchman gebunden waren. „Nun, Männer, wohin geht wohl eure Reise?“ Dabei sah er Pintel, Ragetti, Murtogg, Mullroy und Cotton herausfordernd an. Seine gelben Augen und Zähne blitzten gefährlich unter seinem breiten Hut hervor.

Doch es war schließlich Cottons Papagei, der für sie alle eine Antwort gab, als er lauthals krächzte: „Ende gut, alles gut!“ Dabei erhob er sich und flog auf die Pearl zu, die mittlerweile bei Tortuga vor Anker gegangen war.

Entschuldigend zog Pintel die Schultern hoch. „Damit wäre es wohl entschieden.“

Er befürchtete schon, sich eine Kopfnuss einzufangen, doch Barbossa grinste nur, zog seinen Degen aus dem Gürtel und winkte sein Schiff damit näher. „Gut“, sagte er nüchtern und kletterte großlos an Bord, „so bleibt mehr von der Beute für mich.“

Dann wandte sich die Göttin an Will. „Was ist wohl dein größer Wunsch, Captain Turner? Was könnte ich für dich tun?“

Will war ein wenig unschlüssig, weil er sich immer noch Tia Dalma gegenüber sah. Auch, wenn er damals gesehen hatte, wie die Göttin Calypso ihren Zorn entfesselt hatte, blieb sie für ihn immer die Priesterin aus den Sümpfen. Deswegen winkte er nur ab. Das, was er wollte, konnte sie ihm nicht geben. Nicht mehr. „Ich habe meine Familie bei mir. Was sollte mir sonst noch fehlen?“

„Du weißt, dass sie nicht bei dir blieben können, da wo du hingehst?“ Die Göttin zog eine Augenbraue hoch.

„Ja“, sagte er, „das weiß ich. Doch das müssen sie auch gar nicht.“ Er schob Elizabeth ein Stück von sich weg, um ihr besser in die Augen sehen zu können. „Ich weiß, dass dir dein Leben nicht gefallen hat, nachdem ich fortgegangen bin. Und wenn Jack damit einverstanden ist, würde ich vorschlagen, dass ihr mit ihm segelt.“

Elizabeth wollte etwas einwenden, doch Will hob die Hand und bat sie, ihn ausreden zu lassen. „Ich weiß, dass du nicht willst, dass Billy unter Piraten aufwächst. Aber wenn wir ehrlich sind, dann sind wir beide keine leuchtenden Vorbilder, was das angeht, König der Piraten.“ Er zwinkerte ihr zu und sie musste sich eingestehen, dass er wohl Recht hatte. „Segelt mit Jack, wann immer euch danach ist. Von mir aus sucht euch ein kleines Häuschen in der Nähe des Meeres, doch mir wäre wesentlich wohler, wenn ich euch aus See wüsste. Denn ihr dürft eines nicht vergessen: als Captain der Dutchman bin ich die See.“

„Und mich fragt wohl keiner nach meiner bescheidenen Meinung?“ Jack hob eine Hand aus dem Hintergrund und schob sich durch seine Mannschaft nach vorne. Doch ein Blick in die Gesichter der Familie Turner sagte ihm schon mehr, als er eigentlich wissen wollte. „Schon gut, sie kann mit mir segeln.“ Und als sie ihn alle fassungslos ansahen, weil er so leicht aufgegeben hatte, zuckte er nur mit den Schultern. „Was soll‘s? Man hätte mir ohnehin keine Ruhe gelassen, oder?“

Dann war Angelica an der Reihe. Die Göttin sah sie traurig an und nahm sie bei der Hand. „Ich wünschte, dass ich mehr für dich tun könnte, doch leider bindet dich ein Zauber an dieses Schiff, den ich nicht mehr ungeschehen machen kann. Eines verspreche ich dir jedoch: sollte deine Zeit hier zu Ende sein, werde ich dich wieder vor die Wahl stellen. Kannst du damit leben?“

Angelica seufzte tief. So etwas hatte sie schon geahnt. „Das werde ich wohl müssen, oder?“

Zärtlich streichelte die Göttin ihr über die Wange, dann wandte sie sich zum Schluss an Jack. Missbilligend schnalzte sie mit der Zunge, umrundete ihn einmal langsam und blieb schließlich vor ihm stehen und sah ihm direkt in die braunen Augen. „Und nun zu dir, Jack.“

Ihre Stimme ließ ihn ein wenig zusammenfahren, doch er hatte sich schnell wieder unter Kontrolle. Seine dunkel umrandeten Augen starrten ungerührt zurück. „Mir scheint, dass auch ich eine Belohnung verdient habe, aye? Allein schon für die Tatsache, dass ich Missy und ihr kleines Balg aufnehmen soll.“ Er wies mit dem Daumen über die Schulter zu Elizabeth und Billy. Will wollte schon etwas sagen, doch die Göttin brachte ihn mit einer Handbewegung zum Schweigen. Das würde sie übernehmen.

„Der Schatz der Silberflotte liegt noch immer vor den Keys auf dem Grund des Meeres.“ Sie machte eine kleine Kunstpause, in der sie bedächtig die Hände zusammenlegte und so tat, als müsse sie nachdenken. „Und dort wird er vermutlich auch noch eine Weile bleiben. Ich stelle dich also in meine Schuld, Jack Sparrow, indem ich dein Leben, so wie das von Maria, an diesen Schatz binde und dich ebenfalls unsterblich mache. Sieh es als Dank dafür, dass du meiner Tochter das Leben gerettet hast.“

Dass sie immer darauf gehofft hatte, dass er dies tun würde, verschwieg sie wohlweißlich. Mit der Aussicht auf Unsterblichkeit würde Jack vermutlich alles tun, sogar einer Frau, die er kaum bis gar nicht kannte das Leben retten. Dazu musste er sie nicht einmal besonders mögen. Es reichte völlig aus, dass er sie vor dem Tod bewahrte. Und das hatte er getan.

Allerdings würde sie es ihm nicht so leicht machen, wie er vielleicht hoffte. Denn an ihr Geschenk war eine Bedingung geknüpft. „Doch bedenke, dass ich dich rufen kann, wann immer ich dich oder Maria brauchen sollte. Und nur, solange ihr beide zusammen euren Weg geht, wird der Zauber wirken. Solltest du aus irgendeinem Grund, und möge er auch noch so schlüssig sein, dir meinen Zorn zuziehen, werde ich dir die Unsterblichkeit wieder nehmen. Haben wir uns da verstanden?“

Mit jedem Wort war sie näher an ihn herangekommen, bis sie sich schließlich so eng gegenüber standen, dass sich ihre Nasenspitzen beinahe berührten. Verdutzt starrte er sie an, spürte dann, wie sie ihren Finger in seine Brust bohrte und darin herumstocherte.

Er räusperte sich vernehmlich. So hatte er das eigentlich nicht geplant gehabt. Und dass sowohl Will als auch Elizabeth schelmisch bei diesem Gedanken grinsten, hob seine Laune nicht unbedingt an. „Du sagst also“, sagte er mit belegter Stimme, „dass ich die Pearl kriege und die Unsterblichkeit. Die Bedingung dafür ist aber, dass ich diese Frau hier“, er deutete mit dem Kopf wage in Marias Richtung, „mit mir nehme und auch an meiner Seite behalte, sie behandle und behüte wie meinen Augapfel, nur damit ich bis in alle Ewigkeit auf den Sieben Weltmeeren umher segeln kann? Und das alles gebunden an einen Schatz, der so groß ist, dass ich damit für den Rest meines unsterblichen Lebens ausgesorgt hätte, den ich aber nicht heben darf, weil ich sonst meine Unsterblichkeit wieder verliere?“

Seine Stimme hatte sich dabei ein wenig nach oben geschraubt, was nur allzu deutlich machte, was er von dieser Idee hielt. Doch das war das Angebot. Ein anderes würde sie ihm nicht machen. Und da ließ sie auch nicht mit sich verhandeln. Daher nickte sie nur, verschränkte die Arme vor der Brust und lächelte ihn mit ihren braunen Zähnen an. „Das ist der Deal.“ Dann streckte sie ihm ihre rechte Hand entgegen. „Schlag zu oder lass es bleiben.“

Maria hatte das alles mehr oder weniger begeistert beobachtet. Dass sie nicht nach Spanien zurückkehren wollte, hatte sie bereits gesagt. Doch wer sagte eigentlich, dass sie bis in alle Ewigkeit mit diesem Sparrow verbringen wollte? „Müsst ihr mich nicht wenigstens fragen, ob ich das auch will?“, empörte sie sich daher lautstark, als Jack noch immer misstrauisch Tia Dalmas Hand musterte.

Die Göttin drehte sich ein bisschen gelangweilt zu ihr um. „Natürlich würde ich das“, sagte sie, „aber ich weiß ja, wie deine Antwort ausfällt.“ Dann wandte sie sich wieder Jack zu.

Verdutzt blieb Maria ihr Widerwort im Hals stecken. Sie schluckte herunter, was sie hatte sagen wollen, und setzte sich dann trotzig auf eine Holzkiste, die in der Nähe stand. Das konnte ja heiter werden!

Doch wusste die Göttin wirklich, was sie geantwortet hätte? Würde sie wirklich mit Sparrow gehen wollen? Er mochte ihr vielleicht das Leben gerettet haben, doch das bedeutete ja noch lange nicht, dass er sie auch gern hatte. Sie konnte ihn jedenfalls nicht besonders gut leiden. Viel lieber wäre sie auf der Dutchman geblieben, wo sie nicht nur Will als Captain gehabt hätte, sondern auch noch Angelica und damit eine Gelegenheit, mit jemandem zu reden. Mit Jack konnte man sicher keine besonders tiefgründigen Gespräche führen. Doch offenbar war ihre Meinung hier nicht gefragt. Das war wohl der Preis dafür, dass man ihr nun so oft das Leben hatte retten müssen, ob mit Hilfe der Götter oder der Sterblichen.

„So ganz gefällt mir dieser Deal zwar nicht“, sagte Jack endlich, „doch ich habe wohl keine andere Wahl, wenn mein Kompass wieder vernünftig funktionieren soll. Außerdem bin ich es meiner Mannschaft schuldig, wieder richtige Abenteuer mit ihnen zu erleben.“ Und als er einschlug, jubelte Gibbs auf, was nicht nur Pintel und Ragetti anstachelte, mitzumachen.

Langsam trat Will nun auf Jack zu. „Dann ist das wohl wieder ein Abschied, Jack.“

„Scheint mir auch so, William.“ Er musterte ihn kurz, dann fügte er hinzu: „Du solltest dir wieder einen Hut anschaffen. Das Kopftuch wirkt ein wenig lächerlich.“ Und bevor sie alle zu sentimental werden konnten, ließ die Göttin die Pearl direkt an die Dutchman anlegen und Wills Männer legten die Planke aus.

Auch Elizabeth verabschiedete sich nun von ihrem Mann, denn ihre Wege würden sich nun wieder für eine Weile trennen müssen. Doch zum Glück, das wusste sie jetzt, würden sie sich nicht erst in vier Jahren wiedersehen. „Lass mich nicht zu lange warten“, raunte sie ihm ins Ohr. „Denn mein Bett ist nachts immer so kalt und ich sehne mich nach dir.“

„Versprochen!“

Ein letztes Mal drückte er sie fest an sich und küsste sie, dann gab er sie frei und sie ging langsam mit Billy an der Hand auf das andere Deck.

Es dauerte noch eine Weile, bis alle an Bord waren, doch dann machten sie endlich die Leinen los.

„Master Gibbs?“

„Aye, Captain!“ Sein Erster Maat kam sofort angelaufen. Sie beide standen oben auf der Brücke, Jack hatte das Steuer wieder an Cotton übergeben, der mit seinem Papagei auf der Schulter auf den nächsten Befehl wartete.

Mullroy, Murtogg, Pintel und Ragetti hatten sich auf ihre Posten begeben, während Maria sich hinter Jack platzierte und abwartend die Arme verschränkte. Wohin würden sie wohl als nächstes segeln?

„Segel hissen und volle Fahrt voraus!“, rief Jack schließlich und Gibbs gab das Kommando weiter. Dann entfernte sich der alte Mann wieder von der Brücke und ließ Jack und Maria alleine. Zögerlich trat er auf sie zu, zückte seinen Kompass und überprüfte die Nadel.

„Er zeigt noch immer auf mich, oder?“, fragte sie und er nickte. „Das liegt daran, dass wir den Schwur noch nicht besiegelt haben.“ Mit zwei schnellen Schritten war sie bei ihm und zog ihm seinen Degen aus dem Gürtel. Bevor er jedoch reagieren konnte, hatte sie sich die Klinge bereits durch ihre andere Hand gezogen. Blut tropfte auf das Deck, dann reichte sie ihm die Hand mit dem Schnitt.

Auffordernd gab sie ihm seine Waffe zurück, die er nur ganz langsam entgegen nahm. „Muss das denn wirklich sein?“ Ablehnend zog er die Augenbrauen zusammen, doch sie duldete diesbezüglich keinen Widerspruch. „Du weißt doch“, ermutigte sie ihn, „dass alle Schwüre mit Blut geschlossen werden müssen.“

Resignierend stieß er die Luft aus, holte aus und schnitt sich leicht in seine Handfläche. Um nicht hinsehen zu müssen hielt er ihr seine Hand entgegen, die sie mit festem Griff packte. Ihre Finger umschlossen seine und er spürte plötzlich, dass die Wunde gar nicht mehr brannte. Es war, als hätte man ihm etwas hineingelegt, was den Schmerz augenblicklich linderte. Also wagte er wieder, hinzusehen. Doch was er sah, erstaunte ihn.

Ihre ineinander verschlungenen Hände glühten leicht. Erschreckt wollte er schon seinen Arm zurückziehen, doch sie hielt ihn erbarmungslos fest. So viel Kraft hatte er ihr gar nicht zugetraut.

Schließlich, als das Glühen aufgehört hatte, ließ sie ihn los. Überrascht stellte er fest, dass der Schnitt verschwunden war. Gleichzeitig irgendwie verwirrt, aber eigentlich überglücklich sah er sie an und erwiderte sogar ihr ehrliches Lächeln.

„Willkommen, Captain Jack Sparrow, in der Welt der Unsterblichen.“

© by LilórienSilme 2015

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