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Kapitel 48

 

~ Who is your Captain?

 

Ein lautes Tock war zu hören, in dem Moment, in dem Angelica wieder ihre Augen öffnete. Erst dachte Maria, dass es wohlmöglich der erste heftige Schlag ihres Herzens war, doch dann ertönte das Klopfen erneut, dieses Mal hinter ihr und nicht unter ihr. Langsam drehte sie sich um.

„Und, Männer, was habe ich verpasst?“

Captain Hector Barbossa stand dort, hatte sich ein Stück der gebrochenen Reling als Ersatzholzbein genommen und stemmte abwartend die Hände in die Hüften. Offenbar hatte es ihm überhaupt nicht behagt, hier an Deck abgelegt worden zu sein wie überflüssiger Ballast. Noch dazu hatte er hier keine Befehlsgewalt gehabt, was ihm Wills Männer auch nur allzu deutlich gemacht hatten.

Nun, da der Kampf endgültig vorbei zu sein schien, hoffte er, dass man ihm wieder ein Schiff geben würde. Immerhin war die Queen Anne‘s Revenge noch immer sein Eigen.

Stöhnend hielt sich Angelica ob der lauten Umgebung den Kopf. Ihre Hände gehorchten ihr nun wieder, doch das überraschte sie nicht. Am liebsten hätte sie Jack sogleich eine Ohrfeige verpasst, aber dazu besaß sie noch nicht die Kraft.

Wieso nur musste dieser Bastard ihr immer wieder ungewollt das Leben retten? Sie hatte seines retten und damit aus dieser Welt scheiden wollen, ohne dass noch etwas zwischen ihnen stand. Doch dieser Kerl hatte ihr mal wieder einen Strich durch die Rechnung gemacht. Hatte sie, als sie zu sterben glaubte, noch gedacht, sie würde nun nicht mehr wütend auf ihn sein, musste sie sich selbst eines Besseren belehren: sie war noch wütend auf ihn! Vermutlich sogar noch mehr als noch auf dieser vermaledeiten kleinen Insel.

Sie war schon dabei, sich wieder aufzusetzen, als Jack nach ihren Schultern griff und sie zurückhielt. „Ruhig, Liebes“, sagte er. „Du bist gerade von den Toten zurückgekehrt. Du solltest dich noch etwas ausruhen.“

„Und du solltest eigentlich tot auf dem Grund des Meeres liegen“, giftete sie zurück, was Jack sofort dazu veranlasste, sie loszulassen als habe er sich an ihrer Haut verbrannt. Mit hochgezogener Oberlippe hob er die Hände in seine so typische Abwehrhaltung. „Schon gut! Kein Grund zur Aufregung.“ Dann erhob er sich mit einer fließenden Bewegung und sah sich nach Will um.

„Wo steckt der Hufschmied?“

„Waffenschmied“, korrigierte Elizabeth ihn ungerührt, steckte ihren Degen ein und schob Billy nun vor sich, wo sie ihn sehen konnte. Dabei schlang sie ihre Arme um den Kleinen, als wollte sie ihn erdrücken. Doch sie lächelte, froh darüber, dass er bei ihr war und ihm nichts passiert war. Und gleich würde es hoffentlich ein richtiges Wiedersehen mit seinem Vater geben.

„Captain an Deck!“, rief plötzlich jemand und binnen weniger Augenblicke tauchten die Gestalten von Wills Mannschaft auf. Er selbst kam zum Schluss, schlenderte gemütlich die Treppe zur Brücke hinunter und warf dabei ein paar zufriedene Blicke in die Runde. Er war erleichtert, dass es nun zu Ende sein sollte. Und vielleicht hatte die Göttin ein Einsehen mit ihm und er würde den Aufenthalt an Land ausdehnen können. Seine Frau so lange nicht zu sehen und nicht zu wissen, dass er einen Sohn hatte, war etwas, was ihm ganz und gar missfiel. Das musste sich wirklich ändern!

Als er auf der letzten Stufe angekommen war, fanden seine Augen den kleinen Billy. Der Junge war Elizabeth wie aus dem Gesicht geschnitten. Nur die Augen hatte er von seinem Vater. Zögerlich breitete Will die Arme aus und wartete darauf, dass er zu ihm kam. Und erst nach einem kleinen Schubser seitens seiner Mutter kam er tatsächlich zu ihm und ließ sich in seine feste Umarmung ziehen.

Es war ihm anzumerken, dass ihm das nicht ganz behagte. Immerhin kannte er diesen fremden Mann kaum, den seine Mutter als seinen Vater vorgestellt hatte. Doch wenn seine Mutter sagte, dass es so war, dann glaubte er ihr. Und vielleicht würde er ja von jetzt an mehr Zeit mit ihm verbringen dürfen. Immerhin hatte er sich immer einen Vater gewünscht, der die Sachen mit ihm tat, die seine Mutter ihm verbot, von denen er aber wusste, dass andere Väter sie mit ihren Söhnen doch heimlich taten. So etwas wie Feuer machen zum Beispiel, oder auf hohe Bäume klettern, über die Klippen klettern und von hoch oben ins Meer springen. All das wollte er so gern einmal ausprobieren!

Doch das würde noch Zeit brauchen. Denn es standen noch zu viele ungeklärte Fragen im Raum, die Will gerne beantwortet haben wollte. Deswegen wandte er sich nun Maria zu, die immer noch ihren Degen in der Hand hielt. Als sie dessen gewahr wurde, ließ sie ihn klappernd zu Boden fallen. Solch ein Mordinstrument in den Händen zu halten war nicht etwas, was sie sich je gewünscht hatte. Stattdessen rieb sie ihre Handflächen an ihrer dunklen Hose ab, als wären sie schmutzig. Dann zupfte sie an ihrer Bluse etwas herum, die noch immer von ihrem Blut an manchen Stellen dunkel gefärbt war. Doch die dunkelrote Weste, die sie darüber trug, verbarg das Meiste davon.

„Nun fragt schon!“, sagte sie endlich, als ihr die Stille an Deck zu drückend erschien.

Verwirrt sah Will sie an. Er hob eine Augenbraue. „Was denn?“

Genervt stöhnte sie auf und warf ihre Hände in die Luft. „Ich sehe Euch an, dass Ihr noch Fragen habt. Also fragt. Jetzt ist die beste Gelegenheit dafür.“

Doch sie wurden wieder unterbrochen, als Stiefelriemen an Deck erschien. Er beachtete die angespannte Stimmung nicht, die hier vorherrschte, wusste nichts von dem, was vorgefallen war, sondern sagte an seinen Sohn gewandt: „Die Black Pearl hat den Angriff beinahe unbeschadet überstanden. Hiermit gebe ich das Kommando wieder an den vormaligen Captain ab.“

Will nickte ihm nur knapp zu. „Danke, Vater“, sagte er. Dann beugte er sich ein Stück hinunter und flüsterte Billy ins Ohr: „Darf ich dir deinen Großvater vorstellen?“

Bevor es Jack zu schmalzig werden konnte, kam er zu Maria herüber, die nun Angelica beim Aufstehen half. Ihre gemeinsame ethnische Herkunft schien die beiden Frauen auf eine gewisse Art zu verbinden, die Jack überhaupt nicht gefiel. Doch darum würde er sich später kümmern. Jetzt wollte er erst einmal ein Versprechen einlösen.

Er räusperte sich vernehmlich, während am anderen Ende des Oberdecks die Familienzusammenführung gefeiert wurde. Dann tippte er Maria auf die Schulter, die sich nicht gleich zu ihm herum drehte, ihn dann aber abwartend ansah. „Deine Göttin sagte etwas davon, dass sie mir die Pearl schenken würde“, begann er, wurde jedoch von Angelica rüde unterbrochen. „Tut mir leid, Jack, aber die Pearl gehört jetzt mir. Ich bin ihr Captain. Die Göttin hat sie mir geschenkt.“

„Ah“, machte er. Dabei blitzte der Schalk in seinen Augen auf und er zeigte beim Lächeln eine Reihe seiner goldenen Zähne. „Jetzt kommen wir auf die wirklich interessanten Themen zu sprechen, nicht wahr?“

Verwirrt sahen ihn die beiden Frauen an. Und weil keine von ihnen auch nur ein Wort sagte, fuhr er ungerührt fort: „Master Gibbs!“

Wie aus dem Nichts tauchte Joshamee Gibbs plötzlich neben ihnen auf. Seine grauen Haare standen ihm wild in alle Richtungen vom Kopf ab, doch nach ein paar gezielten Handgriffen saß seine Frisur wieder. Schnell brachte er dazu noch seine Garderobe in Ordnung, dann sagte er: „Aye, Captain!“

„Ist ein Verdammter dazu in der Lage, Captain eines Schiffes zu sein?“, fragte Jack an ihn gewandt. 

Dies war natürlich eine rein rhetorische Frage, die Gibbs auch sogleich bejahte. Doch Jack war noch nicht fertig. Während er auf dem Deck auf und ab schritt, dabei geflissentlich ignorierte, dass auch der Rest seiner ehemaligen Mannschaft nun beobachtete, was geschehen würde, legte er nachdenklich einen Zeigefinger an sein Kinn und blickte in den Himmel, als suche er dort oben etwas.

„Und was macht wohl dieser Verdammte, wenn er durch einen Fluch an ein anderes Schiff gebunden ist, von dem er nicht der Captain ist? Ist er dann immer noch in der Lage, sein Amt als Captain auszuführen? Von einem Schiff, an was seine Seele nicht gebunden ist?“

Das war zu viel für Gibbs. Er kniff die Augen eine Weile zusammen, musste sich anstrengen, den Worten seines Captains zu folgen, doch dann erhellte sich sein Blick. Bevor er jedoch etwas sagen konnte, sprach Jack schnell weiter. Dieses Mal richtete er seine Worte direkt an Angelica. „Um es genauer zu sagen: ist ein Mitglied von Captain William Turners Crew - die Crew der Verdammten, deren Seelen an die Flying Dutchman gebunden sind - in der Lage, Captain meiner geliebten Pearl zu sein? Ja oder Nein!“

Der Blick von Blackbeards Tochter verfinsterte sich, als sie begriff, was Jack damit getan hatte, als er ihr das Leben rettete. Dieser verfluchte Sohn einer Straßenhündin hatte nicht nur dafür gesorgt, dass sie damit wieder in seiner Schuld stand. Nein, er hatte auch dafür gesorgt, dass die Pearl nicht mehr ihr gehörte, denn als Mitglied von Turners Crew konnte sie natürlich nicht mehr Captain der Black Pearl sein. „Das hast du alles geplant, du verdammter...“

Jack unterbrach sie, indem er ihr einen Finger auf die schönen Lippen legte. „Keine Kraftausdrücke, Liebes. Es sind Kinder an Bord.“

Mit einem lauten Aufschrei wollte Angelica sich schon auf ihn stürzen, doch Maria hielt sie mit erstaunlicher Kraft davon ab. Es dauerte eine Weile, doch schließlich brachte sie ihre Landsmännin dazu, sich still auf eine Kiste zu setzen. Dabei hielt sie noch immer ihre Hände fest und flüsterte ihr zu: „Lasst es sein. Er ist es nicht wert, dass Ihr Euch Eure Hände an ihm dreckig macht.“

Angelica spuckte nur einmal in Jacks Richtung aus, dann verschränkte sie die Arme vor der Brust und starrte finster in seine Richtung.

Barbossa hatte das alles aus sicherer Entfernung beobachtet. Nun jedoch musste er sich zu Wort melden, denn es gab hier einige Punkte, die er noch nicht so ganz verstand. „Mir scheint“, sagte er also und nickte Pintel und Ragetti zu, die sich hinter ihm versteckt hatten, „dass wir eine ganze Menge verpasst haben, Männer.“ Die beiden Matrosen nickten nur, während Cottons Papagei krächzend zustimmte.

„Und was machen wir jetzt?“, wagte Ragetti schließlich doch noch zu fragen.

Eigentlich hatte er sich die Antwort von Jack erhofft, doch stattdessen antwortete eine andere Stimme. Es war eine Stimme, die ihm jedes Mal eine Gänsehaut über den Rücken jagte und seine leere Augenhöhle unangenehm jucken ließ. 

Captain Teague hatte sich bisher im Hintergrund gehalten. Er hatte beobachtet, wie die Familie Turner endlich wieder zueinander gefunden hatte, und es erfreute ihn. Das zumindest war ein kleines Happy End in diesem ganzen furchtbaren Durcheinander, was sie erlebt hatten.

Ebenso hatte er beobachtet, wie Angelica wieder ins Leben zurückgekehrt war, und er hatte gehört, was sein Sohn danach gesagt hatte. Daraus konnte er nur schließen, dass Angelica für Jack gestorben war und Captain Turner sie mit seiner Magie an die Dutchman gebunden hatte. Damit war die Black Pearl einmal mehr ohne Captain. Und er wusste nur allzu gut, wer diesen offenen Posten nun zu übernehmen gedachte.

Sein Sohn war ein richtiges Schlitzohr! Das musste er von seiner Mutter haben.

„Ich würde vorschlagen, Master Ragetti“, antwortete er gemächlich und trat aus dem Schatten raus, in dem er sich bisher verborgen hatte, „dass sich jeder nun ein Schiff sucht und wieder seines eigenen Weges segelt. Denn mir scheint, der Krieg ist vorbei.“

„Doch ist er wirklich vorbei?“, gab Barbossa zu bedenken, der sich wie immer völlig unbeeindruckt von Captain Teagues Erscheinung zeigte. „Vielleicht haben wir nur eine weitere Schlacht gewonnen und der Krieg dauert noch an.“

„Ja“, sagte da eine Stimme, die, ohne dass sie sich hätte anstrengen müssen, über das ganze Deck zu hören war. Tia Dalma war zurückgekehrt, hatte ihre alte, wohlbekannte Gestalt der schwarzen Priesterin angenommen und blickte nun auf die Szenen, die sich vor ihn auftaten. Nachdem sie und ihre Geschwister die Schiffe der Royal Navy verjagt oder versenkt hatten, hatten sie eine kurze Besprechung abgehalten. Und die Entscheidung, die die Menschen betraf, wollte sie ihnen nun auch mitteilen. „Ihr habt Recht, Barbossa: der Krieg ist noch nicht vorbei.“

Ihre Worte brachten alle nun dazu, wieder etwas näher zusammen zu rücken, denn es erschien ihnen, als frische der Wind nun wieder auf.

„Es mag uns erneut gelungen sein, die Neue Welt für eine Weile aus unseren Gewässern fernzuhalten. Doch sie werden wiederkommen. Sie werden immer wiederkommen, bis sie endlich das haben, was sie haben wollen. Und bis sie uns alle vernichtet haben.“ Sie hielt eine Weile inne, denn das, was sie nun sagen würde, war nicht leicht zu sagen und noch weniger leicht zu akzeptieren. Zumindest für einen Teil der hier Versammelten. „Wir Götter haben beschlossen, dass es jedoch keine andere Möglichkeit mehr gibt, als zu kämpfen bis zum letzten Mann. Denn auch unsere Existenz wird bedroht.

Ihre Priester mit ihrem Glauben an den Barmherzigen Gott gefährden uns. Je mehr Menschen an Ihn glauben, desto weniger glauben sie an Uns. Doch wird werden nicht aufgeben, bis nicht auch der Letzte von uns ins Vergessen hineingezogen wurde. Und wir hoffen, dass auch ihr nicht kampflos untergehen wollt.“

Mit einem wilden Blick sah sie jeden einzelnen an: erst Jack, dann Will und seine Familie, Barbossa, Pintel, Ragetti, Cotton, Murtogg und Mullroy, Captain Teague und schließlich Angelica und Maria.

Ihre Augen blieben an ihrer Ziehtochter hängen, die sie liebevoll zurück ansah. Schließlich sagte Maria in die Stille hinein: „Nein, wir werden nicht aufgeben.“

„Wir?“ Will fuhr überrascht auf. Er schob Elizabeth bei Seite und kam auf Maria zu. „Aber ich dachte, du willst nach Hause, zurück nach Spanien, um diesen Joseph zu heiraten und Königin von Portugal zu werden.“

Lächelnd sah Maria in die verdutzten Gesichter, die ihr entgegen blickten. Nicht nur Angelica schien nun langsam zu begreifen, wer oder was sie war, auch auf Jacks Antlitz machte sich Erkenntnis breit. Als er jedoch in ihr Gesicht sah, begann auch er zu lächeln. Nun würde er hoffentlich doch noch seine Belohnung bekommen.

„Das wollte ich auch“, antwortete Maria, „aber ich habe nun begriffen, dass das hier mein zu Hause ist. Eine Sterbliche hat mich damals weggegeben aus Angst. Und eine Göttin hat mich aus Liebe aufgenommen. Ihre Gründe mögen mir nicht ganz verständlich sein, doch sie hat mir all das gegeben, was mir meine richtige Mutter nicht gegeben hat. Und dafür bin ich ihr etwas schuldig.“ Und bevor Atlacamani protestieren konnte, hob Maria die Hände und sagte weiter: „Und ich tue das nicht, weil ich mich verpflichtet fühle, sondern weil ich es wirklich möchte.“

Dankbar nahm die Göttin ihre Ziehtochter bei der Hand. Zu mehr war sie im Augenblick nicht fähig, ohne vor aller Augen in Tränen auszubrechen. Doch Maria verstand auch so.

Und auch Will schien endlich zu begreifen und all seine Fragen lösten sich in Luft auf. Er hatte nun endlich wieder, was er so dringend gebraucht hatte: seine Familie war bei ihm und das machte ihn mehr als nur glücklich. Es machte ihn vollständig.

„Wir unglaublich rührend“, ließ sich nun Jack wieder vernehmen. Mit einem Ruck stieß er sich vom Hauptmast ab, an dem er gelehnt und das Ganze mehr oder weniger stumm beobachtet hatte. „Dann hat uns dieses ganze Tohuwabohu doch alle irgendwie weitergebracht, nicht wahr? Du, Will, hast deine Lizzy wieder und gratis dazu noch einen Sohn bekommen. Glückwunsch, übrigens. Angelica hat ihr Leben zurückbekommen. Maria hat ihre Mutter gefunden und meine Mannschaft hat ihren Captain wiedergefunden. Das einzige, was jetzt noch fehlt, ist ein Schiff.“ Er warf Angelica einen Seitenblick zu, der schwer zu deuten war. „Du weißt nicht zufällig, ob gerade eins frei geworden ist?“

© by LilórienSilme 2015

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