LilórienSilme
~ Fanfiction-Autorin ~
Kapitel 44
~ Der letzte Streich
Plötzlich strömte wieder herrliche, kühle Luft in mich hinein. Der Druck auf meinen Hals ließ nach und ich musste Husten, als meine Lunge darum kämpfte, möglichst viel Lebenselixier in sich hinein zu pumpen, meine Kehle aber noch zu geschwächt dafür war, dies alles aufzunehmen. In meinem Kopf drehte sich alles, mein Magen schien zu rebellieren und mein ganzer Körper fühlte sich schlaff und ausgezehrt an. Völlig entkräftet ging ich zu Boden. Meine Knie gaben unter mir nach und ich schlug der Länge nach hin.
Noch immer war alles Schwarz vor meinen Augen, doch Vardas Bild war verschwunden. Wie gerne hätte ich sie noch einen Moment angesehen, um mich zu vergewissern, dass sie noch genauso aussah, wie damals. Doch vermutlich war es nur Einbildung gesehen und ich hatte sie ohnehin so gesehen, wie ich sie am liebsten sehen wollte: jung und gesund und kräftig, und vor allem schön.
Jemand griff nach meinen Schultern und zog mich hoch, während mein Körper immer noch krampfte, meine Lunge sich heftig darum bemühte, alles mit genügend Luft zu versorgen. Ich spürte, dass ich etwas im Mund hatte, konnte aber nicht erfassen, was es war. Es war feucht und hinderte mich am Atmen, das war alles, was ich wusste. Ich versuchte daher, es auszuspucken, und plötzlich konnte ich wieder ungestört einatmen.
Dann sah ich Legolas’ Gesicht vor mir, wie er seine Lippen bewegte und mich besorgt ansah, doch ich hörte nicht, was er sagte, da mir mein Blut in den Ohren rauschte. Die ganze Welt schien wie in Watte gepackt zu sein und ich konnte mich nur langsam daraus befreien. Sicherlich tat die Wunde an meiner Seite ihr Übriges dazu, dass mein Körper überaus geschwächt war. Wie viel Blut mochte ich verloren haben? War es bereits lebensbedrohlich für mich? Konnte ich deshalb nicht klar sehen?
Es dauerte eine geraume Zeit, bis ich etwas, das weiter entfernt war als Legolas’ Antlitz, erkennen konnte. Immer wieder tauchte ein silbriger Schein vor mir auf, wirbelte umher, rauschte von Links nach Rechts, verschwand, nur um sogleich an einer anderen Stelle wieder zu erscheinen. Dann drang Lärm an mein Ohr, jammerndes Klagen, eine laute Stimme, die alle zum Schweigen bringen wollte. Dann verlor ich das Bewusstsein.
Mein Geist verweilte in einer samtigen Schwärze, die mich zu umhüllen schien. Alles war angenehm warm und weich, obwohl ich scheinbar nackt war. Doch es war nicht unangenehm. Im Gegenteil, hätte ich eine Wahl gehabt, wäre ich vermutlich ewig hier geblieben.
Doch die Wahl wurde mir genommen. Denn vor mir tauchte auf einmal ein winziger Lichtpunkt auf, der schnell größer wurde. Erst dachte ich, dass ich in einer atemberaubenden Geschwindigkeit darauf zuflog, doch dann merkte ich, dass dieses Licht direkt vor mir aus dem Dunkeln zu sprießen schien, wie eine zarte Pflanze, die zu einem gigantischen Baum heranwuchs. Und das Licht schien nicht einfach irgendein Licht zu sein, sondern es schimmerte wie Wasser. Und hinter dem Wasser konnte ich Bilder erkennen, wie in einem Spiegel. Oder als wäre ich auf dem Grund eines Sees und blickte nun nach oben durch die Oberfläche und beobachtete das, was dort geschah. Mit einer Ausnahme: dass ich nicht von unten nach oben schaute, sondern von oben nach unten.
Unter mir breitete sich eine Ebene aus, die von Nebel begrenzt wurde. Auf der Ebene wuchsen vereinzelt Bäume, die ich nicht näher beschreiben konnte. Im ersten Moment hatte ich noch keine Ahnung, was ich da eigentlich sah. Doch dann schien mein Geist sich wieder daran zu erinnern und wusste plötzlich, was ich dort beobachtete.
Auf der einen Seite standen Delos’ Truppen und auf der anderen Seite standen meine. Gerade schien es, als wären wir zu einer friedlichen Einigung gekommen, da stürzte Delos auf mein anderes Ich zu und begann mich zu würgen. Jetzt sah ich den endlos verwirrten Ausdruck in seinen Augen, sah, dass er nicht mehr bei Sinnen war, und wusste, dass er mich töten würde.
Doch jemand rettete mich. Als Delos nämlich auf mich zugestolpert kam, reagierte Sahîrim instinktiv. Während alle anderen noch versuchten zu verstehen, was gerade passiert war und mit dieser Reaktion seinerseits nicht gerechnet hatten, war Sahîrim schon bei seinem Vater. Er zerrte an seinen Armen, doch der Griff wollte sich nicht lockern. Der Ältere stieß den Jüngeren nur weg und drückte noch fester zu. Ich gab ein merkwürdiges Geräusch von mir und lief allmählich blau an. Nicht mehr lange, und ich würde sicherlich sterben.
Dass Sahîrim mir nun das Leben rettete, damit hatte ich vermutlich am allerwenigsten an diesem Tag gerechnet. Als er merkte, dass sein Vater nicht loslassen würde, egal, was er auch unternahm, traf er die einzig mögliche Entscheidung. Ich sah, wie Legolas und Nefertirî ihn noch davon abhalten wollten, doch es war bereits zu spät. Der junge Elb hatte einen Dolch gezückt und ihm seinen Vater in die Seite gerammt. Er saß nicht tief, doch tief genug.
Röchelnd gingen sowohl Delos, als auch ich zu Boden. Im Gegensatz zu mir rappelte er sich jedoch sogleich wieder hoch und ging auf seinen Sohn los. Ich wusste nicht, woher er diese Kraft nahm, doch er zog sein Schwert und war bereit zum ersten Schlag. Gimli und Nefertirî rannten zu Sahîrim hin, doch er hielt sie mit einer Handbewegung davon ab, sich zu nähern. Sofort packte Gimli unsere Tochter und hielt sie fest, während meine zweite Tochter immer noch neben Carim saß und seine Hand hielt.
Der Zwerg nahm Nefertirî bei Seite, setzte sie direkt neben mich und hielt sie ganz fest, während ich noch, mit Legolas’ Hilfe, um Atem rang. Alle anderen Elben, sowohl diejenigen, die mit uns aus Valmar gekommen waren, als auch die, die von den Klippen gekommen waren, rührten sich nicht und sahen stoisch, bestürzt oder ängstlich zu und taten nichts, als der zweite Kampf zwischen Vater und Sohn entbrannte.
Dieser dauert allerdings nicht lange, da hatte Sahîrim seinen Vater bereits wieder zu Boden geworfen. Dieses Mal gab Delos jedoch nicht auf. Mit scheinbar letzter Kraft stieß er sich vom Boden ab und kam wieder auf die Beine. Mit bloßen Händen ging er auf seinen Sohn los, überwand die Distanz zwischen ihnen in einem winzigen Augenblick und setzte schließlich zum Sprung an.
Sahîrim zögerte kurz und das wurde ihm zum Verhängnis. Um sein Schwert zu ziehen, war die Entfernung zwischen ihm und seinem Vater bereits zu gering. Sein Dolch war bei dem letzten Stich, den er damit vollzogen hatte, um Delos von mir wegzuzerren, im Schlamm gelandet und dort sogleich von der nassen Erde verschluckt worden. Und obwohl er noch seinen Schwertgurt trug, war er in diesem Moment unbewaffnet, da sein Vater nur noch wenige Zoll von ihm entfernt war.
Viele Stimmen schrieen in diesem Moment auf und mehrere Körper flogen zu dieser Stelle hin, bis Sahîrim das Zentrum von allem zu sein schien. Und da offenbarte sich mir der Plan der Valar: der Junge war es, um den es hier ging. Er alleine würde das Schicksal unseres Volkes entscheiden. Es war nie um mich gegangen, so sehr sie mich das auch hatten glauben lassen wollen, und so sehr ich es selbst geglaubt hatte. Mein Weg in Mittelerde und mein Weg hier auf Aman, das nun nicht mehr Aman war, sondern eine Insel, hatte einzig und allein den Sinn gehabt, Sahîrim an diesen Punkt zu führen, den Wendepunkt der Gezeiten. Und für einen winzigen Augenblick fürchtete ich, jetzt, da ich den Plan erkannt hatte, dass er zum Scheitern verurteilt war. Denn sollte Delos seinen Sohn erreichen, würde er ihm mit seinen Händen die Kehle aufreißen.
Ich streckte in der samtigen Schwärze meine Hände nach ihnen aus, doch so sehr ich mich auch bemühte, die Oberfläche des seltsamen Wasserspiegels zu berühren, es gelang mir nicht. Sie war außerhalb meiner Reichweite und ich war dazu verdammt, zuzusehen.
Kurz bevor Delos seinen Sohn erreichen würde, schloss ich fest die Augen. Ich konnte nicht mit ansehen, was nun geschehen würde. Doch, wie immer, hatten die Valar einen anderen Plan mit mir. Denn so lange ich die Augen auch geschlossen hielt, solange blieb das Bild eingefroren auf dem Wasser stehen. Und es lief weiter, sobald ich wieder hinein sah. Ich war dazu verdammt, das Ende der Welt, wie ich sie kannte, mit anzusehen.
Sahîrim fiel nun rückwärts. Er wollte ein wenig Abstand zwischen sich und seinen Vater bringen, doch seine Füße fanden keinen Halt in dem aufgeweichten Boden. Noch immer fiel Regen vom Himmel, doch es war bereits weniger geworden. Ich konnte sehen, dass am Horizont bereits ein heller Streifen aufzog. War das vielleicht ein Zeichen?
Seine Füße rutschen weg, als er sich nach hinten lehnte, und in eben jenem Moment, in welchem Delos sich vom Boden abstieß, um die letzten Zoll mit einem Sprung zu überwinden, taumelte Sahîrim rückwärts. Ich sah das Entsetzen in seinem Gesicht und die unbändige Angst um einen geliebten Menschen in den Augen meiner ältesten Tochter. Was würde aus ihr werden, sollte Sahîrim sterben? Würde sie dahinscheiden, weil ihr Herz gebrochen war? Wenn er also starb, dann starb auch meine Tochter. Würde ich das verkraften können?
Ich beantwortete mir diese Frage selbst. Als ich noch dachte, Mîram wäre von Delos getötet worden, hatte ich meinen gesamten Lebenswillen verloren. Vermutlich würde es mit Nefertirî nicht anders sein, auch wenn ich wusste, dass es dieses Mal nicht meine Schuld war. Eine Mutter würde den Tod eines ihrer Kinder wohl nie vollends verwinden können.
Ich wünschte mir so sehr, dass es dazu nicht kommen musste, doch ich sah genauso wenig eine Gelegenheit dies zu verhindern, wie alle anderen Umstehenden. Legolas hielt mich noch immer im Arm, hielt meinen bewusstlosen Körper fest, und hoffte vermutlich im Stillen, dass sich noch alles zum Guten wenden würde; Nefertirî wand sich aus Gimlis beschützendem Griff und eilte in die Richtung, in der ihr Herz war; Mîram hielt noch immer Carims Hand und beide sahen fassungslos auf die Szenerie, die sich ihnen bot.
Auf der anderen Seite erkannte ich Tarias. Es war lange her, dass ich ihn gesehen hatte, doch sein Gesicht war mir noch immer vertraut. Auch seine Augen waren vor Entsetzen geweitet und er stürzte nach vorne, um seinem Herrn beizustehen. Doch von den anderen rührte sich niemand.
Plötzlich hörte ich ein leises Zischen und ich dachte schon, dass es ein Blitz war, der in einen der Bäume gefahren war. Doch dann sah ich etwas Unglaubliches: Delos’ Rücken bog sich nach hinten durch, seine Arme und Beine erschlafften sofort, während sein Kopf in den Nacken flog und sich seine Augen und sein Mund vor Erstaunen weiteten. Doch er hatte bereits die restliche Entfernung überwunden und riss seinen Sohn von den Füßen. Reglos blieben sie im Dreck liegen.
Nefertirî war die Erste, die sie erreichte. Sie warf sich neben Sahîrim hin und rief immer wieder seinen Namen. Verzweiflungstränen rannen über ihr Gesicht. Mit zitternden Händen griff sie nach seinen Schultern und zerrte an ihm. Zuerst begriff ich nicht, was geschehen war, doch dann sah ich den Pfeil, der zwischen seinen Schulterblättern steckte.
Mein Blick folgte der Flugbahn des Geschosses und zuerst wollte ich meinen Augen nicht trauen. Ein älterer Elb ließ geraden seinen Bogen sinken, als alle ihn überrascht ansahen.