LilórienSilme
~ Fanfiction-Autorin ~
Kapitel 42
~ Revenge of the Gods, Part I
Noch während weiter der Sturm und der Krieg um sie herum tobte, brachte man de la Croix von Bord. Weder Henry Miller noch Alexander Spotswood wollten unnötig Zeit verlieren und ihre Schäfchen schnell ins Trockene bringen. Es war nicht ganz einfach, doch schließlich kletterte der Franzose ziemlich erleichtert auf das Schiff zurück, das seinen Schatz barg.
Dass jemand eine der Kisten öffnen würde, in der das Gold und die Kostbarkeiten lagerten, war nur eine Frage von Stunden. Sollte ihnen die Munition ausgehen, würden sie sicherlich alles absuchen, um doch noch etwas zu finden, womit sie die Kanonen laden konnten. Deswegen wollte er sichergehen, dass sie so bald wie möglich dieses Krisengebiet verließen und nach Port Royal segelten.
Dies hatten nämlich Miller und Spotswood untereinander vereinbart, dass der Abtrünnige dort bleiben sollte, bis ein anderer Platz für ihn gefunden wurde. Vielleicht würde er ihn in einer Kolonie auf Kuba ansiedeln, hatte Miller gedacht, doch dafür würde später noch genug Zeit sein.
De la Croix wollte also gerade zum Captain des Schiffes gehen, als der Wind plötzlich inne hielt. Es war als hätte jemand eine Kerze ausgeblasen, so unerwartet kam die Flaute über sie alle herein und ließ sie alle in ihrem Tun innehalten. Die Kanonen schwiegen mit einem Mal, die Schreie verstummten erstaunt und sogar der Nebel lichtete sich ein wenig.
Schnell begriff er, dass dies nichts Gutes bedeuten konnte, und eilte unter Deck, um seine Kisten in Augenschein zu nehmen. Doch zu seiner großen Erleichterung konnte er beruhigt feststellen, dass sie alle noch dort und ungeöffnet waren. Um ganz sicher zu gehen wollte er jedoch lieber noch einmal nachsehen. Ein findiger Schurke mochte eine von ihnen aufgehebelt und entleert haben, bevor er sie wieder sorgsam zugenagelt hatte. Also griff er sich das Brecheisen, schlug es unter den Deckel und zog kräftig daran.
Als das obere Holz mit einem dumpfen Schlag zu seinen Füßen landete, ergoss sich sofort helles, goldenes Licht in den dunklen Raum um ihn herum. Obwohl die Sonne längst von dichten Wolken verschluckt worden war, schien sie nun unter Deck scheinen zu wollen. De la Croix musste sich die Augen zuhalten, weil er mit dieser plötzlichen Helligkeit nicht gerechnet hatte.
Als sich seine Augen jedoch daran gewöhnt hatten, starrte er den Schatz an, der sich dort vor ihm auftat. Natürlich hatte er jedes Stück einzeln begutachtet, bevor er es in Frankreich hatte verladen lassen. Doch es jetzt noch einmal zu sehen, ließ ihm das Herz aufgehen. Ehrfürchtig griff er nach der aufwändig gearbeiteten Kopfhaube, die nur von Motēcuhzōma persönlich stammen konnte.
Mit lautem Getöse kehrte der Wind zurück. Der Franzose hatte kaum geblinzelt, da wurde er auch schon wieder von den Wellen durch den Frachtraum geworfen. Nur mit Mühe und Not konnte er sich nach oben kämpfen. An Deck angekommen merkte er, dass er noch immer die Federkrone in Händen hielt.
Etwas verwirrt blickte er darauf, wusste zunächst gar nicht, was er damit wollte, bis es ihm wieder einfiel und er zurück eilen wollte, bevor sie jemand zu Gesicht bekam. Doch da war es bereits zu spät.
Eine Frauengestalt tauchte plötzlich vor ihm auf und sah ihn mit wasserblauen Augen an. Sie trug ein jadegrünes Kleid, das sich leicht im Wind bewegte und dadurch wirkte, als wäre es Teil des Ozeans selbst. Ihre dunklen Haare umrahmten ein jugendliches Gesicht, doch ihr Blick war kalt, abweisend und wirkte wie der einer alten Frau.
„Ich bin Chalchiuhtlicue, Göttin des Wassers, und ich bin Atlacamani, Göttin der Stürme auf See. Und ich bin Calypso, Tochter des Atlas.“ Während sie mit ihrer volltönenden Stimme sprach, tauchten plötzlich weitere Gestalten hinter ihr auf. Und mit jeder weiteren Silhouette veränderte sich auch das Bild der Frau, die vor ihm stand. Zuerst wirkte sie wie eine Königin der Azteken, dessen Königskrone de la Croix immer noch festhielt, als ginge es um sein Leben. Dann wurde sie plötzlich zu einer afrikanischen Schönheit mit bernsteinfarbener Haut und dunklen, krausen Haaren. Zuletzt hatte sie blondes Haar und alabasterweiße Haut. Doch ihre Augen blieben immer blau wie das Meer.
Mit einer ausladenden Geste wies sie auf die Gestalten hinter ihr. „Dies sind meine Brüder und Schwestern, die du und deinesgleichen beraubt haben. Nun sind wir hier, um das zurückzufordern, was rechtmäßig uns gehört.“ Gebieterisch streckte sie die Hand nach der Krone aus, doch der Franzose wich unwillkürlich vor ihr zurück.
„Non!“, rief er aus. „Dieser Schatz ge’ört mir ganz allein! Mit ihm ’abe isch mir ein neues Leben erkauft. Isch gebe ihn nicht surück.“
Der Blick der Göttin wurde noch dunkler. Ihre Augen verengten sich zu schmalen Schlitzen, sodass es wirkte, als blicke er durch ein Fenster auf eine sturmgepeitschte See mit einem grauen Himmel. „Dann hast du dein Schicksal besiegelt, Mensch.“ Dabei sprach sie das letzte Wort mit einer derartigen Abscheu aus, dass es ihm die Nackenhaare aufstellte. Und bevor er noch etwas sagen oder tun konnte, waren die seltsamen Gestalten auch schon wieder verschwunden. Das Ganze ging so schnell, dass er zunächst zweifelte, ob es überhaupt geschehen war.
Doch dann wurde er einer Bewegung vor ihm gewahr. Einer der Matrosen starrte an ihm vorbei auf den Horizont, seine Augen weiteten sich vor Schreck, bis sie beinahe so groß wie Untertassen waren. Seine rechte Hand wanderte nach oben und er zeigte ungläubig hinter de la Croix, der sich nur widerwillig umdrehte.
Eine riesige Welle baute sich dort auf, wo Himmel und Meer zusammentrafen, und rollte in einer schier unmöglichen Geschwindigkeit auf das Schiff zu, auf dem er sich befand.
Unfähig, noch etwas zu tun, erstarrten alle an Bord. Selbst, wenn sie es geschafft hätten, die Segel zu entrollen und sie in den Wind zu halten, hätten sie es niemals mehr geschafft, den Anker zu lichten. Und so konnten sie nur untätig zusehen, wie sich das Meer zu einer undurchdringlichen Wand vor ihnen auftürmte, sich über den Hauptmast beugte und sie schließlich mit samt dem Schatz verschlang.
Jack beobachtete das Schauspiel zwar aus sicherer Entfernung, hatte aber nicht wirklich Gelegenheit, sich daran zu erfreuen. An Bord von Henry Millers Flaggschiff hatte er Maccus schließlich gefunden. Oder eher gesagt hatte der Haifischmann den kleinen Spatz ausfindig gemacht und war ihm zur Seite geeilt, als dieser sich begonnen hatte zu duellieren. Rücken an Rücken hatten sie die Soldaten in Schach gehalten, doch es war ihnen nicht gelungen, sich einen Weg freizukämpfen. Dazu waren sie zahlenmäßig zu unterlegen gewesen.
Nun standen sie an Deck, hatten ungläubig beobachtet, wie der Sturm erst abgeflaut und dann wieder angefacht worden war, und mussten nun hilflos zusehen, wie eines der Schiffe, die sich unter Millers Kommando befanden, vom Meer verschlungen wurde.
Dabei war unschwer zu erkennen, was dort vor sich gegangen war. Eigentlich hatte er gedacht, dass sich die Götter nur gegen die Piraten stellen würden, doch offenbar hatten die ihren eigenen Kopf. Und wenn er es richtig gesehen hatte, war für den Bruchteil eines Augenblicks die gute Tia Dalma an Bord des Schiffes gewesen. Da war es also nicht verwunderlich, wenn etwas ganz und gar nicht so lief, wie sich die Menschen das so vorgestellt hatten. Wenn diese Frau – oder besser: diese Göttin – irgendwo auftauchte, dann waren es meist ihre eigenen Pläne, die sie verfolgte, und nicht die derjenigen, denen sie ihre Unterstützung zugesagt hatte. Manchmal, was jedoch äußerst selten vorkam, trafen diese beiden Dinge allerdings auch zusammen. Vielleicht hatten sie ja dieses Mal Glück.
Seine Gedanken wurden rüde unterbrochen, als jemand wieder nach ihm stach. Nur mit Mühe und Not gelang es ihm, den Hieb gegen seinen Unterleib abzuwehren. Er wirbelte um die eigene Achse, griff dabei nach der Hand seines Gegners, zog diesen mit sich und bohrte ihm schließlich von hinten seinen Degen in den Brustkorb. Röchelnd brach der zu Jacks Füßen zusammen, doch das ließ die restlichen Soldaten nicht zurückschrecken.
Wie ein Mann drangen sie nun auf die beiden Piraten ein, die mittlerweile schon beide ziemlich aus der Puste waren. Zwischen zwei Angriffen rief Jack: „Wir müssen von hier verschwinden. Lange halten wir das nicht mehr durch.“
Maccus gab nur ein zustimmendes Knurren von sich, trat nach einem Gegner und brachte ihn damit zu Fall. „Die Chancen dafür stehen schlecht“, sagte er mit einem Blick auf seine Gegner. Der Zweite Maat derFlying Dutchman blutete bereits aus ein paar Schnittwunden, die jedoch zum Glück alle nicht sehr tief waren. Auch konnten sie ihm kaum etwas anhaben, da er unsterblich war. Doch es kostete ihn jedes Mal Kraft, die Wunden zu schließen. Daher unterließ er es. Wenn er erst wieder im Meer war, würden sie ohnehin von selbst heilen.
Um Jack allerdings musste er sich sorgen, denn gerade als Maccus einen weiteren Hieb hatte einstecken müssen, sah er, wie der Captain der Black Pearl getroffen wurde. Sein Gegner schaffte es, ihm eine tiefe Wunde am Bein einzubringen, die sofort stark zu nässen begann. Mit zusammen gebissenen Zähnen versuchte Jack den Schmerz zu ignorieren, der in pulsierenden Wellen sein Bein hinauf kroch, doch es gelang ihm nicht. Unaufmerksam geworden gelang einem Soldaten gleich der nächste Treffer am Oberarm.
Jack schrie auf. Sein Degen glitt ihm plötzlich aus der Hand, weil er nicht mehr zupacken konnte, und landete scheppernd auf den Planken. Jemand packte ihn von hinten am Kragen und er fühlte, wie sich die Spitze eines Schwertes zwischen seine Schulterblätter bohrte. „Nun haben wir dich endlich!“, zischte der Mann hinter ihm und drückte ihn gen Boden. „Captain Miller wird erfreut sein, das zu sehen.“
Seine Gedanken überschlugen sich. Hilfesuchend blickte er zu Maccus auf, doch auch der war inzwischen entwaffnet worden. Sein verletztes Bein knickte schließlich unter dem Druck, den der andere auf ihn ausübte, weg und seine Knie schlugen unsanft auf das Holz unter ihm ein. Wenn ihm nun nicht schnell etwas einfiel, würden sie hier beide sicherlich sterben.
„Glaubt Ihr wirklich, dass es den Captain erfreut, mich gefangen zu sehen?“, sagte er daher in schneidendem Ton, der den frisch eingesetzten Wind überspielte. Der Mann hinter ihm ließ sich jedoch nicht beirren. Ein spitzes Lächeln verzog seinen Mund. „Oh ja, das glaube ich!“
Er wollte ihn schon wieder auf die Füße ziehen und nach unten in eine der Zellen bringen, als Jack weiter sprach: „Aber ich bin ihm nichts wert. Alles, was für ihn zählt, ist nur dieses Horn und die Insel.“
„Der Captain will alle Piraten am Galgen baumeln sehen“, widersprach ihm der andere vehement. „Und so einen wie dich, der ihm ganz offen die Stirn geboten hat, sieht er am liebsten mit den Füßen in der Luft tanzen.“ Die Männer um sie herum brachen in schallendes Gelächter aus und Jack begriff, dass er sie nicht davon überzeugen konnte, dass er hier der Gute war. Er musste einen anderen Weg wählen.
„Und was passiert, wenn er die Piraten der Karibik alle ausgelöscht hat?“
„Dann sind die Handelswege endlich wieder sicher von Halunken wie euch!“ Grob schob er Jack vorwärts. Dabei achtete er nicht darauf, dass sein Gefangener das eine Bein nachzog und offensichtlich Schmerzen hatte.
„Ihr glaubt ernsthaft, dass sich ein Mann wie Henry Miller mit einem kleinen Teil der Welt zufrieden geben wird? Wenn er erst einmal diesen Krieg gewonnen hat, wird er in den nächsten ziehen, und in den nächsten, solange bis er alle seine Männer seinem höheren Ziel geopfert hat.“ Der Druck um seinen Hals ließ nach.
Erleichtert atmete er tief ein, als er es endlich wieder konnte, und schöpfte neue Hoffnung. Im Finden der richtigen Worte war er schon immer ein Meister seines Fachs gewesen. Und auch dieses Mal schien ihm seine lose Zunge mehr zu helfen, als sein spitzer Degen oder seine Muskete, die ohnehin vermutlich unbrauchbar war. Man musste nur wissen, welchen Punkt man bei diesen Menschen zu drücken hatte, um sie das denken zu lassen, was man sie denken lassen wollte.
Der Soldat, der Jack gepackt hatte, hielt inne, ihn Richtung Treppe zu schieben. Der Dolch, den er ihm in den Rücken drückte, wurde auf einmal ziemlich schwer in seiner Hand. Hatte der Pirat wohlmöglich Recht? Dabei hatte Miller ihnen doch zu Beginn dieses Kriegszuges versichert, dass keiner von seinen Soldaten verletzt werden würde. Und nun lagen um ihn herum seine Kameraden in ihrem eigenen Blut, erstochen von einem ruchlosen Freibeuter, der überhaupt nicht hier an Bord sein sollte, während sich der befehlshabende Offizier davon gemacht hatte. Mit einem sehr flauen Gefühl im Magen presste er daher hervor: „Was genau meinst du damit?“
Jack spürte, dass er gewonnen hatte. Seine zur richtigen Zeit platzierten Worte hatten Wurzeln geschlagen. Nun musste er nur noch ein bisschen nachgießen, damit die Pflanze der Zwietracht auch Blüten trieb. „Jemand wie Miller wird sich nicht mit der Karibik zufrieden geben. Meinen Informationen nach gehört er, wenn auch unehrenhaft, zur königlichen Familie. Was liegt daher näher, als nach England zurück zu segeln und das zu fordern, was ihm ursprünglich zusteht?“ Nun ließ der Soldat ihn endgültig los. Sofort nutzte Jack seine neu gewonnene Freiheit, um sich zu ihm umzudrehen und ihm in die Augen zu sehen. Fest fixierte er ihn. „Und was würde das wohl für seine Männer bedeuten?“
Der namenlose Soldat schien zu begreifen. Seine Augen weiteten sich ängstlich und die Klinge fiel scheppernd zu Boden. Einen Krieg mit der Krone konnten sie nicht überstehen, das war sicher! Doch was sollte er nun tun? Würde er den Piraten freilassen oder gar fliehen, würde man ihn hängen, sollte man ihn fangen. Andernfalls war er ab sofort ein Vogelfreier, ein Unehrenhafter wie der, der vor ihm stand und ihn mit seinen dunkel umrandeten Augen abwartend ansah.
„Aber was können wir tun?“ Seine Stimme war so dünn und leise, dass Jack sich anstrengen musste, um ihn zu verstehen. Er warf einen schnellen Blick zu Maccus herüber, der noch immer in Schach gehalten wurde von den anderen. Niemand hatte sich bisher getraut, den furchtlos dreinblickenden Mann in Gewahrsam zu nehmen oder ihn überhaupt anzufassen. Sein Blick machte ihnen nämlich nur allzu deutlich, dass er jedem sofort die Hand abbeißen würde, der sie an ihn legte.
Und trotzdem musste er auch den Haifischmann befreien. Das war er Will schuldig. Würde er ohne hin zurückkehren, würde nicht nur sein Freund ihn auf ewig verfluchen und ihn zum Dank vielleicht sogar doch noch die Schuld an Davy Jones abbezahlen lassen, sondern auch sein Vater würde ihm eine gehörige Kopfnuss verabreichen. Das wollte er wahrlich nicht riskieren. Sein hübsches Gesicht war schon viel zu oft verunstaltet und geschlagen worden. Ganz zu schweigen von seiner Nase, die vermutlich keinen weiteren Bruch gerade wieder zusammen wachsen würde.
Jack hob seinen rechten Zeigefinger. „Euch bleibt nur eine einzige Möglichkeit“, sagte er und sprach dabei so laut, dass auch alle Umstehenden es hören mussten.
Doch er kam nicht mehr dazu, ihnen zu sagen, dass es besser war, gleich eine Meuterei anzuzetteln und Miller umzubringen. Denn in diesem Moment wuchs eine Gestalt vor ihm aus dem Boden und im ersten Moment hoffte er schon, dass es Will war, der gekommen war, um sie zu retten. Doch dann erstarb ihm sein galanter Spruch noch in der Kehle, als die Gestalt vor ihm ihre angefaulten Zähne entblößte und ihn mit dunkelbraunen, fast schwarzen Augen unter einem wirren schwarzen Haarschopf ansah.
„Hallo, Jack“, sagte die Göttin und lächelte.