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Kapitel 41

 

~ Bloody Pirates, Part III


Billy kannte den Mann nicht, der seine Mutter fortgetragen hatte. Doch er sah so dunkel und furchteinflößend aus, dass er sich gar nicht getraut hatte, auf sich aufmerksam zu machen. Er hatte auch erst gar nicht begriffen, was geschah, bis die Zelle plötzlich leer gewesen war. Zurück war nur der seltsame Mann mit dem Kinnbart geblieben, der ein rotes Kopftuch um hatte und den Mann William genannt hatte.

Nun war er einfach an ihm vorbei gelaufen, ohne ihn zu bemerken, und Billy musste weiterhin in der feuchten Dunkelheit sitzen und darauf hoffen, dass seine Mutter bald zurückkam und ihn mitnahm.

Miller hatte den Sohn von Elizabeth und Will ebenfalls nach unten bringen lassen, als sich Gouverneur Spotswood angekündigt hatte. Schließlich hätte er dem Würdenträger schlecht erklären können, wieso er ausgerechnet dieses Kind bei sich aufnahm. So musste es aussehen, als wäre er ein gewöhnlicher Gefangener, vielleicht ein Kind eines Piraten oder einer Hure, das er auf Tortuga festgesetzt hatte. Wenn die Zeit reif war, würde er ihn wieder nach oben holen und Elizabeth mit ihm erpressen, endlich eine Ehe mit ihm einzugehen.

Diesen Plan, sie zu seiner Frau zu machen, hatte er noch immer nicht ganz aufgegeben. Sie an seiner Seite zu haben, würde gewiss einige Vorteile mit sich bringen. Doch das alles rückte in den Hintergrund, als er sah, wie Maria mit einem großen Sprung über die Reling ins Meer eintauchte. Seine Männer waren völlig erschöpft und entkräftet zurück an Bord geklettert, dann hatte er andere mit einem Boot hinter ihr hergeschickt und war schließlich selbst noch dazu gestoßen.

In der Zwischenzeit aber hatte Will es zurück auf sein eigenes Schiff geschafft. Nur mit Mühe und Not konnte er Angelica dazu überreden, sich um Elizabeth zu kümmern, denn die Spanierin hatte ganz andere Sorgen. Sie kämpfte noch mit den Folgen von Jacks absolut entwaffnender Ehrlichkeit.

Irgendwie hatte sie geahnt, dass es soweit kommen musste, und vielleicht hatte sie sogar ein bisschen damit gerechnet. Doch so ganz glauben konnte sie es noch nicht. Vor allem konnte sie nicht begreifen, wieso sie einfach so angefangen hatte zu weinen. Normalerweise war sie nicht so nah am Wasser gebaut. Doch wohlmöglich hatte der Aufenthalt auf der kleinen verdammten Insel seine Spuren bei ihr hinterlassen und sie mürbe gemacht. Sonst hätte sie Jack nach dieser vollkommen inakzeptablen Antwort vermutlich sofort über den Haufen geschossen.

So aber wurden ihre düsteren Gedanken auf ein Minimum zusammen geschrumpft, als der Captain der Flying Dutchman sie nach oben an Deck rief, ihr den beinahe leblos wirkenden Körper einer Frau in die Arme drückte und noch währenddessen Befehle zum Ablegen gab.

Will brüllte gegen den Sturm an und trieb seine Männer zur Eile. Es dauerte auch nicht lange, da setzte die Dutchman wieder Segel Richtung Tortuga. Das Ablenkungsmanöver, was Jack im Sinn hatte, war ein guter Plan. Und jetzt, da er Elizabeth in Sicherheit wusste, konnte er auch wieder klar denken. Einem Selbstmordkommando kam es dennoch ziemlich nahe. Eine andere Möglichkeit sah er aber auch nicht.

Verzweifelt versuchte er etwas im Auge des Sturms zu erkennen, doch der Wind wirbelte die Wassermassen, die vom Himmel kamen, mit denen aus dem Meer zusammen und sorgten dafür, dass man keine Meile geradeaus schauen konnte. Auf gut Glück ließ er alle Kanonen feuerbereit machen und schießen.

Sofort wurden die Schüsse beantwortet, doch auch Millers Männer schossen blind in Gischt und Nebel. Solange sie nicht durch die Linie der Navy-Schiffe brechen konnten, die die kleine Insel noch immer umgab, würden sie keine Chance auf Erfolg haben. Da kam Will plötzlich eine Idee.

Er ließ nach seinem Vater rufen, der auch sogleich neben ihm auftauchte. Sein 1. Maat war genauso nass wie sie alle, doch in seinen dunklen Augen glitzerte es gefährlich. Er schien zu allen Schandtaten bereit zu sein. „Aye, Captain“, sagte er.

„Gehe an Bord der Black Pearl und übernimm dort das Kommando. Sie ist noch nicht gesunken und befindet sich hinter Millers Flaggschiff. Wenn uns Fortuna gnädig gestimmt ist, wird er nicht bemerken, dass wir ihn von zwei Seiten aufs Korn nehmen, bevor es zu spät ist.“ Er musste weiterhin laut schreien, um sich verständlich zu machen, doch Stiefelriemen nickte nur zum Zeichen, dass er verstanden hatte. Dann verschwand er in einer wirbelnden Wolke aus Wasser, die vom Wind davon getragen wurde.

Seine Füße setzten nur wenige Sekunden später wieder auf harten Brettern auf und er sah sich orientierend um. Schnell begriff er, dass er das richtige Schiff erwischt hatte, was unzweifelhaft an den schwarzen Segeln zu erkennen war, und dass es nicht leicht werden würde, die Kanonen zu beladen. Die Hälfte der Mannschaft war verschwunden, vermutlich in den Fluten ertrunken. Die andere Hälfte rannte beinahe kopflos umher, weil niemand so recht wusste, was er nun tun sollte.

Mit kräftiger Stimme, die das Tosen des Windes scheinbar mühelos übertönen konnte, verschaffte er sich ihrer aller Aufmerksamkeit.

„Mein Name ist Stiefelriemen Bill! Ich bin hier auf Geheiß von William Turner, Captain der Flying Dutchman. Und wir werden dieses Schiff nun wieder auf Kurs bringen, Männer!“

Zunächst reagierte niemand, denn niemand schien ihn hier zu kennen oder gar ernst zu nehmen. Doch dann setzte er noch hinzu: „Wenn ihr also euren geliebten Captain Jack wiedersehen wollt, tut ihr nun, was ich euch sage, und rafft die verdammten Segel! Bemannt die Kanonen und ladet sie mit allem, was ihr finden könnte. Sobald das Feuer der Zündhölzer brennt, schießen wir aus allen Rohren und schicken diese verdammten Bastarde von der Navy zurück in die Hölle!“

Damit brachte er Leben in die völlig teilnahmslosen Gesichter zurück. Es war, als hätte er einen Bann mit seinen Worten gebrochen und die verbliebene Mannschaft wuselten auseinander. In weniger als fünf Minuten hörte er den ersten Schuss krachen.

Die Kanonenkugel schlug im Wasser ein, weit genug weg, um irgendwelche Schäden anzurichten. Doch sie verfehlte nur um ein paar Meter die immer noch schwimmende Maria. Ihre Hände waren eiskalt und sie spürte sie kaum noch. Und trotzdem wollte sie auf gar keinen Fall das Horn loslassen.

Immer wieder flehte sie die Göttin an, sie möge sie aus dem Wasser erretten. Doch es geschah nichts. Sie ging zwar auch nicht unter, doch es kam auch niemand, um sie herauszufischen.

Nach einer Weile gab sie das Beten schließlich dran und konzentrierte sich auf das Paddeln. Mit nur einer Hand kam sie nicht schnell genug voran, denn wenn sie einen kurzen Blick über die Schulter warf, erkannte sie schon, dass dieser Miller, denn niemand anderes konnte es in diesem Aufzug sein, in einer Jolle direkt hinter ihr war. Daher umklammerte sie den Olifanten mit der Linken und versuchte mit der Rechten sich vorwärts zu bewegen. Wenn er sie erst eingeholt hatte, war ihr der Tod gewiss.

Doch sie musste zuerst das Horn zerstören! Wie konnte sie das aber, wenn sie sich kaum selbst am Leben erhalten konnte? Sie musste an Land gelangen, um dort einen Weg zu finden, es zu vernichten. Von der rettenden Küste war sie jedoch noch viel zu weint entfernt, denn dummerweise war sie auf der falschen Seite des Schiffes von Bord gegangen.

Eigentlich hatte sie gehofft, die Flying Dutchman erreichen zu können, doch die Linie der Navy-Schiffe war ihr in den Weg geraten. Dort würde sie niemals ungesehen und ungeschoren hindurch kommen. Daher hatte sie einen Bogen schwimmen müssen, der sie viel Zeit gekostet hatte. Nun sah sie jedoch, wie die Black Pearl wieder Fahrt aufnahm, dem Sturm entging und auf die Verteidigungslinie der Navy Kurs nahm, während gleichzeitig auch die Dutchman ihre Kanonen abfeuerte.

Etwas verstört sah Maria sich um. Um sie herum tobte nicht nur ein Hurrikan, der alles und jeden zu verschlingen drohte und für den allein die Menschen verantwortlich waren. Nein, um sie herum tobte nun auch der Krieg.

Das wurde auch Henry Miller klar, als plötzlich neben seinem kleinen Beiboot, was schon ziemlich nahe an die diebische Frau herangekommen war, eine Kugel einschlug. Diese war ihnen so nah gekommen, dass er sich festhalten musste, um von den Wellen, die sie erzeugt hatte, nicht übergeworfen zu werden. Etwas ängstlich sah er sich um, vermied jedoch dabei, einen Blick nach hinten zu seinen Männern zu werfen, die sich richtig in die Riemen legen mussten, um das kleine Gefährt überhaupt vorwärts bewegen zu können. Vielleicht war die Idee, selbst in dieses Boot zu steigen, doch keine so gute gewesen, dachte er.

Andererseits hieß es ja immer, dass man, wenn man etwas richtig erledigt haben wollte, es selbst tun musste. Den Oberbefehl hatte er erst einmal auf Jonathan Cook übertrage, der dem nur widerwillig zugestimmt hatte. Doch schließlich hatte er seinem Offizier gehorchen müssen.

Nun ärgerte Miller sich, dass er nicht zuerst die letzten Piratensegler in seinem Wirkungskreis auf den Grund des Ozeans geschickt hatte. Dies war eine verpasste Gelegenheit, die ihn wohlmöglich teuer zu stehen kommen würde.

Unterdessen war Elizabeth unter Deck wieder erwacht und sah sich einer Frau gegenüber, die sie noch nie zuvor erblickt hatte. Sie wollte schon von ihr abrücken und fliehen, doch Angelica hielt sie fest und beruhigte sie. „Keine Angst“, sagte die Spanierin und strich ihr sanft über die Wange. „Ich bin Angelica. Ihr seid jetzt in Sicherheit.“

„Wo bin ich?“ Diese Frage schob sich sofort nach vorne in ihren Gedanken, doch sie bereute sie gleich wieder, als sie sie ausgesprochen hatte. Viel wichtiger war, wo ihr Sohn war. Doch Angelica war schneller. „An Bord der Flying Dutchman. Der Captain brachte Euch hierher.“

Mit einem Ruck machte Elizabeth sich nun doch los. „Der Captain? Sprecht Ihr von William Turner? Ist er hier?“

Angelica sah die andere Frau ein wenig verunsichert an. Ihr war schon klar gewesen, dass der Captain sie kennen musste. Warum sonst hätte er sie persönlich retten sollen? Doch in welcher Verbindung standen die beiden zueinander? War sie vielleicht eine Spionin des Feindes? Immerhin war sie in ein schickes Kleid gehüllt. Das hatte zwar schon bessere Tage gesehen und auch ihre Frisur hatte sich beinahe in Wohlgefallen aufgelöst, doch die Lady von Stand war noch immer darunter zu erkennen. Skeptisch zog sie daher die Augenbrauen zusammen. „Was wollt Ihr von Captain Turner?“

Nun verlor Elizabeth endgültig ihre Geduld. Die kurze, aber dennoch viel zu lange Zeit in Gefangenschaft hatte ihre Nerven freigelegt und ließen sie gereizter reagieren, als sie es normalerweise getan hätte. Daher verdrängte sie alle Erschöpfungserscheinungen, packte die fremde Frau am Kragen und zog sie zu sich heran. „Mein Name ist Elizabeth Turner. Captain Turner ist mein angetrauter Ehemann und Ihr werdet mich jetzt sofort zu ihm bringen. Haben wir uns verstanden?“

Ungerührt schaute Angelica zurück, zuckte kurz mit den Schultern, dann ließ Elizabeth auch schon wieder los. Die Spanierin merkte, wie die andere zu zittern begann, und sagte sich, dass sie sie wohl mit Leichtigkeit würde überwältigen können, wenn es zum Kampf kommen sollte. Immerhin mussten die Piraten und diejenige, die ihnen halfen, zusammen halten. Und auch, wenn sie nicht so ganz wusste, ob Captain Turner nun ein Mensch, ein Ungeheuer oder ein Freibeuter war, sie standen zweifellos auf derselben Seite.

Alle Schutzmaßnahmen waren jedoch völlig sinnlos, als Angelica sah, wie sich Wills Augen weiteten, als Elizabeth vor ihn trat. Er breitete nur die Arme aus und sie warf sich hinein. Und beide legten alles, was sie an Liebe in diesem Moment nur geben konnten, in diese eine Umarmung hinein, auf die sie sechs lange Jahre hatten warten müssen.

Erst nach einer Weile, in der der Regen unaufhörlich auf sie niedergeprasselt war, lösten sie sich voneinander. „Ich dachte, ich sehe dich vielleicht dort unten sterben“, hauchte Will. Seine Hände lagen um ihr Gesicht, streichelten immer wieder über ihre Wangen, als müsste er sich in jeder Sekunde neu versichern, dass er nicht träumte.

„Und ich dachte, ich sehe dich nie wieder.“ Auch Elizabeth wollte ihn um keinen Preis der Welt wieder loslassen, doch als sie lange genug in seine Augen gesehen hatte, schob sich das Bild von Billy vor das von William. Sofort wurde sie wieder apathisch. „Wo ist Billy?“

Will runzelte die Stirn. „Sprichst du von meinem Vater? Ich habe ihn gerade weggeschickt, um das Kommando über die Pearl zu übernehmen. Er wird uns hoffentlich den Rücken freihalten können.“

Und da erst begriff sie, dass er noch gar nicht wissen konnte, was sie ihm bereits seit dem ersten Tag, da sie von ihrer Schwangerschaft erfahren hatte, hatte sagen wollen. Er hatte nie aus ihrem Munde gehört, wie sie ihm die freudige Botschaft überbrachte, denn er war nicht da gewesen. Sie hatte ganz alleine damit leben müssen. Doch jetzt konnte sie es ihm endlich sagen.

Ihr breiter Mund verzog sich zu einem warmen Lächeln. „Billy ist unser Sohn. Wir zeugten ihn an dem Tag, an dem du mich verlassen musstest.“ Dann verdüsterte sich ihr Blick wieder, als sie hinzufügte: „Und so, wie es aussieht, ist er noch immer in der Gewalt von Henry Miller. Doch ich werde ihn befreien, Will! Und wenn es das Letzte ist, was ich tue.“

© by LilórienSilme 2015

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