top of page

Kapitel 40

 

~ Bloody Pirates, Part II


Elizabeth weinte vor Erleichterung, als sie die Stimme ihres Mannes hörte, und am liebsten wäre sie auch wie ein hilfloses Weib in Ohnmacht gefallen. Doch ihre Sorge um Billy ließ sie sich zusammenreißen. Sie wusste nicht, wo ihr kleiner Junge war, aber er musste noch immer auf diesem Schiff sein. Und wenn sein Vater hier war, musste er ihn befreien.

„Was machst du hier, Elizabeth?“ Will konnte es nicht fassen. Seine Brust zog sich schmerzhaft zusammen, als er sah, wie sich das schwere Eisen in ihre zarte Haut gefressen hatte. Wer auch immer ihr das angetan hatte, würde dafür bezahlen! Zunächst aber musste er sie hier heraus holen. Er wollte schon nach einem entsprechenden Hebel suchen, um die Zellentür herauszuheben, als Jack ihn am Arm packte. „Dafür haben wir keine Zeit“, sagte er und wies mit dem Kopf durch die Luke nach oben, zum Zeichen dafür, dass dort draußen immer noch Krieg tobte.

Doch Will wollte nicht gehen. „Ich kann sie doch nicht einfach hier lassen!“, begehrte er auf. „Sieh nur, was sie mit ihr gemacht haben!“

Innerlich schrie Jack beinahe vor Verzweiflung. Wenn es um Elizabeth ging, schaltete sich meistens Wills Gehirn einfach ab. Das machte ihn rasend! Natürlich konnte er verstehen, dass er sich Sorgen um seine Ehefrau machte, doch so schwach, wie sie augenblicklich war, wäre sie ihnen eher eine Last, denn eine Hilfe gewesen. „Sei doch vernünftig, Will“, versuchte er es deswegen noch mal. Und auch Maccus schaltete sich nun ein. Beruhigend legte er seinem Captain eine schwere Hand auf die Schulter. Seine Haifischaugen blickten plötzlich nicht mehr ganz so kalt und leer.

Maria war erstaunt, wie einfühlsam diese Männer doch sein konnten. Dass Jack es mit Frauen ein bisschen liederlich hielt, hatte sie schon begriffen, als sie die kleine Diskussion zwischen ihm und dieser Angelica mitbekommen hatte. Doch dass Maccus seinem Herrn nun beim Aufstehen half und ihn vorsichtig wegführte, erstaunte sie zutiefst. Bisher hatte sie ihn immer für so unterkühlt wie den Ozean gehalten. Doch offenbar steckte auch in dieser harten Schale ein etwas weicherer Kern.

Nur sehr schwer konnte Will sich davon überzeugen lassen, seine geliebte Ehefrau hier zu lassen. Doch leider musste er den anderen Recht geben. Sie konnten Elizabeth nicht mitnehmen. Doch sobald das Horn zerstört worden war, würde er hierher kommen und sie befreien. Und wenn es das Letzte war, was er tat!

Nur ganz leise hörte er noch, wie Elizabeth den Namen seines Vaters flüsterte, dann wurde er von ihr weggezogen. Sie kletterten eine Ebene weiter nach oben, nur um dort festzustellen, dass auch hier nichts war, wo das Horn hätte aufbewahrt werden können. „Was glaubt ihr, wo Miller es hat?“, fragte Will, der nicht ganz bei der Sache zu sein schien.

„Natürlich in seiner eigenen Kabine“, antwortete Jack daher leicht genervt. „Aber wie kommen wir dahin? Wir können unmöglich von der Luke zum Bug gelangen, ohne dass wir entdeckt werden. Darauf hätten wir früher kommen sollen. Dann hättest du uns gleich woanders hinbringen können.“

Doch sein Versuch, bei Will so etwas wie ein schlechtes Gewissen zu wecken, lief ins Leere. Der Captain der Flying Dutchman war noch immer bei seiner Frau in der Zelle und konnte kaum noch darüber nachdenken, dass sie sich auf einer Mission befanden, den Krieg zu beenden. Daher schaltete sich sein 1. Maat nun ein. „Ich hole das Horn“, sagte er, doch Maria schüttelte den Kopf.

„Nein“, sagte sie, „das ist zu riskant. Wenn sie dich entdecken, werden wir es nicht rechtzeitig erfahren, um vielleicht noch fliegen zu können. Ich komme mit. Sollte es brenzlig werden, lasse ich mich gefangen nehmen und du kannst mit dem Horn fliehen.“

Jack sah sie erstaunt an. Das würde sie für die ruchlosen Piraten tun? Sie würde sich tatsächlich festsetzen lassen, um das alles hier zu verhindern? Wieso nur? Was steckte dahinter? Wenn das hier alles vorbei war, würde er ein erstes Wörtchen mit ihr reden müssen. Doch zuerst mussten sie sich sicher sein, dass das Horn wirklich in der Kapitänskabine war. Also holte er seinen Kompass hervor, in der Hoffnung, er würde ihm dieses Mal den richtigen Weg zeigen. Doch wieder pendelte die Nadel nur einen Moment hin und her, bis sie schließlich auf Maria zeigte und stehen blieb. Er würde sich bei Tia Dalma bedanken, wenn er die Gelegenheit dazu noch bekam, und das blöde Ding der Göttin opfern.

Ein lauter Donnerschlag direkt über ihren Köpfen holte ihn aus seinen Gedanken heraus und er hängte den Kompass wieder zurück an seinen Gürtel. Sie würden es auf gut Glück versuchen müssen. Daher nickte er Maccus nur zu. „Gut, ich bleibe bei Will.“

Und bevor er das nächste Mal geblinzelt hatte, hatte Maccus Maria schon am Arm gepackt und war mit ihr verschwunden. Dieser Trick war äußerst hilfreich, das musste er ja schon zugeben. Was hätte er darum gegeben, in manch einer Situation einfach verschwinden zu können. Auch, wenn das vielleicht nur auf See funktionierte mit genug Wasser unter dem Kiel. Doch das hätte ihm wohlmöglich diese unangenehme Auseinandersetzung mit Angelica erspart. Er spielte schon kurz mit dem Gedanken, sich einfach töten zu lassen, bevor er auf die Dutchman und zu ihr und seinem Vater zurückkehrte. Auf noch so eine Szene hatte er keine besonders große Lust.

Er hatte wahrlich harte Worte zu ihr gesprochen, das wusste er. Doch was hätte er sonst tun sollen? Die Wahrheit wollte keiner hören. Und wenn sie es schon nicht verstand, indem er sie auf einer Insel aussetzte, dann musste er es ihr eben anders klarmachen. Eine ernsthafte Beziehung führen war nun einmal nichts für ihn. Dazu war er nicht in der Lage. Es hätte Angelica nur unglücklich gemacht, das wusste er. Und er schätzte sie viel zu sehr, um ihr das anzutun. Wie hätte das auch ausgehen sollen? Seine wahre Liebe galt dem weiten, offenen Meer. Und irgendwann hätte sie sich ganz sicher nach einer Familie und einem festen Wohnsitz gesehnt. So waren sie eben, die Frauen. Es war sinnlos, gegen seine Instinkte anzukämpfen. Und sein Fluchtinstinkt was Familie und Liebe anging, war viel stärker ausgeprägt, als der, seinen Gefühlen für sie nachzugeben. Er wollte doch nur frei sein!

Will hingegen wollte gerade nichts lieber, als bei seiner Ehefrau zu sein. Er konnte nicht umhin zu bemerken, dass sie sich verändert hatte. Und das lag nicht nur daran, dass man sie in Ketten gelegt hatte. Auch ihr Gesicht war nicht mehr so weich wie früher. Sie war älter geworden. Doch das hatte ihrer Schönheit keinen Abbruch getan. Sie war noch immer dieselbe Frau, die er geheiratet hatte, damals in Calypsos Sturm. Das einzige, was er bereute, war die Tatsache, dass er sie alleine zurück gelassen hatte, ohne ein Kind. Doch wie hätte er auch erwarten können, dass ihr einziges Beisammenliegen am Strand Früchte getragen hätte?

Wie würde ein gemeinsames Kind von ihnen wohl aussehen? Hätte es Elizabeth‘ Augen oder seine? Und würden sie ein Mädchen oder einen Jungen haben?

Er hätte gerne eine Familie mit ihr gegründet, doch Jack hatte ihm diese Entscheidung damals abgenommen, indem er sein Leben gerettet hatte. Und nun gab es kein Zurück mehr. Er war mit seiner Seele an dieses Geisterschiff gebunden und würde erst durch den Tod davon erlöst werden. Es würde ihm und Elizabeth also wohl nie vergönnt sein, ein normales Leben zu führen. Ganz zu schweigen davon, dass er sie weit überleben würde, da er unsterblich war und sie nicht.

Doch darüber wollte er jetzt gar nicht nachdenken. Er wollte sie viel lieber aus ihrem Gefängnis befreien und sie sicher an Land bringen, irgendwo an einen Ort, wo weder die Piraten der Karibik noch dieser unsägliche Henry Miller sie je finden würden.

Zur gleichen Zeit schlichen Maria und Maccus sich durch die Kabine von Henry Miller, der mit Gouverneur Spotswood wieder an Deck gegangen war. Zu ihrer großen Erleichterung war die Kiste mit dem Horn damit unbewacht. Maria musste auch gar nicht lange überlegen. Irgendwie spürte sie gleich, wo sich dieses Höllengerät befand, denn davon schien eine seltsame Energie auszugehen, die sie unweigerlich anzog. Es war ihr, als fühlte sie eine alte, seltsame Macht in sich selbst ruhen, die sie nicht erklären konnte. Sie hatte schon länger vermutet, dass ein Teil der Göttin in ihr selbst wohnte. Doch wie dieser Teil dahin gekommen war und was er dort zu suchen hatten, das wusste sie nicht. Und vor allem war ihr bisher verborgen geblieben, wozu er da war. Jetzt aber begriff sie zumindest einen Teil des Plans.

Atlacamani musste weit voraus gedacht haben, als sie sie damals noch als kleines Baby aus dem Wasser errettet hatte. Denn vermutlich war es nur einem so kleinen Kind möglich, etwas von dem göttlichen Wesen in sich aufzunehmen, wenn denn ein Gott etwas davon abgeben wollte. Ihre Ziehmutter musste gewusst haben, dass sie sie eines fernen Tages brauchen würde in dem Kampf gegen die Menschen. Und jetzt war es vermutlich soweit.

Ehrfürchtig ging sie langsamen Schrittes auf die große Truhe zu, in der Rolands Olifant ruhte. Noch wusste Maria nicht, was genau sich dort drin befand, doch als sie den Deckel vorsichtig nach oben klappte, wusste sie es plötzlich, als hätte man ihr gerade eben in diesem Moment dieses Wissen darüber in den Kopf gepflanzt. Und gleichzeitig wusste sie auch, was es tat, wo es herkam und wie man es zerstören konnte.

Ohne lange zu überlegen packte sie den Olifanten und rannte an Maccus damit vorbei, bevor der überhaupt die Gelegenheit hatte, zu reagieren. Im Vorbeilaufen versuchte er noch sie am Ärmel zu packen, doch sie war schneller. Viel zu schnell für ihn! Seine Seemannsbeine waren dazu gedacht, Stürmen an Deck standzuhalten, jedoch kein Sprintrennen zu laufen. Dass das Schiff immer noch gefährlich hin und her schwankte, weil der Sturm draußen auf See noch lange nicht abgeflaut war, spielte ihm zwar ein wenig in die Hände, doch Maria schien mit einem Mal weit besser auf ihren kleinen Füßen zu stehen, als noch an Bord der Flying Dutchman.

Und so konnte der zweite Maat von Captain William Turner jr. nur untätig zusehen, wie sie in ihrer aller Verderben lief, als sie die Türe zu Captain Millers Kabine aufstieß und in den Regen hinaus rannte.

Zunächst begriff Henry nicht, was geschehen war. Doch dann sah er den Aufruhr, den diese Frau verursachte. Sie schlüpfte zwischen seinen Männern hindurch, wand sich, sodass sie niemand zu fassen bekam, denn es war offensichtlich, dass sie weder hierher gehörte, noch etwas Gutes im Schilde führte. Und als Miller sah, was sie in den Händen hielt, setzte sein Herz für einen Moment aus.

Befehle brüllend rannte er auf sie zu, doch auch dieses Mal war Maria schneller. Mit einem letzten Kraftakt stieß sie sich mit beiden Beinen kräftig vom Deck an und sprang.

Jack hatte gehört, dass etwas auf Deck passiert sein musste, und so war er, Will in seiner Lethargie um Elizabeth zurücklassend, weiter die Treppen nach oben gestiegen. Die Tatsache, dass nun oben ein großer Tumult herrschte, spielte ihm in die Hände, sodass er mehr oder weniger ungesehen, aber hauptsächlich unbeachtet, zur obersten Luke schlüpfen konnte. Dort sah er gerade noch so, wie Maccus völlig desorientiert in der Tür zur Kapitänskabine stand und zur Reling starrte, wo er nur noch einen braunen Haarschopf verschwinden sah, bevor sich mehrere Männer der Navy hinterher warfen.

Gischt spritzte hoch, als sie alle beinahe gleichzeitig im Wasser landeten, und sofort verschluckten die tobenden Wellen sie. Nur Maria nicht. Sie hielt sich mit aller Kraft an dem Gegenstand fest, den sie von Bord gestohlen hatte, denn er allein würde sie davor bewahren, zu ertrinken. Stumm fehlte sie Atlacamani an, ihr beizustehen, sie zu beschützen und davor bewahren, jämmerlich unterzugehen. Und scheinbar erhörte die Göttin sie auch.

Die Männer von Henry Miller waren bald hinter ihr verschwunden, nachdem sie es geschafft hatte, mit ein paar kräftigen Beinschlägen gegen die Strömung anzuschwimmen. Doch der Befehlshaber wollte nicht so schnell aufgeben. Und obwohl das Wetter immer noch sehr ungehalten war, befahl Miller, ein Rettungsboot zu Wasser zu lassen und sie damit zu verfolgen. Sollte sie tatsächlich mit dem Olifanten entkommen, wäre das garantiert schlecht für seine Pläne.

Captain Sparrow hingegen nutzte den immer noch herrschenden Tumult und kletterte zu Will zurück. Dieser war jedoch mittlerweile verschwunden und Jack musste nicht einmal lange nachdenken, wo er wohl abgeblieben sein könnte. Nur wenige Minuten später fand er ihn bei Elizabeth in der Zelle, tropfnass, und hielt sie in den Armen.

Offenbar war sie von den Umständen übermannt worden und in Ohnmacht gefallen. Doch das brachte Jack auf eine Idee. Schnell packte er die Gitter und streckte seinen Kopf in die Zelle hinein. „William!“, rief er seinen alten Freund an. „Du musst sie auf dein Schiff bringen, sonst wird sie hier sterben. Sie sieht nicht gesund aus.“

Will wollte schon wieder verschwinden, als Jack ihn noch einmal am Arm packen konnte. Er berührte ihn so gerade an der Schulter, da das Eisen, was zwischen ihnen stand, einen engeren Kontakt verhinderte. Will sah ihn mit einer Mischung aus Missbilligung und Dankbarkeit an, die Jack nur schon allzu gut bei ihm kannte. Seltsamerweise galt dieser Blick meist nur ihm.

„Bring sie auf die Dutchman und schlage dann Alarm. Wir werden eine Ablenkung nötig haben, wenn wir Maria lebend wiederhaben wollen“, sagte Jack daher schnell, dann ließ er ihn los. Will nickte nur kurz, dann war er verschwunden. Zurück blieb nur eine weitere feuchte Stelle auf den Planken, die dank des Regens und des Sturms ohnehin schon vollkommen nass waren.

Schnell wandte Jack sich wieder ab. Er wusste zwar noch nicht so ganz, was er nun tun würde, doch irgendetwas musste er tun. Vielleicht konnte er damit anfangen, nach Maccus zu suchen und mit ihm zusammen einen Aufstand anzetteln. Wenn Maria tatsächlich entkommen war und das Horn bei sich hatte, dann musste er Miller mit allen Mitteln davon abhalten, ihr hinterher zu setzen. Zumindest wollte er ihr so viel Zeit beschaffen, wie sie benötigte, um den Olifanten zu zerstören, sofern ihr dies überhaupt gelang.

Daher stolperte er zurück an Deck, zog seinen Degen und machte sich daran, Millers Männern in den Rücken zu fallen. Dabei entging ihm der kleine Junge, der sehnsüchtig zu ihm nach oben blickte und ebenfalls auf Rettung gehofft hatte, nachdem man seine Mutter weggebracht hatte.

© by LilórienSilme 2015

  • facebook-square
  • Instagram schwarzes Quadrat
  • Twitter schwarzes Quadrat
bottom of page