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Kapitel 4

~ Der Ring geht gen Süden

 

„Unmöglich!“, schallte die Stimme von Elrond durch die große Bibliothek. Sie hallte von den mit Büchern verstellen Wänden wieder und schlug mir erneut entgegen. Ich hatte geahnt, dass es schwer werden würde, meinen Schwager von meinem Vorhaben zu überzeugen. Aber dass es so schwer werden würde, hatte ich nicht gedacht.

 

Gandalf sah sich das Spiel von einem großen Sessel aus an. Er lächelte über uns. Was hatte der alte Mann vor? Er rauchte seine Pfeife und sah mich an. Er blickte mir in die Seele und erkannte meine Absichten vielleicht besser als ich sie kannte.

 

Etwas regte sich in mir und ich erhob das erste Mal in meinem Leben Zweifel gegen mein Schicksal. War ich wirklich dazu bestimmt, das zu tun, was man mir aufgetragen hatte oder war das alles nur ein schreckliches Missverständnis? Ich hatte plötzlich Angst zu versagen. Was wäre, wenn Sauron den Ring zurück bekäme? Dann wäre alles verloren und meine Existenz wäre nur eine Laune der Natur gewesen.

 

„Lilórien“, sagte Gandalf sanft zu mir und holte mich aus meinen negativen Gedanken. Das war nicht das erste und auch nicht das letzte Mal, dass ich ihm dankbar war. „Ich glaube, du kennst deinen Weg. Warum bist du so zweifelhaft?“ Der alte Mann sah mir in die Augen. Die Weisheit vieler Leben lag in ihnen verborgen und ich fühlte mich plötzlich viel zu jung, obwohl mein Leben das vieler Elben schon überragte in Jahren. Doch im Vergleich zu dem Zauberer war das nur ein Bruchteil seines Lebens. Konnte ich meine Eltern denn wirklich stolz machen?

 

Ich drehte mich zum Fenster um, weil ich seinen Blick nicht mehr ertragen konnte. Der leichte Stoff, den ich trug, spielte im Wind. Plötzlich fröstelnd schlang ich meine Arme um mich. „Ja, ich zweifele. Aber habe ich nicht allen Grund dazu? Wenn meine Mission schon an einem sturköpfigen Elben scheitert, was gibt es dann noch für eine Hoffnung?“ Elrond brauste auf.

 

„Sturköpfig?!“, donnerte er mir entgegen. „Diese Mission ist von größter Wichtigkeit! Und wenn ich Euch mitgehen ließe, dann…“

 

Doch Gandalf unterbrach ihn. „Dann wäre der Zusammenhalt der Gemeinschaft gesichert. Könnt Ihr nicht sehen, Herr Elrond, dass es ihr Schicksal ist? Sie wurde geboren, um es zu erfüllen. Wollt Ihr Euch Eru in den Weg stellen, der nur das Beste für seine Kinder wollte?“

 

Die Worte zeigten Wirkung. Elronds Gesicht wurde weich. Seine Augen wurden glasig und ich konnte sehen, was er nun sah: Er sah sich mit seiner geliebten Frau, meiner Schwester, hier in Imladris unter den Bäumen wandern. Sie trug Arwen unter dem Herzen und beide spürte zu dieser Zeit schon, welches Schicksal ihre Tochter ereilen würde. Elrond begriff, dass es unausweichlich war.

 

~*~*~*~

 

Als der Tag der Abreise kam, herrschte eine gedrückte Stimmung im ganzen Tal. Jeder wusste, wenn die Gemeinschaft scheitern würde, wäre alles verloren, wofür man all die Jahre gekämpft hatte. Was würde dann werden aus dem Leben hier in Mittelerde? Keiner wusste es genau.

 

Die Gefährten hatten sich am Eingang zur Elbenfestung versammelt und auch all das andere schöne Volk war gekommen, um sie zu verabschieden.

 

„Der Ringträger macht sich nun auf die Suche nach dem Schicksalsberg“, sagte Elrond zu ihnen und sein Gesicht war von Trauer erfüllt. „Euch, die Ihr mit Ihm geht, wird kein Eid und keine Verpflichtung auferlegt, weiter zu gehen als Ihr wollt.“ Sein Blick glitt über die Neun, die ihm alle in die Augen sahen. Doch es war noch ein Zehnter unter ihnen, dessen Antlitz von einer Kutte verdeckt war. „Lebt wohl. Haltet fest an Eurem Ziel. Möge der Segen der Elben und Menschen und aller freien Völker Euch begleiten.“

 

Elrond machte eine ausladende Handbewegung zum Zeichen, dass sie alle seinen Segen hatte. Aragorn und Legolas senkten dankbar das Haupt und legten eine Hand auf ihr Herz, ebenso der Unbekannte, und Gandalf sagte: „Die Gemeinschaft wartet auf den Ringträger.“ Nun richteten sich alle Augen auf Frodo, der unsicher um sich sah. Er hatte Angst zu versagen, das spürte ich. Aber jeder hier wusste das Selbe.

 

Zögernd drehte der Halbling sich um und ging durch deine Gefährten hindurch. Sein Blick blieb an dem Fremden hängen und einen kurzen Augenblick glaubte er, das schöne Gesicht einer Elbe zu sehen. Dann schritt er zum Tor. „Mordor, Gandalf“, flüsterte er dem Zauberer zu, der hinter ihm ging, „liegt das rechts oder links?“

 

„Links“, erwiderte der alte Mann und legte ihm ermutigend seine Hand auf die Schulter. Also wählte Frodo den linken Weg.

 

Die Gemeinschaft machte sich auf den Weg. Nur Aragorn blickte ein letztes Mal zurück zu Arwen. In ihrem Blick lag Trauer und die Bitte, dass er doch hier bei ihr bleiben möge. Doch er war entschlossen. Der Fremde berührte ihn am Arm und beide schritten hinter der Gemeinschaft zum Tor hinaus. Ein letztes Mal für lange Zeit schritten sie über die Brücke, die nach Imladris führte und ein letztes Mal blickten sie zurück. Doch dann trugen ihre Füße sie hinaus in die Welt, ihrem Schicksal entgegen.

 

~*~*~*~

 

Meine Füße wurden von der braunen Kutte umspielt und mein Gesicht lag tief unter ihrer Kapuze verborgen. Hatte ich das Richtige getan, fragte ich mich, als wir über einen Hügel an einer alten Festung der Menschen vorübergingen. War meine Entscheidung, mich als der Waldläufer Thurin auszugeben und sie alle zu begleiten, kein Fehler? Was wäre, wenn man mich entdecken würde?

 

Unsicher folgte ich der Gemeinschaft zum Schluss. Ich achtete sorgsam darauf, nicht zu stolpern und mich somit zu verraten. Wenn meine Haare hervorschauen würden, wäre alles umsonst gewesen. Doch nach einiger Zeit wurden meine Schritte sicherer und ich dachte schon bald nicht mehr daran, dass etwas schief gehen könnte. Ich war nun voller Zuversicht.

 

Gegen Mittag machten wir die erste Rast. Gandalf und ich hatten uns auf einen Felsen gesetzt. Sam kochte das Essen für uns, doch ich bekam nicht hinunter. Boromir übte mit den Hobbits Merry und Pippin den Schwertkampf. Legolas’ wachsame Augen suchten die Umgebung nach Gefahr ab.

 

„Vierzig Tage lag müssen wir dem Pfad westlich des Nebelgebirges folgen“, sagte Gandalf zu mir, wie als ob er meine Meinung höre wollte zu dem Weg, den er sich für uns ausgesucht hatte. Doch ich kannte den alten Mann zu gut und wusste, dass er selten mit sich reden ließ. „Wenn uns das Glück holt ist, wird die Pforte von Rohan noch offen für uns sein. Von dort biegen wir in östlicher Richtung nach Mordor ab.“

 

„Und wenn sie nicht mehr offen für uns ist?“, wagte ich zu fragen.

 

Gandalf ließ sich nicht beirren und kaute weiter auf seiner Pfeife herum. „Dann werden wir eben einen anderen Weg finden müssen.“

 

Ich vernahm das Klingen von Metall auf Metall. Boromirs Stimme rief den Hobbits Anweisungen zu, wie sie am besten seine Attacken parieren konnten. Und es schien ganz gut zu laufen, denn ich vernahm Worte wie „Gut“ oder „Gar nicht schlecht“. Würden sie weiter diesem Unterricht folgen, würden sie sich bald selbst verteidigen können.

 

Doch Gimli hatte andere Sorgen. „Würde mich jemand nach meiner Meinung fragen, was natürlich keiner tut wie ich weiß, dann würde ich vorschlagen, dass wir einen Umweg machen.“ Der Blick des Zwerges bohrte sich in den des Zauberers. Gandalf hörte auf, auf seiner Pfeife zu kauen. „Gandalf, wir könnten durch die Mienen Morias gehen. Mein Vetter Balin würde uns einen königlichen Empfang bereiten.“

 

Die Miene des Zauberers versteifte sich. Ich ahnte, was in ihm vorging. Mir selbst lief jedes Mal ein Schauer über den Rücken, wenn ich daran dachte. „Nein, Gimli“, sagte er. „Den Weg durch Moria würde ich nur einschlagen, wenn ich keine andere Wahl hätte.“

 

Ich spürte plötzlich ein Unbehagen. Widerwillig schloss ich meine Augen und sah die ganze Umgebung augenblicklich von oben. Ich brauchte eine Weile, bis ich begriff, dass es die Augen eines Vogels waren, durch die ich gerade blickte. Noch nie war mir so etwas widerfahren. Varda selbst musste mir geholfen haben.

 

Als ich die Augen wieder öffnete, sah ich Legolas, der an uns vorbeilief. Er stellte sich auf einen höheren Felsen und blickte in den Himmel. Wieder schloss ich die Augen und sah Legolas weit vor mir stehen, ganz klein. Irgendwer musste unser Lager entdeckt haben, aber mir wollte nicht in den Kopf, wer das hätte sein können. Ich war verwirrt und unruhig.

 

Jetzt blickte auch Gandalf in die Richtung, in die Legolas blickte. Ich hörte wieder das Klirren von Metall und einen Schmerzensschrei. Ich nahm aus dem Augenwinkel war, wie sich die Hobbits mit Boromir und Aragorn auf dem Boden wälzten.

 

„Was ist das denn?“, fragte Sam, der es offenbar auch entdeckt hatte.

 

„Gar nichts“, wehrte Gimli ab. Mit seinen Zwergenaugen, die nur für die Dunkelheit in den Höhlen tief unten in der Erde gemacht waren, konnte er auch nicht sehen, was es war. „Wohl nur ein Wolkenfetzen.“

 

„Der sich aber schnell bewegt“, sagte Boromir. Sie hatten aufgehört, sich zu balgen, denn auch sie nahmen wohl das ungute Gefühl, unter Beobachtung zu stehen, war. „Und gegen den Wind.“

 

Plötzlich ging mir ein Licht auf. Die Erkenntnis schwabbte über mich und trat durch Legolas’ Mund an die Ohren aller: „Crebain aus Dunland!“, rief er und ich begriff, dass wir entdeckt worden waren.

 

Trotz dieser Erkenntnis rief jemand: „Versteckt euch!“ Sie liefen alle durcheinander, warfen ihre Sachen in Deckung, löschten das Feuer und sprangen hinter ihren Sachen hinterher. Nur ich blieb wie angewurzelt sitzen. War unsere Reise etwa schon vorbei? War das das Ende unserer Mission?

 

Ich kippte nach hinten und meine Kutte begrub mich. Das war mein Glück, denn sie bestand aus Elbenseide, die seinen Träger vor unliebsamen Augen schützen konnte. So war ich für die Krähen nicht mehr als ein kleiner Hügel, den sie nicht beachten würde. Doch die Anderen stachen mit ihren Sachen unter dem spärlichen Blattwerk hervor und sie hatten uns sowieso schon entdeckt.

 

Schreiend zogen die Vögel über uns hinweg. Da ich hinunter gefallen war, wusste ich nicht mehr, wo oben und wo unten war. Meine Sinne spielten verrückt. Meine Ohren dröhnten von dem Gekreische der Vögel und es war mir, als sähe ich das grinsende Gesicht Sarumans des Weißen vor mir, wie er uns entdeckt hatte. Ich verlor den Halt in dieser Welt und glitt in eine andere hinüber.

 

Als ich die Augen aufschlug, sah ich Varda vor mir. Sie trug ihren Sternenmantel und den Halbmond auf ihrem Kopf wie eine Krone. Sorge lag in ihrem Blick als sie mich ansah. Ehrfürchtig nahm ich meine Kapuze ab und verneigte mich vor ihr.

 

„Lilórien, mein Silme [1]“, sagte sie und ich war froh, wieder ihre volle Stimme hören zu können. „Was bedrückt dich, dass du mich rufst?“

 

„Ich habe Euch gerufen?“, fragte ich verwirrt und blickte meine Ziehmutter fragend an. War ich so verzweifelt gewesen, dass ich sie unbewusst gerufen hatte? Wovor hatte ich Angst?

 

„Komm zu mir, mein Kind“, sagte sie und streckte die Arme nach mir aus. Doch als ich sie berühren wollte, kam ich wieder zu mir. Ich hörte Gandalfs Stimme sagen: „Das sind Späher Sarumans. Sie kundschaften den Weg im Süden aus.“

 

Trotz meiner Benommenheit ahnte ich plötzlich schreckliches. Warum war Varda mir erschienen? Was wollte sie mir sagen? Oder was wollte sie mir geben? Ich verstand das alles nicht. Doch Angst breitete sich in meiner Brust aus, als ich den Zauberer sagen hörte: „Wir müssen über den Pass des Caradhras gehen!“

 

 

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[1] Silme=Sternenschein („Lilórien, mein Sternenschein.“)

© by LilórienSilme 2015

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