LilórienSilme
~ Fanfiction-Autorin ~
Kapitel 4
~ Unterredungen bei Mondlicht
Die Aussprache erfolgte später am Abend. Gandalf, Elrond und Thorin hatten sich wieder in der Bibliothek versammelt, um miteinander zu sprechen. Begleitet wurde der Zwerg dieses Mal von zwei seiner Gefährten. Der eine war ebenfalls ein Zwerg, etwas kleiner, dafür aber mit einem langen grauen, fast weißen Bart, der ihm über die Brust wallte und am Ende ein wenig abstand. Und der andere war der Hobbit.
Das kleine Geschöpf wirkte seltsam fehl am Platz, hatte aber aufgeweckte dunkle Augen und lockiges Haar. Als ich den Raum betrat, um an der Unterredung teilzunehmen, wirkte er beinahe erschrocken, als er mich sah. Mit weit aufgerissenen Augen blickte er mich an, während ich auf ihn zutrat und schließlich vor ihm stehen blieb.
„Mae govannen, Herr Hobbit“, sagte ich und lächelte ihn an.
Es dauerte einen Augenblick, dann blinzelte er verdutzt und räusperte sich verlegen. Ich erkannte einen Hauch von Rosa auf seinen Wangen, als er sich verbeugte und sagte: „Bilbo Beutlin, zu Euren Diensten, Herrin.“
Ich reichte ihm meine rechte Hand herunter. „Lilórien, Tochter der Herrin Galadriel und des Herrn Celeborn von Caras Galadhon.“ Er ergriff sie und schüttelte sie kurz, dann ließ er mich wieder los, und ich glaubte, so etwas wie Ehrfurcht in seinem jungenhaften Gesicht zu sehen.
Der zweite Zwerg stellte sich mir als Balin Fundinsohn vor. Wir beobachteten uns beide misstrauisch, wobei meine Abneigung eher daraus resultierte, dass er und Thorin mich so seltsam von unten herauf ansahen. Ich fühlte mich nicht wohl hier und war mir sicher, dass meine Anwesenheit auch nicht von allen erwünscht war. Daher wandte ich mich an meinen Schwager und sagte: „Ú-pedithost gwa-gi ae im sî. Gwaithon.[1]“ Dann neigte ich den Kopf und verabschiedete mich von allen, bevor ich den Raum wieder verließ.
Durch die geschlossene Türe hörte ich noch, wie sich Balin darüber empörte, wie unhöflich die Elben doch wären, aber ich ließ es an mir abperlen. Ich konnte ohnehin nichts an der verbohrten Meinung ändern, die man sich über mich gebildet hatte. Und ich hatte auch kein sonderlich großes Interesse daran. Vermutlich würde ich die Zwerge ohnehin nie mehr wiedersehen.
Um meine Gedanken wieder etwas zur Ruhe zu bringen suchte ich meine Mutter auf. Sie hatte das höchst gelegenste Zimmer in Bruchtal erhalten und konnte sich so von den anderen hier ein wenig distanzieren. So war es auch kein Wunder, dass Gandalf ihre Anwesenheit bisher noch nicht bemerkt hatte, obwohl er eigentlich hätte wissen müssen, dass sie hier war. Was hätte ich schon alleine hier gesollt? Andererseits nahm ich an, dass er noch nichts davon wusste, dass Saruman den Rat einberufen hatte.
Zaghaft klopfte ich an die Zimmertüre meiner Mutter und wartete darauf, dass sie mich herein rief. Als ihre Stimme ertönte, trat ich ein. Ich fand sie im Durchgang zum Balkon stehen, die Arme nackt in der kühlen Abendluft, und das Sternenlicht verfing sich in ihrem goldenen Haar.
Sie drehte sich nicht zu mir um, doch ich wusste, dass sie wusste, dass ich es war, die eingetreten war. Also stellte ich mich neben sie und wartete, bis sie etwas sagen würde.
Eine geraume Zeit standen wir so zusammen und lauschten den seltsamen Geräuschen, die die Zwerge im Tal verursachten.
„Sie haben sich schnell hier zurecht gefunden“, bemerkte die Herrin von Lórien. Ein leises Lächeln lag auf ihren Zügen. Es schien sie zu amüsieren, wie sie sich hier benahmen. Vermutlich konnte sie sich sehr gut vorstellen, wie manche der Bewohner Bruchtals darauf reagierten, dass die Söhne Durins hier weilten.
Auch mir war der Blick Lindirs nicht verborgen geblieben. Es widerte ihn geradezu an, sich mit diesen dreckigen Vertretern des Zwergenvolkes abgegeben zu müssen. Wenn er mehr Mut besessen hätte, hätte er seinem Herrn garantiert unmissverständlich klargemacht, was er von diesen Gästen hielt, und sie wieder vor die Tür gesetzt. Doch sein Respekt Elrond gegenüber verbat es ihm, dessen Entscheidungen in Frage zu stellen.
Ich stimmte meiner Mutter zu, als besonders lautes Lachen zu uns herauf schallte. „Doch sie werden nicht lange bleiben“, sagte ich einer plötzlichen Eingebung folgend. „Es drängt sie gen Osten zum Berg hin und Thorin Eichenschild ist nicht gern hier.“
„Sein Herz wurde zutiefst verletzt, als die Waldelben den Ereborzwergen damals ihre Hilfe verweigerten im Krieg gegen den Drachen Smaug.“ Meine Mutter seufzte. „Thranduil wollte Seinesgleichen nicht der Gefahr aussetzen, verbrannt zu werden. Nicht nachdem, was mit seiner Frau geschah.“
Ich zog fragend die Augenbrauen zusammen. „Was geschah denn mit ihr?“ Ich wusste, dass sie bereits vor geraumer Zeit gestorben war, doch die genauen Umstände hatte ich nie erfahren, da ich zu diesem Zeitpunkt noch in Valinor geweilt hatte.
„Das, Silmë-nîn, ist eine grausame Geschichte, die mit einer tiefen Feindschaft geendet hat.“ Sie sah hinunter ins Tal. Dabei wurde ich das Gefühl nicht los, dass sie nach jemand Bestimmtem suchte.
„Im Ersten Zeitalter“, sagte sie schließlich, als ich weiter stumm blieb, und Bilder tauchten vor meinem inneren Auge auf, „war Gundabad die Hauptstadt der Zwerge. Doch im Zweiten Zeitalter fielen die Orks das erste Mal in das Nebelgebirge ein und eroberten den großen Berg. Der Norden wurde zu einem hart umkämpften Gebiet, das weder die Söhne Durins noch die Wesen der Dunkelheit leichtfertig aufgeben wollten, die die Nähe zum alten Königreich Angmar nutzen wollten. Die Bedrohung wurde schließlich immer größer, sodass die Waldelben, die im Großen Gründwald lebten, nicht mehr ignorieren konnten, was jenseits ihrer Grenzen geschah.
Thranduil, der schon seinen Vater in der Schlacht auf der Dagorlad verloren hatte und nun selber König der Waldelben war, schickte Truppen aus, um die Zwerge im Kampf gegen die Bestien aus Angmar zu unterstützen. Auch er selbst und seine junge Gemahlin, die ihm gerade erst einen Sohn geboren hatte, waren unter den Kriegern.
Zunächst sah es so aus, als würden sie tatsächlich den Sieg davontragen. Doch als die Schlacht fast geschlagen war, tauchten die Feuerdrachen auf, Nachfahren derer, die in den Jahren der Bäume gegen die Elben gekämpft hatten und denen noch im Gedächtnis geblieben war, was unser Volk ihnen angetan hatte. Mit ihrem Feueratem spalteten die Reihen ihrer Feinde.
Thranduils Frau entkam den Flammen nicht mehr und wurde von ihnen eingeschlossen. Der König eilte seiner Geliebten zur Hilfe, doch er konnte sie nicht mehr retten. Ihr versengter Körper lag leblos in seinen Armen, nur die Kette, die er ihr zur Hochzeit geschenkt hatte, glitzerte noch an ihrem Hals. Das Metall mit den Steinen aus Sternenlicht hatte sich in ihre Haut gefressen und ihr die Luft zum Atmen genommen.
Er ertrug diesen Anblick nicht und riss ihr das Schmuckstück herunter. Achtlos weggeworfen fand es einer der Zwergenschmiede und nahm es mit zum Erebor, wo er es wieder aufbereitete und König Thrór zeigte. Der erkannte die Kette, die er vor vielen Jahren im Auftrag des Elbenkönigs gefertigt hatte, und lud Thranduil in seine Hallen ein.
Doch die Drachenkrankheit hatte Thrór bereits infiltriert. Und so enthielt er Thranduil die Kette vor, entfachte so den Zorn des Königs des Waldland-Reiches und dessen Herz wurde zu Stein, bis nicht einmal sein Sohn mehr zu ihm durchdringen konnte. Seitdem hasst er die Zwerge beinahe so sehr wie die Brut von Morgoth selbst.“
Als sie geendet hatte, herrschte eine drückende Stille zwischen uns. Ich fühlte mich schlecht, weil ich nichts über das Schicksal meiner Verwandten aus dem nördlichen Grünwald gewusst hatte, denn immerhin war Thranduils Frau eine Angehörige aus der Sippe meines Vaters, seine Nichte, wenn ich mich nicht irrte. Und somit gehörten sie, wenn auch entfernt, zu meiner Familie.
Ich hatte König Thranduil noch nie persönlich kennengelernt. Seit ich wieder in Mittelerde weilte, hatte ich Lórien kaum verlassen, da es meiner Mutter zu gefährlich erschien, dass ich mich außerhalb der Grenzen unseres Landes aufhielt. Die Schatten schienen immer länger und bedrohlicher zu werden und die Schreie, die aus dem Nebelgebirge kamen, wurden immer lauter. Die einstige Zwergenbinge war von Orks überrannt und seitdem nicht mehr freigegeben worden.
Dabei konnte ich mir nur schwerlich vorstellen, wie es sein musste, dort oben im Norden am Einsamen Berg zu wohnen, mit einer zerstörten Menschenstadt direkt auf der Türschwelle. Ganz zu schweigen von einer gewaltigen Feuerechse, dessen Vorfahren einem das Liebste genommen hatte, was man besessen hatte.
Mitleid regte sich in mir für den Elbenkönig und ich fragte mich, wie es für seinen Sohn wohl sein musste, unter so einem Vater zu leben. Waren sie liebevoll zueinander? Oder herrschte zwischen ihnen eine Distanz, die der Verlust von Calanar, Thranduils Frau, gerissen hatte?
„Das klingt in der Tat grausam und barbarisch“, sagte ich schließlich und schlang dabei fröstelnd meine Arme um mich.
Meine Mutter sah mich nun zum ersten Mal direkt an. „Das war es auch. Und ich bin froh, dass du diese Zeit nicht miterleben musstest.“ Sie breitete ihre Arme aus und ich kam zu ihr, um mich hineinzuflüchten. Ich wusste, dass es ihr Angst machte, dass die Valar mich scheinbar für etwas auserwählt hatten, was mich unweigerlich in Gefahr bringen würde. Sie hatte schon ihre ältere Tochter verloren, da wollte sie nicht auch noch ihre jüngere opfern müssen.
Als sie mich losließ, wirkte sie jedoch gefasst, obwohl ich ihre Zweifel deutlich gespürt hatte. Sie wollte stark sein für mich und mir den Halt geben, den ich brauchte, um meinem Schicksal entgegen zu treten, auch wenn ich noch nicht wusste, wohin es mich führen würde. Aber einer Sache konnte ich mir immer gewiss sein: der Liebe meiner Eltern.
Wir setzten uns schließlich hinein, da die Nacht noch kühler zu werden schien. Der Mond war groß und hell aufgegangen und beleuchtete die Bäume im Tal mit seinem Silber. Meine Mutter nahm eine Strähne meines Haares zwischen ihre Finger und drehte es hin und her, sodass es zu glitzern schien. Sie zog nachdenklich die Augenbrauen zusammen. „Wieso sieht es aus, als hättest du bereits viele Zeitalter erlebt? Der Anblick befremdet mich noch immer.“
Meine Wangen fühlten sich leicht warm an, was vermutlich bedeutete, dass ich errötet war. Diese Frage hatte ich Varda auch bereits des Öfteren gestellt, als ich noch in Valinor bei ihnen gewesen war. Sie hatte mir erklärt, dass der Alte Westen eine derartige Wirkung auf mich hatte. Die Weisheit, die ich bei ihnen erlangt hatte, hatte dafür gesorgt, dass mein Haar vor seiner Zeit gealtert war. Doch es war nicht das weiße Haar greiser Wesen, sondern das Silber, das auch mein Vater Celeborn trug und ihn als einen der Sindar-Elben kennzeichnete.
Meine innige Liebe zu der kleinen Blume Alfirin schließlich, die weiß und blassblau in Valinor blüht, bescherte mir die bläulichen Strähnen, die mein Haar durchziehen. Yavanna schenkte sie mir als Erinnerung an ihre Gärten, weil ich so gern dort meine Zeit verbracht und den Blumen beim Wachsen zugesehen hatte. Sie hatte sie einzig für mich dort entstehen lassen, da mich solches Heimweh in den ersten Jahren geplagt hatte, denn eigentlich blüht diese Blume nur in Mittelerde. Doch so erinnerte sie mich an zu Hause und Yavannas Geschenk schließlich trug Sorge dafür, dass ich immer etwas von ihnen bei mir tragen kann.
„In Zeiten der Dunkelheit ist es wichtig“, fuhr meine Mutter fort, „ein Licht zu haben, das einem dem Weg weist. Du bist mein Licht, Silmë-nîn. Vergiss das niemals.“ Sie beugte sich über den Tisch, an den wir uns gesetzt hatten, und hauchte einen Kuss auf meinen Scheitel. Zärtlich strich sie mir über das Haupt, dann verabschiedeten wir uns.
Nur langsam ging ich zu meinen eigenen Gemächern zurück. Es fiel mir immer schwer, mich von meiner Mutter zu trennen, auch wenn es nur für kurze Zeit war. Die Angst, sie zu verlieren oder nicht mehr zu ihr zurückkehren zu können, war tief in mir verwurzelt. Auch das war ein Grund, wieso ich mich noch immer wie ein junges Kind fühlte. Zwar hatte ich schon viel gesehen und erlebt, doch ich kam mir sehr unbedarft in allem vor. Ich hatte noch viel zu lernen und ich konnte nur hoffen, dass ich es schaffen würde, bis mein Schicksal mich einholen würde.
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[1] Sie werden nicht mit euch sprechen, solange ich hier bin. Ich werde gehen.