LilórienSilme
~ Fanfiction-Autorin ~
Kapitel 39
~ Bloody Pirates, Part I
Für Will war es kein Problem, an Bord von Henry Millers Schiff zu gelangen. Während er seine Kräfte als Herr der Meere einsetzte, packte er Jack und Maria fest am Arm, damit sie ihm zwischendurch nicht verloren gingen. Maccus würde es alleine schaffen, denn immerhin war er Teil der Crew und somit Teil des Schiffs. Er war auch der einzige, der trocken war, als sie am Ziel waren. Die anderen drei trieften vor Nässe.
Jack schüttelte sich angeekelt, als er wieder festen Boden unter den Füßen hatte, und spuckte einen Schwall Wasser aus. „Das war...“
Doch, bevor er weiter sprechen konnte, hob Maria abwehrend die Hand, um ihn zum Schweigen zu bringen. Mit der anderen führte sie langsam ihren Zeigefinger an die Lippen, um ihre Geste noch mehr zu unterstreichen. Und kaum waren sie alle still, hörten sie auch schon Schritte auf den Planken über ihnen.
Will hatte sie ganz nach unten in den Frachtraum gebracht, weil die Chancen, dass sie dort entdeckt wurden, relativ gering waren. Doch natürlich war es nicht vollkommen ausgeschlossen, dass sich ein Mannschaftsmitglied hierher begab. Immerhin lagerte hier unten die Munition, die sie für den Krieg, der draußen noch immer wild tobte, benötigten. Doch die Schritte verhallten bald wieder in der Ferne und Maccus tauchte plötzlich aus der Dunkelheit vor ihnen auf.
Marias Herz setzte für einen kurzen Moment aus, weil sie fürchtete, schon jetzt entdeckt worden zu sein. Doch dann beruhigte sie sich wieder. Zum Glück konnte sie sich in der neuen, bequemeren und weitaus praktischeren Männerkleidung leiser bewegen. Das Rascheln ihres weiten Rockes hätte man vermutlich bis ans Oberdeck gehört, wenn sie damit versucht hätte, zu schleichen. So jedoch setzte sie behutsam einen Schritt nach dem anderen und nur das leise Ächzen der Planken unter ihren hohen Lederstiefeln verriet, dass sich alle hinter ihr vorwärts bewegten.
Wieso ausgerechnet die Frau die Führung übernehmen musste, war Jack schleierhaft. Doch er ließ sie machen. Wenn der richtige Moment kam, würde er sich nach vorne schieben können. Er zog es allgemein in letzter Zeit vor, erst einmal aus dem Hintergrund zu agieren, um dann den günstigsten Augenblick abzuwarten, seine eigenen Ideen als die der anderen zu verkaufen. Bisher war er damit immer sehr weit gekommen. Diese Frau allerdings schien ihn zu durchschauen.
Nicht, dass sie ihn bloßgestellt hätte. Doch irgendetwas an ihrem Blick sagte ihm, dass sie genau wusste, was in seinem hellen Köpfchen vorging. Und das behagte ihm gar nicht. Schlimm genug, dass Angelica schon viel zu gut wusste, wie er selbst tickte. Fehlte nur noch, dass einer der beiden Frauen plötzlich eine wilde Passion für ihn entwickelte.
Er zögerte in Gedanken kurz. Das hatte Angelica ja bereits getan. Und eigentlich hatte er gehofft, die in ihm aufkeimenden Regungen damit unterbinden zu können, dass er sie auf dieser Insel verdursten ließ. Doch wie immer hatte die Spanierin andere Pläne mit ihm gehabt. Verfluchtes Weibsbild nannte er sie gedanklich kurz und verfluchte sich selbst gleich mit dazu, weil er ihrem Charme bisher so erlegen war. Denn er konnte es sich nicht anders erklären, als dass sein dümmliches Herz wohl doch irgendwie gehofft hatte, sie lebend wieder zu sehen, als sie plötzlich vor ihm stand, dass er sie nicht auf der Stelle über den Haufen geschossen hatte. Das und die Tatsache, dass sein Schießpulver bei Wills Rettungsaktion vermutlich ohnehin unbrauchbar geworden war.
Will hatte sich hinter Maria eingereiht. Hinter ihm ging Jack, und um Jack im Augen zu gehalten, hatte sich Maccus ganz ans Ende dieses seltsamen Zuges gesetzt. Keiner hatte allzu große Lust darauf, entdeckt zu werden, weil Captain Jack Sparrow wieder einmal Unsinn anstellte.
Als sie schließlich zur ersten Treppe nach oben kamen, schob er sich allerdings an Will und Maria vorbei und spähte nach oben. „In dieser Ebene liegen die Zellen“, flüsterte er. „Und so, wie es aussieht, sind sie randvoll.“
„Das heißt, wir kommen nicht ungesehen an den Gefangenen vorbei“, dachte Will laut, aber immer noch so leise, dass er von niemandem, der weiter als zwei Meter von ihm entfernt stand, gehört werden konnte. Doch bevor auch noch einer ein weiteres Wort gesagt hatte, kletterte Jack einfach die Treppe hoch. Es gelang niemandem mehr, ihn festzuhalten, denn sie alle waren so erstaunt darüber, dass sich keiner rührte.
Maria versuchte noch, als sich ihre Starre wieder gelöst hatte, seinen Rockschoß zu fassen zu bekommen, doch er glitt ihr durch die Finger. „Nein, Jack!“, zischte sie hinter ihm her. „Komm zurück!“
Doch der Captain der Black Pearl achtete gar nicht auf sie. Langsam ging er auf die Zellen zu, die nur aus vier Wänden schwedischer Gardinen bestanden. Die Zellen, die am Rand lagen, hatten als Rückwand die Bordwand des Schiffes, auf dem sie sich befanden und von dem Jack immer noch nicht den Namen wusste. Aber es interessierte ihn auch nicht. Er würde seine Bekanntheit - und die Tatsache, dass er jedem hier vermutlich Geld schuldete - schamlos ausnutzen und sie für seine Zwecke missbrauchen.
Als die Gefangenen ihn plötzlich aus dem Zwielicht unter Deck auftauchen sahen, begannen sie erst leise zu murmeln. Sie konnten gar nicht glauben, was sie dort sahen. Draußen knallten noch immer Kanonenschüsse, schreie hallten über das Meer und der Seegang war heftig. Wie war es möglich, dass hier auf einmal ein fremder Pirat auftauchte, der nicht gefangen genommen worden war?
Dann erkannten ihn die ersten. Sein Name wurde leise, teilweise mit Ehrfurcht, teilweise mit Wut, geflüstert und es jagte ihm eine Gänsehaut über den Rücken. Solche Momente mochte er tatsächlich ziemlich gern. Bevor die Rufe der Bewohner Tortugas allerdings zu laut werden konnten, hatte er die erste Zelle erreicht und legte einen Finger an die Lippen. Eine ziemlich dralle Frau Ende Vierzig schob sich nach vorne, stemmte die breiten Hände in die noch breiteren Hüften und funkelte ihn zornig an. Gerade konnte er ihr Gesicht nicht zuordnen, doch seinem Geschmack nach war er nicht mit ihr ins Heu gekrochen, sondern hatte sie um ein paar Gulden betrogen.
„Verdammich, Jack!“, zischte nun auch sie. „Was hast du hier zu suchen? Du kommst doch wohl hoffentlich nicht freiwillig her, um dich einbuchten zu lassen?“
Beschwichtigend hob er die Hände, um sie alle wieder zum Schweigen zu bringen. „Nein“, flüsterte er, „wir sind hier, um dem ganzen Spuk ein Ende zu machen. Dazu müssen wir etwas an Bord finden. Und die Natur der Sache von etwas Heimlichen sieht vor, dass man sich still und leise bewegt. Deswegen dürft ihr uns nicht verraten, aye?“
Er sah sie alle nacheinander an wie dumme Schulkinder, denen er versuchte, etwas beizubringen. Ein grimmig dreinblickender hagerer Mann etwas weiter in der Zellenmitte hatte die langen Arme vor der Brust verschränkt. „Und was wird dann aus uns?“
Wieder begann das Gemurmel, dieses Mal ein wenig lauter als zuvor. „Wir werden euch befreien“, hörte er plötzlich Wills Stimme hinter sich. Scheinbar hatten sie es nicht mehr ausgehalten, nur zuzusehen. „Doch zuerst müssen wir dieses Objekt finden, was diesen Sturm ausgelöst hat, und es zerstören.“
„Was ist es?“, fragte ein Mädchen von etwa zwölf Jahren. Auch sie war mager und schmutzig im Gesicht. Ein paar verkokelte Strähnen blonden Haares fielen ihr in die Stirn. Und das weckte Marias Mutterinstinkt. Sofort verspürte sie Mitleid mit dem kleinen Mädchen, auch wenn sie sich ziemlich sicher war, dass es die Kleine faustdick hinter den Ohren hatte. Trotzdem wollte sie sie beruhigen. „Das wissen wir noch nicht“, log sie daher, „aber wir werden es herausfinden. Und dann kommen wir wieder und befreien euch. Das verspreche ich!“
Jacks Miene verdüsterte sich. Schnell packte er sie hart um den Oberarm und zog sie weiter, bevor sie noch mehr Unheil anrichten konnte. Maria wollte schon protestieren, doch er zerrte sie einfach weiter, bis sie zur nächsten Treppe gelangten. Dort stieß er sie gegen einen Balkon. „Bist du verrückt geworden?“ Verständnislos sah sie ihn mit ihren braunen Augen an. „Wie bitte?!“
Der Captain seufzte. „Man gibt Piraten keine Versprechen! Auch nicht kleinen Mädchen, die einen mit ihren großen Augen flehend ansehen. Wenn wir sie nämlich nicht befreien können, weil uns etwas dazwischen kommt, - wenn wir sterben, zum Beispiel - werden ihre Seelen ewig auf die Einlösung deines Versprechens warten. Willst du das?“
Doch Maria ließ sich nicht einschüchtern. Sie konnte in Wills Augen sehen, dass Jack Recht hatte, dass ihre Seelen dann nicht an Bord der Flying Dutchman gebracht werden konnten, um hinüber gebracht zu werden. Aber sie hatte ja auch gar nicht vor, diese armen Menschen zu enttäuschen. Immerhin war sie zumindest teilweise Schuld an diesem ganzen Chaos. Da war es das Mindeste, sie alle vor dem Tod zu bewahren.
Ein heftiger Stich durchfuhr sie, als sie daran dachte, dass sie es nicht einmal geschafft hatte, Montoya zu retten. Der junge Seemann war vermutlich ebenso jämmerlich in den hohen Wellen ertrunken, wie der Rest der Mannschaft der Silberflotte, die sie bis hierhin begleitet hatten. Doch um Montoya tat es ihr am meisten leid. Irgendwie hatte sie ihn gemocht.
Trotzig sah sie Jack daher in die Augen. „Dann muss ich mein Versprechen eben halten!“
Mit einem Ruck machte sie sich von ihm los. „Ich weiß, dass Ihr nicht viel von Ehre haltet, Captain Sparrow. Meine Mutter hat mir genug über Euch verraten. Vermutlich ist sie auch immer noch sauer auf Euch, weil Ihr es wart, der den Schatz von Cortés zerstückelte.“
Empört straffte er die Schultern. „Das war Hector. Da konnte ich ausnahmsweise wirklich nichts für!“
Sie wollte ihm schon etwas entgegnen, doch dazu kam sie nicht mehr. Denn plötzlich löste sich eine Stimme aus der tiefen Dunkelheit unter der Treppe. Dort war noch eine Zelle, die sie vorher gar nicht bemerkt hatten, weil sie zu klein und nicht beleuchtet war. Doch nun regte sich dort drinnen etwas, was ihre Stimmen angelockt zu haben schien.
Stoff raschelte im Einklang mit schweren Ketten, die über die Holzplanken gezogen wurden, und ein wuscheliger Haarschopf erschien in dem schwachen Licht, das von oben durch die Luke herein fiel. Eine heisere Stimme sagte: „Jack? Sag, bist du es wirklich?“
Will schoss wie der Blitz an den beiden vorbei, warf Maria dabei um, die gegen Jack taumelte, und fiel unter der Treppe vor den Eisenstäben, die das Gefängnis waren, auf die Knie. Seine Hände griffen nach denen, die sich um das Eisen gelegt hatten, und heiße Tränen brannten auf einmal in seinen Augen. Sein Herz setzte für einen kurzen Moment aus, dann wusste er selbst nicht mehr, ob er überglücklich oder zutiefst entsetzt sein sollte. Seine Augen gewöhnten sich nur zaghaft an das spärliche Licht, doch schließlich sah er sie. „Elizabeth“, hauchte er, überwältigt von seinen Gefühlen.
Jack zog eine Augenbraue hoch, während er Maria wieder von sich schob. In letzter Zeit kam sie ihm eindeutig viel zu nah für seinen Geschmack. „Lizzy?“, fragte er an niemanden Bestimmten gerichtet. Doch nun leuchtete ihm die ganze Situation plötzlich ein. Ein hätte auch keinen Sinn gemacht, wenn die Gute nicht in Schwierigkeiten gewesen wäre. Dann wäre das Abenteuer ja gar kein richtiges Abenteuer gewesen. Und doch fragte er sich, was sie wohl hier zu suchen hatte und wie sie hierher gekommen war.