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Kapitel 38

 

~ What is it you want most?

 

Es war nicht schwer gewesen, das Flaggschiff von Millers Flotte ausfindig zu machen. Sie hatten nur noch eine Weile darüber diskutiert, ob das Horn tatsächlich an Bord war. Doch Maria hatte die unwiderstehliche Logik angeführt, dass sie es nun einmal eben erst gehört hatten. Also musste es in der Nähe sein. Und was war einleuchtender, als dass Miller es in seiner Reichweite aufbewahrte?

 

Also hatten sie einen kleine Trupp zusammen gestellt, der von Will angeführt wurde. Er war sich noch nicht ganz sicher, ob er das wirklich tun konnte, doch er würde es versuchen müssen, wenn sie Erfolg haben wollten.

 

Zweifellos musste er also Maria mitnehmen, die anscheinend am besten über dieses Ding Bescheid wusste. Wie genau es zerstört werden konnte, wusste sie allerdings noch nicht. Wenn es ein normales Horn war, hatte sie zu Bedenken gegeben, dann würde man es auch sicherlich einfach zerschlagen können. Wenn es mit magischen Kräften ausgestattet war, mussten sie sich etwas anderes überlegen.

 

Jack war gar nicht begeistert von der Idee. Doch er war zu schlau, um etwas gegen den Plan zu sagen. Lieber würde er später sagen, er hätte es ja gleich gewusst. Bevor er sich allerdings aus dem Staub machen konnte, als Will nach Freiwilligen für dieses Himmelfahrtskommando suchte, stellte Angelica sich ihm in den Weg. Sie verschränkte die Arme vor ihrer Brust und sah ihn herausfordernd eine Weile an, bis es Jack zu bunt wurde. „Was?“, fragte er schließlich und verschränkte ebenfalls die Arme.

 

„Das weißt du genau“, sagte sie. Sie verlagerte ihr Gewicht auf ein Bein, um mit dem anderen unruhig auf das Holz trommeln zu können. Doch Jack dachte gar nicht daran, auf dieses Spielchen einzugehen. Er versuchte sich an ihr vorbei zu drängen und unter Deck zu gelangen, außer Reichweite seines Vaters, von Will und besonders von Angelica.

 

Leider verstellte sie ihm den Weg, sodass er sich schnell zwischen ihr, der Treppe zur Brücke und der Reling gefangen sah. „Ich erwarte eine Entschuldigung!“, sagte sie schließlich, als er immer noch verbissen schwieg.

 

„Eine Entschuldigung? Wofür soll das gut sein?“

 

Empört riss sie die Arme herunter. „Wofür das gut sein soll?!“ Ihre Stimmlage schraubte sich nach oben, bis jeder der Anwesenden beobachtete, was zwischen den beiden ablief. Will quittierte es mit einem schiefen Grinsen. Er kannte Angelica nicht, doch irgendwie mochte er sie auf Anhieb.

 

„Du hast mich auf dieser verfluchten Insel zurück gelassen! Allein! Zum Sterben verurteilt! Dafür soll das gut sein!“ Sie fuchtelte ihm gestenreich mit den Händen vor der Nase herum, bis er es nicht mehr aushielt, nach ihren Fingern griff, die ihm fast die Augen ausgekratzt hätten, und sie somit ruhig stellte.

 

„Liebes, du hast gemeutert. Und das war deine Strafe.“ Ungerührt sah er ihr in die großen braunen Augen. Hätte er ein weiches Herz besessen, hätte er vielleicht Mitleid mit ihr gehabt. Doch er war nun einmal, wer er war.

 

Tief verletzt entwand sie ihm ihre Hände. „Ich habe dir das Leben gerettet, Jack.“ Ihre Stimme war nun ganz leise, sodass Gibbs sich neugierig heranpirschen musste, um etwas zu verstehen. Dabei stolperte er allerdings über Pintel und Ragetti, die denselben Gedanken gehabt hatten, und ihrerseits die Ohren gespitzt hatten. Dieses Spektakel wollten auch sie sich um keinen Preis entgehen lassen.

 

„Mehrmals sogar. Du verdankst mir dein Schiff. Bedeutet dir das denn gar nichts?“

 

Jack blickte hinüber zur Schildkröteninsel. Seine geliebte Pearl hielt sich immer noch tapfer über Wasser, doch wenn das Wetter weiterhin so unbarmherzig tobte, würde er sie ein weiteres Mal sinken sehen. Es brach ihm beinahe das Herz, sie so im Stich lassen zu müssen. Immerhin war sie ihm mehr wert, als sein eigenes Leben. Doch wenn er Will bat, ihn zurück auf das Schiff zu bringen, dann würde er mit ihr untergehen. Und das war es nicht, was er wollte.

 

Ein plötzlicher Gedanke ließ ihn innehalten. Unwillkürlich griff er nach seinem Kompass, der immer noch, wie durch ein Wunder, an seinem Gürtel hing. Dieses Teil war nahezu wie ein Bumerang: es fand jedes Mal wieder seinen Weg zurück zu ihm. Er klappte ihn auf, schaute auf die Nadel und stutzte.

 

Dann wurde ihm wieder bewusst, dass Angelica noch immer vor ihm stand und ihn ansah. Schnell klappte er den Kompass wieder zu und steckte ihn weg. Darüber würde er sich später Gedanken machen können. „Du weißt“, sagte er mit einem tiefen Seufzer und nahm sie bei der Hand, „dass mir nicht viel etwas bedeutet. Im Grunde gibt es nur zwei Dinge, die mir etwas bedeuten.“ Dabei schenkte er ihr einen tiefen Blick.

 

Ihr Gesicht hellte sich kurz auf. „So kenne ich dich gar nicht, Jack“, sagte sie gerührt. Auch diese kleine Ansprache von eben war so gar nicht das, was sie sonst von ihm gewohnt war. Normalerweise gelang es ihm, andere in seinem Umfeld so zu manipulieren, dass sie seine Ideen als die ihren ansahen. Dass er selbst einmal das Wort ergriff und dafür einstand, was ihm wichtig war, war so selten wie eine Perle in einer Miesmuschel.

 

„Ich weiß, ich erkenn mich selbst kaum wieder. Muss daran liegen, dass ich nüchtern bin.“ Kurz legte er die Stirn in Falten, dann schüttelte er den Kopf und sah sie verwirrt an. „Wo war ich?“ Dann schien er sich wieder zu erinnern. „Ach ja, was mir etwas bedeutet. Nun, liebste Angelica, es verhält sich im Grunde so: wenn ich etwas haben will, dann nehme ich es mir. Klar soweit? Und wenn ich etwas nicht will, dann nehme ich es mir nicht.“

 

Während seiner kleinen Ansprache hatte er sie von den neugierigen Ohren seiner ehemaligen Crew weggeführt. Nun stand er in der Nähe der Treppe, die in die Frachträume führte. Er nahm ihre eine Hand in seine, hauchte einen Kuss darauf, dann sah er sie wieder an. „Es tut mir leid, Liebes, aber du gehörst leider zu den Dingen, die ich nicht will.“

 

Die Wahrheit traf sie wie ein Schlag. Natürlich hatte sie gewusst, dass er keine Ehre besaß, und auch sie hatte ihn das ein oder andere Mal für ihre Zwecke missbraucht. Doch dass er ihr so ungeniert ins Gesicht sagen würde, dass sie ihm nichts weiter bedeutete, traf sie härter, als sie angenommen hatte. Bis gerade hatte sie nicht einmal gewusst, dass sie ihn wollte. Doch jetzt, da er ihr ganz offen gesagt hatte, dass er sie nicht wollte, wollte sie ihn auf einmal.

 

Wütend auf sich und besonders auf ihn entriss sie ihm ihre Hand und stürmte hinunter. Sie achtete gar nicht darauf, dass sie dabei beinahe einen von Wills Männern über den Haufen rannte, der versuchte, das Hauptsegel zu lockern, sondern wollte nur schnell weg von ihm. Außer sich blieb sie erst stehen, als sie nicht mehr wusste, wohin sie sich wenden sollte. Überall um sie herum waren Wände, Fässer und Kisten. Der Untergrund war rutschig, sodass ihre Stiefel kaum Halt fanden. Ihre Hände waren eiskalt, ihre Haare klebten ihr triefnass an der Stirn und in ihrer Hutkrempe hatte sich Wasser gesammelt. Erschöpft sank sie auf eine Kiste nieder und ergab sich ihren Gefühlen.

 

Heiße Tränen brannten in ihren Augen und sie hätte sie weggewischt, wenn sie nur die Kraft dazu besessen hätte. Doch ihre Arme waren so schwer, als wären sie aus Blei gemacht, und wollten ihr keinen Zentimeter mehr gehorchen. Also konnte sie nur dasitzen und weinen.

 

Oben an Deck war Jack fassungslos zurück geblieben. Er hatte nicht damit gerechnet, dass seine Worte sie so hart treffen würden. Konnte es wohlmöglich wahr sein, dass sie tatsächlich ehrliche Gefühle für ihn hatte?

 

Ein wenig angewidert von der Idee drehte er sich um und blickte gradewegs in das faltige Gesicht seines Vaters. Die Anwesenheit des alten Captain Teague hatte er beinahe vergessen. Nun schrumpfte er unter dessen strengen Augen auf die stattliche Größe einer Maus zusammen. Und dabei wusste er noch nicht einmal, wieso er sich plötzlich so schuldig fühlte. Und doch tat er es. Diesen Trick hatten wohl nur Eltern drauf. Vermutlich hatte seine Mamm seinen Dad gelehrt, wie man so dreinblicken konnte.

 

„Manchmal frage ich mich, ob du tatsächlich mein Sohn bist, Jackie. Ich erkenne nicht viel von mir in dir wieder.“ Seine kleinen Augen verengten sich zu schmalen Schlitzen.

 

Unwohl unter dem degradieren Blick seines Alten wand Jack sich zur Seite. „Nun, die Frisur vielleicht“, gab er zurück und zupfte an einer seiner Haarsträhnen. Er wollte sich schon wieder davonstehlen, als sein Vater ihm den Weg vertrat.

 

„Ich habe deine Mutter immer geachtet, Sohn. Als ich dir ihren Kopf gab, damit du ihn verwahrst, habe ich eigentlich gehofft, du nimmst ein bisschen Vernunft an, was die Frauen angeht. Doch scheinbar kann nicht einmal die Anwesenheit deiner Mutter dich dazu bringen, höflich zu sein.“ Er griff nach dem Schrumpfkopf, der an Jacks Gürtel hing und, wie alles andere auch, völlig nass war. Dann ließ er ihn wieder los und stiefelte davon.

 

Jack blieb ein wenig verwirrt allein zurück. Gerade erinnerte er sich wieder daran, dass er sich ja eigentlich aus dem Staub machen wollte, als Will ihm schwer eine Hand auf die Schulter legte. Er musste gar nicht erst hören, was der Captain der Flying Dutchman zu sagen hatte, um zu ahnen, um was es hier gang. Daher hob er gleich beide Hände in die Höhe und hielt sie abwehrend zwischen sich und Will. „Nein!“, sagte er bestimmt.

 

Will hob die Schultern. „Du weißt doch noch gar nicht, was ich dich fragen will.“

 

„Doch, das weiß ich sehr genau, William!“ Er schob Wills Hand von sich herunter und drehte sich um. „Du willst, dass ich dich auf deiner kleinen Mission begleite, aber das kommt nicht in Frage! Ich werde nicht wieder zurück in das Auge des Sturms gehen. Da bleib ich lieber hier und warte gemütlich darauf, dass es aufhört zu regnen.“ Und zum Zeichen dafür, dass es ihm sehr ernst mit dieser Aussage war, setzte er sich auf eine Kiste, lehnte sich an die Reling zurück und verschränkte die Beine.

 

Enttäuscht ließ Will die Arme hängen. „Komm schon, Jack! Wir brauchen dich.“ Nebenbei wies er mit dem Daumen über die Schulter zu Maria, was Jack einen weiteren Grund bot, warum er Will nicht begleiten würde. Mit dieser Frau würde er nicht einmal das Deck von diesem Schiff teilen, wenn er nicht müsste. Irgendetwas hatte sie an sich, was sich ihm die Nackenhaare aufstellen ließ. Er wusste nicht wieso, doch irgendwie sah sie immer wütend aus, wenn sie ihn ansah. Dabei hatte er sie noch nie bedroht oder ihr Geld aus der Tasche gezogen. Es sei denn natürlich, er erinnerte sich nicht mehr daran.

 

„Nein!“, sagte er nur. Lässig zog er seinen Degen hervor und begann sich damit die Nägel zu säubern.

 

Doch Will gab so schnell nicht auf. Er quetschte sich neben Jack auf die Kiste, lehnte sich vor und sah seinem alten Freund tief in die Augen. „Bitte, Jack. Du bist der einzige, den ich mitnehmen kann. Barbossa hat nur noch ein Bein, Gibbs ist einfach nicht feinfühlig genug und der Rest...“ Dabei warf er mehrere bedeutungsschwangere Blicke in die Runde, die seine alten Freunde umfassten. „Na ja, du weißt schon. Du bist der einzige, der übrig bleibt.“

 

Genervt schob er Will von seiner Kiste runter. „Nein!“, sagte er noch einmal. „Mach das doch alleine mit deiner neuen Freundin zusammen. Mit scheint, du verlässt dich beinahe mehr auf sie als auf mich, geschweige denn auf einen von deiner Crew. Solltest du nicht vielleicht lieber deinen Vater mitnehmen?“

 

„Er ist mein erster Maat. Er muss das Kommando übernehmen, wenn ich nicht da bin.“

 

„Und Maccus, das haigesichtige Ungetüm?“

 

Verschmitzt grinste Will ihn an. „Der ist persönlich für deine Sicherheit abgestellt worden. Wo du hingehst, wird auch er sein.“ Und wie aufs Stichwort trat Maccus auch gleich hinter seinen Captain und verschränkte die Arme vor der breiten Brust. Sein Haifischblick lag hungrig auf Jack, der sich gleich ziemlich unwohl fühlte.

 

Es dauerte einen unendlich langen Moment, in dem Jacks Augen immer wieder zwischen Will, Maria und Maccus hin und her huschten, bis er schließlich nachgab. Ausschlaggebend für seine geänderte Meinung war allerdings hauptsächlich die Tatsache, dass er dann endlich aus der Reichweite Angelicas und seines Vaters kam, die offenbar unter einer Decke steckten und ihm unbedingt ein schlechtes Gewissen einreden wollten.

 

Dass es Captain Teague war, der sie von dieser Insel heruntergeholt hatte, auf die er sie gesetzt hatte, machte es nicht besser. Die beiden hatten sich immer blenden verstanden und sein Vater hatte keinen Hehl daraus gemacht, dass er sich gut Enkel von Angelica vorstellen könnte. Davon wollte Jack allerdings nichts wissen. Allein der Gedanke an kreischende, nervige kleine Kinder ließ sich ihm die Fußnägel nach oben rollen. Angewidert von dieser Idee schüttelte er sich kurz, damit er dieses seltsame Bild in seinem Kopf wieder los wurde. Dann erhob er sich in einer einzigen fließenden Bewegung, wobei ihm der Wind beinahe seinen Dreispitz vom Kopf geweht hätte, und sagte: „Ich kann es nicht fassen, dass ich mich von dir zu so etwas überreden lasse!“

 

Schnell schlüpfte er zwischen Will und Maccus hindurch, die ihn bedrohlich in eine Ecke gedrängt hatten, und ging in Richtung Brücke. Nach ein paar Schritten blieb er stehen und drehte sich leicht konfus wieder um. Ihm wurde bewusst, dass er gar nicht genau wusste, was Wills Plan eigentlich vorsah.

 

Daher kam er langsam wieder zurück, wobei er sorgsam darauf achtete, dem zweiten Maat nicht zu nahe zu kommen. Auch, wenn dem mittlerweile der kantige Kopf fehlte, machte er immer noch den Eindruck, ihn mit einem einzigen Happen verschlingen zu können. Und das behagte ihm ganz und gar nicht. Es lief ihm jedes Mal ein kalter Schauer über den Rücken, wenn er ihn so ansah. Dieses Mal mochte das vielleicht auch mit dem Regen zusammen hängen, der immer noch auf sie niederprasselte, doch diese seltsam kühlen Augen machten ihm mehr Angst, als er sich eingestehen wollte.

 

Ganz vorsichtig legte er Will einen Arm um die Schultern, zog ihn ein Stück von Maccus weg und beugte sich verschwörerisch zu ihm hinab. „Ich bin sicher, dass wir das auch ohne den Hammerhai schaffen, William, alter Freund.“ Ein nicht ernst gemeintes Grinsen entstellte kurz seine Lippen, bis er sich bewusst war, dass Will nicht zurück lächelte.

 

„Er kommt mit. Wir könnten ihn brauchen, falls es zum Kampf kommt.“ Mit einem Schulterzucken schüttelte er Jacks Arm ab. „Also, kommst du nun, oder nicht?“

 

„Eine Frage hab ich da noch“, sagte er kleinlaut und reckte den Zeigefinger seiner rechten Hand in die Höhe, als wäre er in der Schule und müsste sich melden. „Was genau haben wir denn nun eigentlich vor?“

© by LilórienSilme 2015

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