LilórienSilme
~ Fanfiction-Autorin ~
Kapitel 37
~ Tough Proceedings
Dass der Plan mit dem Horn tatsächlich so gut funktionierte, hätte Henry Miller sich nicht einmal in seinen kühnsten Träumen vorstellen können. Als er nun sah, welches Unheil es unter seinen Feinden angerichtet hatte, hätte er fast weinen mögen vor Freude. Nur schwer konnte er sich zurückhalten, einen Triumphschrei loszulassen. Es hätte zwar zu der jetzigen Situation hervorragend gepasst, doch er wollte damit keinen falschen Eindruck bei seinen Männern hinterlassen.
Nun befand er sich wieder an Deck seines Flaggschiffes und betrachtete zufrieden, wie sich die Reihen der Piraten in Wohlgefallen aufgelöst hatten. Nur ein paar einzelne Schiffe waren noch übrig, die verbissen gegen die tosenden Naturgewalten ankämpften. Dazwischen konnte er immer wieder Köpfe von Überlebenden sehen, die versuchten, an Bord der restlichen Kähne zu gelangen. Doch der Wellengang machte es ihnen nicht leicht und allzu bald mussten viele von ihnen aufgeben und sich ihrem Schicksal ergeben.
Ein paar Glücklichen gelang es, sich an den Strand vorzukämpfen. Doch leider konnten sie diesen Umstand nicht lange genug genießen, um sich daran zu erfreuen, denn dort empfingen Millers Männer sie mit geladenen Musketen.
Alles verlief herrlich nach Plan! Wenn er nun bald im Besitz der gesamten Karibik war, machte es ihm auch nichts mehr aus, diese kleine unwichtige Insel Hispaniola an die Franzosen zu verkaufen, die er ihnen versprochen hatte, als er sich ihrer bedient hatte, um an das Horn zu gelangen.
Es war nicht leicht gewesen, den damaligen Befehlshaber zu überzeugen, ihn mit dem General sprechen zu lassen. Doch schließlich hatte er ihn überreden können, ihm Land zu verkaufen. Für einen Spottpreis, versteht sich. Er hätte ihm die Insel sogar geschenkt, doch das hatte der General als Bestechung empfunden und war beleidigt gewesen. Sobald also diese Gewässer von diesem Ungeziefer gereinigt waren, würde er die Franzosen auf der Insel siedeln lassen. Irgendein seltsamer Fatzke namens Jean Baptiste du Casse würde dann dort Gouverneur werden. Doch das konnte Miller dann egal sein.
Sein Hauptaugenmerk lag auf Jamaica. Diese Insel war zwar weit kleiner, doch sie lag viel günstiger. So konnte er die Meerenge zwischen Hispaniola und Cuba kontrollieren und hatte einen strategisch günstigen Punkt gefunden, um überall gleich schnell vor Ort sein zu können. Und wenn ihm das Glück weiterhin holt war, würde er vielleicht sogar Teile des Festlandes rund um die Karibische See einnehmen können.
Doch ein Schritt musste nach dem anderen erfolgen. Zunächst einmal musste er diesen hier gebührend zu Ende führen.
Er rief nach seinem engsten Vertrauten. „Lieutenant Cook, ich wünsche, an Land zu gehen, sobald alle Schiffe des Feindes gesunken sind. Dann werden wir uns ansehen, was auf der Insel noch von Nutzen ist. Alle Überlebenden werden weiterhin in die Kerker gesperrt. Sollten die Kerker voll sein...“ Er machte eine Pause, wobei er Jonathan einen bedeutungsvollen Blick zuwarf. „Nun, drücken wir es so aus: wir wollen nicht unnötig Platz vergeuden.“
Damit wandte er sich ab, ohne auf die Reaktion seines alten Freundes zu warten. Genüsslich legte er die Hände auf die Reling und sog die rauchige Luft ein. Der Gestank, der um sie alle herum waberte, war für ihn süßer als Rosenduft. Der Sieg konnte so hervorragend schmecken!
Eine Weile stand er so da und beobachtete, wie immer neue Wellen an Land spülten, als er hinter sich Unruhe vernahm. Er drehte sich um und sah sich Auge in Auge mit Lieutenant Greitzer gegenüber. Das pockennarbige Gesicht wirkte ernst, doch er konnte sehen, dass ein leicht amüsierter Ausdruck um seine Mundwinkel spielte. Ergeben salutierte er. „Captain Miller, Gouverneur Spotswood wünscht Euch zu sprechen.“ Dann trat er zur Seite und machte Platz für den gewaltigsten Mann, den Miller in seinem Leben gesehen hatte.
Spotswoods Bauch wölbte sich gefährlich über seinen Hosenbund herüber, die Knöpfe seiner Jacke spannten, als müssten sie jeden Moment abspringen, sein Gesicht war hochrot von der Anstrengung, an Bord klettern zu müssen, und er schnaufte wie ein kaputter Blasebalg. Es dauerte eine Weile, bis er so weit zu Atem gekommen war, dass er sich an Miller wenden konnte. Der bedachte ihn jedoch nur mit einem abfälligen Blick, stemmte die Hände in die Hüften und wartete mehr oder weniger geduldig.
Als es ihm zu lange dauerte, ergriff er selbst das Wort. „Gouverneur! Was verschafft mir die Ehre Eures Besuches? Ich hätte nicht damit gerechnet, dass Ihr Euer sicheres Schiff verlasst bei diesem Sturm. Ich hoffe, das Wetter bekommt Euch?“
Genervt winkte Spotswood ab. Er war zwar alt und dick, doch er war nicht dumm. Er wusste, wenn man ihn zum Narren hielt. Deswegen richtete er sich nun zu seiner stattlichen Größe auf, mit der er Miller immerhin um ein Paar Handbreit überragte, und sah von oben auf ihn herab. Er wusste ganz genau, dass Miller nur ein Emporkömmling war, ein Unfall aus einer unrühmlichen Liaison der Schwester des Königs mit einem Bürgerlichen. Er selbst jedoch konnte sich damit brüsten, der Enkel eines Richters, der Urenkel eines Erzbischofs und ein Nachfahre König Roberts II. von Schottland zu sein. Er würde sich nicht lächerlicher machen lassen. Und ganz gewiss nicht von so einem, wie Henry Miller!
„Spart Euch das dumme Gerede“, sagte er weiterhin atemlos. „Ich bin nicht hergekommen, um falsche Höflichkeiten auszutauschen. Ich will wissen, was hier los ist.“ Als er das sagte, wabbelte sein Bauch aufgeregt auf und ab.
Unschuldig blickte Henry zurück. Er wusste, dass der Gouverneur ein stolzer Mann war. Doch er hatte soeben den Großteil aller Piraten hier in der Gegend auf einen Schlag vernichtet! Blaues Blut hin und her, damit hatte er sich ein wenig Respekt verdient. „Ich weiß wirklich nicht, was Ihr meinen könntet, Gouverneur. Das Wetter scheint uns heute äußerst gewogen zu sein.“
Damit wollte er sich schon wegdrehen und den übergewichtigen Würdenträger stehen lassen, doch Spotswood griff fest nach seinem Oberarm und hielt ihn auf. Wütend und mit einem gefährlichen Glitzern in den Augen sah er ihn an. „Haltet mich nicht für einfältig, Miller. Ich habe zwar nicht viel übrig für Ammenmärchen, doch ich bin nicht blind. Ihr verbergt etwas. Und so wie es aussieht ist es etwas, was weit über die Vorstellungskraft von einfachen Menschen hinaus geht.“
„Nun“, sagte Miller spitz. Er versuchte sich, aus dem kräftigen Griff zu winden, doch es gelang ihm nicht. Daher reckte er das Kinn trotzig vor. „Ihr müsst es ja wissen.“
Spotswood zog den Captain näher zu sich heran, bis sich ihre Nasenspitzen beinahe berührten. Seine Erwiderung war nur mehr ein Flüstern, das im Prasseln des Regens beinahe unter ging, doch Henry Miller hörte jedes Wort, was er sagte. „Seid vorsichtig, Miller. Ein Wort von mir an den König, und Ihr könnt Eure kleine Kolonie abschreiben. Also entweder sagt Ihr mir nun endlich, was hier vor sich geht, oder ich lasse meine Flotte wieder abdrehen. Und dann werden wir ja sehen, wie weit Ihr kommt ohne meine Unterstützung. Ich bin sicher, dass König George es äußerst interessant finden könnte, was ich ihm über seinen Vetter zu berichten habe.“
Kurz wog Miller ab, ob er es darauf ankommen lassen sollte, doch dann entschied er sich dagegen. Spotswood hatte Recht: nur ein Wort von König George und das alles hier war für die Katz! Das durfte nicht geschehen. Wenn er also wollte, dass der Gouverneur weiterhin auf seiner Seite war, dann musste er ihm wohl das Horn zeigen.
Nur widerwillig gab er dem fetten Mann Recht, der ihn schließlich endlich aus seinem Klammergriff entließ. Dann gab Miller einen Befehl, alle Männer auf ihren Posten zu lassen, bis er wieder an Deck war, und führte Spotswood in sein Quartier.
Die Kapitänskajüte war nobel ausgestattet. Hochwertige Holze fanden sich hier neben schönen Stoffen. Doch wenn er geglaubt hatte, den Gouverneur damit beeindrucken zu können, hatte er sich getäuscht. Der warf nur einen müden Seitenblick auf die wertvollen Intarsienarbeiten auf dem Schreibtisch, dann verlangte er nach einer Antwort. „Also? Was habt Ihr so Geheimnisvolles hier unten versteckt? Den Heiligen Gral oder gar Excalibur selbst?“ Spöttisch lachte er auf, was seinen Bauch wieder bedrohlich zum Hüpfen brachte.
Ohne darauf einzugehen, schritt Henry Miller gemächlich zu der Truhe hinüber, die direkt unter dem großen Heckfenster stand. Durch die Butzenscheiben konnte er nur schemenhaft erkennen, was sich draußen abspielte, doch allein das Hin und Her seines Kahns ließ ihn wissen, dass das Unwetter noch nicht ausgestanden war.
Noch immer war der Himmel von gewaltigen Gewittern erfüllt, der Regen trommelte unaufhörlich nieder, während die Wellen sich höher und höher erhoben, als wollten sie die Wolken, die sich tief herab beugten, berühren. Der Horizont schien nun viel näher, greifbarer zu sein als zuvor. Beinahe so, als würden sich der Gott des Himmels und der Gott des Meeres endlich vereinen.
Aber das interessierte keinen der beiden Männer in diesem Moment. Als der Gouverneur gesehen hatte, worauf sich Miller zubewegte, war er ihm in ein paar Schritten Abstand gefolgt. Nun stand er direkt hinter ihm, als der Captain beinahe zärtlich über den Deckel der Truhe strich und ihn ganz langsam hochklappe.
Zum Vorschein kam ein gewaltiges Horn, beinahe so lang wie ein menschlicher Unterarm, mit Metall beschlagen und mit Schnitzereien verziert.
„Was, in Namen unseres einzig wahren Gottes, ist das?“
„Rolands Olifant. Das Horn, das er benutzte, um in einer aussichtslosen Situation Hilfe herbei zu rufen. Und in einer Lage wie dieser können uns wohl nur noch die Götter helfen.“ Er machte eine Pause, holte tief Luft, dann klappte er den Deckel entschlossen wieder zu und stand auf.
„Ich muss ehrlich gestehen, dass ich nicht genau gewusst habe, was passieren würde. Ich hatte zwar gehofft, dass es etwas Derartiges sein würde, doch bewiesen war das nicht.“ Er drehte sich zu dem fetten Mann um und sah ihm fest in die Augen. „Mein Traum von sicheren Handelswegen und ehrlicher Arbeit ist doch auch Euer Traum. Ich räume ein, dass ich nicht von Anfang an mit offenen Karten gespielt habe. Doch nun, da Ihr wisst, worauf mein Sieg beruht, denke ich, können wir zu Ende bringen, was ich begonnen habe. Was denkt Ihr?“
Spotswood legte seine Stirn in Falten. Das war dank seines hohen Körperfettanteils nicht so leicht, doch irgendwie gelang es ihm. Er hatte keine Ahnung, ob er den Worten von Henry Miller Glauben schenken konnte, geschweige denn, ob er ihm vertrauen konnte. Doch er wusste, dass es einen großen Triumph bedeuten würde, die Piraterie endlich von den Meeren hier in der Neuen Welt zu verbannen. Es würde bedeuten, dass man die Handelsschiffe nicht mehr so stark bewachen lassen müsste. Und so würde er mehr Männer für seine Feldzüge im Westen haben. Doch wenn er schon diesen Feldzug in die Hände dieses Emporkömmlings legte, wollte er auch eine Sicherheit haben.
Ihm kam eine Idee. Er musste immer noch diesen de la Croix irgendwo unterbringen. Der Gedanke, ihn in seinem eigenen Staat anzusiedeln, hatte ihm von Anfang an nicht gefallen. Doch vielleicht konnte er Miller überreden, den hinterhältigen Franzosen irgendwo auf einer Insel in der Karibik zu verwurzeln.
„Ich denke“, sagte er daher nach einer Weile, „dass wir ins Geschäft kommen können. Doch ein Geschäft verlangt immer nach einem Vertrag.“ Miller wollte ihm schon widersprechen, doch Spotswood unterband das mit einer schneidenden Handbewegung. „In diesem besonderen Fall kann ich, denke ich, von einem einwandfreien Schriftstück absehen und auf die alte, bewehrte Form des Handschlages zurückgreifen. Doch ich verlange von Euch eine Sicherheit, dass Ihr nicht mehr nehmt, als Euch zusteht.“
„Was mir zusteht?“
Der Gouverneur schritt langsam auf und ab. Dabei verschränkte er die Arme hinter dem Rücken, was ihm nicht leicht fiel. „Die Karibik interessiert mich nicht. Ihr könnt sie also von mir aus haben. Doch Ihr müsst mir schwören, dass Ihr Euren Machtbereich nicht weiter als bis nach Florida ausweitet. Was darunter ist, geht mich nichts an.“ Miller nickte kurz, doch Spotswood war noch nicht fertig. „Im Gegenzug werde ich Stillschweigen gegenüber der Krone bewahren und oben in Virginia bleiben. Und als Pfand und Zeichen Eures guten Willens müsst Ihr einen meiner Männer bei Euch ansiedeln. Wo genau, das bleibt Euch überlassen.“
„Einen Eurer Männer?“ Miller war verwirrt. Sollte er vielleicht einem Spion Obhut gewähren, damit Spotswood zu jeder Zeit genau wusste, was er hier unten so trieb? Der Gedanke gefiel ihm eigentlich gar nicht.
„Nun ja, eigentlich gehört er gar nicht richtig zu mir. Er ist Franzose, Vaterlandsverräter und nun ein reicher Mann. Für so einen werdet Ihr doch sicher ein Plätzchen haben, nicht wahr?“
Zufrieden streckte Spotswood nun seine fleischige rechte Hand aus und bot sie Miller zum Einschlagen an. Der zögerte noch kurz, doch dann zuckte er mit den Schultern. Die Bedingungen waren gut, besser, als er erwartet hatte. Und Vaterlandsverräter konnte er tatsächlich gut bei sich gebrauchen. Immerhin war er selbst mehr oder weniger einer.
In dem festen Glauben, dass beide ein gutes Geschäft gemacht hatten, schüttelten sie sich gegenseitig die Hand. Dann ließ Spotswood nach de la Croix schicken.