LilórienSilme
~ Fanfiction-Autorin ~
Kapitel 37
~ Es tut wieder weh
Du tauchst in mein Leben
Schürst aufs Neue die Glut
Und meine älteste Narbe spuckt wieder Blut
Der letzte Studiodrehtag vor der Winterpause kam schneller, als alle dachten. Als sie an diesem Morgen in die Stage kamen, wirkten die Schauspieler seltsam aufgeregt. Joe konnte nicht ganz sagen, wieso das so war. Vielleicht, weil es das Ende eines weiteren Abschnitts markierte. Nun waren zwei Drittel der Dreharbeiten beinahe vorbei.
„Und ihr werdet wirklich das komplette Set abfackeln?“ Die Vorfreude über so ein großes Feuer glomm in Aidans Augen auf und man konnte meinen, dass er noch ein kleiner Junge wäre, der selbst sein erstes Lagerfeuer entfachen würde. Peters Bestätigung, dass es tatsächlich so kommen würde, wie er es gerüchteweise gehört hatte, ließ den jungen Iren dann nur noch mehr aufleben. Begeistert rannte er zu Dean, der mit Graham zusammen stand, und berichtete ihnen die großartige Neuigkeit.
Richard hatte sich in eine Ecke des Sets zurückgezogen und versuchte sich mental auf Thorin einzustellen. Dabei wirkte er immer sehr grimmig auf Außenstehende, doch seine Mitzwerge hatten mittlerweile gelernt, ihn dabei in Ruhe zu lassen. Mehr als einsilbige Antworten hatten sie da ohnehin nicht von ihm zu erwarten.
Joe hingegen hielt sich wieder am Rand auf. Sie war mit ihrem Klemmbrett ausgestattet, das nun scheinbar genauso zu ihr gehörte wie ihre blonde Mähne, und versuchte sich darin, Anweisungen an ihr Team zu geben. Peter hatte sie kurzerhand schon in den Studios zum Kopf des On-Set-Teams für die Kostüme erklärt, damit sie sich schon einmal in ihre Aufgabe als „lead costume standby“ einfinden konnte und für die Außendrehs perfekt vorbereitet war. Sie selbst kam sich allerdings alles andere als perfekt vorbereitet vor, als nun Sally Gray, ein Teil ihres Teams, vor ihr stand und darauf wartete, dass sie den Mund aufmachte.
Ihr Team bestand zu achtzig Prozent aus Frauen, was sie angemessen erstaunte. Irgendwie hätte sie gedacht, dass Peter darauf achtete, dass es nicht zu viel Ablenkung für die Zwerge am Set gab. Immerhin waren viele der Mädels jung und auch einigermaßen hübsch. Da wunderte sie es doch schon ein wenig, dass da nicht mehr als harmlose Flirts bei herumkamen, wenn die Mädels ständig an den Kostümen zupften und damit die Jungs sozusagen befummelten.
Grimmig warf sie einen Blick zu Rebecca rüber, die gerade damit beschäftigt war, Fílis Ensemble zu ordnen. Erst als Sally, die immer noch vor ihr stand und wartete, eine Hand vor Joes Gesicht auf und ab bewegte, merkte die Designerin, dass sie geträumt hatte.
„Entschuldige“, sagte sie schnell, aber leise wie immer, und vertiefte sich in ihre Notizen. Sie drehte das Klemmbrett zu Sally um und zeigte ihr, was hinter Oris Namen stand, denn für diesen Zwerg war sie zuständig, und Sally dampfte wieder ab, was Joe erneut die Gelegenheit gab, Rebecca mit ihren Blicken zu durchbohren.
Sie spürte erst, dass sie beobachtet wurde, als Graham ihr von hinten einen Arm um die Schultern legte. Sie zuckte zusammen und schaute hoch in sein schamlos grinsendes Gesicht. „Eifersüchtig?“, fragte er augenzwinkernd und registrierte zufrieden, wie sich ihr Kopf unter seinen Worten in eine Tomate verwandelte.
„Unsinn“, murmelte sie, atmete aber trotzdem erleichtert auf, als Rebecca endlich von Dean abließ.
In der ersten Pause eilte Joe daher schneller als alle anderen ans Set, um die Zwerge wieder herzurichten, und schob dabei ihre Kollegin bestimmt von Fíli weg, um selbst Hand anzulegen.
Der blonde Kiwi grinste erfreut. „Bist du heute für mich zuständig?“
Sie nickte nur kurz, weil sie nicht wollte, dass jemand mitbekam, wie sie sich einfach vorgedrängelt hatte, und tat so, als wäre der Fellkragen an seinem Mantel das Interessanteste, was sie je gesehen hatte.
Ungerührt, weil er so gut drauf war, fuhr Dean fort. „Ich habe mir übrigens etwas für heute Abend überlegt. Im San Fran tritt eine Band aus Auckland auf. Die machen eine Mischung aus Indie und Mainstream. Das ganze Jahr waren die wohl im Ausland und geben jetzt noch mal ein Heimspiel zum Abschluss der Tour.“
Während Dean sprach, wurden die Bewegungen von Joes Fingern immer fahriger. Ihr Atem ging schneller und auch ihr Herz klopfte lauter. Als sie sich aufrichtete, blickte er sie erstaunt an, weil sie so aufgewühlt wirkte. „Alles okay?“, fragte er. „Wir müssen da nicht hingehen, wenn du nicht willst. Ich dachte nur, dass dir die Musik vielleicht gefällt. Keine Ahnung, wieso. War nur so eine Idee…“ Leicht entmutigt brach er ab.
„Du meinst doch nicht etwa“, begann Joe und holte noch einmal tief Luft, „Denver Auckland, oder?“
Sofort hellte sich sein Gesicht wieder auf. „Doch, genau die! Du kennst sie?“
Ihre Antwort war ein ironisches Schnauben. „Kennen ist wohl untertrieben.“ Das sagte sie so leise, dass er es nicht hören konnte. Sie überlegte einen kurzen Moment, dann setzte sie ein Lächeln auf, von dem sie hoffte, dass es ihn überzeugen würde, und sagte: „Wir können gern dahin gehen.“
Ihrer beider Vorfreude auf den Abend steigerte sich mit jeder Minute, die am Set verstrich. Und bald schon war es so schlimm, dass Joe ihre Arbeit an Emily übergeben musste, die ihren Job als Assistentin nun voll auskosten konnte. Sie gefiel sich in der Rolle, den anderen etwas sagen zu können, und daher fiel es kaum auf, dass Joe immer stiller und nervöser wurde, je weiter der Tag voranschritt.
Zum Mittagessen ging sie erst gar nicht, weil ihr vor Aufregung schlecht war, und verkroch sich stattdessen in ihrem Atelier, wo sie die Tür abschloss und so tat, als wäre sie nicht da. Als Peter dann schließlich den Startschuss für die Pyrotechniker gab, interessierte es sie gar nicht mehr, dass genau vor ihr Flammen in die Höhe schossen. Bevor es allerdings zu heiß werden konnte, mussten alle das Set verlassen. Und damit war der Arbeitstag für beendet erklärt worden.
Auf dem Weg zu seinem Trailer versprach Dean, Joe gegen zwanzig Uhr abzuholen, dann huschte sie auch schon davon. Sie wollte sich ganz viel Zeit für ihr Outfit und ihr Make-up nehmen, damit sie möglichst gut aussah.
Doch zu Hause liefen ihre Gedanken fast Amok, als sie an später dachte. Ständig warf sie einen Blick auf ihr Handy, das jedoch stumm blieb, und wechselte gefühlte dreißig Mal ihre Klamotten, bis sie sich für einen goldenen Rock, ein schwarzes Top und Peeptoe-Plateaus entschied. Ihre Haare ließ sie offen, weil sie keinen Nerv mehr dazu hatte, damit etwas zu machen. Und als Dean mit dem Auto vorfuhr, war sie schon aus der Tür raus, bevor er überhaupt die Gelegenheit hatte, den Motor abzustellen.
Sie parkten in der Nähe der Faculty of Architecture and Design in einer Nebenstraße und gingen den Rest zu Fuß. Dabei bemerkte er, wie Joe vor Ungeduld beinahe zitterte. Er musste zugeben, dass sie wirklich großartig aussah heute. Röcke standen ihr hervorragend. Nur leider trug sie sie viel zu selten.
Er selbst hatte sich für eine helle Jeans und ein schwarzes Hemd entschieden und hatte sich locker eine Krawatte umgebunden. Erst wollte er noch ein Sakko angezogen haben, doch das fand er dann doch etwas zu viel. Jetzt gingen sie schweigend nebeneinander her und er konnte nur schwer der Versuchung wiederstehen, ihre Hand zu greifen und sie zu halten.
Als sie in die Cuba Street kamen, konnte er schon eine lange Schlange vor dem Haupteingang des Clubs sehen. Genervt wollte er schon aufstöhnen, doch Joe dachte gar nicht daran, sich einzureihen. Stattdessen ging sie strammen Schrittes auf den Nebeneingang des Nachtclubs zu, der um die nächste Ecke in einer kleinen Seitengasse lag, und ließ die Wartenden damit hinter sich. Irritiert folgte er ihr. Kurz bevor sie die Tür mit der Aufschrift „Backstage“ erreichen konnte, holte er sie ein. Ein bulliger Türsteher verstellte ihnen den Weg und starrte finster auf sie beide herab.
Der dunkelhäutige Maori war gute vier Köpfe größer als die zierliche Joe, baute sich mit seinen vor der breiten Brust verschränkten Armen wie ein antikes Bauwerk vor ihr auf und brummte mit seiner tiefen Bassstimme: „Kein Zutritt für Unbefugte.“
Dean wunderte sich ein bisschen über die Wortwahl, hatte er doch nicht damit gerechnet, dass der Türsteher ein Wort mit mehr als drei Silben aussprechen konnte. Doch offenbar täuschte das monströse Äußere über einen wachen Verstand hinweg, denn als Joe nun versuchte ihn zu beschwichtigen, zuckte er nicht einmal kurz, sondern wiederholte nur etwas eindringlicher, dass sie hier nichts zu suchen hätten.
„Komm schon“, sagte sie kleinlaut. Ihre Stimme war kaum noch zu verstehen. Und ihre Schüchternheit tat ihr Übriges dazu. Vermutlich wäre sie am liebsten im Boden versunken.
„Nein!“, sagte er, was sich für Dean ziemlich endgültig anhörte, und ignorierte die beiden daraufhin geflissentlich.
Joe startete einen letzten Versuch. „Würdest du Denver dann bitte sagen, dass Joe hier draußen steht? Sie wird dafür sorgen, dass man mich reinlässt.“ Dean staunte nicht schlecht über ihren Mut. Doch der Bluff seiner Begleitung verpuffte vergeblich an der Sturheit ihrer menschlichen Schranke. Resignierend drehte sie sich mit gesenktem Kopf zu ihm um und zuckte hilflos die Schultern. „Tut mir leid“, jammerte sie, doch Dean legte ihr einen Arm um die schmalen Schultern. „Ist schon okay“, sagte er, „ich hatte ohnehin nicht damit gerechnet, dass sie uns hier reinlassen. Kennst du Denver wirklich?“
Die Frontfrau der Band hatte in letzter Zeit nicht nur durch ihre rockige Röhre Bekanntheit erlangt, sondern vor allem mit einer Werbung für den Tierschutz. Auf den überlebensgroßen Plakaten, die im ganzen Land verteilt waren, trug sie nichts anderes als ihre Tattoos und Piercings am Leib, verdeckte verfängliche Stellen jedoch geschickt mit den Händen. Darunter konnte man den Schriftzug „Ink not Mink“ lesen. Da sie einen nicht zu verachtenden Körper hatte, waren diese sexy Bilder schnell in den Nachrichten gewesen und die Band war scheinbar sehnsüchtig in ihrer Heimat erwartet worden, wenn er sich die Menschen ansah, die Schlange standen, um eingelassen zu werden. Offenbar war der Termin hier in Wellington schnell ausverkauft gewesen. Die zwei Karten, die er noch ergattert hatte, waren daher horrend teuer gewesen. Doch er hatte das Geld gern ausgegeben, wenn er dafür einen schönen Abend mit Joe verbringen konnte.
Er wollte sie schon wieder zurück zum Haupteingang schleppen, als die Tür zum Backstage-Bereich plötzlich aufging und ein Kerl mit wildem Bart und einer Wollmütze auf dem Kopf heraustrat. Dank seiner stark ausgeprägten Brauen und dem durch den Bart betonten Kinns wirkte er auf Dean schon fast wie ein Neandertaler.
Betont lässig griff er in eine seiner vielen Hosentaschen, während die schwere Feuerschutztür hinter ihm wieder zufiel, zog eine Packung Marlboro heraus und zündete sich eine Zigarette an. Genüsslich zog er daran und blies den Rauch in Kringeln aus. Bevor Dean auch nur begriffen hatte, wer der Kerl war, rief Joe auch schon begeistert aus: „Matu!“
Der Drummer der Band guckte gelangweilt unter seiner Mütze hervor, blinzelte kurz, dann schien er das kleine Mädchen mit den blonden Haaren und den großen grünen Augen jedoch wiederzuerkennen. Er zog den rechten Mundwinkel zu einem schiefen Grinsen nach oben. „Na, sieh mal einer an“, sagte er und verzog dabei seinen breiten Mund zu einem wissenden Lächeln. „Die kleine Joey kommt zurück nach Hause.“
Deans Augenbrauen wanderten hoch zu seinem Haaransatz und plötzlich machte sich ein schlechtes Gefühl in seiner Magengegend breit, was sich noch verstärkte, als Joe zu dem seltsamen Kerl hinging und ihn einfach so umarmte. Der Neandertaler ließ es geschehen, drückte sie kurz, dann schob er sie wieder von sich. Mit einem kurzen Nicken gab er dem Türsteher zu verstehen, dass er sie reinlassen sollte. Dieses Schauspiel wollte er sich in keinem Fall entgehen lassen!
Joe dankte ihm kurz, dann warf sie einen Blick über ihre Schulter, zurück zu Dean. Der schaute sie verblüfft an, wagte aber nicht zu fragen, was hier vor sich ging. Sein Herz rutschte ihm in die Hose, als sie ohne Umschweife an dem massigen Türsteher vorbeiging, als wäre es selbstverständlich. Nach einem zögerlichen Augenblick folgte er ihr schließlich aber doch.
Trotzdem wurde er diese seltsame Ahnung nicht los, die Besitz von ihm ergriffen hatte. Seitdem er diese Band erwähnt hatte, schien Joe sich plötzlich verändert zu haben. Erst hatte er das noch ignoriert, doch mittlerweile ging das nicht mehr. Dazu war es viel zu offensichtlich. Ihre Augen glänzten, als sie sich in den nackten Betongang hinter der schweren Türe begaben. Neugierig sah sie sich um und war doch viel schneller als er, der nur ihren Rücken fixiert hatte. Als sie schließlich vor einer Abzweigung stehenblieb, holte er sie endlich ein.
Ein bisschen außer Atem blieb er neben ihr stehen. „Du kennst die Band wirklich, oder?“ Er wirkte einerseits beeindruckt und fasziniert, andererseits aber auch zutiefst verschreckt. Das war etwas, was er niemals bei ihr vermutet hätte.
Das schelmische Grinsen, was sich nun auf ihr Gesicht legte, verstärkte seine Vermutung nur noch mehr. „Es sind tatsächlich alte Freunde von mir“, gab sie zu. „Wir sind zusammen auf die Schule gegangen. Denver und ich kennen uns quasi, seit wir noch Kinder waren.“ Dann schien sie plötzlich etwas zu bemerken, wandte sich nach links, in die entgegengesetzte Richtung, aus der schon Partylärm drang, und huschte davon.
„Du kennst dich hier aus?“, fragte er erstaunt, während er wieder hinter ihr herlief.
„Nein“, sagte sie. „Ich gehe der Nase nach.“ Dabei grinste sie und tippte sich auf ihre stupsige Nasenspitze. Erst da registrierte er es auch und grinste ebenfalls halbherzig. Der komplette Gang war leicht dunstig und es roch unverkennbar süßlich, und es war deutlich, woher der ganze Qualm kam.
Vor der verdächtigen Tür blieb Joe schließlich stehen. Ihr Grinsen war noch breiter geworden und sie wirkte sogar ziemlich aufgeregt, als sie jetzt ihre Hand hob und anklopfte.
In dem Raum hinter der Türe, auf der ein Blatt Papier die Anwesenheit der Band verriet, herrschte eine sehr entspannte Atmosphäre. Die restlichen vier Mitglieder von Denver Auckland hatten es sich auf den bereits verschlissenen Sofas gemütlich gemacht und zwei von ihnen sorgten ziemlich gut dafür, dass Zigarettenqualm alles bläulich wirken ließ. Gedankenverloren zupfte einer an seiner Gitarre, während der Zweite genüsslich an seiner Kippe zog. Der dritte anwesende Mann, der jedoch nicht rauchte, studierte ein Notenblatt und die Leadsängerin hatte sich quer über einen Sessel gelegt und ließ Kopf und Füße herunterbaumeln. Ein aufgeregtes Klopfen riss sie aus ihren Gedanken und ließ sie hochfahren.
Genervt verdrehte sie die Augen, stöhnte dann laut auf und wand sich aus ihrer liegenden Position hoch. „Wenn das wieder Blumen sind, schrei ich!“, sagte sie und erhob sich übertrieben schwerfällig. Sie schlürfte auf Socken zur Tür, denn offenbar hatte sie sich noch nicht ihr Bühnenoutfit angezogen. Es sei denn, sie hatte vor, in Jogginghose und Hoody aufzutreten. Sie griff theatralisch an die Klinke, überlegte noch kurz, ob sie vielleicht doch nur rufen sollte, dass keiner zu Hause war und sie bestimmt nichts kaufen wollten, doch dann öffnete sie schließlich.
Der Schrei, den sie danach ausstieß, ließ die drei Jungs im Raum erst erschrocken zusammenzucken, dann drehten sie sich neugierig um. Denn offenbar handelte es sich dabei um einen Freudenschrei und den stieß Denver höchst selten aus.
Gefolgt wurde er von einem wilden Auf- und Abgehüpfe, unverständlichen Quietschlauten und noch mehr Geschrei. Als Johnny, der Keyboarder, es zur Tür geschafft hatte, verdeckte seine beste Freundin aus Kindertagen noch die Person im Gang, doch er ahnte bereits, wer das sein könnte. Bisher kannte er nämlich nur eine Frau, die bei Denver so einen echten Gefühlsausbruch auslöste.
„Mensch, das ist ja Joe!“, rief er aus, als er seine Vermutung endlich bestätigt sah, und schloss die Kleine auch sogleich in eine feste Umarmung ein. Über das ganze Gesicht strahlend schob Joe Johnny wieder von sich weg und betrachtete ihn. Der bekennende Homosexuelle hatte sich seit dem letzten Mal die Haare geschnitten und gefärbt und sah wesentlich fescher aus, als noch vor einem Jahr. „Dein Look gefällt mir!“, gab sie auch gleich ihre Begeisterung kund, griff ihm in das kurze blonde Haar und zog probehalber daran. Doch es saß, wie immer, bombenfest.
„Du siehst auch toll aus!“, sagte auch er jetzt, wurde aber gleich von Denver wieder bei Seite geschoben, damit sie sich der jungen Frau wieder annehmen konnte.
„In der Tat, Süße!“, sagte die Sängerin. „Scheinbar hat dir die Auszeit wirklich gut getan. Nur schade, dass ich nicht da war, um dich richtig aufzupäppeln.“
Joe stieß ein raues Lachen aus. „Ja, damit mein Blutalkohol auf einem konstanten Wert bleibt, meinst du wohl.“ Dabei deutete sie auf die offene Flasche Mexikaner, die schon halb ausgetrunken auf dem Tisch in der Mitte stand.
„Klar, willst du einen?“ Doch bevor Joe antworten konnte, schob sich der Bassist nach vorne. Schüchtern sah er die kleine Blonde an und Denver machte Platz. Sie wusste genau, dass Sam damals etwas für Joe empfunden hatte, sie jedoch tabu für ihn gewesen war. Ob sich das nun ändern würde?
Keiner von ihnen hatte Dean bisher bemerkt, der noch unschlüssig im Gang stand und nicht so richtig wusste, was er tun sollte. Sollte er auf sich aufmerksam machen oder lieber warten, bis Joe wieder einfiel, dass sie in Begleitung hier war? Offensichtlich hatten sich alle eine lange Zeit nicht gesehen und eigentlich wollte er auch ungern diese Wiedersehensfreude stören. Und doch machte es ihn ein bisschen eifersüchtig, dass Joe einfach so diese Männer umarmt hatte.
Allerdings musste er zugeben, dass der Blonde ziemlich schwul auf ihn wirkte. Er erinnerte ihn ein bisschen an Adam und schien daher keine sonderliche Bedrohung zu sein. Im Gegensatz zu dem anderen Kerl, der sein kurzes Haar in einer dunklen Tolle in die Stirn gekämmt hatte und nicht stillstehen konnte. Auch jetzt knetete er seine Hände und trat von einem Bein aufs andere, während er die ganze Zeit Joe beobachtete wie ein verliebtes Eichhörnchen.
Die Designerin allerdings bemerkte davon nichts, denn nachdem sie Denver, Johnny und Sam begrüßt hatte, blieb nur noch einer übrig. Ihr Herz setzte für einen Moment aus, als die anderen Platz machten und den Weg auf ihn freigaben, wie er dort auf dem Sofa saß, die Gitarre auf dem Schoß, und sie nun mit seinen blauen Augen ansah.
Als sich ihre Blicke trafen, legte er sein Instrument wie in Trance beiseite und erhob sich. Dean musterte ihn von oben bis unten und stellte auf Anhieb fest, dass er ihn nicht mochte. Er Kerl, der junge Mädchen verführte und sie dann fallen ließ. Seine straßenköterblonden Haare hingen ihm in Ringellöckchen fast bis auf die Schultern, seine Augen blitzten unter halb geschlossenen Lidern hervor, die ihm einen Ausdruck von akuter Langeweile gaben. Doch seine angespannte Körperhaltung vermittelte etwas ganz anderes. Er war groß und dünn, aber nicht schmächtig. Offenbar war er nicht trainiert, doch dank seines Spiels hatte er ordentliche Armmuskeln, die durch das schwarze Muskelshirt, das er trug, betont wurden. Seine schlanken Beine steckten in hautengen dunkeln Jeans.
Plötzlich lag eine seltsame Spannung in der Luft, die jeder hier im Raum zu spüren schien. Sogar Denver, die vermutlich sonst auch kein Blatt vor den Mund nahm, ging auf Abstand, sodass zwischen Joe und dem Gitarristen nun eine Art Gang entstand.
Wie in Zeitlupe musste der Fíli-Darsteller mit ansehen, wie sich die beiden, auf die nun die ganze Aufmerksamkeit aller hier gerichtet war, aufeinander zubewegten, dann voreinander stehen blieben und sich einfach nur ansahen. Der Gitarrist streckte seine Arme nach ihr aus und sie ließ sich nach vorne fallen, bis ihr Gesicht an seinem Hals lag. Er beugte sich über sie, drückte seine Nase in ihr Haar und sog genüsslich ihren Duft auf. Dann schob er sie wieder von sich, um sie genau anzusehen, jedes Detail ihres Gesichtes aufzunehmen und nie wieder zu vergessen.
Joe lächelte verklärt und Dean spürte einen heftigen Stich der Eifersucht, der sich tief in seinen Magen bohrte und ein Loch hineinriss, als sie voller Freude und Ehrfurcht seinen Namen flüsterte: „Nick, du bist wieder da.“