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Kapitel 36

 

~ War of Gods, Part II

 

Maria schnappte nach Luft, als sie plötzlich wieder mit beiden Beinen einen festen Untergrund erhascht hatte. Sie spürte, wie jemand ihren Kragen wieder losließ und sie besser atmen konnte. Doch sie hatte keine Gelegenheit mehr, sich zu bedanken, denn Captain Turner war schon wieder verschwunden.

 

Der Flying Dutchman war es unter dem Kommando von Stiefelriemen Bill gelungen, ein wenig aus der Gefahrenzone zu segeln. Doch leider nicht weit genug, um völlig aus der Schussbahn zu gelangen. Auch hier noch schwankte sie See ziemlich stark und es kostete die Crew alle Mühe, das Schiff auf Kurs zu halten, während ihr Captain immer weiter Sterbliche an Bord brachte.

 

Maccus war damit ganz und gar nicht einverstanden. Er konnte diese Sterblichen nicht ausstehen und eine Frau an Bord brachte nur Unglück. Doch er wagte es nicht, sich gegen seinen Captain zu stellen, denn er hatte ihm seine Treue geschworen, als Davy Jones von Calypso verschlungen worden war. Und er hatte noch über fünfzig Jahre Dienst an Bord abzuleisten, bevor dieser William Turner ihn endlich entlassen konnte.

 

Grimmig sah er zu, wie der Captain erst diesen Sparrow an Bord holte, dann die Frau, und schließlich noch einen ganzen Haufen anderer komischer Vögel, die er auch schon einmal irgendwo gesehen hatte.

 

Barbossa wehrte sich am heftigsten, als Will schließlich ihn aus den Fluten zog und an Bord warf. Das Holzbein hatte er im tosenden Wasser verloren und so hatte er kaum eine Chance, sind gegen den viel Jüngeren zur Wehr zu setzen. Doch er hatte so verbissen für dieses verdammte Schiff gekämpft, dass er die Queen Anne‘s Revenge nur sehr ungern aufgab. Dieser neue Befehlshaber war nun dafür verantwortlich, dass er seine wohlverdiente Kriegsbeute verloren hatte, und das würde er ihm büßen müssen - wenn er erst einmal ein neues Holzbein gefunden hatte!Erschöpft und völlig nass kehrte Will schließlich zu seinen Freunden zurück. Der Ausdruck in seinem Gesicht ließ nicht schwer erkennen, was er gerade dachte. In seiner rechten Hand hatte er Reste einer Weste.

 

Sofort sahen sich alle an. Von Barbossas neuer Crew, diejenigen, die er von Blackbeard übernommen hatte, hatte niemand überlebt. Sie alle waren mit der Queen Anne in die Tiefe gezerrt worden. Der alte Ezekiel war genauso ertrunken, wie der junge Cabin Boy, der Inder Salaman, der Asiate Garheng und Scrum, der etwas einfältige Engländer. Doch wer hatte von der alten Crew überlebt?

 

Mullroy und Murtogg hatten sich seltsamerweise selber an Bord der Dutchman gehievt. Es würde Jack immer ein Rätsel bleiben, wie diese zwei Einfaltspinsel einfach alles überlebten, was die große, böse weite Welt zu bieten hatte. Einzig ihre verlorenen Kopftücher zeugten davon, dass sie dem Sturm ausgesetzt waren. Nass waren sie ohnehin alle schon vorher gewesen.

 

Auch Pintel und Ragetti standen nach Luft schnaufend und Wasser prustend an Deck, während Cottons Papagei sich triefnass auf der Schulter seines Herrn niederließ. Doch Jack war sich ziemlich sicher, dass einer von ihnen fehlte.

 

Zögerlich ging Gibbs auf Will zu, der immer noch ein wenig fassungslos auf das zerrissene Kleidungsstück in seinen Fingern starrte, als könnte er gar nicht glauben, was gerade passiert war. So leistete er auch keinen Widerstand, als Gibbs ihm den Fetzen aus der Hand nahm. Vorsichtig, beinahe zärtlich, strichen seine rauen Handflächen darüber, dann sah er Jack an. Er murmelte nur ein Wort. „Marty.“

 

Sofort lenkte Will ein. „Es tut mir so schrecklich leid, Jack! Ich habe versucht, ihn aus dem Wasser zu ziehen, doch sein Gürtel war so schwer. Er... Die Pistole daran hat ihn in die Tiefe gezogen.“

 

Tränen sammelten sich in Ragettis einem Auge und auch sein Onkel musste schniefen, als er sich an seinen Neffen lehnte, um dort etwas Trost zu finden. Doch Barbossa unterbrach den seltsam sentimentalen Moment, indem er sie alle wieder auf das Wesentliche aufmerksam machte: „Der Ritt ist noch nicht beendet, Gentlemen!“

 

Eine neue Welle erfasste die Dutchman. Dieses Mal gelang es jedoch jedem, auf den Beinen zu bleiben. Mit Ausnahme von Barbossa natürlich, der sich schwermütig auf eine Kiste, die auf der Brücke stand, hievte. Will übernahm das Steuer, so schnell er konnte, und rief seine Männer zur Ordnung. Barbossa saß bereits neben ihm auf der rechten Seite, während Jack ihn links flankierte. „Also“, sagte Will ins Blaue hinein, „was tun wir jetzt?“

 

Die beiden alten Captains überschlugen sich mit Ratschlägen förmlich und brachten Will dazu, sich die Ohren zuhalten zu wollen. Gibbs mischte sich mit dem Vorschlag zur Flucht ein, doch schließlich durchdrang eine Frauenstimme die Kakophonie der Männer. Angelica stellte sich breitbeinig, um das Gleichgewicht bei dem harten Wellengang nicht zu verlieren, vor Will hin und ignorierte dabei geflissentlich den abfälligen Blick von Jack. Wenn sie noch einmal die Gelegenheit dazu bekam, würde sie die Voodoopuppe erneut einsetzen. „Fragt die Frau!“

 

Die vier Männer oben auf der Brücke hätten nicht erstaunter dreinblicken können und für einen Moment wünschte sich Angelica, diesen Anblick festhalten zu können. Doch dann zwang sie sich zur Räson. „Die Frau dort!“, sagte sie erneut und wies mit einem ausgestreckten Finger auf Maria. „Sie hat uns eben gewarnt. Sie muss etwas wissen.“

 

Sofort nahm Maria eine Abwehrhaltung ein. Mit der einen Hand klammerte sie sich an der Ankerkette fest, die ihr am nächsten war, während sie die andere Hand weit von sich gestreckt in die Höhe hielt. „Nein! Nein, nein, keine Chance!“, rief sie aus, als alle sich schon um sie zu scharren begonnen. Müde zuckte sie mit den Schultern. „Ich weiß überhaupt nichts. Wirklich!“

 

„Liebes!“ Jack verließ seinen Platz auf der Brücke und steig die Treppe zu ihr herunter. Dabei ignorierte er dieses Mal Angelicas Blick, der nur eines bedeuten konnte. „Habt Ihr nicht von einem Geheimnis gesprochen? Könnte es wohlmöglich ein Geheimnis sein, dass uns allen ganz zufällig das Leben retten könnte?“ Leicht schlingernd kam er vor ihr zum Stehen und sah sie mit diesem Blick an, der ihr ganz und gar nicht gefiel. Ganz zu schweigen von dem Blick, den diese andere Frau ihr zuwarf. Irgendwie war sie hier in etwas hinein geraten, was sie überhaupt nicht beabsichtigt hatte. Wie hatte es nur zu solch einem unglaublich großen Schlamassel kommen können? Am liebsten hätte sie sich die Haare gerauft. Doch dazu hätte sie ihren sicheren Halt loslassen müssen und sie war nicht scharf darauf, schon wieder baden zu gehen. Überhaupt schien ihr das in der letzten Zeit viel zu häufig zu passieren.

 

Sie sah Jack herausfordernd an. „Ich weiß wirklich nicht, wovon Ihr sprecht. Ich weiß überhaupt nichts!“

 

Nun mischte sich Will ein. Hatte sie ihm nicht versprochen, ihm die Wahrheit zu erzählen? Vielleicht war das ja jetzt endlich der geeignete Zeitpunkt dafür. Auch, wenn er das irgendwie bezweifelte. Andererseits gab es vielleicht bald gar keinen Zeitpunkt mehr für die Wahrheit, wenn die nächste Welle sie wieder mit voller Breitseite traf. Lange konnte er das Schiff nicht mehr über Wasser halten. „Maria!“, rief er daher von der Brücke herunter. „Bitte, wenn du etwas weißt, dann sag es uns!“

 

„Ja, Kindchen“, drängte nun auch Gibbs sie. „Was hast du schon zu verlieren? Entweder wir sterben alle dumm oder...“, dabei warf er einen Blick in die Runde und die bekannten und unbekannten Gesichter um sich, „oder wir sterben noch dümmer.“

 

Protestierend reckte Ragetti die Faust in die Höhe, dann sah er Pintel von oben herab an. Der zuckte mit den Schultern, um ihm zu zeigen, dass Gibbs vielleicht doch Recht hatte. Und so ließ der Mann mit der Augenklappe die Faust wieder sinken.

 

Maria seufzte. Eben noch hatte sie mit ansehen müssen, wie die Männer, die mit ihr das Schiffsunglück vor den Keys überlebt hatten, von riesigen Wellen in die Tiefe gezogen worden. Selbst der Captain der El Rubi Segundo hatte es nicht überlebt. Wo Montoya, der junge, einfältige Spanier, abgeblieben war, wollte sie lieber gar nicht erst wissen. Vermutlich lag auch er schon auf dem Grund des Ozeans. Dabei hatte sie ihn eigentlich ganz gern gehabt. Er war zwar ein paar Jahre jünger als sie und auch ziemlich festgefahren in seinen Ansichten gewesen, doch er hatte sie gemocht. Das hatte sie trotz der schiefen Blicke noch sehen können. Er mochte zwar ein wenig Angst vor ihr gehabt haben, doch im Grunde war er ihr gegenüber vorwiegend positiv eingestellt gewesen. Und nun war er einfach ausgelöscht worden.

 

Sie straffte ihre Schultern, als sie daran dachte. Das war nun schon das zweite Schiffsunglück in wenigen Tagen, das sie überlebt hatte. Und wenn nicht bald etwas geschah, dann würde sie niemandem mehr dafür danken können. „Dieser Mann, der die vielen Schiffen befehligt...“, setzte sie an.

 

Angelica kam ihr zur Hilfe. „Sein Name ist Captain Henry Miller von der Royal Navy. Angeblich ein Cousin des Königs.“ Dann schwieg sie wieder.

 

Dankbar nickte Maria ihr zu. „Dieser Miller ist im Besitz einer Waffe, eines Horns, wenn ich es eben richtig vernommen habe. Und dieses Horn besitzt die Macht, die Götter zum Kampf zu rufen, buchstäblich!“ Das ungläubige Raunen der Männer an Bord vermischte sich mit dem grollenden Donner in der Ferne und dem Rollen und Stampfen der See. „Ihr habt es eben alle gesehen!“, rief sie aus und wies mit der freien Hand an den Horizont, wo sich bereits die nächsten Wogen auftürmten. „Sobald er in das Horn stößt, gehorcht ihm nicht nur der Ozean, sondern auch der Himmel. Alles, was in seiner Reichweite ist, wird uns zerstören. Und die Mächte werden nicht eher ruhen, bis jeder von uns die letzte Barke genommen hat.“

 

Wir zur Bestätigung ihrer Worte wurde die Dutchman plötzlich wieder heftiger hin und her geworfen. Der Ozean wurde immer wilder, die Weller höher und der Himmel nur noch dunkler. Der Donner kam mit jeder Minuten näher. Drohend ragten hohe Wolkengebilde auf, die von innen von zuckenden Blitzen unheimlich beleuchtet wurden. Es kam Jack beinahe wirklich so vor, als hätten die Götter gerade beschlossen, in den Krieg zu ziehen. Und sie waren die Kriegsbeute.

 

Entschlossen sah er in die Runde. „Dann müssen wir dieses Horn eben zerstören!“ Dabei streckte er beide Arme von sich, um seine Worte gestenreich zu untermalen.

 

„Und was soll uns das noch nützen?“ Pintel hatte seinen Neffen abgeschüttelt. Noch immer glitzerten Tränen in seinen Augen, obwohl es auch Meerwasser hätte sein können. „Marty ist tot!“ Seine Worte schnitten durch den Regen wie ein Schwert, das in Flammen steht. „Und Scrum und Ezekiel. Und viele andere auch.“

 

„Ja!“, pflichtete Ragetti ihm bei. „Wir sollten einfach von hier verschwinden und unser Leben retten.“

 

Wieder wurden Stimmen laut. Beinahe jeder an Bord schien den beiden zuzustimmen, doch Jack musste nur einen einzigen Blick auf das Chaos vor der Küste Tortugas werfen, in dem immer noch gute Männer um ihr Leben strampelten und Schiffe versuchten nicht zu kentern. Er musste noch nicht einmal nach seiner geliebten Pearl sehen, die es bisher wie durch ein Wunder recht gut überstanden hatte. Nur einer der drei Hauptmasten war abgeknickt, der Rest schien noch intakt zu sein.

 

Jack wusste, dass sie schon schlimmere Situationen überstanden hatten. Meistens war es dabei zwar um Streitereien untereinander gegangen, doch sie hatten auch schon anderes gemeistert. „Was soll das?“, schrie er sie an. Dabei sah er jedem einzeln ein paar Wimpernschläge in die Augen, bis sie verlegen den Blick senkten. „Hm, was soll das? Haben wir nicht schon Schlimmeres überstanden?“

 

Pintel und Ragetti traten an die Reling zurück, an der sie vorher gelehnt hatten, und schoben sich zwischen Mullroy und Murtogg, die ihnen nur ungern Platz machten. Beschämt scharrten sie mit ihren nassen Schuhen auf den Planken herum.

 

„Wir waren unsterblich! Und sind es nun nicht mehr. Wir waren im Reich von Davy Jones! Und sind daraus zurückgekehrt. Wir hatten die gesamte East India Company vor unseren Toren stehen! Und wir haben sie zurückgeschlagen.“ Er machte eine Pause, in der er sich nachdenklich seinen Bart zwirbelte. „Ihr wisst“, sagte er schließlich, und er sagte es so leise, dass die Natur seine Worte beinahe wieder verschluckt hätte, bevor sie die richtigen Ohren erreicht hatten, „ich bin kein Freund großer Worte. Noch bin ich ein Freund großer Taten.“ Dabei warf er Will einen Blick zu, der vermutlich nur „Elizabeth“ bedeuten konnte. „Vielleicht bis auf dieses eine kleine Mal. Aber...!“

 

Seine Schritte hallten auf dem nassen Holz unter seinen Füßen wider, durchdrangen den gesamten Rumpf des Schiffes, bis jeder sie zu spüren glaubte. „Aber eins weiß ich ganz sicher: wenn wir jetzt nicht etwas unternehmen, dann sind wir die längste Zeit Piraten gewesen, Männer.“

 

Es blieb eine Weile still. Solange, bis Maria glaubte, sie wären alle vor Ehrfurcht vor diesen Worten erstarrt. Doch dann reckte der alte Mann mit dem weißen Backenbart eine Faust vor. „Aye, Männer! Jack hat Recht! Wir müssen etwas tun. Wir können jetzt nicht davonlaufen, wie feige Kielratten auf einem sinkenden Schiff. Wir müssen uns dem stellen.“ Bedeutungsvoll warf er einen langen Blick auf die Schiffe der Navy, die zwar leicht unruhig, doch immer noch sehr sicher am Strand der Schildkröteninsel lagen. Nur ihre Maste schlenkerten leicht im aufbrausenden Wind. Ansonsten wirkten sie völlig unbehelligt.

 

Fast hätte Maria es als Ungerechtigkeit empfunden, dass der Sturm sie nicht alle gleich schwer getroffen hatte. Doch vermutlich musste es ja einen Vorteil haben, im Besitz des Hornes zu sein. Ansonsten wäre wohl niemand so dumm, es überhaupt erst zu benutzen.

 

Barbossa rückte seinen Beinstumpf auf der Kiste zurecht. Noch immer pochte das Fleisch schmerzhaft, doch er war bereits daran gewöhnt. Es war nicht angenehm gewesen, dieses Holzbein zu tragen. Und doch war es notwendig gewesen. Sollte er jemals wieder in den Besitz eines solchen Stückes gelangen, würde sich dieser aufgeblasene Henry Miller wünschen, er wäre niemals geboren!

 

„Und was schlagt Ihr vor, Master Gibbs?“, raunte Barbossa ironisch. „Ich nehme nicht an, dass Ihr zufällig ein paar Schildkröten dabei habt, die uns sicher an Land bringen können.“ Dabei zog er seine Augenbrauen abfällig in die Höhe, was Gibbs endgültig zum Schweigen zu bringen schien. Entschuldigend zuckte er die Schultern und schob sich hinter Will.

 

Der warf seinem ersten und zweiten Maat einen bedeutungsvollen Blick zu, dann sah er Maria an. Ein spitzbübisches Grinsen stahl sich auf seine Lippen, als er sagte: „Ich hätte da vielleicht eine Idee.“

© by LilórienSilme 2015

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