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Kapitel 35

 

~ War of Gods, Part I

 

Das Horn lag noch immer in seiner Kiste, so wie er es beim letzten Mal gesehen hatte. Doch dieses Mal sah er es mit völlig anderen Augen. Nun war die Stunde gekommen, es zu benutzen. Und darauf hatte er nun lange genug gewartet.

 

Der Deal, den er mit den Franzosen gemacht hatte, hatte dafür gesorgt, dass dieser Fund, den sie damals, vor so vielen Jahren in den Pyrenäen gemacht hatten, völlig verschwiegen wurde. Keine Meldung war an einen Vorgesetzten gemacht worden, als man die kleine Höhle nahe Roncesvalles freigelegt hatte. Zunächst hatte Miller es nicht glauben wollen, was er dort gesehen hatte, doch das zerbrochene Schwert und das blanke Skelett daneben ließen keinen anderen Schluss zu.

 

Ganz klar, was er dort gefunden hatte, war ihm allerdings erst gewesen, als er seine Quellen überprüft hatte. Zurück in England hatte er das Horn in seinem Landsitz untergebracht, wo es heimlich hingebracht worden war. Offiziell war die Kiste, in der es transportiert worden war, als „schmutzige Wäsche“ deklariert worden. Niemand hatte es für nötig gehalten, den Inhalt zu überprüfen. Und so war er nicht nur erfolgreich von einer nahezu hoffnungslosen Mission heimgekehrt, sondern hatte obendrein auch noch eine Waffe gefunden, die es ihm ermöglichen würde, sich an seinem verhassten Verwandten, der ihn auf dieses Himmelfahrtskommando erst geschickt hatte, zu rächen.

 

Das Horn von Roland, Markgraf der Bretagne und Paladin Kaiser Karls des Großen, hatte unversehrt vor ihm gelegen, obwohl die Legende besagte, dass es eigentlich zersplittert hätte sein müssen. Doch wie das manchmal mit Legenden war, stimmte nicht alles daran. Trotzdem hatte er nicht gewagt, es auszuprobieren - bis zu diesem denkwürdigen Moment in der Karibik! Hier nun, vor den Toren Tortugas, würde er die Götter persönlich mit diesem Werkzeug anrufen und sie zwingen, die Meere für ihn zu bändigen und alle Piraten auf den Grund des Meeres zu werfen, die sich gegen ihn stellten.

 

Ehrfürchtig packte Miller das Horn und hob es aus seiner Kiste heraus. Es war leichter, als er zunächst gedacht hatte. Immerhin war es beinahe so lang wie sein Arm, aus dicken Horn gefertigt und mit Metall beschlagen. Wie es sich wohl anfühlen würde, dort hinein zu stoßen?

 

Als seine Lippen das Mundstück berührten, glaubte er, einen Schlag zu spüren. Doch vielleicht war das auch nur seiner Aufregung geschuldet. Dann holte er tief Luft und stieß hinein.

 

Für ein paar Augenblicke glaubte er, gegen eine feste Wand anzupusten, doch dann löste sich etwas in dem Horn und gab den Ton frei, den er so angestrengt hervorzubringen versuchte. Beinahe ohrenbetäubend laut verließ er sein Gefäß und durchdrang das Schiff bis in die letzte Ritze. Miller wagte nicht, abzusetzen, bevor ihm nicht die Luft ausging, aus Angst, es könne zu wenig gewesen sein, dass die Götter ihn erhörten. Doch dann schien seine Lunge förmlich zu platzen.

 

Röchelnd setzte er das Horn wieder ab. Dabei verließ ihn seine Kraft und er ging in die Knie. Erschöpft blickte er durch das Fenster in seiner Kabine auf das Meer hinaus. Würde jetzt gleich etwas geschehen? Die Aufzeichnungen gaben keine Auskünfte darüber, was tatsächlich passiert war, nachdem Roland in seinen Olifanten geblasen hatte. Nur, dass das Hauptheer von Karl dem Großen ihm schließlich zur Hilfe eilte, wurde darin beschrieben. Vielleicht hatte er etwas übersehen.

 

Dann wurde es plötzlich ganz still. Der Wind und das Meer selbst schienen den Atem anzuhalten. Die Segel erschlafften, die Wellen glätteten sich und die Nebelwand wurde durchscheinender. Schon glaubte Miller, ein paar der Piratenschiffe dahinter erkennen zu können.

 

Vorsichtig legte er das Horn wieder zurück an seinen Platz, dann stürmte er an Deck. Seine Mannschaft hatte sich bereits hier versammelt und alle blickten sich erstaunt um. Sogar ein einzelner Sonnenstrahl fiel auf das Holz der Brücke. War es etwa vorbei?

 

Nein, denn mit einem Mal erhob sich am Horizont eine gigantische Welle, die schnell näher kam. Wie ein Tsunami rollte sie auf Tortuga und die Schiffe der Navy zu. Dabei grollte sie, als wäre der Donnergott persönlich darin gefangen genommen worden.

 

Hecktisch begannen seine Matrosen plötzlich an Deck zu rennen. Keiner wusste so recht, wohin er wollte. Doch eines war sicher: sie wollten keine Bekanntschaft mit der Welle machen! Mit einem lauten Brüllen brachte Miller sie alle dazu, augenblicklich innezuhalten. „Alle Mann auf die Posten!“ Und als sich niemand zu rühren wagte, fügte er noch lauter hinzu: „Sofort!“

 

Das wirkte. Die Männer in ihren weißen Hosen, den Schwarzen Schuhen und blauen Jacken taten, wie ihnen heißen wurde, wenn auch nur sehr widerwillig. Doch eine Fahnenflucht kam für sie nicht in Frage, solange ihr befehlshabender Offizier in Reichweite war. Denn das hätte, nach Beendigung der Schlacht, den Galgen für sie bedeutet. Also hieß es entweder hier und jetzt ertrinken, und später das Genick gebrochen zu bekommen.

 

Auch Jack, Barbossa und Captain Teague bemerkten die Welle. Nachdem Marias Warnung im Winde verweht war, hatte jeder eine Idee geäußert. Das Schallen des Horns hatten sie zunächst ignoriert. Nachdem jedoch der Wind abgeflaut und der Nebel beinahe verschwunden war, hatten sich Gibbs‘ Nackenhaare aufgerichtet. „Heilige Maria, Mutter Gottes!“, hatte er geflucht. Dann waren die anderen seinem entsetzten Blick gefolgt.

 

Nun herrschte auch an Deck der Queen Anne‘s Revenge hektische Betriebsamkeit. Doch hier wollte niemand fliehen. Jedenfalls nicht auf eigene Faust. Sie wussten alle nur zu gut, dass sie entweder alle hier herauskamen, oder keiner.

 

„Was ist das?“ Ragetti zeigte mit einem zitternden Finger auf die sich nähernde Welle. Dabei versuchte er sich hinter seinem viel kleineren Onkel zu verstecken. Das gelang ihm jedoch genauso wenig, wie einem Blauwal, der sich hinter einem Hammerhai verstecken wollte.

 

Barbossa jedoch bewahrte einen kühlen Kopf. Routiniert drehte er das Steuer, sodass das Hauptsegel im Wind lag. Der wehte zwar nicht mehr sehr stark, doch es würde hoffentlich genügend, um aus der Schussbahn zu kommen. „Ich weiß es nicht“, gab er ehrlich zu. „Doch ich habe nicht vor zu bleiben und es herauszufinden. Ihr etwas, Master Ragetti?“

 

Der dürre Pirat mit der Augenklappe schüttelte schnell den Kopf, dann überschlug er sich dabei, an seinen Posten zu gelangen, um das Schiff so schnell wie möglich von hier weg zu bringen, während Pintel hinter ihm her lief.

 

Die Welle kam in einer rasenden Geschwindigkeit näher und hatte sie bald erreicht. Es war ihnen gelungen, ein wenig vom vorherigen Kurs abzuweichen, doch die Ausläufer erwischten sie trotzdem. Heftig schlug ein Teil der Woge gegen den Bug der Queen Anne und wirbelte alle an Deck Stehenden durcheinander, wie der Spieler, der seine Würfel im Becher schüttelte. Barbossa konnte sich gerade noch am Steuerrad festklammern, doch sein Holzbein fand keinen Halt auf den glitschigen Planken. Er glitt aus und landete auf seinem Hintern, während seine Hand noch immer schmerzhaft das Volant umklammerte.

 

Jack wurde von Angelica weggeschleudert, die in die entgegen gesetzte Richtung flog; Will landete auf Maria, die schmerzerfüllt aufstöhnte; und Captain Teague schaffte es irgendwie, sicher auf beiden Beinen zu bleiben. Eine Sekunde später bereute er es, nicht die Augen geschlossen zu haben, als er zusehen musste, wie die Welle die Venganza mit voller Wucht traf und versenkte.

 

Holzteile flogen umher, Männer schrieen, dann war es wieder still. „Nein“, stöhnte er. Zum einen war er erleichtert, nicht sein eigenes Schiff kentern sehen zu müssen, doch zum anderen würde er Doña Esmeralda erklären müssen, was mit ihrem alten Schiff geschehen war. Gedanklich legte er sich schon eine Grabrede zurecht.

 

Nur langsam kamen sie alle wieder auf die Beine und sahen dann fassungslos zu, wie das Heck der Venganza in den Fluten versank. Ein paar Männer kämpften noch mit der Strömung, doch der Strudel, der das Schiff erzeugte, zog sie unerbittlich in die Tiefe. Als der letzte Schrei verklungen war, herrschte betretenes Schweigen an Bord. Niemand wagte etwas zu sagen, oder sich gar nach einer zweiten Bedrohung umzusehen. Denn in diesem Moment begriffen sie, dass Marias Warnung ernst zu nehmen war.

 

Mit Wills Hilfe rappelte sie sich wieder hoch. Noch immer fühlte sie die Anwesenheit ihrer Mutter irgendwo hier draußen. Doch etwas hatte sich verändert. Atlacamani war nun nicht mehr die freundliche Göttin, die ein kleines Baby bei sich aufgenommen und es groß gezogen hatte. Jemand hatte ihren Zorn entfesselt und er richtete sich unerbittlich gegen sie, ihre eigene Tochter.

 

Panik ergriff plötzlich Besitz von ihr. Was sollte sie jetzt nur tun? Zwar würde es ihr nichts ausmachen, wenn auch dieses Schiff unterging, denn immerhin war sie unsterblich, doch was würde mit den anderen geschehen? In der kurzen Zeit, die sie an Bord der Flying Dutchman gewesen war, hatte sie eine gewisse Sympathie für Captain Turner und seine Crew entwickelt, dem diese Sterblichen hier scheinbar sehr viel bedeuteten. Konnte sie wirklich so egoistisch sein und nicht helfen?

 

Doch was hätte sie tun sollen? Ihr fiel beim besten Willen nichts ein, was sie hätten tun können.

 

Dann tauchte eine neue Welle am Horizont auf. Dieses Mal war sie größer und schneller und wieder kam sie ungehindert auf die Piraten zu. Die meisten Schiffe hatten bereits begriffen, dass es hier viel zu gefährlich war, doch die Zeit zum Abdrehen war zu knapp. Dieses Mal erwischte es gleich drei Schiffe. Und kaum war die Welle am Strand der brennenden Insel versandet, erhob sich die nächste.

 

Wütend bäumte sich nun das Meer gegen sie auf, warf die Schiffe darauf umher wie Spielzeuge. Der Himmel verdunkelte sich innerhalb weniger Augenblicke, bis er fast schwarz war. Kein Sonnenlicht drang mehr zu ihnen durch. Alles war in seltsames lilanes Zwielicht getaucht wie vor einem beginnenden Gewitter. Dann kam der Wind.

 

Mit einer Macht wie ein Faustschlag kam er über sie, riss Segel von ihren Masten herunter und Taue aus ihrer Verankerung. Kanonen lösten sich aus ihren Halterungen und schlingerten ungehindert über die Planken, warfen dabei Männer über Bord, durchschlugen die Reling und boten somit Angriffsfläche für das Wasser, was von außen kam. Kalte Hände griffen nach dem Bug, zogen ihn hinunter und die Oberfläche, ließen wieder los, um das Schiff beim Emporschnellen aus dem Wasser zu zerreißen. Tote Körper flogen durch die Luft, begruben Lebende unter sich oder zogen sie mit sich in die Tiefen.

 

Große Löcher tauchten im Meer auf, bildeten wilde Strudel, die die Schiffe einfingen, um sie nach unten in das undurchdringliche Schwarz zu ziehen. Von oben prasselte der Regen hinab, der Donner grollte ohrenbetäubend über ihnen, Blitze schlugen in die See ein. Feuer flammte auf Deck auf, ergriff Besitz von allem, was brennbar war, ließ die Segel in Flammen aufgehen, nur um sie gleich entweder vom Wasser aus der Tiefe oder vom Wasser aus dem Himmel in Rauch verschwinden zu lassen. Asche regnete mit dem Süßwasser herab, brannte in den Augen der Piraten, bis niemand mehr etwas sehen konnte. Das Meer und der Donner brüllten um die Wette, bis niemand mehr etwas hören konnte. Und das Salzwasser erfüllte ihre vom Schreien aufgerissene Münder, bis sie nicht mehr schreien konnten.

 

Panisch griffen sie alle um sich, versuchten etwas vom Schiff selbst oder voneinander zu fassen zu bekommen, um nicht hilflos in dieses Gefecht der Götter gezogen zu werden, doch kaum einer schaffte es. Ihre Hände griffen ins Leere, rutschten an den feuchten Planken aus oder wurden von einem umher wirbelnden Teil getroffen und sie mussten unter Schmerzen das rettende Stück, die rettende Person loslassen.

 

Es gelang Will gerade noch so, Jack am Kragen zu packen und an Bord der Flying Dutchman zu schaffen, bevor er wieder zurück in die Fluten sprang. Wenn er konnte, würde er sie alle auf sein Schiff bringen und von hier fort segeln. Denn das, was er gesehen hatte, war ungeheuerlich. Dieser Miller, von dem Captain Teague gesprochen hatte, schien tatsächlich Macht über die Götter zu haben, und er hatte sie gerufen, damit sie sie alle vernichteten. Und so einen Kampf konnten sie unmöglich gewinnen.

 

© by LilórienSilme 2015

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