LilórienSilme
~ Fanfiction-Autorin ~
~ Schlechte Nachrichten
Das Knistern und Knacken der Äste weckte Sahîrim als erstes. Zunächst begriff er nicht, was ihn aus dem Schlaf gerissen hatte, und sah sich um. Dabei bemerkte er, dass etwas schwer auf seinem Arm lag und er sah an sich herunter.
Dort, in seinen Armen, lag Nefertirî und schlief. Auf ihrem Gesicht lag ein Ausdruck von tiefster Zufriedenheit. Sie schien völlig sorgenfrei und glücklich. Ruhig hob und senkte sich ihre Brust und ihr leichter Atem strich sanft über seine entblößte Brust. Er hatte seinen Mantel über sie beide gelegt, damit sie in der Nacht nicht frieren würden, doch diese Sorge war völlig unbegründet gewesen.
Dann hörte er es wieder. Irgendjemand war in der Nähe, das konnte er spüren. Vorsichtig schob er seine Liebste von sich hinunter, darauf bedacht, dass sie nicht erwachte. Er griff nach seiner Hose und zog sie sich über, dann schlich er von der Lichtung in das nahe gelegene Unterholz.
Regungslos wartete er darauf, dass sich erneut etwas bewegte, doch er musste warten, bis er es erneut hörte. Es war links von ihm. Nahezu lautlos schlich er nun auf die Quelle des Geräuschs zu und es fiel ihm jetzt erst auf, dass er gar keine Waffe mitgenommen hatte. Kurz verfluchte er sich in Gedanken dafür, sagte sich jedoch, dass das Überraschungsmoment auf seiner Seite war und er so vielleicht den heimlichen Beobachter überrumpeln konnte.
War ihnen vielleicht sogar jemand aus Valmar hierher gefolgt? Hatte jemand ihre Spur entdeckt und wollte sie nun wieder zurück schleppen? War es vielleicht sogar Legolas selbst, der ihn vermutlich dafür töten würde, was er mit seiner Tochter getan hatte?
Er hörte noch etwas genauer hin. Jetzt konnte er hören, dass es Schritte auf dem Waldboden waren, die sich näherten. Es konnte kein junger Elb sein, denn dafür waren die Schritte zu schwerfällig und laut. Legolas hätte sich vermutlich ebenso wenig so an sie heran geschlichen. Doch wer mochte es sonst sein?
Ein Knacken von kleinen Ästen verriet ihm, dass er nun hinter demjenigen war. Der Unbekannte hatte sich bereits dicht an die Lichtung heran geschlichen und war nicht mehr weit von der ersten Baumreihe entfernt. Sahîrim konnte bereits wieder Nefertirî sehen, wie sie noch schlafend auf dem Boden lag. In diesem Moment überkam ihn ein solcher Beschützerinstinkt, dass er wohlmöglich jeden, der meiner Tochter auch nur ein Haar gekrümmt hätte, sofort getötet hätte. Ja, er liebte Nefertirî von ganzem Herzen.
Und plötzlich sah er es: eine leicht gebeugte Gestalt, in einen langen Mantel gehüllt, der ihre Figur fast vollständig verbarg, trat langsam auf die Lichtung und stellte sich genau neben Nefertirî. Sahîrim wollte schon losstürmen, als er etwas bemerkte. Die Gestalt neigte ein wenig den Kopf zur Seite, wie um besser sehen zu können, und dann murmelte sie Worte, die er nicht verstehen konnte. Doch die Stimme erkannte er.
Vorsichtig, um sie nicht zu erschrecken, trat er schließlich auch auf die Lichtung. Er wusste nun, dass keine Gefahr mehr bestand, dass er sich unbeirrt zeigen konnte. „Mea govannen, luithia“, sagte er und die Gestalt wandte sich langsam um, als könne sie nicht glauben, was geschah. Sie schlug die Hände vor ihr Gesicht, dann kamen die Tränen.
Ihre Knie gaben nach und sie sank auf den Boden. Sofort war Sahîrim bei ihr, nahm sie in den Arm wie ein kleines Kind. „Mein kleiner Junge“, sagte Díhena und sah ihn immer noch an, als hätte sie einen Geist gesehen und nicht den Jungen, den sie so viele Jahre lang groß gezogen hatte. Ungläubig legte sie eine Hand an seine Wange und streichelte sie. „Du bist wirklich hier. Ich hätte nicht gedacht, dass ich dich finden würde.“
Von dem leichten Tumult geweckt, setzte Nefertirî sich auf, bedeckte sich weiterhin mit dem Mantel und griff nach ihren Kleidern. Als sie sich vollständig angezogen hatte, kam sie zu den beiden. Sahîrim hielt Díhena immer noch in den Armen, die jedoch mittlerweile vor Erschöpfung eingeschlafen war. Langsam legte er sie sachte auf den Boden, bettete ihren Kopf auf seine Jacke und kam zu meiner Tochter. Er gab ihr einen Kuss auf die Stirn und zog sie ein Stück weiter weg, um Díhena nicht zu wecken.
„Wer ist das?“, fragte Nefertirî und blickte verwirrt auf die am Boden schlafende Gestalt. Sie fror ein wenig, denn der Wind hatte wieder aufgefrischt und brachte dunkle Wolken mit sich.
Sahîrim legte einen Finger an die Lippen. „Das ist meine Amme Díhena“, flüsterte er. „Sie hat mich und meinen Bruder groß gezogen, während mein Vater damit beschäftigt war, Rachepläne zu schmieden. Sie ist eine treue Seele und deswegen verstehe ich nicht, was sie hier macht. Sie sieht völlig erschöpft aus und ist auch sofort eingeschlafen. Sie muss bereits seit Tagen unterwegs sein.“
„Du machst dir Sorgen um sie“, sagte meine Tochter und blickte ihren Liebsten freudestrahlend an. So kannte sie ihn noch gar nicht, doch ihr gefiel diese neue Seite an ihm. Er wirkte irgendwie sanfter und gelöst seit der letzten Nacht, als hätte man ihm das Himmelsgewölbe von den Schultern genommen. „Wie wäre es, wenn du uns etwas zu Essen besorgst und ich werde in der Zeit ein Feuer entfachen, hm?“
Zögerlich nickte er und machte sich auf in den Wald. Wenig später knisterte ein kleines wärmendes Feuer vor ihnen und darüber brieten vier Fische. Dazu hatte er neues Wasser von der Quelle geholt und ihre Wasserschläuche damit gefüllt. Von dem guten Duft wach gerüttelt erhob Díhena sich auch schließlich, als die beiden soweit fertig waren und man essen konnte.
Nachdem die Mahlzeit verschlungen war, begann Díhena ihnen zu erzählen, was Delos vorhatte. Entsetzt hörte Nefertirî zu, wagte aber nicht, etwas zu sagen. Konnte das wirklich möglich sein? Würde es tatsächlich einen Krieg geben? Ihr Leben war bisher so friedfertig abgelaufen, dass ihr der Gedanke an einen Kampf so abwegig und so unendlich weit entfernt vorkam, als hätte ihr jemand eine Geschichte aus den Altvorderen Tagen berichtet. Es konnte unmöglich sein, dass dieser Krieg vor ihre Haustüren kommen würde.
Sahîrim hatte die Arme vor der Brust verschränkt, die noch immer nackt war. Erst jetzt schien ihm kalt zu werden und er zog sich sein Hemd über. Auch er hatte schweigend zugehört, was seine Amme zu berichten hatte. Doch im Gegensatz zu Nefertirî traute er seinem Vater durchaus das Gesagte zu. „Wann will er hier sein?“, fragte er an Díhena gewandt.
Doch diese schüttelte den Kopf. „Ich weiß es nicht genau“, sagte sie. „Es ist zu lange her, dass ich an den Klippen war. In der Zeit könnte er schon marschbereit sein. Auch wenn ich das nicht so ganz glaube.“
„Wir müssen meine Eltern warnen!“, schaltete sich nun meine Tochter ein. Ihr stand die Angst um ihre Familie ins Gesicht geschrieben.
Sahîrim versuchte zu beruhigen. „Mach dir bitte keine Sorgen. Es wird alles gut werden“, sagte er und wollte schon die Hände nach ihr ausstrecken, doch sie wich vor ihm zurück, Wut glomm in ihren Augen auf.
„Wie kannst du so etwas sagen?“, zischte sie. „Das Leben meiner Familie steht auf dem Spiel, einschließlich meiner neugeborenen Schwester! Wir müssen sofort nach Valmar reiten und sie warnen.“ Díhena nickte zur Bekräftigung ihrer Worte.
„Hör zu“, sagte Sahîrim. Noch immer war er ruhig, doch sie konnte sehen, dass sein Kiefermuskel sich angespannt hatte. Ihm gefiel diese Situation auch nicht besonders, doch er hatte einen anderen Blickwinkel. Er konnte in etwa die Waffenstärke der Armee seines Vaters einschätzen und wusste, dass Valmar keine Stadt war, die für eine Belagerung oder gar einen Krieg errichtet worden war. Es war eine friedliche Stadt, die für Zeiten des Friedens gebaut worden war.
„Wir müssen jetzt gut überlegen, was wir tun wollen. Wenn wir nach Valmar reiten, um deine Familie zu warnen, werden sie gegen meinen Vater rüsten. Und dann kommt es zum Krieg. Willst du das?“
„Natürlich nicht!“, rief Nefertirî aus. „Doch was passiert, wenn wir nichts tun und nur zusehen? Dein Vater wird gegen Valmar ziehen und meine Familie vernichten, weil sie nicht gewarnt wurden. Willst du das?“ Tränen glitzerten nun in ihren Augenwinkeln und er konnte hören, wie ihre Stimme zitterte. Sie litt Todesängste.
Ohne darauf zu achten, dass sie wieder vor ihm zurückwich, ging er auf sie zu und schloss sie fest in seine Arme ein. Einen Augenblick lang wehrte sie sich gegen den schraubstockartigen Griff, wollte ihn von sich stoßen, toben und schreien und weinen, doch dann erschlafften ihre Arme plötzlich und sie hing in seiner Umarmung wie ein nasser Fetzen Stoff, zu erschöpft, um noch etwas zu tun. Die Tränen quollen nun unaufhörlich aus ihren Augen, durchnässten den Stoff seines Hemdes, doch er achtete nicht darauf. Er wollte sie nur halten, sie trösten und ihr Geborgenheit geben.
Nach einer Weile schaltete sich Díhena wieder ein. Sie hatte den beiden schweigend zugehört und zugesehen, doch jetzt drängte die Zeit. Auch sie war der Meinung, man müsse die Stadt vor der nahenden Bedrohung warnen. Doch sie hatte auch Angst, dass es bereits zu spät sein könnte. Ihr Weg durch die Wildnis hatte sie viel Zeit gekostet, weil sie sich hier draußen so schlecht zurecht gefunden hatte. Und sie verfluchte sich im Geheimen dafür, dass sie nicht schneller gewesen war.
Doch daran war nun nichts mehr zu ändern. Sie hatte gesehen, dass die beiden auf Pferden hierher gekommen waren. Damit würden sie auf jeden Fall schneller sein und konnten vor Delos in Valmar sein. Jedoch nur, wenn sie bald aufbrechen würden. Sie konnte spüren, dass etwas in der Luft lag.
Von Norden her rollte eine Wand dunkler Wolken an. Díhena war schon alt, doch so etwas hatte auch sie noch nicht erlebt. In Valinor hatte es immer schönes Wetter gegeben, denn das Land war von den Valar gesegnet, die den Himmel kontrollierten. Jetzt, wo ihre Macht offensichtlich zu schwinden schien, brach ein Unwetter über sie herein. Das konnte nur ein schlechtes Zeichen sein.
Langsam ging sie auf die beiden zu, hoffte noch, dass sie von alleine zu sich kommen würden, doch als sie bei ihnen war, hatten sie sich immer noch nicht bewegt. Vorsichtig streckte sie eine Hand nach Sahîrims Arm aus, berührte ihn sanft und zog seine Aufmerksamkeit damit auf sich. „Wir dürfen nicht warten“, flüsterte sie zwischen die Schluchzer von Nefertirî. „Du weißt, dass wir sie warnen müssen. Du weißt, dass es richtig ist.“
Verzweifelt biss er sich auf die Lippen. All die Jahre hatte sein Vater ihn auf diesen Kampf vorbereitet, ohne dass es ihm richtig bewusst gewesen wäre. Doch nun begriff er, was sein Vater vorgehabt hatte.
Entschlossen straffte er die Schultern. Das durfte alles nicht geschehen! Er wusste nun, dass er seit seiner Geburt darauf getrimmt worden war, gegen die Elben aus Valmar in den Kampf zu ziehen. Doch nun, da er Nefertirî kennen und lieben gelernt hatte, war seine Wut, die er all die Jahre über tief in sich gespürt hatte und die er nie zuordnen konnte, verschwunden und der Liebe für die junge Elbe gewichen. Er wusste, dass er sie beschützen wollte. Und wenn er jetzt zögerte, dann würde er das nicht können.
„In Ordnung“, sagte er und schob sie von sich, um ihr in die Augen sehen zu können. „Wir reiten nach Valmar und warnen deine Familie. Doch ich werde nicht für euch kämpfen.“ Sie wollte schon protestieren, doch er sprach einfach weiter, achtete nicht darauf, dass sie Luft geholt hatte um zu sprechen. „Ich werde weder für euch, noch für meinen Vater kämpfen. Und damit meine ich, dass ich weder gegen euch, noch gegen ihn kämpfen werde. Verstehst du das?“
Langsam nickte sie. Natürlich verstand sie das. Sein Vater blieb nun einmal sein Vater, auch wenn er noch so grausam zu ihm gewesen war. Delos’ Blut floss durch seine Adern und so nett wir auch zu ihm gewesen waren, wir waren nicht seine Familie.
„Sie werden uns ohnehin nicht kämpfen lassen“, sagte Nefertirî und wischte sich die Tränen ab. „Doch vielleicht werden sie uns zuhören, wenn sie keine andere Wahl haben.“ Ihr Gesicht hellte sich plötzlich auf, als eine Idee in ihr zu reifen begann.
„Was meinst du damit?“, fragte er stirnrunzelnd.
„Wir sind ihre Kinder. Glaubst du wirklich, sie werden aufeinander einschlagen, wenn wir uns zwischen sie stellen und sie zu Verhandlungen zwingen?“ Nun schien sie neuen Mut gefasst zu haben. Sie hatte endlich einen Plan, etwas, woran sie sich festhalten konnte. Und vielleicht würde sie sogar einen möglichen Kampf verhindern können, wenn sie es nur geschickt anstellen konnte.
Díhena sah meine Tochter an. „Glaubst du wirklich, sie werden euch zuhören?“
Schnell packten die beiden Jungelben ihre Sachen zusammen, pfiffen ihre Pferde herbei und beluden sie. Als sie damit fertig waren, griff Nefertirî nach der Mähne ihrer Stute, doch sie hielt noch kurz inne, bevor sie sich hinauf schwang. Ihr Blick glitt über die kleine Lichtung, die ihr nun so viel bedeutete. Hier hatte sie Sahîrim zum ersten Mal getroffen, hier hatte alles begonnen. Und wenn es so sein sollte, dann würden sie auch hier das letzte Mal zusammen gewesen sein. Doch sie wusste, dass sie das Richtige tat.
Ein Lächeln umspielte nun ihre Lippen. Der Wind wehte nun stärker, riss ein Blatt von einem Baum, was langsam, durch die Böen getragen, auf den Weiher zusegelte und auf der Wasseroberfläche liegen blieb. Kleine Wellen kräuselten sie.
Wie auf ein geheimes Zeichen hin grollte ein Donner am Himmel in demselben Augenblick, da das Blatt das Wasser berührte. Sahîrim schwang sich auf sein Pferd, zog Díhena hinter sich und wartete darauf, dass auch Nefertirî saß.
„Der richtige Weg ist nun mal nicht immer der einfachste Weg“, sagte sie, grub ihrer Stute die Fersen in die Flanken und jagte im Galopp davon.
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Übersetzung:
luithia=Amme (kommt von luithia-, was stillen bedeutet; Wortneuschöpfung)