LilórienSilme
~ Fanfiction-Autorin ~
Kapitel 34
~ Warning by a Goddess
Der Wind tobte bereits seit mehreren Tagen über die Insel, doch so schlimm, wie an diesem Tag, war er bisher nicht gewesen. Henry Miller fiel es immer schwerer, etwas in dem aufsteigenden Dunst zu erkennen, für den er selbst verantwortlich war. Der Rauch der im Regen zischenden Feuer vermischte sich mit dem Nebel, der vom Meer aus aufstieg, und schuf eine undurchdringliche Wand, die sie beinahe einzukreisen schien. Das einzig Gute daran war, dass der Feind vermutlich genauso wenig sehen konnte wie sie.
Nachdem Gouverneur Spotswood mit seinen Schiffen eingetroffen war, hatte er sich schon auf der sicheren Seite gesehen. Doch leider hatte er dies schnell wieder revidieren müssen. Das gleichzeitige Auftauchen dieses merkwürdigen Geisterschiffes, von dem er wusste, dass es sich nur um die Flying Dutchman handeln konnte, hatte den Piraten auf Tortuga wieder etwas Mut verliehen und sie hatten einen Ausfall gewagt.
Den hatte er allerdings schnell wieder ersticken können und so waren ihm noch mehr in die Falle gegangen. Immer enger hatte er den Kreis um die Insel schließen können, bis niemand mehr ungesehen von ihr herunter gekommen war. Seine Kerker an Bord der Schiffe waren bereits zum Bersten voll mit Gefangenen, die alle der Galgen erwartete. Wenn er Glück hatte, würden sich einige davon sogar vorher schon selbst umbringen. Das ersparte ihm sehr viel Zeit, wenn er zurück in Port Royal war.
Die heutige Wendung des Geschehens sagte ihm allerdings ganz und gar nicht zu. Wie aus dem Nichts waren weitere Piratenschiffe aufgetaucht und hatten sich den anderen beiden außerhalb des Angriffsringes angeschlossen. Wütend betrachtete er das Schlamassel vor sich. Er hatte zwei seiner besten Schiffe verloren!
Ungehalten ließ er nach Lieutenant Greitzer schicken. „Wer ist das?“, verlangte er zu wissen, als Greitzer endlich bei ihm war. Es hatte seine Zeit gedauert, vom Schiff des Gouverneurs herunter zu kommen bei all dem Chaos. Miller deutete nun auf die Venganza, die aus dem Nebel aufgetaucht war.
Greitzer kniff die Augen zusammen. Auch, wenn er lange Zeit unter Cutler Beckett gedient und sehr viel mitbekommen hatte, was seiner kirchlichen Erziehung zuwider handelte, wusste er dennoch nicht alles. Angestrengt versuchte er zu erkennen, was sich dort abspielte, doch er musste passen. „Ich weiß es nicht, Sir“, gab er zu und wappnete sich innerlich schon für eine Standpauke.
Dann jedoch kam ihm das Schicksal zur Hilfe, als hinter dem Flaggschiff schwarze Segel aufragten. Seine Augen weiteten sich.
„Was?!“ Miller wurde langsam ungeduldig. Eigentlich hatte er gehofft, seine Geheimwaffe noch nicht einsetzen zu müssen, doch wenn das hier so weiterging, würde er keine andere Wahl haben. Nicht, dass er Angst davor hatte, das Horn zu blasen. Doch er wusste immer noch nicht ganz genau, wie es danach weitergehen würde. Die Legende besagte, dass demjenigen, der in das Horn stieß, Hilfe zueilen würde, und dass es die Götter persönlich sein würden, die ihm dann beistehen würden. Aber wie konnte er sie kontrollieren?
Der Sturm, der sich kurz nach seinem ersten Angriff auf die Schildkröteninsel erhoben hatte, hatte ihm gezeigt, dass die Götter wohl längst anwesend waren. Doch aus irgendeinem Grund schienen sie sich noch zurück zu halten. Anders konnte er sich nicht erklären, wieso er noch hier war. Denn war ein Gott erst einmal wütend, dann konnte nichts und niemand dieser Wut trotzen, dessen war er sich sicher.
„Das“, stotterte Greitzer, schluckte einmal, „das ist die Black Pearl. Aber das ist unmöglich!“
„Wieso? Wem gehört das Schiff? Kann sie uns gefährlich werden?“
„Nicht gefährlicher, als die Queen Anne‘s Revenge oder die Flying Dutchman persönlich. Meine Quellen haben mir berichtet, dass dieses Schiff gesunken ist. Mehrmals! Wie kann es jetzt wieder hier sein?“ Verwirrt blickte der Lieutenant auf die schwarzen Segel. Er musste sich ein paar Mal über die Lippen lecken, bevor er sich wieder ganz gefasst hatte. Langsam wurde ihm das alles zu bunt. Wenn er gekonnt hätte, hätte er sofort ein Schiff gen London bestiegen und hätte dem allen hier den Rücken gekehrt. Doch leider war er schon mitten drin.
Die Piratenschiffe sammelten sich nun alle, die Neuankömmlinge vereinten sich mit denen, die bereits hier waren, sowie mit denen, die einen Ausfall aus dem Ring der Belagerer gewagt hatten. Beinahe dreißig Schiffe hatten die Piraten nun auf ihrer Seite, darunter mindestens ein Schiff, was unsinkbar war, buchstäblich!
Die Situation geriet so langsam außer Kontrolle. Miller musste nun handeln. Er konnte es sich nicht leisten, noch länger zu warten und vielleicht darauf zu hoffen, dass sie doch noch obsiegen würden. Er wollte lieber nichts dem Zufall überlassen.
Daher ließ er den Lieutenant stehen, gab Befehle, die Stellung zu halten, und begab sich unter Deck. Nun kam es darauf an.
Und während die Schiffe der Navy sich neu positionierten, starrte Jack noch immer wie gebannt auf den wunderschönen Papagei, der es sich auf der Schulter von Cotton gemütlich gemacht hatte, als wäre er nie weg gewesen. Er musste ein paar Mal schlucken, bis er verdaut hatte, was er sah. Dann erblickte er mit eigenen Augen, was er schon vermutet hatte: seine geliebte Pearl war wieder da!
Doch bevor er diesen Moment richtig genießen konnte, sah er, wer sein Schiff steuerte. Sofort sank ihm das Herz herab. Er schnappte überrascht nach Luft, als sich ein stechender Schmerz durch seine Brust bohrte, dann warf es ihn auf die Knie. Er konnte nicht mehr atmen, sein Hals schnürte sich schmerzhaft zu, helle Flecken begannen vor seinen Augen zu tanzen, bis er nicht mehr wusste, wo oben und unten war. Der Regen klatschte ihm ungehindert ins Gesicht, was ihn darauf schließlich ließ, dass er auf dem Rücken lag. Das raue Holz im Rücken spürte er jedoch nicht. Das einzige, was für ihn noch wichtig war, war zu atmen.
Seine Hände fummelten fahrig an seinem Gürtel nach dem kleinen Fläschchen, was er für Notfälle immer bei sich trug, doch er konnte den erlösenden Rum nicht greifen. Ihm wurde bereits schwarz vor Augen. Seine Zunge fühlte sich an, als wäre sie um das dreifache ihrer normalen Größe angeschwollen und taub. Er war kaum in der Lage, zu schlucken.
Als Barbossa sah, dass Jack sich um Atem ringend auf dem Boden wälzte, gab er Cotton den Befehl, das Steuerrad zu übernehmen. Auch er hatte die Pearl gesehen und auch er konnte er nicht so ganz glauben. Immerhin war er dabei gewesen, als Blackbeard das Schiff versenkt hatte. Was danach mit ihr geschehen war, blieb für ihn noch im Dunklen. Er konnte sich nur noch daran erinnern, dass ein finsterer Strudel sie in die Tiefe gezogen und nicht wieder hergegeben hatte.
Nun zerrte er Jack in eine sitzende Position. Der Stumpf seines rechten Beines protestierte dabei heftig gegen die ungewohnte Bewegung, in die Knie zu gehen, und dankte es ihm, indem er pulsierend zu pochen begann. Doch Barbossa ignorierte es. Er hatte zwar keine besonders tief gehenden Gefühle für Jack übrig, doch wenn er schon sterben musste, dann wenigstens durch seine eigenen Hand und nicht durch irgendeinen dunklen Zauber.
Dann war es plötzlich vorbei. Japsend holte Jack Luft, musste jedoch sofort davon Husten, als etwas von dem Regen den Weg in seine Lunge fand. Verwirrt sah er sich Barbossa gegenüber, der sich über ihn gebeugt hatte, um zu sehen, wie es ihm ging. „Was war das?“
Stöhnend kamen beide wieder auf die Füße, dann übernahm Barbossa wieder das Steuer. „Du wirst mir doch nicht die Chance verwehren, dich durch meine eigene Kugel verleben zu lassen, oder, Jack?“
„Ich hatte nicht vor, dir irgendwelche Umstände zu bereiten“, erwiderte Jack, während er sich seine Jacke wieder zurecht zupfte. Irgendetwas sagte ihm, dass dieser kleine Anfall von eben nicht mit rechten Dingen zuging. Es hatte sich beinahe so ähnlich angefühlt, wie diese Regung, die er vor ein paar Wochen auf Tortuga verspürt hatte, als sein Vater ihm berichtet hatte, dass die Pearl nur mit Hilfe von Blackbeards Blut befreit werden konnte.
Plötzlich traf ihn ein Geistesblitz. Natürlich!, dachte er. Angelica!
Sie musste diese kleine Puppe von ihm gefunden haben, die Blackbeard als Druckmittel gegen ihn eingesetzt hatte, um ihn dazu zu bewegen, die Kelche von Ponce de León zu besorgen.
Wütend ballte er die Hände zu Fäusten. Wenn er diese kleine Falschspielerin in die Finger bekam, dann würde er...
Doch bevor er diesen Gedanken zu Ende denken konnte, krachte eine Kanonenkugel dicht an seinem Kopf vorbei in das Oberdeck der Queen Anne. Unwillkürlich zuckte er zusammen. Dieser Kampf war ziemlich unausgeglichen. Und zu allem Überfluss regnete es auch noch! Selbst mit der Pearl, der Dutchman und der Queen Anne hatten sie gegen die schiere Überzahl an Navy-Schiffen nicht die geringste Chance. Irgendetwas musste ihm ganz schnell einfallen.
„Wenn wir so weiter machen“, rief er gegen Regen und Wind Barbossa zu, „werden wir alle auf dem Grund des Meeres liegen, bevor die Sonne wieder aufgeht. Irgendwas muss uns einfallen.“
„Was schaust du mich dabei so an? Du bist doch immer derjenige, mit den guten Ideen.“ Lässig duckte Barbossa sich unter einer weiteren Kanonenkugel durch, die nur knapp seinen Hut verfehlte, während Jack dem Geschoss nachsah, bis es im Nebel hinter dem Schiff verschwunden war.
„Wir müssen uns in den Nebel zurück ziehen!“, rief er plötzlich. „Zumindest, bis uns etwas Besseres eingefallen ist.“ Hilflos zuckte er mit den Schultern. Er wusste, dass das nicht sein beste Idee war, doch etwas anderes blieb ihnen im Moment nicht übrig. Vielleicht konnte er sich mit Will beraten, wenn sie erst einmal eine Verschnaufpause eingelegt hatten. Dann würde ihnen sicher etwas einfallen. Oder er würde seinen Vater um Hilfe bitten. Und wenn das nicht funktionierte, konnte er immer noch eine seiner beliebtesten Taktiken anwenden und einfach abhauen.
Als die anderen Piratenschiffe sahen, dass die Queen Anne‘s Revenge sich aus dem Dunstkreis der Kanonensalven zurück zog und in den Nebel hinein steuerte, folgten sie ihrem Beispiel, und binnen weniger Minuten war Miller mit seiner Flotte alleine zurück geblieben. Hätte er nicht gewusst, dass die Piraten in diesem dichten Nebel genauso wenig sehen konnten wie er, hätte er sich vermutlich Sorgen gemacht. Doch ein Schuss ins Blaue blieb bei diesen Wetterbedingungen ein Schuss ins Blaue. So kam auch er zu einer kleinen Verschnaufpause, die er nutzen konnte, um den letzten Schritt seines Plans auszuführen.
Will unterdessen ließ die Dutchman direkt neben der Queen Anne ankern und huschte an Bord, bevor Jack auch nur einen Ton gesagt hatte. Wie aus dem Nichts wuchs er neben seinem alten Freund aus den Holzbohlen und stand plötzlich neben ihm.
Jack machte einen erschrockenen Satz zur Seite, tat dann jedoch so, als hätte er nur seine Stiefel richten müssen, bevor er sagte: „Du solltest das wirklich lassen, William. Es ist gruselig.“
Will grinste nur gelassen. „Entschuldige. Ich wollte dich nicht erschrecken.“
Barbossa kam Jack zuvor, indem er ihm das Wort abschnitt. „Gentlemen“, rief er, dann warf er einen Seitenblick auf Maria, die sich ebenfalls wieder an Deck begeben hatte. Sie hatte endlich ihr schon zerfetztes Kleid gegen Hosen und Stiefel eingetauscht. Ihr sonst so wildes Haar steckte unter einem Hut, den sie nur mit Mühe und Not auf ihrem Kopf hielt, denn der Wind wollte ihn ihr wieder nehmen. Knapp nickte er daher in ihre Richtung. „Mylady. Wie ihr sicher alle bemerkt habt, stecken wir in der Klemme.“
Ein zustimmende Gemurmel wehte über das Deck zu ihm hin, doch niemand schien auch nur die geringste Idee zu haben, wie sie hier wieder herauskommen sollten. „Nun, es scheint mir, als bräuchten wir einen kleinen Geistesblitz, um aus dieser verfahrenen Situation wieder möglichst unbeschadet herauszumanövrieren. Hat jemand einen Vorschlag zu machen?“
Doch zu seinem Ärger blieben sie alle still. Leider konnte er es ihnen nicht einmal verdenken. Auch er selbst hatte nicht den geringsten Einfall. Wenn sie die Schiffe der Navy nicht auseinander bringen konnten, dann würden sie nie die Gelegenheit bekommen, sie zu versenken. Sie nur von außen zu bombardieren, hatte bisher nichts genützt. Doch sie auseinander zu bringen, erschien ihm ziemlich unmöglich.
Die Stille wurde durchbrochen, als sich neue Gäste an Deck der Queen Anne einfanden. Captain Teague stieg gerade die Planke hinab, dicht gefolgt von Angelica, die genüsslich vor sich hin lächelte. Ihre braunen Augen wanderten suchend über die Anwesenden, bis sie Jack endlich hinter Gibbs fand, wo er sich offenbar verstecken wollte. Zielsicher ging sie auf ihn zu. Als sie vor ihm stand, stemmte sie die Hände in die Hüften. „Master Gibbs“, sagte sie kühl und der alte Mann trat zur Seite. Er hatte gelernt, sich nie mit einer wütenden Frau anzulegen.
„Wie es aussieht“, sagte sie gönnerhaft und ignorierte dabei die ihr zugeworfenen Blicke aller anderen Anwesenden, „bist du außer dir vor Freude, mich lebend zu sehen, Jack.“
Der wiederum richtete sich nun auf, da seine Schutzbarriere den Dienst quittiert hatte, und lächelte verlegen. „Ich bin in der Tat überrascht“, gab er zu, „dich hier zu sehen. Noch dazu in Begleitung meines Vaters und mit der Black Pearl im Schlepptau. Doch ich habe dich nicht ganz ohne Grund auf dieser Insel zurück gelassen. Und es wäre ziemlich töricht von mir zu glauben oder gar zu hoffen, dass eine winzig kleine Chance bestand, dass du lebend aus dieser prekären Situation heraus kommst. Immerhin bist du Blackbeards Tochter.“
Gerne hätte er ihr noch mehr Dinge an den Kopf geworfen, die sie dazu veranlasst hätten, aus der Haut zu fahren, doch wieder einmal wurde sein Redeschwall unterbrochen. Dieses Mal von Maria. Ihre braunen Augen hatten sich vor Schreck geweitet und ihr Blick hing irgendwo ganz weit in der Ferne. Und doch schien sie durch den Nebel zu blicken, auf die Insel und die Belagerer rund herum, denn sie sagte mit einer Stimme, die nicht ihr zu gehören schien: „Ihr solltet fliehen, solange Ihr noch könnt. Nicht mehr lange, und der Wind wird nicht mehr auf Eurer Seite sein. Wenn Euch Euer Leben lieb ist, dreht Ihr bei und verlasst die Karibik. Segelt weit weg und kehrt nie wieder zurück.“
Ihr Blick flackerte plötzlich, wie eine Lampe, die dabei war, auszugehen. Dann wirkte sie wieder klar. Verwirrt blickte sie sich um, sah die Leute, als wüsste sie mit einem Mal nicht mehr, wo sie überhaupt war. Doch die Erkenntnis kam schnell wieder zurück. Sie hatte gerade wieder einmal Besuch von der Göttin gehabt. Dieses Mal jedoch enger und intensiver als jemals zuvor. Noch nie hatte Atlacamani Besitz von ihr ergriffen, noch nie durch sie gesprochen. Es musste also sehr ernst sein. Hatte es vielleicht etwas mit dieser Waffe zu tun, von der die Göttin gesprochen hatte? Doch wenn das der Fall war, was hatten sie dem entgegen zu setzen?
Egal, was es sein würde, es musste schnell geschehen, denn auf einmal spürte Maria, dass etwas heran rollte, wie eine nicht aufzuhaltende Woge, die alles in ihrem Weg mit sich reißen würde. Dann erklang in der Ferne das dumpfe Schallen eines Horns.