LilórienSilme
~ Fanfiction-Autorin ~
Kapitel 33
~ Wind in your Sails
Angelica hatte sich erstaunlich schnell von ihren Strapazen auf der Insel und in ihrer Isolation erholt. Es fiel ihr leicht, sich mit Captain Teague zu unterhalten. Sie genoss seine Gesellschaft sehr, denn für sie war er wie der Vater, den sie niemals hatte.
Natürlich hatte sie gewusst, wer ihr Vater war, doch seit man sie damals in dieses Kloster gesteckt hatte, wo sie mehr oder weniger aufgewachsen war, hatte sie nicht mehr viel von ihm gehört. Sie gelegentlichen Geldgeschenke hatte sie dem Konvent gestiftet, ohne sich groß darüber Gedanken zu machen. Als sie jedoch dann davon gehört hatte, dass ihr Vater zum Tode verdammt war, wollte sie ihm trotzdem helfen. Auch, wenn er nicht unbedingt dem üblichen Bild eines Vaters entsprach. Er blieb ihr Erzeuger und Blut war dicker als Wasser.
Edward Teague allerdings war ganz anders als Blackbeard. Auch, wenn er eine harte Schale hatte, die nicht leicht zu durchdringen war, steckte ganz tief in ihm ein weicher Kern. Der allerdings nur für diejenigen zugänglich war, die ihm wirklich etwas bedeuteten. Und glücklicherweise schien Angelica sich zu dem erwählten Kreis zählen zu dürfen. Hätte er ihr sonst das Schiff seines Sohnes überlassen?
Sie ahnte wohl, was Jack sagen würde, wenn sie mit der Black Pearl im wilden Gefecht auftauchen würde. Die Zeit in ihrem Glasgefängnis hatte dem Schiff nicht geschadet. Im Gegenteil. Es wirkte eher, als hätte es eine kleine Verjüngungskur mitgemacht. Vielleicht ein hübscher Nebeneffekt dieses ganzen Zaubers.
Ihre Hände klammerten sich an das Steuerrad des Schiffes, während sie hinter der Venganza hersegelte. Die Flying Dutchman war bereits voraus geeilt auf ihre eigene Weise, um vielleicht noch ein paar andere Piraten zum Kampf zu bewegen. Leider war es erst durch Captain Teagues beherztes Auftreten gelungen, die Treulosen in Schiffbruch Bay dazu zu bewegen, ebenfalls ihre Segel zu hissen. Will Tuner alleine wäre dies niemals gelungen. Auch, wenn sie alle noch einen großen Respekt vor seinem Schiff hatten, den neuen Captain der Dutchman nahmen sie noch nicht so ernst, wie sie es wohlmöglich gesollt hätten. Doch das konnte sich nach dem Ausgang dieser Schlacht vielleicht sogar ändern.
Nach ihrem letzten Abenteuer hatte Angelica eigentlich schon mit dem Leben abgeschlossen. Sie war bereit gewesen, ihre Jahre, die ihr noch auf dieser Erde geblieben waren, für ihren Vater zu opfern. Doch Jack hatte dies vereitelt. Danach hatte er sie auf dieser Insel zum Sterben zurück gelassen und sie hatte erneut mit dem Leben abgeschlossen. Dieses Mal hatte sie Jacks Vater gerettet. Und nun würde sie in eine Schlacht ziehen, die sie wohlmöglich auch nicht überleben würde. Konnte ein Mensch wirklich so lebensmüde sein, dass er gleich drei Mal den Tod in kauf nahm?
Ein kleines Händchen auf ihrer Wange holte sie aus ihren Grübeleien heraus. Sie drehte sich zu dem Affen um, der auf ihrer rechten Schulter saß. Auch ihm war es mehrmals gelungen, dem Tod ein Schnippchen zu schlagen. Und das nicht zuletzt, weil er mittlerweile unsterblich war. „Hallo, Jack“, sagte sie und streichelte ihm über den kleinen Kopf. Er bedankte sich, indem er den Kopf schief legte und breit grinste.
Es würde nicht mehr lange dauern, dann hätten sie Tortuga erreicht. Es war nun nur noch eine Frage von Stunden. Doch war sie schon bereit dazu? Wollte sie das wirklich?
Diese Frage umfasste nicht unbedingt den Kampf, sondern vielmehr das Wissen, dass sie bald wieder diesem Sparrow gegenüber treten musste. Wenn er die Pearl sah, würde ihn wohl nichts auf der Welt davon abhalten können, sie sich wiederzuholen. Und wenn es aus ihren toten, kalten Fingern war.
Doch sie dachte gar nicht daran, ihm das zu verwehren, was er am meisten liebte. Sie wusste, dass es mal etwas zwischen ihnen gegeben hatte, doch vermutlich war das schon lange vorbei. Es war spätestens dann vorbei gewesen, als er sie auf dieser Insel zurück gelassen hatte.
Wütend krallten sich ihre Fingernägel in das Holz unter ihren Händen. Ja, sie würde diesem Sparrow zeigen, dass sie nicht so leicht unterzukriegen war. Auch, wenn er glauben mochte, dass sie nur ein schwaches Weib war, so war sie immer noch Blackbeards Tochter. Und als diese war sie nicht bereit, sich kampflos zu ergeben. Sollte er dieses Schiff haben wollen, dann würde sie es ihm geben. Doch vorher würde sie noch eine Narbe bei ihm hinterlassen, die ihn mehr zeichnen würde, als das schlichte P auf seinem Unterarm.
Wie von selbst fanden ihre Finger die Puppe in der Innentasche ihrer Weste. Sie trug sie noch immer bei sich, denn das Meer hatte sie ihr geschenkt. Und sie gedachte auch, dieses Geschenk mit der nötigen Ehre zu benutzen.
Bevor sie jedoch etwas unternehmen konnte, ertönte aus dem Krähennest ein Ruf. Unverständlich sah sie ihren ersten Maat an, einen Mann, den sie aus Schiffbruch mitgenommen hatte und der ihr vertrauenswürdig erschien. Er hatte nur ein Auge, was schon fast blind war, doch er fand sich auf einem Schiff besser zurecht, als jeder Matrose, den sie kannte, der zwei gesunde Augen besaß.
„Polizón“, rief sie ihn und sogleich war er an ihrer Seite. „Macht die Geschütze klar.“
„Aye, Captain!“, rief er, salutierte, dann trippelte er die Treppe hinunter zum Deck. Dabei rief er Befehle und innerhalb kürzester Zeit waren alle Kanonen klar.
Auch die Venganza hatte sich gefechtsbereit gemacht. Vor sich sah Captain Teague bereits einen Schimmer auftauchen. Der Horizont war von dicken Wolken verschleiert, unter denen ein Sturm zu toben schien. Es war, als beschränke sich das Wetter ausschließlich auf diesen Bereich. Und doch konnte er spüren, dass sich sein Schiff über die Wellen warf, die mittlerweile gute drei Meter hoch waren. Obwohl sie noch ein ganzes Stück davon entfernt waren, konnten sie hier schon die Ausläufer der Schlacht spüren. Innerhalb weniger Stunden würden sie da sein. Da wollte er vorbereitet sein.
Eine Gänsehaut überzog seine alten Arme, als er sich versuchte auszumalen, was dort wohl auf sie warten könnte. Aus Schiffbruch Bay hatten sie gute zwei Dutzend Schiffe mitgebracht, doch er hatte keine Ahnung, wie viel die Navy wohl aufbringen konnte. Wenn er an die letzte Schlacht von vor fünf Jahren dachte, waren sie wohl nicht annähernd genug, um ihnen trotzen zu können.
Hoffentlich hatte sich sein Sohn noch nicht selbst umgebracht, dachte er grimmig. Er würde ihn lieber selber erschießen, als dass einer dieser pikierten Briten ihn in die Finger bekam. Irgendwie hatte er gehofft, dass Angelica seinen Jack ändern konnte. Und das mochte ihr auch für eine gewisse Zeit gelungen sein. Doch sobald sein Sohn etwas verspürt hatte, was ihm nicht gefiel, war er verschwunden gewesen. Das mochte auch der Grund dafür gewesen sein, wieso er die Gute auf dieser Insel zurückgelassen hatte: zu viele alte Gefühle hatten sich in ihm breit gemacht. Und bevor die Chance bestanden hatte, dass er ihnen nachgab, hatte er die Ursache dafür eliminiert.
Das sah seinem Sohn wirklich ähnlich. Tauchte auch nur das geringste Anzeichen für Schwierigkeiten auf, machte er sich aus dem Staub. Dieses Mal jedoch hatte Captain Teague dafür gesorgt, dass sich diese Schwierigkeiten wieder an seine Fersen hefteten. Nicht umsonst hatte er Angelica die Black Pearl überlassen.
Natürlich hätte er sie ohne ihre Hilfe nicht befreien können. Und deswegen hatte sie einen Preis verlangt: sie wollte diejenige sein, die Jack sein Schiff zurück brachte. Sie sagte, das schulde sie ihm für die Rettung ihres Lebens. Doch Captain Teague wusste, dass sie auch gedachte, Jack für die kleine Eskapade auf der Insel bezahlen zu lassen. Wie, das konnte er sich nur ausmalen. Und er hoffte, dass er dabei sein würde, wenn es soweit war.
Grinsend lenkte er sein Schiff direkt auf den Sturm zu. Die Venganza war nun das Flaggschiff einer Flotte von Piraten, die bereit waren, alles für ihre Freiheit zu tun. Er wusste, dass das goldene Zeitalter der Piraterie bald vorbei sein würde. Es war nur noch eine Frage von Jahrzehnten, bis sie alle am Galgen baumeln würden. Wenn er Glück hatte, würde er das jedoch nicht mehr erleben. Er zog es vor, entweder in der Schlacht zu sterben, durchsiebt von einer Salve Pistolenkugeln, oder friedlich in den Armen einer Frau. Beides hatte seinen Reiz.
Vielleicht jedoch, und nur vielleicht, waren sie mit diesem Kampf endlich in der Lage, einen Befreiungsschlaf zu führen, der allen sogenannten ehrbaren Männern der Krone - wer diese Krone auch tragen mochte - zeigte, was sie von Piraten zu erwarten hatten. Das jedenfalls erhoffte er sich. Obwohl er sich nicht ganz sicher war, dass es klappen würde.
Trotzdem hatten sie immer noch die Flying Dutchman auf ihrer Seite, ein Schiff, was nicht umsonst in so vielen Legenden auftauchte. Die Black Pearl würde vermutlich für weiteres Unbehagen unter den Matrosen der Navy sorgen. Und auch die Venganza war keine Unbekannte. Sie hatte früher einem alten Freund von Edward Teague gehört, Don Rafael. Davor war sie ein Schiff von König George I. gewesen und unter dem Namen HMS Peregrine getauft worden. Doch das war lange vorbei. Nachdem Don Rafaels Enkelin das Schiff übernommen hatte und eine Weile mit Jack Sparrow gesegelt war, war sie irgendwann den Abenteuern überdrüssig geworden und zurück nach Spanien gesegelt, wo sie Captain Teague ihr Schiff überlassen hatte. Wo sie nun war, wusste er nicht. Doch er war ihr sehr dankbar dafür.
Sein eigenes Schiff, die Troubadour, hatte er sicherheitshalber noch in ihrem Glasgefängnis gelassen. Er wollte nicht riskieren, sie noch einmal zu verlieren. Wenn das alles vorbei war, würde er hoffentlich noch Gelegenheit haben, sie wieder segeln zu können.
Als es schließlich Abend wurde und der Schein am Horizont stärker leuchtete, hatten sie ihr Ziel beinahe erreicht. Helle Feuer spiegelten sich in den Wolken wider und tauchten das Meer unter sich in ein merkwürdiges Licht. Captain Teague rief seinen ersten Maat Rufus zu sich und gab ihm die Befehle weiter. Dann machten sich alle bereit.
Einer seiner Matrosen hisste die Piratenflagge, was für die restlichen Schiffe in der Flotte das Zeichen war, sich ebenfalls bereit zu machen. Viel hatten sie nicht mehr zu tun, denn die Kanonen waren bereits in Gefechtsstellung gegangen. Doch nun zogen auch die Piraten ihre Waffen, luden ihre Pistolen und tranken sich Mut an. Für viele würde es der letzte Schluck Rum sein, den sie in ihrem Leben trinken würden, und den wollten sie genießen.
Dann fiel der erste Schuss.
Donnernd krachte er direkt in den Bug eines der Schiffe, die nahe an die Venganza herangekommen waren, um neben ihr in die Schlacht zu ziehen. Captain Teague hatte den Schuss nicht kommen sehen, denn mittlerweile war das Meer zu aufgewühlt, der Nebel zu dicht und der Regen prasselte auf sie nieder. Es kam ihm beinahe so vor, als hätte der Himmel selbst seine Schleusen geöffnet, um sie alle zu ertränken. Er konnte kaum über den Bugspriet hinaus sehen. Also war der Treffer vermutlich nur Glückssache gewesen.
Allerdings hatte er keine Lust, ebenfalls so einen Glückstreffer zum Opfer zu fallen. Daher gab er den Befehl: „Feuer!“
Sofort spieen die Kanonen an Bord ihre Ladung aus. Blind schossen sie in die dichte Suppe aus Gischt, Nebel und Regen hinein, in der Hoffnung, den Feind zu treffen. Nach nur wenigen Metern wurden sie verschluckt und man konnte nur noch vermuten, ob sie im Wasser oder auf einem Deck einschlugen.
Es dauerte nicht lange, da hatte der Feind bemerkt, aus welcher Richtung nun gefeuert wurde, und so mussten sie bald ihren Kurs ändern, wenn sie nicht ein einfaches Opfer werden wollten. Der heftige Wind spielte ihnen in die Karten, als Captain Teague das Steuer wendete. Er drehte in den Sturm hinein und plötzlich war der dichte Dunst verschwunden.
Vor ihm tat sich eine schreckliche Szene auf: Feuer schwammen auf dem Wasser, steckten anderes Holz in Brand, was auf den tosenden Wellen trieb; Wrackteile ragten teilweise aus den Fluten, versperrten den direkten Weg zur Inseln, die bereits halb abgebrannt war. Wo einst die Stadt der Sinnenfreuden gestanden hatte, ragten nur noch verkohlte Reste in den Nachthimmel hinein. Rauch stieg von manchen Feuern auf, die der Regen zu löschen versuchte. Der beißende Gestank von verbranntem Fleisch stieg ihm in die Nase. Hätte er ein weniger starkes Gemüt gesessen, hätte er sicher würgen müssen.
Doch abgeklärt, wie er nun einmal war, sog Edward Teague die komplette Situation in sich auf und versuchte zu erfassen, was sich hier gerade abspielte. Er sah Schiffe aus England, welche aus dem Norden, aus den neuen Kolonien, wie sie es nun nannten. Sie trugen Flaggen, die er nicht kannte, doch es war unschwer zu erkennen, zu wem sie gehörten. Sie alle hatten sich in einem Kreis um die Insel postiert, den sie jedoch nun aufgeben mussten, da sie von Süden her angegriffen wurden.
Die zwei Dutzend Schiffe auf Schiffbruch Bay schlugen in einer Spitze ein Loch in den Ring hinein und trieben den Feind ein Stück auseinander. Das ermöglichte es den festsitzenden Schiffen auszubrechen.
Es waren nicht mehr viele von ihnen übrig gewesen. Beinahe alle Piratenschiffe, die noch in Tortuga geankert hatten, waren von der Navy versenkt worden. Auch die Queen Anne‘s Revenge hatte daran nichts ändern können. Sie hatte die königlichen Schiffe zwar von außen beschossen, hatte sich aber schnell wieder in den Nebel zurückziehen müssen, der sich wie eine Wand um die Schlacht geschlossen hatte. Und über allem tobte der Sturm, peitschte jedem, der es wagte, an Deck zu treten, den Regen ins Gesicht und machte ihn beinahe blind.
Jack Sparrow stand direkt neben Barbossa, der das Steuer der Queen Anne übernommen hatte, und staunte nicht schlecht, als er seinen Vater am Bord eines der Schiffe erblickte, die gerade angekommen waren. Will hatte ihm zwar berichtet, dass es Captain Teague gesprochen hatte, als er vor ein paar Stunden wieder aus den Fluten aufgetaucht war, doch so richtig geglaubt hatte Jack es nicht.
Die Taktik, mit der sie ein paar Jahre zuvor Cutler Beckett besiegt hatten, indem sie die HMS Endeavour in die Zange genommen hatten, wollte bei den Schiffen hier nicht so recht klappen. Keiner schien die Formation verlassen zu wollen. Und so war ihnen nichts anderes übrig geblieben, als sie von außen zu bombardieren. Allerdings war das bei einer Anzahl von zwei Schiffen zu Dutzenden keine lohnende Ausbeute gewesen. Gerade mal acht Schiffe hatten sie versenken können, bis sie selbst wieder den Rückzug hatten antreten müssen.
Nun jedoch schien es ein bisschen ausgeglichener zu sein. Zumindest konnte Jack das nur hoffen, denn er glaubte kaum, dass sein Vater alleine gekommen war. Bevor er jedoch noch einen Blick auf die restlichen Schiffe werfen konnte, lenkte etwas seine Aufmerksamkeit ab.
Seine alten Kameraden hatten sich allesamt an den Kanonen versammelt. Nur Cotton stand auf der Brücke, da er als zweiter Steuermann eingreifen musste, sollte Barbossa etwas zustoßen oder er in Kämpfe verwickelt werden. Zu Nahkämpfen war es allerdings bisher nicht gekommen, da keiner nah genug an die Belagerer der Insel herangekommen war.
Verwirrt blickte er auf den hellen Punkt, der zwischen den Masten aufgetaucht war und so ganz und gar nicht ins Bild passen wollte. Am Anfang wirkte es eher, wie ein Stück einer verirrten Flagge, die im Wind trieb, doch dann sank es weiter herab. Immer tiefer trudelte es in den heftigen Böen, die es mal auf, mal nieder drückten, bis es schließlich auf der Schulter des zweiten Steuermanns landete. Krächzend spreizte der Papagei die Flügel, zeigte seine wunderschöne gelbe Brust, und rief: „Schiff, ahoi!“