LilórienSilme
~ Fanfiction-Autorin ~
Kapitel 32
~ Return of the Past
Schiffbruch Bay lag im Zwielicht, als die Flying Dutchman sich aus den Fluten erhob. Die Berge ringsherum ließen kaum Sonne auf das Wasser durch, sodass es hier beinahe immer dunkel war. Nur ein winziger Eingang im Felsgestein erlaubte es einem einzigen Schiff, ins Innere der Festung zu gelangen. Wer den Weg nicht kannte, war dazu verdammt, den Tod auf den Riffen außerhalb zu finden. Doch Will benötigte nicht den üblichen Eingang.
Ein paar Befehle später legte sein Schiff bereits an einer der vielen Stege an und eine Planke wurde hinausgeschoben, um ihm den Ausstieg zu erleichtern. Bevor er jedoch einen Fuß darauf setzen konnte, hielt er inne. Die zehn Jahre waren noch nicht vorbei. Und auch, wenn dies hier offensichtlich kein übliches an Land gehen war, würde die Göttin es trotzdem nicht zulassen. Widerwillig wandte er sich an seinen ersten Maat. „Mr. Turner!“
Stiefelriemen Bill war sofort zur Stelle, als sein Sohn ihn rief. „Aye, Sir!“, sagte er und salutierte ergeben.
„Finde heraus, ob einer der Piratenfürsten vor Ort ist. Und falls nicht...“ Will unterbrach sich. Er wusste nicht, was er tun sollte, sollte niemand hier sein, mit dem er besprechen konnte, was er vorhatte. Er durfte auch nicht allzu viel Zeit verlieren, denn für die Männer, Frauen und Kinder auf Tortuga ging es um Leben und Tod. Kamen sie zu spät, würde von der Insel nichts mehr übrig sein. Und wenn die Navy damit fertig war, was hielt sie davon ab, alle anderen Piratenparadiese aufzusuchen und ebenfalls dem Erdboden gleich zu machen? Wohlmöglich würde sie sogar verrückt genug sein, Schiffbruch Bay zu belagern, auch wenn es bisher noch niemand geschafft hatte, sie einzunehmen. Dieser neue Befehlshaber besaß offenbar die Skrupellosigkeit eines Cutler Beckett, die Grausamkeit eines Davy Jones und den Schneid eines Hector Barbossa.
Wills Vater nickte knapp, dann stiefelte er die Planke hinunter. Sein Sohn sah ihm eine Weile nach, denn glitt sein Blick nach oben. Er betrachtete die Stadt Schiffbruch wehmütig. Er war noch niemals hier gewesen, hatte aber Geschichten von dieser Piratenstadt gehört. Sie bestand ausschließlich aus Schiffsteilen, die aufeinander getürmt wurden und denen genügend Platz bot, die hier Zuflucht suchten.
Elizabeth hatte ihm damals vom 4. Treffen der Bruderschaft berichtet, wie es ausgegangen und wie es abgelaufen war. Doch dieses Bollwerk nun mit eigenen Augen zu sehen war etwas ganz anderes. Er überlegte kurz, dann wandte er sich an den Rest der Mannschaft. „Männer, ich brauche eure Hilfe.“
Alle kamen näher heran. Sie trugen nun nicht mehr die Fischköpfe, die Korallen und Seetiere in ihren Gesichtern und auf ihren Rücken. Sie waren wieder zu Menschen geworden, Menschen aus Fleisch und Blut, die zwar völlig normal wirkten, jedoch dank der Göttin unsterblich und an dieses Schiff gebunden waren. In den fünf Jahren, die er mittlerweile schon Captain war, hatten einige ihren Dienst an Bord beendet und er hatte sie in das Totenreich begleitet. Dafür waren neue Matrosen hinzu gekommen, die er angelernt und in die Crew integriert hatte. Doch davon hatte bisher keiner wirklich großes Geschick gezeigt, sodass er hätte einen hohen Posten innehaben können. Er verließ sich noch auf dieselben Männer, wie auch schon seiner Zeit Davy Jones. Auch wenn einige davon sicher nicht mehr allzu lange auf seinem Schiff bleiben würden.
Maccus stand am nächsten bei Will. Sein Lächeln glich noch immer dem eines Haifisches, wenn er die Zähne bleckte. Doch seine Augen waren nicht mehr ganz so tot und leer. Blau blinzelten sie ihn nun erwartungsvoll an. „Schwärmt aus in die Stadt“, sagte Will, „und sprecht mit jedem Captain. Jeder, der kann und will, soll sein Schiff bereit machen und nach Tortuga segeln. Und sie sollen jedem, der ihnen begegnet, berichten, was vorgefallen ist.“ Er zögerte kurz und lauschte in sich hinein. Es hatte eindeutig seine Vorteile, wenn man mit der See verbunden war.
Und sein Bauch sagte ihm nun, dass nicht nur die Schiffe der Navy in der Karibik kreuzten, sondern auch Schiffe aus dem Norden kamen, die hier eigentlich nichts zu suchen hatten und die er auch nicht kannte. Gefühlsmäßig jedoch bedeuteten sie Ärger. Ganz zu schweigen von dem Sturm, der sich zusammen braute.
„Sagt ihnen“, fuhr er nach einer Weile fort, „dass Schiffe aus dem Norden kommen und die Piraten angreifen werden, dass niemand mehr sicher ist, sollte Tortuga fallen. Wenn die Insel erst einmal eingenommen wurde, wird nichts und niemand diesen Mann aufhalten können.“
Cannon Arm schob sich nach vorne. Er machte seinem Namen jetzt zwar keine Ehre mehr, doch er war noch immer teuflisch gut im Umgang mit Pistolen. Nahezu bei jeder Gelegenheit fuchtelte er mit einer herum und machte Will damit ganz nervös. Sein tiefer Bass dröhnte, als er sprach, sodass man ihn vermutlich in jeder Ecke des Schiffes hören konnte. „Wer ist dieser schleimige Sohn eines Bandwurms? Wer wagt es, sich gegen die Götter und uns zu stellen?“
Er reckte seinen rechten Arm mit der Pistole in die Höhe und ermunterte seine Kameraden dazu, ihm grölend zuzustimmen.
Als sie sich wieder beruhigt hatten, hob Will beschwichtigend die Arme. „Ich kenne ihn nicht, aber...“ Doch bevor er weiter sprechen konnte, wurde er unterbrochen. Maccus packte ihn am Arm, erlangte damit die Aufmerksamkeit seines Captain, der dem erstaunten Blick seines zweiten Maats folgte und erst einmal die Augen zusammenkneifen musste. Konnte das wahr sein?
Doch dann kam die Person näher, die gemächlich über den Steg zur Dutchman trottete. Doch nicht, weil sie genügend Zeit hatte, sondern weil sie offenbar schon sehr alt war. Und jetzt sah Will auch, dass es unmöglich sein alter Freund sein konnte, denn dieser Mann hier war um einiges älter als Jack Sparrow. Und doch war eine gravierende Ähnlichkeit nicht von der Hand zu weisen. War das wohlmöglich der berüchtigte Captain Teague?
In all den Jahren, die er nun schon auf See verbracht hatte, hatte er viele Geschichten über den ehemaligen Piratenfürst aus Madagaskar gehört, der nun nichts weniger als der Hüter des Piratencodexes war. Nicht unbedingt durch seine Grausamkeit, aber durch seine Gerechtigkeit bekannt, war er seinen Sohn so ähnlich, wie man es nur sein konnte.
Langsam kam er nun die Planke hinauf, blieb direkt vor Will stehen und zog seinen Hut. „Captain Turner“, sagte er. Seine raue Stimme jagte ihm dabei eine Gänsehaut über den Rücken.
Ehrfurchtsvoll tippte Will sich an seine Stirn, denn einen Hut trug er immer noch nicht. „Captain Teague. Was führt Euch hierher?“
„Dasselbe, was Euch hierher führt, nehme ich mal an: der Kampf um Tortuga.“
Hinter dem alten Mann tauchte nun eine Frau auf. Es war seinen Männern anzusehen, dass sie sie am liebsten gleich wieder von Bord geworfen hätten, doch Will deutete mit einem Nicken an, dass sie nicht anzurühren sei. Wenn sie mit Edward Teague kam, war sie willkommen.
Trotzdem blieb er skeptisch. „Was geht Euch Tortuga an?“
„Das wisst Ihr genau“, sagte Captain Teague. „Fällt die Insel, wird ihn niemand mehr daran hindern, Schiffbruch Bay anzugreifen. Er kennt die Lage der Festung. Beckett hat sie auch gewusst. Und Greitzer hilft nun diesem Miller. Es ist unwahrscheinlich, dass er ihm nichts über uns erzählt hat.“
„Miller? Wer ist das?“
Der Vater von Jack Sparrow spazierte scheinbar gedankenverloren über das Deck des Schiffes, zwirbelte dabei seinen Bart und sah Wills Männer einer nach dem anderen in die Augen, während er sprach. „Ein kleiner Emporkömmling, der es am Hof in London zu nichts gebracht hat. Nun will er sich hier sein eigenes Königreich aufbauen. Dazu muss er sich allerdings erst die Seemacht sichern. Und das kann er nur, wenn er uns alle auslöscht.“
Diese Nachricht schlug ein wie eine Kanonenkugel. Erstarrt sahen alle erst Will, dann Captain Teague an. Konnte jemand wirklich so verrückt sein und sich gegen Mächte stellen, die er nicht verstand?
Ein krummer Zeigefinger zielte auf Wills Nase, als er die Stirn in Falten zog und nachdachte. „Ich weiß, was du jetzt denkst, Junge“, sagte der Alte. „Aber dieser Miller ist nicht so dumm, wie du denkst.“
„Was meint Ihr damit?“
Nun schob sich endlich die Frau nach vorne. Er registrierte ihre dunkle Hautfarbe, die schwarzen Haare und die braunen Augen, und war nicht überrascht, als er den spanischen Akzent hörte. Unweigerlich musste er an Maria denken. „Er hat etwas in seinem Besitz“, sagte sie. „Etwas, das es ihm ermöglicht, die Götter persönlich zum Kampf zu rufen. Und er wird es sicherlich ohne zu Zögern einsetzen.“
„Und wer seid Ihr, bitte schön?“ Maccus verschränkte die Arme vor der breiten Brust und sah die Frau finster aus seinen kleinen Augen an. Auch jetzt noch konnte er einem einen gehörigen Schrecken einjagen.
Die Frau verzog den Mund zu einem spöttischen Grinsen, nahm ihren schmalkrempigen Hut vom Kopf und verneigte sich. „Wie unhöflich, mich nicht vorzustellen“, sagte sie. „Mein Name ist Angelica Teach. Ich bin die Tochter von Blackbeard.“
Will spürte die Feindseliger seiner Männer mehr, als dass er sie sehen konnte. Sie waren zu klug, um offen etwas gegen sie vorzubringen. Und doch konnte er genau in ihren Gesichtern lesen, dass sie nun noch unwillkommener war als zuvor. Bevor die Situation jedoch ausarten konnte, lenkte er das Thema von ihr auf etwas, was ihn wirklich interessierte. „Was für eine Art Waffe soll das denn sein und woher wisst Ihr so viel darüber?“
Doch Captain Teague grinste nur verschmitzt. „Seid ihr bereit zu segeln, wenn es soweit ist?“
„Euer Schiff ist gesunken“, stellte Will trocken fest.
„Ich habe ein Neues.“ Und mit diesen Worten tippte der alte Captain sich an den Hut und stiefelte wieder die Planke hinunter. Ungläubig sahen sie ihm alle hinterher, dann folgte Angelica ihm, aber nicht ohne sich ebenfalls an ihren Hut zu tippen. „Es hat mich außerordentlich gefreut, Gentlemen.“
Nur wenig später tauchte Stiefelriemen wieder auf. Er konnte berichten, dass keiner der Piratenfürsten in Schiffbruch residierte. Das warf Will ein wenig in seinem Plan zurück, doch er konnte beobachten, dass eine leichte Geschäftigkeit die Stadt ergriffen zu haben schien. Hatte sich seine Neuigkeit wohlmöglich schon rumgesprochen?
Um sicher zu gehen schickte er seine Männer doch noch aus, obwohl er kurz mit sich gehadert hatte, ob das noch nötig zu sein schien. Allerdings wollte er lieber auf Nummer sicher gehen und auch wirklich jeden hier erreicht haben. Er glaubte zwar nicht, dass sie ihm alle folgen würden, doch der Bedrohung, der sie ausgeliefert waren oder bald sein würden, konnte sich keiner verschließen.
Er wusste, dass Schiffbruch Bay eine Festung war, umgeben von einer natürlichen Mauer aus Bergen, die einen fast perfekten Ring um die Stadt selbst bildeten. Der einzige Zugang war ein Spalt im Felsen, der gerade Platz genug für ein einziges Schiff bot. Wenn es nötig war, konnten sie sich hier eine geraume Zeit belagern lassen.
Doch er kannte die Piraten gut genug um zu wissen, dass sie sich in der Zeit der Belagerung von außen vermutlich alle selbst über den Haufen schießen würden. Dazu musste es noch nicht einmal einen triftigen Grund geben. Es war also egal, ob sie von diesem Miller ausgelöscht wurden, oder ob sie sich selbst umbringen würden, wenn sie eingesperrt blieben. Die einzige Chance bestand darin, im offenen Kampf einen Befreiungsschlag zu führen. Dazu mussten sich aber genügend Piraten zusammenfinden und dafür sah er im Moment ziemlich schwarz.
Gedankenverloren stützte er das Kinn in seine Hand, denn Ellbogen hatte auf die Reling gelegt, und starrte in der Ferne die Berge an. War er vielleicht umsonst hierher gekommen? Wenn doch nur wenigstens Captain Teague ihm seine Unterstützung zugesagt hätte. Doch der alte Mann war ohne eine genaue Auskunft einfach davon gegangen und hatte ihn auf seinem Problem sitzen gelassen. Irgendwie hatte er mehr Ähnlichkeit mit seinem alten Freund Jack, als er sich eingestehen wollte.
„Captain?“ Sein Vater war hinter ihn getreten und hatte ihm eine Hand auf die Schulter gelegt. Doch gerade jetzt wollte er lieber kein Captain sein. Am liebsten hätte er alles hingeschmissen. Dummerweise war der Vertrag mit der Dutchman nicht so einfach zu kündigen.
Bisher war niemand seiner Männer mit einer positiven Nachricht zurück gekehrt. Sie alle waren mehr oder weniger mit Schimpf und Schande wieder vertrieben worden. Das mochte vielleicht auch daran liegen, dass sie unter Davy Jones keinen besonders guten Ruf genossen haben. Doch das alleine schien es nicht zu sein. Niemand schien diese Bedrohung ernsthaft in Betracht zu ziehen. Und das, obwohl nur ein paar Jahre zuvor die Navy vor ihrer Türschwelle gestanden hatte. Konnten Piraten wirklich so engstirnig sein?
Er konnte sich ohne weitere selbst die Antwort auf diese Frage geben, dachte er wehmütig. Dann drehte er sich endlich zu seinem Vater um. Doch er kam gar nicht mehr dazu, ihn zu fragen, was er eigentlich wollte. Denn hinter ihm, dem ungläubigen Blick von Stiefelriemen folgend, erblickte er etwas, was er nicht für möglich gehalten hätte.
Jack hatte ihm erzählt, dass Blackbeard Schiffe sammelte, sie in Gläser steckte und dann in seinem Schrank aufbewahrte, um sie sich anzusehen und in seinen Triumphen zu schwelgen. Wie zum Teufel war dann das möglich, was er da gerade sah?
Etwas weiter hinten erkannte er ein Schiff, was den Namen Venganza trug. Sein Spanisch war nicht besonders gut, doch es reichte, um den Sinn dahinter zu verstehen. Das musste Captain Teagues neues Schiff sein. Wenn er die Augen zusammen kniff, glaubte er auch, den alternden Mann am Steuer erkennen zu können. Doch die Frau nicht mehr bei ihm.
Angelica Teach hatte sich offenbar ein eigenes Schiff zugelegt. Und offenbar hatten sie auch einen Weg gefunden, die Schiffe aus ihren Glasgefängnissen zu befreien. Ihre eine Hand schwenkte ihren Hut im Wind, grüßte damit gleichzeitig Will auf seinem Schiff und lockte weitere aus dem Schutz der Schiffbruch Stadt hervor. Die andere Hand lag auf dem Steuerrad. Auf einem Steuerrad, das er allzu gut kannte. Dem Steuerrad der Black Pearl.