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Kapitel 30

 

~ Hey Brother

 

What if I'm far from home?

Oh brother I will hear you call

What if I loose it all?

Oh sister I will help you back home

 

Die Dreharbeiten in den Trollhöhlen dauerten noch ein wenig länger, als es eigentlich geplant war. Dadurch, dass das Set sich jeden Tag über Nacht veränderte, fiel es den Schauspielern am Morgen zunächst erst einmal nicht so leicht, sich in die geänderten Begebenheiten einzufinden. Trotzdem versuchte jeder sein Bestes.


Zumindest die Szene mit dem schrecklichen Wind und Wasser in den Bergen hatten sie einigermaßen gut überstanden. Wobei es Stephen in seinem Bombur-Kostüm wohl am schlimmsten getroffen hatte. Zum Feierabend hatte man Wind- und Regenmaschine abgestellt, doch ein Rohr schien Leck geschlagen zu haben. Und dadurch, dass Bombur am Boden gelegen hatte, hatte das Wasser genau auf ihn drauf getropft und seinen ohnehin schon schweren Fatsuit nur noch schwerer gemacht. Aus eigener Kraft hatte er es nicht mehr geschafft, sich zu erheben.

Nun jedoch hatten sie diesen Teil mehr oder weniger ruhmreich hinter sich gebracht. Peter selbst verglich diese Szene mit der, in welcher damals die Gefährten auf dem Pass des Caradhras gesteckt hatten. Man hatte vor zwölf Jahren, um den Schnee und das Eis zu simulieren, eine seltsame Mischung aus Styropor und etwas anderem benutzt, was schrecklich salzig geschmeckt und wahnsinnig in den Augen gebrannt hatte. Außerdem hatten zahllose helle Strahler sie Szene erleuchtet, was dazu geführt hatte, dass allen wahnsinnig heiß gewesen war, anstatt kalt. „Dieses Mal“, scherzte er gerne, „waren die Bedingungen wenigstens mehr oder weniger echt.“ Ein großer Trost war den Jungs das nicht gewesen.

Joe hatte in der ganzen Zeit nicht besonders viel zu tun. An den Kostümen der Zwerge gab es meinst nichts großartig in Szene zu setzen, sodass sie sich mehr oder weniger begeistert dem Team angeschlossen hatte, was die Zwerge in den Drehpausen wieder herrichtete. Dabei war sie allerdings nicht einem einzigen Schauspieler zugeteilt, sondern half da, wo Not am Mann war.

Besonders James Nesbitt schien das ein Dorn im Auge zu sein, denn seine seltsam nach oben geklappte Kappe sah selten so aus, wie sie eigentlich aussehen sollte. So fummelte Joe beinahe jedes Mal wieder an ihm herum und versuchte die Ecken in die von Ann gedachte Form zu bringen.

Er wusste nicht wieso, doch diese schweigsame kleine Maus ging ihm gehörig auf den Wecker. Viel lieber hätte er ein paar schmutzige Witze gerissen, doch jedes Mal, wenn er etwas Derartiges versuchte, verstellte sie ihm die Sicht auf seine Kollegen, bis es ihm zu bunt wurde und er sie zur Seite schubste. Dabei unterschätzte er eindeutig seine eigene Kraft oder ihr geringes Gewicht, sodass Joe nicht nur taumelte, sondern sich gleich auf ihren Allerwertesten setzte, genau zu Peters Füßen.

Verwirrt half der Regisseur ihr auf. „Alles okay?“, fragte er und sah danach Jimmy an. Der hob nur entschuldigend die Arme. „Sorry, das war keine Absicht.“ Dann drehte er sich wieder weg und tat, als wäre nichts gewesen. Nach diesem Vorfall hielt Joe einen großen Sicherheitsabstand zu ihm ein und kam nur in seine Nähe, wenn es unbedingt nötig war.

Sie wusste genau, dass er das nicht mit böser Absicht getan hatte, doch sie spürte seine Antipathie ihr gegenüber, genauso wie die von Jed. Der sonst so quirlige Kiwi hatte sich mehr oder weniger mit ihrer stillen Art arrangiert, und zwar indem er ihr ebenfalls größtmöglich aus dem Weg ging. Was der jungen Designerin aber auch durchaus recht war. Sie fragte sich zwar, was sie wohl getan haben könnte, dass er sie so mit Missachtung strafte, sagte sich aber im Stillen, dass man ja nicht jeden mögen musste.

Mit den anderen Zwergen - Adam, Stephen, Peter, William, Mark, John oder Ken - hatte sie kaum Berührungspunkte. Adam war noch derjenige, der ihr am meisten von den Genannten Beachtung schenkte, indem er ab und zu in ihre Richtung sah und sie anlächelte, während die anderen nicht einmal das taten. Doch auch das war keine böse Absicht, wie sie sich denken konnte, sondern lag schlicht an der Tatsache, dass sie sich hervorragend unsichtbar machen konnte. Nur Graham, Aidan und Richard, und durch die drei auch Dean, hatten es irgendwie geschafft, ihre Ich-bin-nicht-vorhanden-Aura zu durchbrechen.

Martin und Ian gelang es unterdessen, meist selbst die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Besonders, als Ian mit Hugo in Bruchtal gespielt hatte, hatte das sehr für Lacher gesorgt, da die beiden sich noch von früher kannten und sich gegenseitig immer zu Scherzen anstachelten, die man in ihrem Alter gar nicht mehr vermutet hätte.

Joe genoss es, die Rolle der stillen Beobachterin inne zu haben. So konnte sie viel in sich aufnehmen und war dadurch nie gezwungen, von sich aus nach vorne zu kommen. Nur wenn jemand von den Leuten, die die Kostüme unter ihrer Obhut hatten, nach ihr verlangte, weil die sie natürlich kannten, oder wenn Peter selbst sie rief, musste sie sich von ihrem Stuhl erheben. Ansonsten war sie nur eine hübsche Requisite.

Meist konnten sich die Schauspieler nach einem vorangegangenen Wochenende schon gar nicht mehr an ihren Namen erinnern, so unauffällig gestaltete sich ihr Aufenthalt am Set manchmal. Dann hielt Martin ihr seine Hand hin, ganz der englische Gentleman, und stellte sich erfreut dem neuen Gesicht vor. Schüchtern nuschelte sie dann gelegentlich, dass sie schon seit Drehbeginn hier arbeite, doch seinem Gesichtsausdruck, wenn er sich wieder von ihr wegdrehte, entnahm sie, dass er Gesagtes sogleich wieder vergaß.

Trotzdem mochte sie seine aufgeweckte und facettenreiche Art. Wenn er eine Szene spielte, spielte er sie niemals gleich. Bei jedem Take gab er Pete oder Andy eine weitere Seite seines Kaleidoskops an Fertigkeiten preis, sodass sie sich nachher davon eine aussuchen konnten, die ihnen am besten gefiel. Joe hatte sich bereits einen Spaß daraus gemacht, ein Muster darin erkennen zu wollen. Meist fing er mit seiner englischen Art an, machte dann mit einer etwas verhalteneren weiter, ging dann wieder über zu einer lebhafteren, bis er zum Schluss meist wieder bei der steifen, englischen Art anlangte.

An dem Donnerstag, seinem Geburtstag, wirkte er ein wenig aufgeregter als sonst, da seine Familie heute einreisen wollte. Er hatte ihnen davon abgeraten, die ganze Woche vorbeizukommen, da er ohnehin arbeiten musste. Doch für das Wochenende zumindest wollten sie vorbeikommen und an seiner Party teilhaben. Deswegen sehnte er vermutlich schon den Feierabend herbei, um seine Frau endlich begrüßen zu können.

Was er nicht wusste, war, dass Peter es sich nicht hatte nehmen lassen, Amanda und die Kinder Joe und Grace schon abholen und zum Set bringen zu lassen. Sobald die letzte Klappe fiel, würden sie in die Stage gelassen werden, um Martin persönlich gratulieren zu können.

Als es dann endlich soweit war, hörte Joe nur die piepsige Kinderstimme eines kleines Mädchens hinter sich, bevor sie einen kleinen rosafarbenen Blitz sah, der an ihr vorbeistürmte und sich in die Arme ihres Vaters warf. „Daddy!“, rief sie begeistert aus und drückte sich an ihn, während Martin seine dreijährige Tochter fest an sich drückend hochhob und noch mit seiner Fassung rang. Tränen der Rührung glitzerten in seinen Augen, als er die Kleine wieder absetzte und seine Frau begrüßte. Danach stimmten alle ein Geburtstagslied an und umarmten ihn schließlich herzlich.

Joe hielt sich dabei im Hintergrund und ging nicht nach vorne, als das gesamte Set ihrem Hauptdarsteller persönlich gratulieren wollte. Er würde sich ohnehin nicht an ihr Gesicht erinnern. Und besonders jetzt nicht, da auf einmal das komplette Team hier zu sein schien. So voll hatte sie das Studio noch nie gesehen.

Heimlich schlich sie sich schließlich hinaus, bevor sie noch jemand bemerken konnte, und machte sich auf den Weg nach Hause. Dort wartete Emily bereits auf sie. Sie und John hatten es sich in der Küche am Tresen gemütlich gemacht und tranken eine Tasse Tee.

Mittlerweile hatten Joe und John sich schon kennenlernen können und Joe hatte feststellen müssen, dass er ein ganz netter Kerl zu sein schien. Er schien Emily wirklich gern zu haben, doch natürlich konnte man den Leuten nur vor die Stirn gucken. Dass sie nun hier so offiziell herumsaßen und offensichtlich auf sie gewartet hatten, bedeutete vermutlich eine große Ankündigung. Joe konnte nur hoffen, dass Emily nicht schon ans Heiraten dachte.

Sie nahm sich ebenfalls eine Tasse Tee und setzte sich zu ihnen. Dann sah sie beide erwartungsvoll an. Sie gaben ein nettes Paar ab, musste sie feststellen. Und nicht zum ersten Mal spürte sie einen Stich der Eifersucht, wieso sie nicht auch endlich jemanden finden konnte, der zu ihr passte. Nachdem Emily mit Mike so einen Griff ins Klo gelandet hatte, hätte die Designerin eigentlich erwartet, dass die Schneiderin noch eine Weile Single bleiben würde. Den Gedanken weiter verfolgend hatte sie sich ausgemalt, wie sie endlich als richtige Freundinnen hier zusammen wohnen würden. Doch damit sollte wohl ab heute Schluss sein. Denn Emily verkündete voller Freude und Stolz, dass John sie gefragt hatte, ob sie nicht bei ihm einziehen wollte.

Joe verschluckte sich beinahe an ihrem Tee. „Einziehen?“, sagte sie und versteckte ihr Erstaunen in einem kleinen Hustenanfall. „Das geht aber schnell bei euch.“

Sie sah Emilys Blick, der Missbilligung ausdrückte, und ruderte schnell zurück. „Nicht, dass mich das nicht freuen würde!“, beeilte sie sich zu sagen. „Ich dachte nur, dass du es etwas langsamer angehen würdest nach dem letzten... Desaster.“

John nickte verstehend zum Zeichen, dass er wohl von Emilys letztem Freund wusste, und legte seiner Freundin beruhigend eine Hand auf den Unterarm. „Ich weiß, was du jetzt denkst“, sagte er, „aber wir wollen es versuchen. Außerdem hast du so dein Haus wieder ganz allein für dich. Emily hat mir erzählt, dass ihr am Anfang etwas aneinander geraten seid.“

„Was vermutlich nur normal ist“, schaltete Emily sich schnell ein, bevor daraus eine ungewollte Diskussion werden konnte. Dann nahm sie Joes Hände von ihrer Teetasse und drückte sie freundschaftlich. „Sieh mal, wir haben doch nie so wirklich gut miteinander harmoniert, wir beide. Und wenn ich jetzt zu John ziehe, können wir schnell feststellen, ob das mit uns etwas wird. Verstehst du? So ersparen wir uns zukünftige schwere Enttäuschungen, wenn wir nach zwei Jahren Beziehung plötzlich bemerken, dass der eine nie die Zahnpastatube zudreht und der andere das furchtbar nervig findet.“

Das Argument leuchtete Joe ein. Sie hatte zwar noch nie mit einem Mann zusammengewohnt, kannte aber die verschiedenen Probleme von ihrer Pflegefamilie. Die Eltern hatten sich auch ständig wegen solcher Nichtigkeiten in den Haaren gelegen. Auf so etwas konnte sie sicherlich gut verzichten, sollte sich einmal bei ihr das Glück einstellen, dass ein männliches Wesen bei ihr einziehen sollte, was nicht vier Pfoten und Schnurrhaare hatte.

Wenig später, als Emily und John wieder gegangen waren, musste Joe allerdings feststellen, wie sehr sie sich schon an die Freundin gewöhnt hatte. In den letzten Wochen, wo sie fast nur noch bei John geschlafen hatte, war es wieder so furchtbar ruhig in ihren vier Wänden geworden. Das hatten selbst die beiden Kater nicht ganz ausgleichen können, wenn sie wieder ihre fünf Minuten bekamen und sich quer durch die ganze Bude jagten.

Nun hatte sich Rooney auf ihrem Schoß zusammengerollt und genoss die Streicheleinheiten seines Frauchens, während Kaiser groß und wuchtig auf der Heizung thronte und alles beobachtete. „Ihr habt es wirklich gut“, sagte sie leise, während sie den Kater hinter den Ohren kraulte. „Ihr müsst euch nicht mit diesen menschlichen Probleme herumschlagen. Ich wünschte, ich wäre auch eine Katze. Dann könnte ich mir eine nette Familie suchen, bei ihnen wohnen, mich von ihnen durchfüttern lassen und mir ansonsten keinerlei Sorgen um etwas anderes machen müssen. Das wäre ein Leben.“

Irgendwann - sie musste in ihrem Sessel eingedöst sein - schreckte das Klingeln des Telefons sie auf. Ihre plötzliche Bewegung veranlasste den Kater auf ihrem Schoß, protestierend das Weite zu suchen. Doch erst nach dem dritten Klingeln gelang es ihr, ins Hier und Jetzt zurückzufinden. Sie hob den Hörer ab. „Hallo?“

Sie musste sehr verschlafen klingen, denn die Stimme am anderen Ende entschuldigte sich gleich, sie geweckt zu haben. „Tut mir leid“, sagte Aidan, „aber ich dachte, es ist noch nicht zu spät dich anzurufen.“

„Nein, nein“, wiegelte sie schnell ab. „Ich bin nur auf dem Sofa eingeschlafen. Es war eine harte Woche für mich.“

Der Ire stimmte ihr brummend zu. „Für uns alle.“ Dann sagte er: „Du warst heute nach dem Dreh so schnell weg, dass ich dich gar nicht mehr fragen konnte, ob du zu der Party am Samstag kommst. Ich könnte dich mitnehmen. Pete will in den Studios feiern, weil wohl doch mehr Leute mitmachen wollen, als sein kleines Häuschen beherbergen kann.“

Es dauerte eine Weile, bis Joe begriff, dass die Geburtstagsparty von Martin und Richard gemeint sein musste, die Peter eigentlich bei sich auf der Karaka Bay Road ausrichten wollte. Dass sie aber offiziell eingeladen worden war, war ihr gar nicht bewusst gewesen.

„Ähm“, machte sie daher nur, weil sie nicht wusste, was sie sagen sollte. Wenn sie dort tatsächlich auftauchte, musste sie noch ein Geschenk kaufen.

Doch als hätte Aidan ihre Gedanken gelesen sagte er: „Keine Sorge, du musst dich um nichts kümmern. Wir haben alle zusammengelegt für die beiden. Orlandos Frau will wohl etwas Großes besorgen, was sie vorher mit Carolynne abgesprochen hat. Keine Ahnung, was es werden wird, aber wir müssen nur zur Party kommen und gut aussehen. Und vielleicht sogar ein bisschen Spaß haben.“ Sie konnte sein schelmisches Grinsen beinahe durch das Telefon hören. „Also, was sagst du?“

Und weil ihr nichts anderes einfiel, sagte sie: „Wieso fragst du mich? Gehst du nicht mit Katy?“ Am liebsten hätte sie sich gleich wieder auf die Zunge gebissen, als sie das gesagt hatte, doch dazu war es nun zu spät. Sie schlug sich leicht gegen die Stirn, damit er das Klatschen von Haut auf Haut am anderen Ende nicht hören konnte. Dumme Kuh!, schallt sie sich innerlich.

„Katy?“ Aidan wirkte ehrlich verwirrt, doch Joe gab sich keinerlei Illusionen hin, denn er war schließlich Schauspieler. Trotzdem hörte es sich echt an, was er sagte. „Ach so, Katy! Nein, ihr Exfreund ist letzte Woche von seinem sozialen Engagement aus Australien zurückgekommen und will es wohl noch mal mit ihr versuchen. Außerdem redet sie mir zu viel.“ Und weil sie immer noch nicht antwortete, fragte er erneut: „Also, was sagst du?“

Sie zögerte. Irgendwie kam ihr das ziemlich scheinheilig vor, wenn sie nun Ja zu ihm sagte. Ihr Bauchgefühl sagte ihr, dass er nicht der Richtige für sie war. Außerdem sah sie ihn gar nicht so. Eher konnte sie ihn als kleinen Bruder betrachten, aber nicht als potenziellen Partner. Dazu war er ihr eindeutig zu ausgeflippt und offenherzig. Und zu groß. Wenn er neben ihr stand, wirkte sie wie eine zerbrechliche Puppe aus Porzellan.

„Kann ich es mir überlegen?“

„Natürlich!“, rief er begeistert aus. Offensichtlich war sein Glas immer halbvoll. „Du hast ja bis Samstagmittag Zeit. Hast du eigentlich kein Handy?“

Von dem abrupten Themenwechsel irritiert brauchte sie einen Augenblick, bis sie sich wieder gesammelt hatte. „Äh, nein. Ich hab ohnehin niemanden, dessen Nummern ich dort einspeichern könnte.“

Das war eine überraschend ehrliche Antwort von ihr, das musste sie sogar selbst feststellen. Normalerweise redete sie sich immer damit heraus, dass sie keine Ahnung von Technik hatte, doch ihr großer Mac mit dem Zeichenbrett und dem anderen Equipment für modische Entwürfe am PC straften sie jedes Mal Lügen, wenn jemand einen Blick in ihr Schlafzimmer warf, wo das gute Stück unter dem Fenster stand.

Aidan kicherte jedoch nur. „Na ja, jetzt hättest du Nummern, die du einspeichern könntest. Meine zum Beispiel könntest du gern haben. Vielleicht solltest du darüber nachdenken.“

Sie erwiderte sein Kichern. „So viel, über das ich nachdenken soll. Nicht, dass ich damit mein kleines, blondes Köpfchen noch überhitze.“

„Oh, da mache ich mir bei dir keine Sorgen. Immerhin kannst du sogar schon schlagfertige Witze machen.“

Da hatte er nicht ganz Unrecht. Noch vor zwei Monaten hätte sie sich wohl eher selbst die Zunge abgebissen, als so etwas zu sagen. Ganz zu schweigen von der Tatsache, dass sie mit einem mehr oder weniger fremden Kerl ein vernünftiges Gespräch am Telefon geführt hatte. Als sie auflegte, musste sie über sich selbst den Kopf schütteln. Doch das Lächeln, was sich auf ihre Lippen gelegt hatte, war unverkennbar. Irgendwie gelang es Aidan, etwas aus ihr heraus zu kitzeln, von dem sie selbst noch nicht einmal etwas geahnt hatte.

Am nächsten Tag am Set begrüßte er sie gleich überschwänglich. „Guten Morgen, Sonnenschein!“, rief er und kam auf sie zu. Dass er dadurch gleich alle Anwesenden auf sie aufmerksam machte, schien ihm nicht aufzufallen. Und falls doch interessierte es ihn nicht sonderlich.

Joe jedoch erwiderte seinen Morgengruß eher zaghaft, wobei sie verstohlene Blicke um sich warf. Dabei bemerkte sie die größtenteils irritierten Blicke der Zwergendarsteller, mit wem Aidan da wohl redete, wohingegen Graham leicht amüsiert schaute. Ihm gefiel es, dass Aidan sich so um Joe bemühte, auch wenn er es nicht gutheißen konnte, dass er sie so offensichtlich anbaggerte. Doch vielleicht deutete er ja die Absichten des jungen Wilden auch völlig falsch.

Richard hingegen war sehr davon überzeugt, welche Absichten Aidan hegte, und konnte das überhaupt nicht gutheißen. Er wusste nicht, woher dieses Gefühl kam, doch er wollte nicht, dass Joe von dem Kíli-Darsteller in diese Bedrängnis gebracht wurde. Und scheinbar hatte er in Dean einen Verbündeten gefunden, denn der verschränkte nur seine Armprothesen vor seiner Brust und warf ebenfalls finstere Blicke in die Richtung, wo Joe es sich auf ihrem üblichen Stuhl außerhalb der Reichweite jeglicher Kameras gemütlich machte.

„Will er etwa was von ihr?“, fragte er ungehalten und zog damit Richards Aufmerksamkeit auf sich. Der zuckte nur mit den Schultern. „Ich hoffe nicht“, sagte er, „denn ich kann mir nicht vorstellen, dass Aidan besonders gut für sie wäre. Er ist viel zu laut und zu ungestüm. Das passt nicht zu ihr.“

„Sehe ich genauso“, pflichtete Dean ihm bei und machte sich dann auf den Weg zu seinem Platz während der anstehenden Szene. Dabei blieb Richard nicht verborgen, welche Intention hinter den Worten seines Filmneffen steckte. Er würde vermutlich ein Auge auf beide Jungs haben müssen, wenn er verhindern wollte, dass Joe von einem von ihnen das Herz gebrochen wurde.

In einer der Pause nahm er Aidan zur Seite, da Dean es sich im Kühlzelt gemütlich gemacht hatte, wo auch der Rest der Jungs versammelt war.

„Gibt‘s was?“, fragte Aidan unschuldig.

„Das frage ich dich!“ Der ältere Brite baute sich vor ihm auf und verschränkte demonstrativ die Arme. Doch da Aidan nur verwirrt zurückschaute, musste er wohl mit seiner Erklärung fortfahren. „Was wird das denn mit Joe?“

Der Jüngere zuckte die Schultern. „Ich habe sie nur zu eurer Party morgen eingeladen. Mehr nicht. Ist das ein Problem?“

„Das kommt ganz darauf an...“

„Worauf?“ Er zog eine Augenbraue hoch.

„Wie deine Absichten bei ihr sind!“ Konnte jemand wirklich so schwer von Begriff sein? Langsam verlor er seine sonst so sorgsam gehütete Geduld. Dabei hatte er gar nicht die Absicht gehabt, sich hier als Aufpasser aufzuspielen. Doch seine Gesichtszüge entglitten ihm wieder, als Aidan ihn nur lachend ansah. „Absichten?“, fragte er, während er versuchte, wieder die Fassung zu erlagen. „Ich habe keine Absichten bei ihr. Ich will doch nur nett sein.“

„Nett sein?“

„Ja!“, bestätigte er breit grinsend. „Ich mag sie, keine Frage. Aber nicht so, wie du vielleicht denkst. Eher wie eine Schwester, verstehst du?“

Das beschwichtigte den älteren Schauspieler etwas und die tiefen Falten auf seiner Stirn glätteten sich, wenn auch nicht vollständig. „Na, hoffen wir, dass sie das genauso sieht. Nicht, dass du ihr doch noch das Herz brichst.“

Gemeinsam gingen sie zurück zum Set, wo Peter bereits wieder die Kamera eingestellt hatte und weitermachen wollte. Richard hörte noch, wie Aidan sagte: „Das wollen wir nicht hoffen!“, bevor die nächste Klappe fiel.

 


***

 


Warm legen sich seine Arme um dich und du drückst dich dankbar an ihn ran. Du genießt seine Nähe jedes Mal, wenn er da ist, denn du weißt, wie kostbar die Momente mit ihm sind. Jetzt, da die Sache mit der Band scheinbar in Gang kommt, kann es jeden Tag soweit sein, dass er dir verkündet, gehen zu müssen.

Du fürchtest dich vor diesem Augenblick, denn du weißt, dass du dann alleine zurückbleiben wirst.

Andererseits weißt du auch, dass die Situation, in der du dich gerade befindest, nicht gut für dich ist. So sehr du ihn auch liebst, weißt du genau, dass er nicht gut für dich ist. Doch ein Leben ohne ihn kannst du dir auch nicht wirklich vorstellen. Was also würdest du tun, wenn er weggeht?

Eine Gänsehaut überzieht deine Arme, obwohl er dich immer noch an sich drückt. Instinktiv spürst du, dass es eine der letzten Augenblicke sein wird, die ihr zusammen verbringen dürft. Und etwas in dir wünscht sich auch, dass es danach besser wird, dass dein Leben danach in andere Bahnen verläuft, denn so, wie es jetzt ist, kann es nicht weitergeht.

Innerlich bist du völlig zerrissen, weil du genau weißt, wie schlimm es um dich steht. Einerseits bist du gerne bei ihm, möchtest jede freie Minute mit ihm verbringen und das tun, was er tut. Doch andererseits siehst du genau, wie dein Studium darunter leidet. Wenn du so weitermachst, wirst du das nächste Semester nicht mehr schaffen. Doch kümmert dich das wirklich noch? Denn wenn er es tatsächlich mit der Band zu etwas bringt, musst du vielleicht gar nicht mehr selbst arbeiten gehen. Dann könntest du dich als sein kleines Frauchen zurückziehen und eure Kinder hüten.

Der Gedanke daran, mit ihm eine Familie zu gründen, lässt dich mit Übelkeit zurück. Aber du weißt nicht, ob es eine gute Übelkeit ist oder eine schlechte. Beides hast du schon erlebt. Was also siehst du für deine Zukunft?

Verwirrt drehst du dich zu ihm um und siehst ihm in seine blauen Augen, die dich anstrahlen. Niemanden sonst sieht er so an wie dich. Und plötzlich sind deine Zweifel wieder weg und du weißt genau, dass du ohne ihn nicht leben willst. Denn nicht nur er gehört dir, sondern auch du gehörst ihm, vollkommen, mit allem, was dich ausmacht. Mit Haut und Haar.

© by LilórienSilme 2015

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