LilórienSilme
~ Fanfiction-Autorin ~
Kapitel 30
~ Shipwreck Cove
Das Unwetter breitete sich schneller aus, als sie alle es ahnen konnten. Bald schon hatten die dunklen Wolken die Flying Dutchman und die Queen Anne‘s Revenge erreicht und hüllten das Meer rund um die beiden Schiffe in Dunkelheit. Das Wasser wurde beinahe schwarz und die Schaumkämme der Wellen wuchsen von Minute zu Minute in die Höhe. Dann begann der Regen zu prasseln.
„Wir müssen von hier verschwinden!“, rief Maria gegen den aufkommenden Wind an. Ihre dunkeln Haare wurden ihr aus dem Gesicht geweht und verfingen sich am Kragen ihres Kleides. Er war nach oben gestellt, wie es zur Zeit Mode war, und eigentlich nur für Hochsteckfrisuren geeignet, doch ihre Haarpracht hatte sich bereits nach dem ersten Sturm hoffnungslos aufgedröselt, weswegen sie es aufgegeben hatte, sie bändigen zu wollen. Sie hatte es nur schnell mit einer Schleife zusammengebunden, die nun aber gegen den heftigen Wind nicht mehr standhalten konnte. Ihre dunkeln Augen blickten Will flehend an.
Der Captain jedoch wusste nicht mehr, was er denken sollte. Es fühlte sich beinahe so an, als würde seine Seele von innen zerrissen werden, und er hätte nichts lieber getan, als dem unwiderstehlichen Drang nachzugeben, an den Ort zu eilen, wo er die Sterbenden vermutete. Irgendwie wusste er es, er konnte nicht sagen, woher, doch er wusste es.
Dann schüttelte er den Kopf. Er hatte eine Entscheidung getroffen. Denn wenn es so schlimm war, wie er vermutete, dann konnten sie das unmöglich alleine schaffen. „Nein“, sagte er entschlossen. „Wir brauchen Hilfe!“
„Und wo, lieber William, willst du die herholen?“, mischte Jack sich plötzlich von der Seite ein. Man konnte ihm ansehen, dass er das Ganze alles andere als angenehm fand. Mit einer Hand hielt er seinen Hut fest, während er mit der anderen wild gestikulierte. „Wir sind allein!“
Pintel schob sich nach vorne. Mittlerweile hatten sich alle an Deck versammelt und keiner wirkte besonders glücklich über die momentane Situation. Scheinbar schien jeder zu ahnen, dass dort etwas Großes auf sie zukam. Wie viele Abenteuer hatten sie schon zusammen durchgestanden, wie viel hatten sie gemeinsam überlebt? Würde es dieses Mal genauso sein? Oder würde jemand wohlmöglich seine letzte Seereise antreten?
Der kleine Glatzkopf biss sich auf die Lippe. Er wusste, dass, wenn er sagte, was er zu sagen hatte, es kein Zurück mehr gab. Dann würden sie aufbrechen, um ihre Kumpanen zu retten, die gerade abgeschlachtet wurden. Er schluckte noch einmal, als Barbossa ihn plötzlich ansah. Die Augen des alten Piraten wurden groß unter seinem Hut, als er zu begreifen begann.
„Schiffbruch Bay“, sagten sie beide gleichzeitig. Der Sturm verschluckte ihre Worte, doch es war auch gar nicht mehr nötig, dass sie sie laut aussprachen. Jeder schien sie gehört zu haben, weil jeder dieselbe Idee zu haben schien. Nirgendwo sonst lebten so viele Piraten auf einem Haufen zusammen. Und wenn jemand noch Tortuga und die dort lebenden Freibeuter retten konnte, dann die Schiffe, die in Schiffbruch Bay versammelt waren.
Wie auf ein geheimes Zeichen hin redeten plötzlich alle durcheinander. Jeder schien einen Plan zu haben, wie man am besten zur Schiffbruch Insel kommen und alle dort alarmieren konnte, während man gleichzeitig nach Tortuga segelte, um dort nach dem Rechten zu sehen. Doch irgendwie schien nichts wirklich Sinn zu machen.
Barbossa redete auf Jack, der wiederum auf Gibbs einredete, weil der Marty Recht gab, dass das alles viel zu kompliziert war, während Cotton wild gestikulierte und sich Gehört verschaffen wollte, was natürlich vollkommen sinnlos war, weil er ja nicht reden konnte.
In dieses ganze Chaos mischte sich auf einmal Wills Crew der Flying Dutchman ein, da niemand an Bord der Meinung war, etwas damit zu tun zu haben. „Wir sammeln nur die Reste ein“, grinste Maccus, als er dabei sein breites Gebiss entblößte, was immer noch große Ähnlichkeit mit dem eines weißen Hais hatte.
„Was heißt denn hier Reste?“, schrie Pintel den beinahe drei Köpfe größeren zweiten Maat an und blickte ihm dabei furchtlos ins Gesicht. Nur sein Neffe schien ihm genügend Beistand gegen den Haifischmann leisten zu wollen, als er sich neben ihn stellte, den rechten Zeigefinger erhob und rief: „Genau! Wir sind keine Reste!“
„Nichts weiter als Fischfutter seid ihr“, knurrte Koleniko. Und bevor es noch schlimmer werden konnte, schob Will sich zwischen die beiden Fronten, die sich mittlerweile gebildet hatten. Nur Jack schien wie immer nirgendwo richtig hinzugehören. Er hatte sich an die Reling gelehnt und allem in Ruhe gelauscht, wobei er immer noch mehr oder weniger erfolgreich versuchte, seinen Hut daran zu hindern, davon geweht zu werden. Nun jedoch stieß er sich mit dem Rücken vom Holz ab und kam auf Will zu. Nicht mehr viel war von dem jungen Schmied übrig geblieben, den er vor so vielen Jahren kennen gelernt hatte. Nur das weibliche Gesicht erinnerte ihn noch an den vorwitzigen Schwertmeister mit dem Esel.
Die eine Hand auf seinem Kopf, die andere beruhigend in die Höhe hebend, sagte er: „Wir sollten alle wieder ruhig Blut bewahren, Männer! Es nützt nichts, wenn wir uns gegenseitig schon jetzt zerfleischen, bevor die Navy überhaupt die Chance dazu hatte.“
Ironisch grinsend wandte Barbossa sich an seinen ehemaligen Captain. Er hatte die Augen gegen den Wind zusammen gekniffen. „Und ich nehme an, du weißt sicher einen Weg aus dieser unsäglichen Misere heraus?“
„Natürlich!“
Doch Maria kam ihm zuvor. Sie schob sich durch Wills Männer nach vorne in den Mittelpunkt der Versammlung, direkt zwischen Jack und Barbossa, funkelte die beiden Rivalen kurz an, dann drehte sie sich zu Will um. „Kann dieses Schiff wirklich unter Wasser fahren?“
Jack wollte sie direkt unterbrechen, doch Barbossa hielt ihn auf. Er musste nicht wieso, doch Hector spürte, dass sie mehr erreichen konnte, als sie alle zusammen. Sie war zwar immer noch eine Frau und denen durfte man nicht trauen, doch sie hatte unzweifelhaft etwas auf dem Kasten. Daher packte er Jack am Arm und warf ihm einen dieser Blicke zu, die nur sie beide zu deuten wussten: Halt jetzt den Mund!
Die Crew der Flying Dutchman begann zu lachen, als hätte sie einen schlechten Witz gemacht. Ein paar stießen einander an und deuteten auf sie, doch Will schien zu verstehen. „Aye“, sagte er, „das kann es. Was habt Ihr vor, Mylady?“
„Captain Barbossa“, wandte sie sich nun an ihn. „Wie viel Platz habt Ihr an Deck? Könnt Ihr ein paar gestrandete Seeleute aufnehmen? Und wie mehr: seid Ihr gewillt, eine Frau auf Eurem Schiff zu akzeptieren?“
„Aye, das könnte ich wohl, wenn Ihr mir verratet, was Ihr hier eigentlich für ein Spielchen spielt. Ich bin ungern Teilnehmer einer solchen Unternehmung, wenn ich die Regeln nicht kenne.“
Maria warf einen Blick auf ihre Leute. Die, die von dem Unglück mit der El Rubi Segundo noch übrig waren, wirkten allesamt ziemlich abgerissen. Sie hatten seit Tagen kaum geschlafen, geschweige denn eine richtige Mahlzeit erhalten. Es war nicht leicht, so viele lebende Seelen an Bord eines Geisterschiffes zu versorgen, das war auch Maria bald klar geworden. Doch was hatten sie schon für eine Wahl gehabt. Entweder lebend hier oder tot im Wasser. Und dann wären sie ohnehin wieder hier gelandet.
Nein, sie hatte gewusst, worauf sie sich eingelassen hatte. Und dass sie die einzige Frau an Bord war, verschaffte ihr noch einmal zusätzliche Vorteile. Außerdem war sie eine Zeit lang mit viel weniger ausgekommen. Nur für die Männer tat es ihr leid. Besonders für Montoya.
Der junge Spanier hatte nicht mehr mit ihr gesprochen, nachdem sie ihm eröffnet hatte, von einer heidnischen Göttin großgezogen worden zu sein. Seitdem schien er in ihr den Teufel persönlich zu sehen, der ihn nur verführen wollte. Dabei hatte sie gar kein Interesse an ihm. Jedenfalls kein Sexuelles. Sie wollte einfach nur jemanden zum Reden haben, der wenigstens ein bisschen normal zu sein schien. Doch da hatte sie sich offenbar getäuscht. Der einzige Gesprächspartner, der ihr gewachsen zu sein schien, war der Captain. Und mit dem konnte sie nicht reden, ohne dass er sie wieder über ihre Vergangenheit ausfragte.
Wieso nur hatte alles so kompliziert werden müssen? Sie hatte nicht beabsichtig, in solch ein Abenteuer reingezogen zu werden. Sie war vielleicht nicht gerade glücklich mit der Aussicht gewesen, den portugiesischen Thronfolger zu heiraten. Doch verglichen mit diesem Tohuwabohu war eine königliche Hochzeit das reinste Kinderspiel.
Während ihr der Sturm immer noch hart ins Gesicht pustete, straffte sie ihre Schultern. Sie konnte nun nichts mehr daran ändern, dass sie hier war. Sie konnte nur das Beste daraus machen. Und von dem, was sie eben mitbekommen hatte, ließ sich in der Tat ein kleiner Plan stricken. Offenbar waren die ganzen Männer um sie herum nur ein bisschen zu blind, ihn wirklich zu sehen.
„Captain Barbossa, ich ersuche Asyl auf Eurem Schiff, der Queen Anne‘s Revenge“, rief sie mit fester Stimme. Dann sah sie dem alten Mann fest in die Augen. Sie blinzelte nicht ein einziges Mal, bis er schließlich einen Seitenblick auf William warf. Sie folgte seinen Augen und sagte an den Captain der Flying Dutchman gerichtet: „Und Euch, Captain Turner, ersuche ich dringend, die Schiffbruch Bay aufzusuchen. Ohne Sterbliche an Bord sollte es Euch gelingen, schnell dort zu sein und Hilfe zu holen. In der Zeit werden wir übrigen uns auf den Weg nach Tortuga machen und retten, was wir können. Einverstanden?“
Es dauerte einen kleinen Moment, bis alle begriffen hatten, was sie gerade gesagt hatte, doch dann brach die Geschäftigkeit aus. So schnell alle konnten kletterten sie auf die ihnen zugeteilten Schiffe, bis nur noch Maria als einzige Sterbliche übrig war. Sie blieb vor Will stehen, als sie gerade über die Reling auf die Planke klettern wollte, die beide Schiffe nur noch sehr dürftig über das stürmische Meer miteinander verband.
„Viel Glück!“ Dann raffte sie ihre Röcke, doch sie spürte noch ganz genau seinen Blick im Rücken. Also drehte sie sich noch einmal zu ihm um. „Ich weiß“, gab sie resignierend zu und kam wieder herunter, „ich schulde Euch eine ganze Menge Erklärungen. Aber ich fürchte, das ist nicht der richtige Zeitpunkt dafür.“
„Geht!“ Er lächelte dabei schief und nahm seinem eigentlich ernst gemeinten Wort damit die Härte. Seine braunen Augen blitzten spitzbübisch auf. Wenn das hier vorbei war, würde er wirklich auf diese Erklärungen bestehen müssen, so viel stand fest. Doch jetzt war bei Gott nicht der richtige Zeitpunkt. Also winkte er ihr nur zum Abschied, wartete, bis sie endlich an Bord des anderen Schiffes war und gab den Befehl zum Tauchen. Kurs: Schiffbruch Bay.