top of page

Kapitel 3

 

~ Amusing Observances

 

Port Royal war zu dieser Jahreszeit kein angenehmes Pflaster. Es hatte seit Wochen nicht mehr geregnet und die Temperaturen lagen jenseits der 30-Grad-Marke. Trotzdem zog es Elizabeth vor, sich angemessen zu kleiden.

 

Sie hatte keinen leichten Wiedereinstieg in die Gesellschaft der Stadt gehabt, nachdem ihr Vater gestorben und sie mit den Freibeutern unterwegs gewesen war. Ihr gesamtes Abenteuer, was ihr den nun inoffiziellen Titel Captain Elizabeth Turner eingebracht hatte, lag so lange zurück, dass sie sich kaum mehr an alles erinnern konnte. Wenn sie manchmal morgens aufwachte und noch im Halbdunkeln ihres Zimmers dalag, döste und dem leisen Herzschlag unter ihrem Bett lauschte, dachte sie gelegentlich, dass es vielleicht doch nur ein Traum gewesen war und sie, wenn sie aus dem Bett stieg und in den Salon hinunter ging, ihren Vater, ihre Mutter und ihren angetrauten Gatten, Commodore James Norrington, friedlich am Frühstückstisch sitzend vorfinden würde.

 

Doch dann öffnete sich meist nur wenige Sekunden später ihre Schlafzimmertür und ein kleiner Wirbelwind mit dunklen Haare und braunen Augen erinnerte sie an die Wirklichkeit; dass sie nicht Lady Elizabeth Norrington war, sondern Elizabeth Turner, mit William Turner jr. verheiratet, und ein Kind von ihm bekommen hatte.

 

Billy war vor Kurzem fünf Jahre alt geworden, doch bereits jetzt konnte sie schon sehen, dass aus ihm später kleiner Herzensbrecher werden würde. Er hatte die braunen Augen seines Vaters geerbt und vermutlich auch sein Temperament. Allerdings hatte sie ihm das Talent, sich in Schwierigkeiten zu bringen, vermacht, was die junge Mutter gelegentlich in den Wahnsinn trieb. Doch dann musste sie sich meist eingestehen, dass sie als Kind vermutlich nicht anders gewesen war.

 

„Mama!“, rief der Kleine, nahm von der Tür aus Anlauf und sprang zu seiner Mutter ins Bett. Zum Glück war dies sehr robust gebaut und hielt diesem Ansturm Stand. „Heute ist Markttag und ich möchte auf den Markt. Bitte, bitte, gehen wir dahin?“

 

Da waren sie wieder: die Augen seines Vaters. Es versetzte Elizabeth jedes Mal wieder einen Stich, wenn sie merkte, wie ähnlich er Will war. Dann musste sie daran denken, dass sie ihn vermutlich für immer verloren hatte. Das letzte Mal, als sie ihn gesehen hatte, hatten sie den Tag am Strand verbracht. Und als die Sonne untergegangen war, hatte er zurück auf die Flying Dutchman gemusst, von der er nun der Captain war. Sie hatte er mit seinem Herzen zurück gelassen. Doch er hatte auch ihres mitgenommen und es war ihr schwer gefallen, sich wieder in ihr tägliches Leben einzufinden.

 

Als sie damals zurück nach Port Royal kam, hatte man ihre Schwangerschaft noch nicht bemerkt. Sie hatte von dem Geld, was sie als Piratenkapitän ergaunert hatte, ein kleines Haus in der Nähe des Hügels gekauft, auf dem vor dem Überfall das Haus ihres Vaters gestanden hatte. Mittlerweile waren davon nur noch Ruinen übrig, die ein neuer Gouverneur wieder dabei war aufzubauen.

 

Der Anwalt ihres Vaters hatte sie irgendwann aufgesucht und ihr das Testament vorgelesen, welches selbstverständlich nur auf sie lautete. Dadurch konnte sie sich mit ihrem Sohn einen einigermaßen angemessenen Lebensstandart halten, auch wenn sie das Leben in der Stadt mittlerweile ziemlich langweilte.

 

Nachdem man ihr ihre anderen Umstände angesehen hatte, mied man sie, bis sie sich schließlich ein Herz fasste, und den Damen erzählte, warum sie keinen Mann mehr hatte. Daraufhin war sie umsorgt und betüddelt worden, bis es wieder fast war wie früher. Nur mit dem Unterschied, dass sie den Titel einer Lady nicht mehr trug. Doch das vermisste sie auch nicht.

 

Was sie vermisste, war das Meer, die Freiheit auf dem Deck eines Schiffes zu stehen und den Wind in den Haaren zu spüren. Nun konnte sie Jack verstehen, wieso seine große Liebe immer der See gegolten hatte. Ob er sich mittlerweile trotz alledem eine Frau genommen hatte?

 

Seitdem Will zum neuen Captain der Flying Dutchman gemacht worden war, hatte sie nichts mehr von Jack gehört. Sie hatte von niemandem der Piraten mehr etwas gehört. Selbst Pintel und Ragetti hatten nicht mehr von sich Reden gemacht, was sie allerdings auch nicht sehr verwunderte. Doch dass man nichts mehr von Captain Jack Sparrow gehört hatte, machte sie nervös. War das die Ruhe vor dem Sturm vielleicht? Plante er etwas Neues?

 

Doch wie immer, wenn sie an diesem Punkt ihrer Überlegungen angekommen war, musste sie sich selbst zur Ordnung rufen. Vermutlich gab es Jack gar nicht mehr und er plante auch keine neue Gaunerei mehr. Und selbst wenn, dann würde er vermutlich nie auf die Idee kommen und sie wieder zu sich rufen, so sehr sie sich das vielleicht auch wünschen mochten. Und wenn sie daran dachte, dass sie nun ein Kind zu versorgen hatte, war es vielleicht auch keine gute Idee, dem Abenteuergeist in ihr neues Futter zu geben, indem man in Träumen von Piraterie schwelgte.

 

Elizabeth hatte nie ein Geheimnis daraus gemacht, dass Will ein Pirat war. Sie hatte Billy stets die Wahrheit über seinen Vater gesagt. Nur in der Öffentlichkeit verbot sie dem Kleinen, darüber zu reden. Die offizielle Version war, dass er bei der Überfahrt nach England, wo sie beide von nun an hatten leben wollen, in einem Sturm über Bord gegangen war und ihn niemand mehr hatte retten können. Und Elizabeth hatte den Gedanken, alleine nach England zurückzukehren, nicht ertragen können und war daher an den Ort zurückgekommen, an dem sie sich beide kennen gelernt hatten.

 

Nun strich sie Billy über seine widerspenstigen Locken. Der Kleine blickte sie an, als hätte man ihm gesagt, dass Weihnachten ausfallen würde. Also gab seine Mutter nach. „Na gut, von mir aus.“ Sie hatte noch mehr sagen wollen, doch das fröhliche Gejubel ihres Sohnes schnitt ihr das Wort ab. Sofort war der Kleine wieder in sein Zimmer geflitzt und hatte sich umgezogen, bevor Elizabeth überhaupt ihre Morgentoilette beendet hatte.

 

Nach dem Frühstück schließlich, was nicht einmal halb so lange wie sonst gedauert hatte, nahm sie ihren Sohn bei der Hand und betrat mit ihm und einem Sonnenschirm die staubigen, ausgetrockneten Straßen der Stadt.

 

Noch immer hatte sie das Gefühl, hier nicht wirklich reinzupassen. Es kam ihr vor, als würden alle Augen sie und Billy verfolgen, sie verspotten, dass sie hier wie selbstverständlich umher lief. Doch wenn sie den Leuten in die Gesichter blickte, lächelte man sie meistens an und tat, als wäre gar nichts gewesen.

 

Zu Anfang hatte sie sich unbehaglich dabei gefühlt, doch dann war der Trotz in ihr wieder zum Vorschein gekommen und sie war absichtlich in ihren schönsten Kleidern umherstolziert, hatte jeden freundlich begrüßt und sowieso die meiste Zeit unter Leuten verbracht. Nachdem Billy zur Welt gekommen war, hatte sie jedoch schnell beschlossen, den Kleinen nicht dem Hohn und Spott der Gesellschaft auszusetzen. Daher freute es den Jungen natürlich, wenn seine Mutter mir ihm in die Stadt ging.

 

In freudiger Erwartung zog er an Elizabeth’ Hand, wollte man hierhin, mal dorthin, bewunderte die vielen Farben, in denen die Kleider in den Schaufenster hingen, malte sich aus, was er wohl später tragen würde und brachte jeden, dem sie begegneten, zum Lächeln.

 

Elizabeth jedoch lief es kalt den Rücken herunter, wenn sie daran dachte, dass ihr kleiner Junge nächstes Jahr zu Schule gehen würde. Dann konnte sie ihn nicht mehr vor den äußeren Einflüssen beschützen, vor denen sie ihn die letzten Jahre so gut verborgen hatte. Dann nahmen die Lehrer die Erziehung in die Hand und er war seinen Mitschülern hilflos ausgeliefert, die sicherlich nicht davor zurückschrecken würden, ihn zu hänseln und zu verspotten.

 

„Mami, kaufst du mir das?“ Billys Stimme riss sie aus ihren düsteren Vorahnungen und sie gab sich Mühe, ihre schwere Stimmung vor ihrem Kind zu verbergen. Daher lächelte sie tapfer und begutachtete interessiert, was ihr Sohn sich ausgesucht hatte. Es war ein weicher Teddybär, den er auf einem der Markstände entdeckt hatte. Da Port Royal noch immer eine ausgezeichnete Lage besaß und viele Schiffe hier anlegten, gab es ständig neue Dinge aus fernen Ländern zu bewundern. Besonders hatten es ihr selbst die Dinge aus dem asiatischen Raum angetan.

 

Nachdem sie Captain über Sao Fengs Schiff Empress geworden war, hatte man sie in Seide und Leder gekleidet und sie hatte die weichen Schuhe bewundert, die man an ihre Füße gesteckt hatte. Einmal hatte sie so ein Paar erstanden, trug sie jedoch nur im Haus, weil sie Angst hatte, dass der zarte Stoff kaputt gehen könnte. Und weil sie sich, wenn sie ehrlich zu sich selbst war, ein wenig schämte, damit gesehen zu werden.

 

Nun beugte sie sich zu ihrem Sohn herunter, nahm ihm den Bären aus der Hand und begutachtete ihn sorgfältig. „Hast du geschaut, ob er Löcher hat?“

 

Sofort schaltete sich der Händler ein. Er war ein stämmiger großer Mann, der sie um zwei Köpfe überragte und vermutlich Dutzende Pfund mehr wog als sie. Doch er hatte ein freundliches, offenes Gesicht und wirkte bei ihren Worten schwer beleidigt. „Junge Dame!“, sagte er aufgebracht und nahm ihr den Bären ab. „Meine Ware hat keine Löcher. Es sind die feinsten Materialien, die dafür verwendet werden. In London habe ich sogar schon einen Löwen an den König verkauft!“

 

„Und vermutlich möchtet Ihr auch denselben Preis dafür verlangen, den Ihr König George höchstpersönlich dafür abgenommen habt?“ Elizabeth’ Augenbrauen wanderten hoch zu ihrem Hut. Und ihre berechnende Stimme ließ den Händler gleich zurückschrecken. Doch vermutlich hatte er doch noch irgendwo eine Portion Stolz vergraben, denn er warf sich gleich wieder in die Brust und sagte: „Nein, für eine hübsche Dame wie Euch mit einem so bezaubernden kleinen Jungen, da mache ich Euch selbstverständlich einen Freundschaftspreis.“

 

Elizabeth schnaubte verächtlich, spürte jedoch das ungeduldige Ziehen ihres Sohnes an ihrer Hand und wusste, dass Billy nicht mehr lange die Geduld bewahren würde können. „Gut“, sagte sie daher, „wie viel verlangt Ihr?“

 

„Fünf Schilling!“

 

„Das ist sicherlich nicht Euer Ernst!“, rief sie aus und sah ihn entsetzt an. Dieser Preis lag jenseits von Gut und Böse und war völlig inakzeptabel. Sie kramte jedoch in ihrer Börse herum, was dem Händler schon ein verschlagenes Lächeln entlocken konnte. Allerdings zählte sie nicht fünf Silbermünzen ab, sondern nur eine, drückte sie dem Händler in die ausgestreckte Pranke und sagte: „Ich gebe Euch einen. Und das ist noch zu viel. Nehmt es als großzügige Geste. Komm, William.“

 

Damit gab sie ihrem Sohn den Bären zurück, wandte sich auf dem Absatz um und ließ den Mann verblüfft stehen. Er war so sehr von diesem Auftritt beeindruckt, dass er sich eine Weile nicht rühren konnte. Erst, als die beiden um eine Ecke gebogen waren, wagte er es wieder, Luft zu holen.

 

In einem kleinen Laden gleich gegenüber hob ein Fremder seine Teetasse zum Mund, trank einen Schluck und stellte sie lächelnd wieder ab. Er hatte die ganze Szene beobachtet und es genossen. Diese Frau war genau das, was er brauchte. Wenn sie erst einmal in seinem Haus wohnte und in seinem Bett schlief, würde sie sicherlich keine Geheimnisse mehr bewahren können. Und dann würde er das bekommen, was er sich schon so lange erträumte.

 

Doch bevor es soweit war, musste er Elizabeth Turner davon überzeugen, dass er ihr zweiter Ehemann sein wollte.

© by LilórienSilme 2015

  • facebook-square
  • Instagram schwarzes Quadrat
  • Twitter schwarzes Quadrat
bottom of page