LilórienSilme
~ Fanfiction-Autorin ~
Kapitel 29
~ Enemies beware
Eine steife Brise umwehte Greitzers Nase, als er sich an die Reling des Gouverneurschiffs stellte und aufs Meer hinaus blickte. Ihm war nicht ganz klar, wieso Spotswood ihn unbedingt dabei haben wollte, doch er war auf persönliche Einladung hier. Und dem hatte er Folge zu leisten.
Nachdem man ihm im Anwesen des Gouverneurs so herzlich willkommen geheißen hatte, hatte er auch die weitere Gastfreundschaft nicht ablehnen wollen. Außerdem lautete seine Anweisung, so schnell wie möglich nach Port Royal zurückzukehren, sobald er seinen Auftrag ausgeführt hatte. Und das hatte er in dem Moment getan, indem Spotswood beschlossen hatte, selbst nach Tortuga zu segeln, um sich in eigenes Bild davon zu machen, was dort vor sich ging.
Die Nachricht von dem Angriff hatte sich wie ein Lauffeuer über den kompletten englischsprachigen Raum hier in der neuen Welt ausgebreitet. Und vermutlich sogar noch weiter, in die spanischen und portugiesischen Kolonien hinein. Binnen weniger Tage war der Name von Captain Henry Miller jedem ein Begriff, was vermutlich auch einer der Gründe war, wieso Spotswood so überstürzt abgereist war.
De la Croix trat zu Greitzer an die Reling. Er legte seine schmächtigen Arme auf das blanke Holz und sog gierig die frische, salzige Luft ein. „Ein `errlischer Tag, n'est-ce pas?“, sagte er in seinem merkwürdigen französischen Singsang und bedachte den Offizier mit einem schiefen Seitenblick. Auch ihn hatte man mit hierher genommen, auch wenn sich der Franzose weit mehr gewehrt hatte als Greitzer selbst. Was allerdings an einer weiteren Seereise so schlimm sein sollte, konnte er nicht begreifen. Und nun schien der Verräter am eigenen Vaterland seine bisherige Stimmung hinter Freundlichkeit verstecken zu wollen.
Greitzer musterte ihn kritisch. Irgendetwas an de la Croix ließ ihm die Nackenhaare zu Berge stehen. Doch er konnte nicht ausmachen, was es war. Vielleicht lag es aber auch einfach nur an der natürlichen Rivalität zwischen Frankreich und England, die ihn so unsympathisch erscheinen ließ. Und doch spürte Greitzer, dass es noch etwas anderes sein musste. Er zog es daher vor, nur knapp zu nicken und wieder unter Deck zu verschwinden. Der Sturm der letzten Tage war zwar abgeflaut, doch das konnte trügerisch sein. Und solange die See noch ruhig war, wollte er ein bisschen Schlaf nachholen, bevor es vermutlich in ein wildes Gefecht mit den verhassten Piraten in Tortuga ging.
De la Croix blieb also allein zurück und war dankbar dafür, seine aufgesetzte gute Laune wieder fallen lassen zu können. Es behagte ihm überhaupt nicht, hier zu sein. Sein Plan hatte vorgesehen, dass er längst sicher an Land war, bevor es zum Gefecht kam. Doch der Gouverneur hatte ihm einen Strich durch die Rechnung gemacht. Und zu allem Übel waren auch noch seine Schätze mit auf einem anderen Schiff!
Wütend knirschte er mit den schiefen Zähnen. Dass man seine Kisten vorher nicht im Hafen verstaut hatte, bevor das Schiff aus Frankreich wieder in See gestochen war, war überhaupt der größte Schlag für ihn gewesen. Er hatte vehement auf Spotswood eingeredet, doch der Gouverneur wollte davon nichts hören. Dass Henry Miller nun mehr Bedeutung zu haben schien als er selbst, musste dem dicken Mann eine gehörige Portion seiner Selbstachtung genommen haben. Und offenbar hatte er vor, sie sich zurückzuholen – mit allen Mitteln! Nun konnte er nur noch hoffen, dass die Schiffe nicht sanken und sein Schatz damit verloren ging.
Als er die Kisten damals in der Schatzkammer des Königs entdeckt hatte, war es für ihn, als hätte man seinen Geburtstag vorverlegt. Zuerst hatte er nicht begriffen, was genau er dort gefunden hatte, doch dann hatte er die Maske entdeckt.
Die kostbar verzierte Federkrone mit dem goldenen Kopfteil und den grünlich schimmernden Federn hatte in ihm sofort eine Assoziation hervorgerufen. Vor seinem geistigen Auge war die neue Welt aufgetaucht, voll gestopft mit Schätzen, Gold, Silber, Edelsteinen und noch vielem mehr. Und nach ein bisschen Recherche hatte er tatsächlich bestätigt bekommen, was er dort in den Händen gehalten hatte: den Schatz von Motēcuhzōma Xōcoyōtzin, der im Volksmund nur als Montezuma bekannt war. Der Aztekenherrscher, der damals Verhandlungen mit Hernán Cortés geführt und ihn reich beschenkt hatte.
Wie genau diese Kisten schließlich aus den Händen der Spanier in die der Franzosen gelangt waren, konnte de la Croix nicht mehr nachvollziehen. Doch es interessierte ihn auch nicht sonderlich. Für ihn war nur wichtig, dass der Schatz in keinen Aufzeichnungen vermerkt war, die Kisten somit faktisch nicht existierten. Das hatte er sich zunutze machen können.
In einer Nacht- und Nebelaktion hatte er genügend Bedienstete am Hof in Versailles bestochen und mit ihnen die wertvolle Fracht an Bord eines Schiffes bringen lassen. Niemand hatte etwas bemerkt. Zumindest nicht, dass er es wüsste. Und kurz darauf war er aus Frankreich geflohen, hatte den Kontakt zu den Engländern gesucht und sich auf den Weg in die Neue Welt gemacht.
Dass sein Plan nun derartig von diesem Miller und seinem Angriff auf die Piraten in der Karibik durcheinander gebracht wurde, ärgerte ihn über alle Maßen. Sollte sich dieser Ausfall als Pleite herausstellen, würde er dafür sorgen, dass Miller keinen Fuß mehr auf die Erde bekam. Und erst recht würde er ihm das Leben zur Hölle machen, sollte seinem Schatz etwas passieren. Denn wenn das Schiff mit den Schatztruhen, die als Baumwolllieferung getarnt waren, auf den Grund des Meeres sank, hatte er nichts mehr. Seine gesamte Existenz baute auf dem Wert von Montezumas Schatz auf.
Ohne, dass er es gemerkt hatte, hatten sich seine Hände in das Holz der Reling gegraben. Seine Gedanken sprangen wild umher und hätte er sich nicht am Riemen gerissen, hätte er seinem Unmut laut Kund getan. Doch er wusste, er durfte sich nichts anmerken lassen. Die Gefahr war zu groß, dass jemand entdeckte, welchen Wert er mit sich herumschippern ließ. Vermutlich wäre Gouverneur Spotswood der erste, der sich das Edelmetall unter den Nagel riss.
Doch der Gouverneur dachte an ganz andere Dinge. Während er beobachtete, wie de la Croix Lieutenant Greitzer unter Deck folgte, zog er seinen pelzbesetzten Mantel enger um sich. Es war nicht leicht gewesen, genug von dem wertvollen Stoff zusammen zu bekommen, der ihn vollständig bedecken konnte. Doch mit genügend Geld war alles zu erreichen. Immerhin konnte er sich rühmen, die Freibeuter aus seinem Seegebiet vertrieben zu haben. Nur die Festnahme und Hinrichtung Blackbeards wäre noch ruhmreicher für ihn gewesen. Doch offenbar war ihm da jemand zuvor gekommen.
Er hatte die Gerüchte über diesen Jack Sparrow gehört, der offenbar in der Karibik ein bekannter Pirat war. Auch hatte er von der Black Pearl, dem Schiff mit den schwarzen Segeln, gehört. Doch so ganz konnte er nicht glauben, dass es dieses Geisterschiff geben sollte. Er war ein rationaler Mensch, der nichts für Aberglauben übrig hatte. Für ihn waren es Ammenmärchen, die man unartigen Kindern erzählte, um sie rechtzeitig ins Bett zu schicken. Er jedenfalls würde sich davon nicht abschrecken lassen.
Allerdings machte ihm zu schaffen, dass dieser Miller seinen Machtbereich immer mehr auszuweiten schien. Vermutlich würde er sich nicht damit zufrieden geben, wenn er erst einmal die karibische See als sein Hoheitsgebiet auserkoren hatte. Machthungrige Menschen strebten immer nach mehr. Wieso also aufhören, wenn er sein primäres Ziel erreicht hatte?
Spotswoods Kiefer mahlten unruhig aufeinander, als ihm das Ausmaß dieser Tragödie für ihn bewusst wurde. Wenn er nicht aufpasste, würde Miller ihn übertrumpfen, bevor er selbst überhaupt merkte, was vor sich ging. Dem musste er unbedingt zuvor kommen. Er konnte nur hoffen, dass es dafür noch nicht zu spät war. Er selbst war nämlich sehr zufrieden mit dem Leben, das er im Moment führte. Er hatte gar kein Interesse daran, mehr Land oder Wasser für sich zu beanspruchen. Er wollte nur verteidigen, was er besaß.
Doch dazu musste er erst einmal diese seltsame Insel erreichen, die nach den Schildkrötenkolonien genannt worden war, die dort wohl früher einmal genistet hatten. Was würde ihn dort wohl erwarten?
Weit konnten sie nicht mehr von der Insel entfernt sein. Sie waren bereits seit Tagen auf See und nur nach Süden gesegelt. Und um Ärger zu entgehen, waren sie östlich um Hispaniola herum gefahren. Es konnte also nicht mehr allzu lange dauern.
Spotswood merkte, wie seine Hände vor Aufregung zu schwitzen begannen. In seinem Gefolge hatte er über zwei Dutzend Schiffe mitgebracht, die allerdings aufgrund ihrer unterschiedlichen Schnelligkeit mittlerweile weit auseinander gezogen voneinander segelten. Die schweren Dreimaster mit ihren siebzig bis achtzig Kanonen waren nicht so schnell, wie die kleineren Fregatten. Diese hatten einen wesentlich schmaleren Rumpf, lagen somit nicht so tief im Wasser und konnten die Wellenkämme besser durchschneiden. Und trotzdem hatten sie eine ordentliche Anzahl an Kanonaden vorzuweisen, mit denen sie sich verteidigen konnten.
Davon hatte Spostwood bereits ein paar bauen lassen, doch viele waren noch nicht fertig. Er hatte zwar nicht mehr vor, in einen Krieg zu ziehen, doch vorbereitet wollte er trotzdem sein, sollte es zu einem kommen. Und wie man nun sehen konnte, war es gut, so vorausschauend zu denken.
Als er weitere Möglichkeiten des Angriffs durchdachte, ging ihm plötzlich durch den Kopf, was wieso er Greitzer überhaupt auf sein Flagschiff mitgenommen hatte. Eigentlich war ihm der Offizier ganz sympathisch. Man konnte ihm vom Gesicht ablesen, was er gerade dachte, auch wenn er es zu verstecken versuchte. Doch er war immer noch ein Gefolgsmann von Henry Miller. Und deswegen musste er ihn im Auge behalten.
Seinen Informationen zufolge hatte er vorher einem gewissen Lord Cutler Becket gedient. Dieser war allerdings in einem Gefecht mit diesem gewissen Jack Sparrow gefallen. Angeblich hatte man sein Schiff, die HMS Endeavour, in die Zange genommen, aufgerieben zwischen der Black Pearl und der Flying Dutchman, dem Schiff von Davy Jones. Die Männer waren über Bord gegangen, doch Becket war auf dem Schiff geblieben, unfähig sich überhaupt zu rühren, weil er von seiner Niederlage so überrascht worden war. Zumindest waren das Greitzers Worte gewesen.
Ob daran überhaupt ein Körnchen Wahrheit war, konnte Spotswood nicht sagen. Er jedenfalls konnte sich nicht dazu durchringen, dem Seemannsgarn von Geisterschiffen mit schwarzen Segeln und einer Crew von Untoten an Bord zu glauben.
Natürlich hatte er Legenden von Davy Jones gehört, dem Mann, der einen Handel mit dem Teufel persönlich gemacht hatte. Doch was sollte einen rational denkenden Menschen dazu bewegen, solch einen Unsinn zu glauben?
Verächtlich schnaubend wandte er sich an seinen ersten Offizier. Lieutenant Robert Maynard stand schräg hinter ihm und eigentlich hatte er den Befehl über sein eigenes Schiff, die HMS Pearl, doch Spotswood wollte ihn bei sich wissen, wenn der Angriff begann. „Wie lange werden wir noch brauchen, Lieutenant?”, fragte er daher ungeduldig und zog wieder an seinem hochwertigen Mantel. Nebel war inzwischen aufgezogen und hüllte alles, was weiter entfernt als zweihundert Meter war, in Ungewissheit. Selbst die Geräusche der Wellen, die sich unter dem Rumpf des mächtigen Flagschiffs brachen, schienen gedämpft.
Doch dann hörten sie plötzlich noch etwas anderes. Bevor Maynard antworten konnte, erklang in der Ferne ein dumpfes Geräusch, was ihn augenblicklich verstummen ließ. Sie lauschten in die Stille hinein und wollten es schon als eine einmalige Sache abtun, als es erneut erklang, dieses Mal jedoch schon näher und ein wenig lauter.
Neugierig geworden beugte der Gouverneur sich nach vorne, umpackte die Reling und starrte angestrengt in den Nebel hinein. Seitdem sie die Karibische See erreicht hatten, schienen die Gewässer sich gegen sich verschworen zu haben. Und auch jetzt verfluchte er dieses vermaledeite Wetter.
Unweigerlich stellten sich seine Nackenhaare auf, als er weiter nach vorne blickte. Etwas ging dort draußen vor sich, dessen war er sich sicher. Waren sie bereits so nahe an der Insel, dass sie das Kanonenfeuer hören konnten? Doch eigentlich war das unmöglich. Nach seinen eigenen Berechnungen würden sie noch mindestens drei Tage brauchen. Was also war dort draußen los?
Bevor er diese Frage an seinen ersten Offizier stellen konnte, stockte ihm jedoch der Atem. Mit einem kalten Windstoß lichtete sich der Nebel vor ihnen und gab den Blick auf eine Szenerie frei, die ihm den Magen umzudrehen drohte. Spotswood keuchte erschrocken auf. „Was in aller Welt…?“
Sie hatten Tortuga bereits erreicht, so viel stand fest. Doch von der Insel selber war nicht mehr viel übrig geblieben. Vor ihnen breitete sich ein Ödland aus, das von Feuer verbrannt war und sogar an manchen Stellen noch dampfte. Dahinter war eine Vielzahl von kleineren und größeren Schiffen in ein Gefecht verwickelt, doch wer die Oberhand hatte, konnte der Gouverneur nicht ausmachen. Dafür war das Chaos zu gewaltig. Doch nun war ihm klar, dass das dumpfe Geräusch von eben nur Kanonenschüsse hatten sein können.
Gerade wollte er den Befehl zum Angriff geben, als sich vor ihm eine gewaltige Welle auftürmte. Ungläubig starrte er auf den Fleck in dem ansonsten eher ruhigen Meer, bis das Wasser schließlich aufbrach und der Rumpf eines Schiffes daraus hervor schoss. Die Flying Dutchman nahm jedoch kaum Notiz von der kleinen Flotte, die sich dort aus dem Nebel schälte, sondern nahm direkt Kurs auf das Gefecht. Bevor das Schiff wieder aus seiner Reichweite verschwinden konnte, hatte Gouverneur Alexander Spotswood jedoch einen Blick auf den Captain des Schiffes werfen können, dessen Segel aus Seetang sich im Wind blähten, und er hatte die riesige Narbe auf seiner Brust genau über dem Herzen gesehen. Entsetzt rollte er die Augen nach hinten und ergab sich einer seligen Ohnmacht.