LilórienSilme
~ Fanfiction-Autorin ~
Kapitel 28
~ Das kann uns keiner nehmen
Wir sind wirklich so verschieden
Und komm' heut von weit her
Doch uns're Freundschaft ist geblieben
Denn uns verbindet mehr
Als sie Dreharbeiten wieder losgingen, kehrte das übliche Chaos zurück. Bevor aber alle wieder zu ihrer täglichen Arbeit übergingen, mussten zwei runde Geburtstage geplant werden. Die beiden Betreffenden hatten gehofft, still und heimlich aus der Nummer herauszukommen, doch Peter hatte natürlich jeden darüber informiert. Und so wurde Richard alias Thorin schon am Flughafen mit einem großen Hallo begrüßt.
Am Set angekommen hatte jemand seinen Trailer versteckt. Vergeblich suchte der Brite nach seiner Bleibe. Und als er sie schließlich gefunden hatte, quollen, als er die Tür aufschloss, große rosafarbene Luftballons heraus, umwirbelten ihn in der kalten Augustluft und wurden endlich vom Wind davongetragen. Die große Party sollte allerdings erst zwei Wochen später stattfinden, denn dann würde der zweite Hauptdarsteller sich von der Dreißig verabschieden und sich mit der Vierzig begnügen müssen.
Gehässig, weil Richard ganze siebzehn Tage älter war als er, hüpfte Martin wie das Rumpelstilzchen um ihn herum. „Und“, fragte er, „wie fühlt man sich, wenn man so alt ist?“ Der übliche Schelm blitzte in seinen Augen auf, doch Richard, ganz der britische Gentleman, ließ das kalt. Er zuckte nur mit den Schultern und antwortete: „Das wirst du schon sehr bald selbst herausfinden, mein lieber Martin. Warte nur ab!“
Aidan, der das Ganze als Jüngster am Set besonders lustig fand, hielt sich den Bauch vor Lachen. „Euch alten Männern beim Reden zuzuhören, kann einen ganz schön traurig machen. Da möchte man meinen, dass das Leben bald vorbei ist.“
Und wie, als hätten sie sich abgesprochen, drehten sich Richard und Martin gleichzeitig zu ihm um, zeigten mit dem Finger auf ihn und sagten völlig synchron: „Komm du erst mal in unser Alter!“
Peter unterbrach die fröhliche Runde, indem er alle am Set zur Ordnung rief. Joe hatte es sich wieder außerhalb der Scheinwerfer gemütlich gemacht, immer darauf bedacht, von keiner der Kameras erfasst zu werden, und beobachtete das Ganze mehr oder weniger interessiert. Sie hatte sich mit Nadel und Faden bewaffnet und in ihrem Atelier alles zurecht gelegt, um mögliche Schäden sofort reparieren zu können, denn das, was heute anstand, war für die Kostüme eine sprichwörtliche Zerreißprobe.
Die Szene mit den Steinriesen sollte gedreht werden. Und um das Ganze realistischer zu machen, gab es nicht nur eine Regenmaschine, sondern auch einen übergroßen Ventilator, der den Wind simulieren sollte, der allen im Gebirge ins Gesicht wehte. Nicht zum ersten und sicher auch nicht zum letzte Mal war Joe mehr als nur froh, dass sie nicht vor der Kamera zu stehen hatte.
Die Anzüge der Jungs sogen sich sofort mit dem Wasser voll, was überall herumwirbelte, auf sie heruntertropfte oder ihnen ins Gesicht geblasen wurde. Der Wind schnitt ihnen in die Haut, die nicht von Prothesen oder Haaren bedeckt wurde, und Martin hatte es da vermutlich am schlimmsten erwischt. Er wurde von Peter ständig daran erinnert, dass er doch bitte die Augen aufhalten sollte, doch das schien ihm nicht besonders leicht zu fallen. Noch dazu konnte kaum jemand sein eigenes Wort verstehen, da die Windmaschine einen solchen Lärm veranstaltete, dass man glauben konnte, tatsächlich in den Remarkables in einem Sturm zu stecken.
Als Peter zur ersten Pause rief, atmeten alle erleichtert aus. Die Sprinkleranlage und die Windmaschine wurden ausgeschaltet und alle wirkten, als wären sie gerade einen Marathon gelaufen. Schnaufend stiegen sie von dem Set herunter und suchten sich irgendwo Sitzmöglichkeiten.
Jimmy fluchte, als er an Joe vorbeiging, und wischte sich mit einem Handtuch sein Gesicht trocken, was seinen Maskenbildner direkt zu einer Standpauke veranlasste und Adam nur kichern ließ. Fragend blickte Joe den jungen Schauspieler mit der roten Perücke an. „Er hasst es, wenn er Wasser ins Gesicht bekommt“, erklärte der nur weiter kichernd und lief Jimmy hinterher, um ihn irgendwie damit aufziehen zu können.
Schließlich ließ sich Aidan in dem Stuhl neben Joe nieder und bespritzte sie dabei mit Wasser. „`tschuldigung“, murmelte er und wrang seinen Ärmel in ihre Richtung aus. „Irgendwie hatte ich mir das lustiger vorgestellt. Du kannst echt froh sein, dass du nur zugucken musst.“
„Und selbst vom Zuschauen werde ich schon nass“, konterte sie, grinste dabei aber.
„Jeder muss Opfer bringen, Kleines.“ Spielerisch stieß er sie in die Seite und erwiderte ihr Grinsen. Dann stutzte er, betrachtete sie etwas genauer und sagte: „Kann es sein, dass du dich verändert hast?“
Joe zog fragend eine Augenbraue nach oben, sagte jedoch nichts. Was konnte er damit wohl meinen? Beim Frisör war sie nicht gewesen. Auch trug sie nicht mehr oder weniger Make-up als vorher. Wie hätte sie sich da verändern sollen? Oder hatte sie etwas zwischen den Zähnen, einen dicken Pickel auf der Stirn, der heute Morgen noch nicht dort gewesen war, oder plötzlich mehr Sommersprossen bekommen?
Unsicher geworden strich sie sich die Haare glatt und versuchte seinem forschenden Blick auszuweichen. Doch er hielt ihre Hände fest, als sie sich zum dritten Mal dieselbe Strähne hinter ihr Ohr schieben wollte. „Das sollte ein Kompliment sein“, sagte er lächelnd. „Du kommst mir ein bisschen offener vor als noch vor vier Wochen. Das gefällt mir!“ Bevor er jedoch weiter ins Detail gehen konnte, rief Peter das Set wieder zur Ordnung und Aidan sprang von seinem Stuhl auf. Als er ihre Hand wieder loslassen wollte, hielt er noch kurz inne, sah sie aus seinen dunklen Augen an und sagte noch einmal: „Das gefällt mir wirklich!“
Verwirrt ließ er sie zurück. Wie hatte er das nun wieder gemeint?
Sie beschloss, diese Aussage einfach zu ignorieren und stattdessen lieber ihre Arbeit zu machen. Bei der nächsten Szene hätte Graham alias Dwalin einen coolen Auftritt hinlegen und Bilbo vor dem Abstürzen retten sollen, doch sein Ärmel hatte sich an einem der künstlichen Felsen verfangen und einen Riss bekommen. Joe eilte zu ihm hin, als sie das Reißen des Stoffes hörte, und stolperte dabei fast über die eigenen Füße. Es gelang Dean, sie elegant aufzufangen und wieder auf die Füße zu stellen. „Hoppla“, sagte er, „immer langsam. Es ist noch niemand zu spät gekommen.“ Er lächelte sie an, während Adam hinter ihm hinter vorgehaltener Hand anfing zu kichern und damit nicht nur Jimmy sondern auch Jed und John ansteckte.
Wieder einmal rot geworden versuchte Joe zu ignorieren, dass sie sich gerade nicht nur vor den Schauspielern, sondern auch vor laufender Kamera blamiert hatte, und rettete sich damit, indem sie sich Dwalins Ärmel genauer ansah. Schließlich stellte sie fest, dass es dadurch realistischer aussehen würde, und ließ es so.
Als sie wieder hinter die Linie der Kameras trat, fragte Peter: „Und, ist es sehr schlimm, Dr. Taylor?“
„Nein“, hörte sie sich selbst sagen, „er wird durchkommen.“ Peter quittierte ihren kleinen Witz mit einem schelmischen Kichern und legte ihr fürsorglich eine Hand auf den Unterarm. Sie spürte die Wärme, die er ausstrahlte, und wunderte sich wieder einmal, dass er selbst im Winter in kurzer Hose und Hemd herumlief. Jemand hatte ihr erzählt, dass er sogar beim Location-Scouting nur seine Khaki-Hosen getragen hatte, dafür aber zumindest eine dicke Winterjacke.
Zurück an ihrem Platz musste Joe sich über sich selbst wundern. Was war nur heute mit ihr los? Seitdem sie diese für sie schreckliche Unterhaltung mit Emily gehabt hatte, fühlte sie sich plötzlich ganz anders. Konnte das tatsächlich dieses Selbstbewusstsein sein, von dem alle immer sprachen? Und wenn ja, wo kam das so plötzlich her?
Die nächste Szene sah vor, dass Ken alias Balin ein Solo hinlegen sollte. Wieder wurden die Maschinen angestellt und der ohrenbetäubende Lärm begann von vorne. Joe hätte sich gern die Ohren zugehalten, doch das, was jetzt passierte, lenkte sie viel zu sehr ab. Als Ken sich erhob, um seinen Text zu sprechen, schlug ihm bei seinem ersten Wort sein künstlicher Bart so ins Gesicht, dass er nichts mehr sehen konnte. Auch der nächste Versuch endete so, genauso wie der danach, bis es schließlich selbst mit Richards stoischer Ruhe vorbei war und sogar er kichern musste.
Peter rief „Cut!“ durch die Lautsprecher, wobei Joe hören konnte, dass auch er wohl gelacht haben musste. Er kam aus seinem Regiezelt heraus und sprach mit Ken, der nur genervt, aber immer noch professionell, den Kopf schüttelte.
Als Peter an Joe vorbei kam, konnte sie sehen, wie er dem Mann an der Windmaschine ein fast unsichtbares Zeichen gab, er möge den Wind noch etwas mehr aufdrehen. Dann verschwand er wie ein kleiner Junge kichernd wieder in seinem grünen Zelt, um die Szene erneut anlaufen zu lassen.
Es dauerte bis zur Mittagspause, bis sie endlich im Kasten war, und alle, selbst Peter selbst, schienen erleichtert zu sein, aus der Stage herauskommen zu können. Draußen jedoch schlug ihnen die kalte Augustluft wieder entgegen, die auch jeden, der nicht von dieser Insel kam, daran erinnerte, dass es in Neuseeland immer noch Winter war. Der würde zwar schon sehr bald dem Frühling weichen, doch die dicken Jacken würde man noch eine Weile tragen müssen.
Joe begleitete Graham zum Mittagessen. Er hatte einen seiner riesigen Arme um ihre schmalen Schultern gelegt und schirmte sie so etwas von dem schneidenden Wind ab, der ab und zu noch ein paar kleine verirrte Schneeflocken mit sich trieb. Der große Schotte kicherte noch immer über die Sache mit Kens Bart. „Und hast du gesehen, wie er ihn immer wieder nach unten gedrückt hat? Aber er wollte einfach nicht unten bleiben, sondern hat ihm jedes Mal wieder die Sicht verstellt. Ich weiß echt nicht, wie er das gemacht hat.“ Dabei kicherte er so sehr, dass Joe dachte, er müsste gleich vor Lachen zusammenbrechen. Doch auch sie fand das Ganze immer noch sehr lustig, wenn sie genau darüber nachdachte.
„Ja“, sagte sie leise, sodass der Wind ihre Worte beinahe davontrug, „das sah wirklich urkomisch aus.“ Sie strahlte dabei über ihr ganzes Gesicht.
Als sie gemeinsam die Kantine betraten, suchten ihre Augen kurz nach Emily, doch ein Blick auf die große Uhr über der Essensausgabe sagte ihr, dass ihre Freundin vermutlich noch keine Pause machen würde. Meistens ging sie erst um ein Uhr essen und nicht schon um zwölf.
Der Anblick, der sich ihr allerdings in der Auslage bot, hätte sie beinahe dazu veranlasst, wieder das Weite zu suchen. Sie konnte nicht verstehen, wie Leute so etwas freiwillig in sich hineinschlingen konnten. Und weil ihr weder der Fleischeintopf noch die Nudeln mit der undefinierbaren Soße zusagten, entschied sie sich für ein schlichtes Putensandwich und eine Flasche Wasser und suchte sich anschließend einen Platz neben Richard. Der warf nur einen flüchtigen Blick auf ihre Auswahl und zog fragend eine Augenbraue hoch, als wollte er sagen: „Ist das etwa alles, was du essen willst?“
Nicht, dass sie besonders auf ihre Figur hätte achten müssen, dachte er im Stillen, denn daran konnte es gewiss nicht liegen. Er hatte auf Aidans Party gesehen, wie sie mit Genuss einen von ihren selbstgebackenen Muffins verschlungen hatte. Außerdem war sie recht zierlich gebaut und wog vermutlich bei ihrer geringen Körpergröße kaum fünfzig Kilogramm. Allerdings war das auch kein Kunststück, wenn man nur knapp eineinhalb Meter hoch war. Selbst sein eigenes Stuntdouble Mark war größer als sie.
Joe zuckte jedoch nur entschuldigend mit den Schultern. Dabei warf sie aber einen verächtlichen Blick auf das völlig überladene Tablett von Aidan, der sich ihr gegenüber niedergelassen hatte. Der sah erst sie an, dann sein eigenes Essen, dann wieder sie, und fragte nur: „Was denn?“
„Schon gut!“, winkte sie ab, wickelte ihr Sandwich aus und biss in die Pappe hinein. Mit viel Wasser würde sie es vielleicht hinuntergespült bekommen, dachte sie kauend.
Graham beugte sich vor, sodass er gleichzeitig Joe, Richard und Aidan ansehen konnte. „Ich glaube“, sagte er grinsend, „dass unsere gute Joe etwas gegen das Essen hier hat. Ich habe sie hier in der Kantine noch nie mit Genuss essen sehen.“ Wie um seine Worte zu bestätigen musste Joe husten, weil das Sandwich so verflucht trocken war. Richard rettete sie, indem er ihr kräftig auf den Rücken schlug.
Nachdem sie sich wieder gefangen hatte, merkte sie, dass die Jungs sie erwartungsvoll ansahen. Was sollte das denn nun werden? Und weil ihr Mund immer noch so trocken war wie die Sahara sah sie fragend in die Runde. Erwarteten sie etwa darauf eine Antwort? War ihr hochrotes Gesicht, was ausnahmsweise mal nichts mit ihrer geringen Schamgrenze zu tun hatte, nicht Aussage genug gewesen?
„Soll das etwa heißen“, fragte nun Aidan und zog damit die Aufmerksamkeit auf sich, „dass du uns beweisen willst, wie schlecht das Essen hier tatsächlich ist?“ Demonstrativ nahm er einen großen Bissen von dem undefinierbaren Fleischeintopf, der die Farbe von zerkochtem Rind hatte, und tat, als hätte er noch nie etwas Besseres gekostet.
„Ich verstehe die Frage nicht“, wagte Joe zaghaft zu erwidern. Dabei sah sie Graham hilfesuchend an, der ihr jedoch nur aufmunternd zuzwinkerte. Das verwirrte sie nur noch mehr. Scheinbar schien man hier etwas von ihr zu erwarten, was sie nicht ganz mitbekommen hatte. Wie wenn man in der Schule aufgerufen wurde und nicht wusste, was der Lehrer kurz vorher gesagt hatte, weil man zu sehr mit Briefchen schreiben oder dergleichen beschäftigt gewesen war. Nur hatte sie dieses Mal aufgepasst, hatte jedes Wort der Unterhaltung mitbekommen. Wo zur Hölle war sie ausgestiegen?
Dean half dem Ganzen etwas auf die Sprünge, als er sagte: „Du findest das Essen hier doch grässlich, oder?“ Sie nickte zögernd. „Und du willst behaupten“, fuhr er fort, „dass du es besser könntest?“ Wieder nickte sie, wobei sie die Stirn in Falten legte, weil sie immer noch nicht so ganz verstand, worauf die Jungs hier hinauswollten. „Na, dann ist es ja beschlossen!“ Dean klatschte begeistert in die Hände und der Rest schien ihm zuzustimmen.
Nun platzte Joe der Kragen. Sie nahm noch einen Schluck von ihrem Wasser, um sicherzugehen, dass sie nicht mitten im Satz wieder husten musste, dann sah sie erst Richard, dann Graham, dann Aidan und zum Schluss Dean aus zusammengekniffenen Augen an. „Was habt ihr beschlossen?“
Aidan kicherte zwischen zwei Bissen, ließ sich aber größtenteils durch die Unterhaltung nicht davon abbringen, weiter Essen in sich hineinzuschaufeln. Richard lächelte nur verhalten, während Dean breit grinste und Graham ihr einen Arm um die Schultern legte und sie wie ein Vater ansah, der seiner Tochter gerade die Sache mit den Bienchen und Blümchen erklärt hatte. Er beugte sich zu ihr herunter, wobei ihr der Geruch nach Männerschweiß, Silikon und nassem Hund in die Nase stieg, und fragte in völliger Unschuld: „Wann lädst du uns denn zum Essen ein?“
Hätte sie noch ein Stück von ihrem Sandwich angebissen gehabt, hätte sie sich daran vermutlich nun verschluckt. Doch so blieb ihr nichts anderes übrig, als Graham total entgeistert anzustarren. Der konnte nicht lange ernst bleiben, sondern brach gleich in schallendes Gelächter ob ihres dämlichen Gesichtsausdrucks aus. Liebevoll nahm er sie in den Arm und drückte sie an seine breite Brust, was Joe beinahe zum Würgen veranlasst hätte, da sein strenger Geruch plötzlich so nah war. Als er sie wieder freigab, atmete sie erleichtert ein.
Doch als ihr klar wurde, was da gerade passiert war, wäre sie am liebsten sofort davon gelaufen. „Euch zum Essen einladen?“, fragte sie so leise, dass man sie kaum verstehen konnte.
„Ja“, antwortete Dean begeistert, „das ist wirklich eine tolle Idee! Dann können wir uns selbst davon überzeugen, dass das Essen hier tatsächlich so schlecht ist.“
Richard legte gespielt ernst die Stirn in Falten. „Aber was ist“, sagte er, mehr zu sich selbst als zum Rest der kleinen Gesellschaft, „wenn uns dann das Essen hier in der Kantine nicht mehr schmeckt und wir uns in den kommenden Drehpausen schmachtend nach den taylor‘schen Köstlichkeiten verzehren? Dann werden wir verhungern!“
Im selben Moment gab Aidan ein besonders lautes, kauendes Geräusch von sich, sodass ihn alle anblickten. Ein kurzer Augenblick reichte ihnen, um Richards Worte Lügen zu strafen. Wieder brachen sie in schallendes Gelächter aus, was dieses Mal sogar Joe ansteckte.
Nun widmeten sie sich alle ihrem Essen. Und nach einer Weile, als sie über die Hälfte ihres Sandwichs hatte liegen lassen und sich schon Sorgen darüber machte, wie sie so einen Haufen von ungehobelten Männern bei sich bewirten sollte, bemerkte Graham ihre erneut in Falten gelegte Stirn. „Keine Sorge, es sind doch nur wir vier.“
„Genau“, pflichtete ihm Aidan kauend bei.
„Allerdings solltest du für unseren jungen Wilden hier“, Richard deutete auf Aidan, „lieber zwei oder sogar drei Portionen einplanen.“ Der Ire steckte ihm nur die Zunge raus, ließ sich aber weiter nicht beirren.
Dean, der Joes Unbehagen bemerkt hatte, versuchte abzuwiegeln. „Du musst das aber nicht machen, wenn du nicht möchtest.“ Dabei sah er Richard und Graham an, als wollte er sie um Unterstützung bitten. Der erhoffte Zuspruch blieb allerdings aus. Stattdessen nickten die beiden Älteren nur abwesend. Für sie schien das schon beschlossene Sache zu sein. Joe konnte nur hoffen, dass Emily an diesem Tag noch nichts vorhatte und ihr bei den Vorbereitungen half und sie auch währenddessen nicht im Stich ließ. Sie wollte sich lieber nicht ausmalen, wie das Gelage ausarten könnte, wenn sie mit den vier Jungs alleine bei sich zu Hause wäre. Schreckliche Bilder von zerschlagenem Geschirr, in den Wänden steckenden Gabeln und Messern, sowie durch die Luft fliegenden Essensresten liefen vor ihrem inneren Auge ab.
In diesem Moment betraten Orlando und Evi die Kantine, die von einem Pulk von jungen Mädchen aus dem Make-up Department verfolgt wurden. Und bevor Joe selbst wusste, wie ihr geschah, hörte sie, wie völlig absurde Wörter ihren Mund verließen: „Vielleicht sollten wir Evangeline auch dazu einladen.“
Für ein paar Herzschläge war es so still an ihrem Tisch, dass man hätte eine Gabel fallen hören können. Dann brachen die Jungs zum dritten Mal an diesem Tag in schallendes Gelächter aus. Dieses Mal dauerte ihr Lachanfall geschlagene zwei Minuten, bis sie sich wieder so weit unter Kontrolle hatten, dass sie zumindest etwas hecheln konnten. Dabei warfen ihnen die Leute an den anderen Tischen, und besonders Orlando und Evi, merkwürdig verstörte Blicke zu und Joe lief schon wieder rot an. Was hatte sie denn gesagt?
„Die Elben?“, japste Graham und hielt sich den Bauch. „Ernsthaft?“
Sie hob entschuldigend die Arme. „Wieso denn nicht?“
Aidan deutete mit einem seiner langen Finger auf sie. „Weil es Elben sind und wir Zwerge uns nicht mit diesen Baumliebhabern abgeben. Deswegen!“
„Das sagt ausgerechnet der Zwerg, der mit einer Elbenfrau liebäugelt.“ Dean wackelte vielsagend mit den Augenbrauen. „Verräter an der eigenen Art! Du solltest dich wirklich etwas schämen.“
„Du bist doch nur eifersüchtig, weil sie mich lieber mag als dich.“ Dabei drehte er sich zu Evi um, die ganz in der Nähe einen freien Platz errungen hatte, und warf ihr eine Kusshand zu. Die jedoch drehte sich nur angewidert weg und flüsterte Orlando etwas ins Ohr, was den dazu veranlasste, ihnen allen einen bösen Blick zuzuwerfen.
Joe, die nicht so ganz verstand, dass es dabei nur um ein paar Späße unter Schauspielern ging, schämte sich in diesem Moment in Grund und Boden und hätte sich am liebsten in ein Mäuseloch verkrochen.
Nach dem Essen, was ihr ziemlich schwer im Magen lag, eilte sie hinter Evi her, die gerade mit Orlando wieder die Kantine verlassen wollte. Obwohl sie die wunderschöne, groß gewachsene Kanadierin sehr bewunderte und sie vermutlich ihr gegenüber keinen Ton rausbekommen würde, wollte sie sich bei ihr entschuldigen. Schüchtern tippte sie ihr auf die Schulter, als die gerade die Tür nach draußen aufstoßen wollte.
„Hallo Joe!“, rief sie erfreut aus, als sie die junge Designerin erkannt hatte. „Wie geht es dir?“
„Danke, gut“, antwortete sie schüchtern, trat dabei von einem Bein aufs andere und warf Orlando verstohlene Blicke zu. Er sah immer noch so gut aus wie noch vor zehn Jahren, als sie ihn zum ersten Mal im Kino auf der großen Leinwand gesehen hatte. Als Legolas würde es tatsächlich so wirken, als wäre er nicht einen Tag gealtert.
Sie musste sich noch ein paar Mal räuspern, bevor sie herausbekam, weswegen sie eigentlich hier war. Dabei war es wenig hilfreich, dass ihr Schwarm aus Teenagerzeiten ihr ein Lächeln zuwarf, das ihre Knie weich werden ließ. Außerdem wurde es ihr plötzlich, trotz der Kälte draußen, ziemlich heiß und sie spürte, wie ihr schon wieder die Röte auf die Wangen kroch. „Ich wollte mich für eben entschuldigen“, sagte sie schließlich.
Evi runzelte verwirrt die Stirn, doch dann glätteten sich die Falten wieder, als sie begriff. „Ach was“, winkte sie ab, „das war doch nur Spaß! Mach dir da mal keine Sorgen.“ Sie zwinkerte der kleinen Blonden aufmunternd zu.
„Trotzdem“, wagte Joe einen weiteren Vorstoß. „Ich würde euch gerne zu mir einladen.“
„Zu dir einladen?“, schaltete sich nun Orlando ein. Er wirkte nicht abgeneigt, immerhin konnte er sich noch vom letzten Mal daran erinnern, dass es zwischen den Schauspielern nicht nur am Set freundschaftlich zugegangen war. Sie hatten auch einen großen Teil ihrer Freizeit miteinander verbracht, waren zusammen surfen oder essen gewesen und hatten lange Abende in den Clubs in der Stadt verbracht. Vielleicht würde diese Tradition wieder aufleben. Er jedenfalls hätte nichts dagegen, auch wenn ihm Elijah, Dom und Viggo dabei sehr fehlen würden.
Joe knetete ihre Hände, um sich selbst Mut zu machen. So etwas hatte sie noch nie getan. Doch irgendwie fühlte es sich gut an, Leute zu sich einzuladen. Sie mochte die Gesellschaft und die Lebhaftigkeit, die damit einherging, um sich herum. Da sie so etwas ja vorher noch nie erlebt hatte, war das etwas völlig Neues für sie. Aber es gefiel ihr.
„Ja, ich wollte am Samstag für ein paar der Jungs kochen. Wenn ihr noch nichts vorhabt, könnt ihr auch gerne mitkommen.“ Sie blickte sich kurz um. „Und wenn ihr wollt, könnt ihr auch Lee mitbringen.“
„Luke auch?“, fragte Evi frech.
Luke Evans war erst vor einer Woche am Set erschienen. Er war zusammen mit Martin aus London hierher gekommen, der noch die neuste Staffel von Sherlock mit Benedict Cumberbatch hatte zu Ende drehen müssen, der vermutlich auch bald in Neuseeland eintreffen würde. Joe kannte weder Luka noch Benedict, hatte jedoch nichts dagegen. Also nickte sie nur und versprach, den beiden noch ihre Adresse zukommen zu lassen, sobald sie wüsste, wann genau alle bei ihr sein sollten.
Danach ging sie mit gemischten Gefühlen zurück ans Set. Eigentlich hatte sie dieses Essen überhaupt nicht gewollt. Doch je länger sie darüber nachdachte, desto besser gefiel ihr die Idee von so vielen Menschen unter ihrem Dach. Auch wenn ihr das Ganze noch gehörig Angst machte, wollte sie sich dieser Herausforderung stellen. Diese Dreharbeiten schienen also nicht nur ihre beruflichen Fertigkeiten zu fordern, sondern vor allem auch ihre menschlichen. Würde sie damit klarkommen? Oder würde sie danach wieder in alte Muster verfallen?