LilórienSilme
~ Fanfiction-Autorin ~
Kapitel 27
~ Maria
Peinlich berührt blickte Maria mit großen Augen die drei Männer an, die nun vor ihr standen und sie mehr oder weniger erstaunt oder sogar ängstlich anstarrten, wie sie unterschiedlicher nicht hätten sein können. Alle drei waren nicht mehr die jüngsten, hatten sich mehr oder weniger gut gehalten, doch da hörten die Gemeinsamkeiten auch schon wieder auf.
Der, der links von ihr stand, hatte einen weißen Backenbart, ein rundes Gesicht mit einem freundlichen Ausdruck in den Augen, dunkelgraues erstaunlich volles Haar, welches er in einem Zopf zusammen trug, und dunkle Haut, die davon zeugte, dass er die meiste Zeit seines Lebens auf See verbracht hatte. Jetzt hatte er sich etwas vorgebeugt, die Augen zusammengekniffen und versuchte so die Dunkelheit unter der Treppe zu durchdringen, in welcher sie hockte.
Der Mann, der rechts stand, war vermutlich der älteste von ihnen. Er hatte einen großen Hut auf, der einen Schatten auf ihn warf, aber nicht verhindern konnte, dass man die Falten in seinem wettergegerbten Gesicht sah. Seine Augen wirkten in dem schummrigen Fackelschein ziemlich gelblich und seine Zähne sahen aus, als wären sie aus Holz gemacht. Wenn sie sich hätte entscheiden müssen, wäre er derjenige gewesen, dem sie am wenigstens über den Weg getraut hätte.
Der Mann in der Mitte jedoch sah ganz anders aus als die anderen beiden. Er mochte vielleicht in den Vierzigern sein, hatte einen Dreispitz auf, unter dem ein rotes Kopftuch und dicke verfilzte Haarsträhnen hervorlugten. Um seine Augen herum war er schwarz angemalt, was ihm ziemlich gut stand, und er hatte einen Kinnbart, der in zwei kleinen Zöpfchen geflochten herabhing. Außerdem trug er einen Schnauzbart und die Konturen seines Gesichts wurden vom Kinn bis zu den Ohren von einem leichten dunklen Flaum umrahmt.
Und während er ihr noch skeptisch entgegen blickte und versuchte auszumachen, was sie hier wohl verloren hatte, konnte sie nicht anders als in diese braunen Augen zu starren. Etwas tief in ihr regte sich, ließ es ihr ziemlich warm werden und brachte ihr Herz zum Flattern. Es dauert eine Weile, bis sie begriff, dass es kein positives Gefühl war sondern Wut, die in ihr kochte.
Ihre Fingernägel bohrten sich in ihre Handflächen, bis sie dachte, sie müssten abbrechen. Ihre Kehle war ganz trocken, ihre Zähne mahlten heftig aufeinander und alle ihre Muskeln waren angespannt. Wieso nur war sie so schrecklich wütend? Sie hatte diese Männer noch nie im Leben gesehen. Doch irgendwo her musste dieses Gefühl kommen. Hatte es vielleicht etwas mit dem Fluch zu tun? Hatten sie etwas mit dem Fluch zu tun?
Dies konnte sie nur auf eine Art erfahren. Sie musste sie fragen. Mit einem Ruck erhob sie sich daher, kam unter der Treppe hervor und brachte die Männer dazu, aus ihrer Starre zu erwachen und ein paar Schritten vor ihr zurückzuweichen. „Caballeros, was kann ich für Sie tun?“
Jack staunte nicht schlecht, als er den spanischen Akzent vernahm, mit dem sie sprach. Um ehrlich zu sein brachte ihn das beinahe völlig aus der Fassung. Das letzte Mal hatte er so etwas bei Angelica gehört. Und waren sie nicht hier, weil sie eigentlich sie gesucht hatten? Wieso hatte der Kompass sie nur zur Dutchman geführt, fragte er sich jetzt schon zum bestimmt hundertsten Mal. Er konnte sich das einfach nicht erklären.
Oder trieb Angelica vielleicht ein Spielchen mit ihm? Hatte sie diese Frau bestochen, um ihn in die Irre zu führen und sie selbst wartete bereits unter Deck, um ihm die Kehle aufzuschlitzen?
Barbossa fasste sich als erstes. Ganz der Gentleman der alten Schule nahm er den Hut vom Kopf und deutete eine Verbeugung an, die etwas ungelenk zu Ende geführt wurde, da er sich mittlerweile nur noch auf ein gesundes und ein Holzbein stützen konnte. „Mylady, dieser bescheidene Mann hat die Ehre sich Captain Hector Barbossa nennen zu dürfen. Darf ich denn auch Euren werten Namen erfragen, wenn es Recht ist? Ein so bezauberndes Wesen muss einen gar lieblichen Namen sein Eigen nennen.“
Formvollendet setzte er das breitkrempige und schon ziemlich verschlissene Ding mit der überdimensionierten Feder zurück auf seinen Kopf und Maria hätte am liebsten spucken mögen. Diese Ausdrucksweise hatte sie noch nie gemocht. Sie war zwar edler Abstammung und würde bald auch wieder ihren Platz in der Gesellschaft einnehmen müssen, doch bis dahin blieb ihr noch eine Gnadenfrist, die sie auszukosten gedachte. „Maria“, sagte sie daher nur schlicht und schwieg.
„Nun“, sagte Barbossa, als er merkte, dass sie nicht weitersprechen würde, und wies nacheinander auf Jack und Gibbs. „Das sind Jack Sparrow und sein Schoßhündchen Joshamee Gibbs, die offenbar ihre Sprache verloren haben. Sehr erfreut, Miss Maria.“ Er deutete eine zweite Verbeugung an, worauf sie kurz ihren Kopf zum Zeichen des gegenseitigen Respekts neigte. Allerdings warf sie keinen zweiten Blick auf den Mann, der sich Jack Sparrow nannte.
Irgendetwas begann sich tief in ihrem Gedächtnis zu regen, doch sie konnte es nicht fassen. Jedes Mal, wenn es scheinbar ein wenig an die Oberfläche drang, tauchte es plötzlich wieder unter. Dann sah sie die Tätowierung.
Ihr Atem stockte für einen Moment, als sie wieder in diese braunen Augen sah. Und auch Jack schien etwas zu spüren, als sich ihre Blicke begegneten. Er konnte ja nicht ahnen, dass die Voodoo-Priesterin aus den Sümpfen die Göttin war, die nicht nur ihn, sondern auch Maria auf den Weg geschickt hatte. Hätte er geahnt, dass Atlacamani auch gleichzeitig Ichtaca war, hätte er vielleicht schon in diesem Moment begriffen. Und Maria sicherlich auch. Doch so stürzten beide in diesen Krieg, der sich in genau ebenjenem Moment aufzutun begann.
Es war, als ginge eine Erschütterung durch die Meeresoberfläche. Jeder an Deck geriet für einen kurzen Augenblick aus dem Gleichgewicht, breitete die Arme aus oder griff nach einer nahen Stütze, um sich abzufangen und nicht in die Knie gehen zu müssen. Dann war es still.
„Was in drei Teufelsnamen war denn das?“ Die raue Stimme von Pintel durchschnitt die unangenehme Ruhe an Deck und löste den Bann, der auf allen lag. Es war seltsam, alle wieder vereint zu sehen, dachte Will beim Anblick seiner alten Freunde. Wie lange war es her, dass er sie alle gesehen hatte? Und was hatten sie seitdem alles erlebt? Hoffentlich würde genug Zeit sein, um sich gegenseitig die vergangenen Geschichten zu erzählen und sich auf den neusten Stand zu bringen. Irgendwie freute er sich auch schon drauf. Und doch sagte ihm etwas, dass Jack wieder einmal bis über beide Ohren in Schwierigkeiten gesteckt hatte und auch schon wieder steckte. Wie schaffte es dieser Pirat nur immer mit heiler Haut davon zu kommen?
Gibbs räusperte sich und zog damit die Aufmerksamkeit aller auf sich. „Klang nach einem Erdbeben“, sagte er nur. Allerdings glaubte er selbst nicht daran, denn seine Armhaare hatten sich bedrohlich aufgerichtet. Und das war nie ein gutes Zeichen. Irgendetwas ging hier vor sich, dessen war er sich sicher. Und wenn sie nicht alle ganz gewaltig aufpassten, würde es sie alle mit Haut und Haaren verschlingen.
„Gentlemen!“, rief Barbossa aus. Er hatte es satt, sich über Dinge Gedanken zu machen, die ihn nicht sonderlich interessierten. Immerhin waren sie hier, um jemanden zu finden. „Wenn es Ihnen nichts ausmacht, Captain Turner“, sagte er dann an Will gewandt, „würden wir gerne mit Miss Teach sprechen.“
Doch Will konnte ihn nur verständnislos anstarren. „Mit wem, bitte?“ Den Namen hatte er noch nie zuvor gehört. Die einzige Frau an Bord war Maria. Und die hatte ganz sicher nicht denselben Nachnamen die Blackbeard. Er kannte den alten Piraten nicht, doch er hatte von ihm gehört, wie vermutlich jeder Seemann, der halbwegs bei Verstand war.
„Angelica Teach“, mischte sich nun auch Jack ein. „Sie muss hier an Bord sein. Wo steckt sie? Angelica! Komm raus, komm raus, wo immer du auch bist, Liebes!“
Doch es blieb still an Deck. Allerdings nur für einen winzigen Augenblick. Dann wurde die Ruhe von einem Schrei zerrissen.
Will krümmte sich plötzlich vor Schmerzen und seine Beine wollten ihn nicht mehr tragen. Seine Knie knickten ein, er ging zu Boden und spürte nur dumpf noch, wie seine Knochen auf das Holz trafen. Es fühlte sich an, als hätte man ihm einen glühenden Feuerhaken in die Eingeweide gerammt und würde ihn nun ordentlich darin verquirlen. Es war fast unerträglich.
Sofort stürzte Maria zu ihm. Sie hielt seinen Kopf fest und versuchte ihn so still zu halten, doch er wand sich in ihren Armen, stemmte sich gegen sie und schlug hart mit der Stirn gegen den Hauptmast, gegen den er sich zuvor gelehnt hatte. Dann war sein Verstand auf einmal wieder klar und der Schmerz war verschwunden. Zurück blieb ein blasses Negativ, was nur noch daran erinnerte, was zuvor dagewesen war. Verwirrt sah er sich um.
Alle hatten sich um ihn versammelt. Viele Augenpaare blickten ihn besorgt und verwirrt zugleich an. Sein letztes Bisschen Würde zusammensammelnd erhob er sich. „Es“, begann er, musste jedoch feststellen, dass seine Stimme ihm nicht sonderlich gehorchte. Er räusperte sich kurz, dann fuhr er fort: „Es ist nichts. Alles in Ordnung.“
Ein paar Leute der Crew gingen wieder zurück auf ihre Posten, doch Stiefelriemen Bill blieb, wo er war, und sah seinen Sohn eindringlich an. „Was ist passiert?“, verlangte er zu wissen und sein Tonfall deutete an, dass er keine Ausflüchte hören wollte.
„Ich weiß es nicht“, antwortete Will ehrlich. Er fasste sich an den Kopf, weil er plötzlich Stimmen zu hören glaubte. „Aber es scheint, als würden in diesem Moment sehr viele Seeleute den Tod finden.“
„Wo?!“
Der Ruf erschall aus vielen Kehlen, denn niemand schien so recht glauben zu wollen, was da gerade gesagt worden war. Stiefelriemen hatte so etwas befürchtet, als er seinen Sohn zusammenbrechen sah. Davy Jones hatte diese Aufgabe Jahrzehnte lang inne gehabt, Will erst seit ein paar Jahren. Noch konnte er nicht genau deuten, was manchmal mit ihm geschah und welche Kräfte er besaß. Doch mit der Zeit würde er es lernen, das wusste Stiefelriemen.
Heute war allerdings nicht der Tag dafür, denn es war offensichtlich, dass sich etwas anbahnte. In der Ferne hörten sie einen Donner grollen und Maria folgte dem Geräusch. Wie von selbst bewegten sich ihre Füße auf die Reling zu, ihre Hände legten sich um das raue Holz, umfassten es fest und ließen es knacken. Das durfte nicht sein!
„Dios mío!“, stieß sie atemlos aus und richtete damit die Aufmerksamkeit der Herren von Will auf sich. Einer nach dem anderen trat neben sie und jeder blickte ungläubig in dieselbe Richtung, in die auch sie blickte.
Vom Horizont her rollten dicke dunkle Wolken auf sie zu. Der Wind frischte augenblicklich auf und ließ die Männer ihre Hüte festhalten. Maria ahnte, dass nun das eintreffen würde, wovon Atlacamani gesprochen hatte. Doch was konnte sie dagegen schon ausrichten? Sie war doch nur ein Mensch. Zugegeben ein unsterblicher Mensch, doch sie besaß keine Zauberkräfte. Konnte Jack ihr vielleicht helfen?
Als sie den Vogel auf seinem Unterarm entdeckt hatte, hatte sie gewusst, wen Atlacamani gemeint hatte, als sie von einem Mann mit einem Sperling auf dem Arm gesprochen hatte: Jack war derjenige, mit dem sie sich verbünden musste. Und vermutlich war jetzt auch der passende Zeitpunkt dafür gekommen. Allerdings konnte sie sich nicht zusammenreimen, was sie zu tun hatte. Und vor allem wusste sie nicht, ob sie überhaupt am richtigen Ort dafür waren.
Die Wolkenwand am Himmel wurde bedrohlich von den letzten Resten der bereits untergegangenen Sonne orange und lila angestrahlt. Es wirkte unnatürlich und furchteinflößend. Am liebsten wäre Will sofort mit dem Schiff untergetaucht, um dem Sturm zu entkommen. Doch er wusste, dass das alle Sterblichen an Bord sofort töten würde. Und er wusste, dass es nicht das war, was Calypso wollte. Hier gab es nur eine Lösung.
Eine Hand packte nach seinem Arm und er sah sich seinem Vater gegenüber. Stiefelriemen zwang ihn, ihm in die Augen zu sehen, die seinen eigenen so ähnlich waren. „Wo müssen wir hin, William?“ Seine Worte waren so eindringlich, als wüsste er bereits, was vor sich ging. Und ein weiterer Blick in seine Augen sagte ihm, dass dem tatsächlich so war.
Bevor Will allerdings antworten konnte, sagte Maria leise: „Heute ist es soweit. Er wird den Göttern gebieten, um die Piraten zu vernichten. Wenn wir nicht schnell handeln, werden wir alle bald nur noch eine bloße Erinnerung sein.“
Der Druck um Wills Arm wurde stärker. Beinahe hätte er aufgeschrien, doch er konnte sich gerade noch so davon abhalten. Er musste nun Stärke zeigen. „Wohin, William?“, wiederholte sein Vater erneut. Doch so sehr er sich dadurch durchringen wollte, das auszusprechen, was er aussprechen musste, so sehr fehlte ihm plötzlich die Luft dazu. Seine Kehle war trocken, als hätte er Glassplitter geschluckt, und sein Mund wollte sich nicht öffnen.
Erst, nachdem er ein paar Mal tief durchgeatmet hatte, konnte er sich überwinden. Und doch kostete es ihn beinahe seine ganze Kraft, nur dieses eine Wort zu sagen, denn er wusste, dass sich damit alles verändern würde: „Tortuga.“