LilórienSilme
~ Fanfiction-Autorin ~
Kapitel 27
~ I'll be there for you
It's like you're always stuck in second gear
When it hasn't been your day, your week, your month,
or even your year...
In den vier Wochen, in denen nicht gedreht wurde, gab es im Art Department und bei WETA genug Arbeiten, die noch gemacht werden mussten. Joe hatte es tatsächlich geschafft, alle Entwürfe von Richard in nur einer Woche zu überarbeiten oder neu zu zeichnen. In der Besprechung, die sie danach abgehalten hatten, hatte sie sogar ein paar davon selbst präsentiert, was die Anwesenden dazu veranlasst hatte, mit offenen Mündern dort zu sitzen und sie anzustarren.
Nun saß sie an der Überarbeitung der Kostüme für die Waldelben aus dem Düsterwald, als Emily zu ihr herein kam. Sie hatte ihre Freundin schon seit zwei Tagen nicht mehr zu Gesicht bekommen, weil die nur noch zwischen der Arbeit im Großraumatelier, das Joe sowieso nur betrat, wenn es unbedingt sein musste, und Johns Wohnung hin und her pendelte. Scheinbar schien Emily wirklich glücklich in ihrer neue Beziehung zu sein. Und doch wurde Joe das Gefühl nicht los, dass sich die junge Schneiderin besser nicht so sehr hineinstürzen sollte. Gab man sich jemandem mit Haut und Haar hin, ging das selten gut für beide aus.
Doch natürlich hielt sie den Mund. Wer war sie schon, dass sie jemandem Beziehungstipps geben konnte? Ihre letzte Beziehung war jetzt schon an die drei Jahre her. Und wenn sie recht darüber nachdachte, war diese Beziehung nicht einmal ordnungsgemäß beendet worden. Sie war nur zu Ende gegangen, weil er weggegangen war.
„Hast du Lust, Mittagessen zu gehen?“, fragte Emily unverwandt, ohne die Tageszeit gesagt zu haben, und plumpste wie selbstverständlich auf den Schreibtischstuhl. Sie schubste ein paar Stoffreste zur Seite und legte dort die Füße auf den Tisch, verschränkte die Arme hinter dem Kopf und sah Joe abwartend an.
Die rümpfte die Nase angesichts dieser Unverschämtheiten und sagte nur kühl: „Guten Tag, Emily. Es freut mich auch, dich zu sehen. Mir geht es gut, danke der Nachfrage.“
„Huch!“ Emilys Augenbrauen wanderten zu ihrem Haaransatz hoch. „Seit wann sind wir denn so empfindlich? Ich dachte, du freust dich ein bisschen über die zurückgewonnene Zeit allein in deinem Haus.“
Joe seufzte. Sie legte die Arbeit weg, die sie gerade in den Fingern gehabt hatte, und drehte sich vollständig zu ihrer Freundin herum. „Es ist nicht so, dass ich mich nicht freue, dass du glücklich bist“, sagte sie und überlegte, wie sie das am besten verpacken konnte. Doch selbst wenn sie jedes Wort auf die Goldwaage legte, würde es sich noch irgendwie verletzend anhören. Sie konnte also nur hoffen, dass ihre Freundin es nicht zu persönlich nahm. „Aber ich hatte irgendwie gehofft, dass du mich weiterhin unterstützen würdest, wo du mir doch gerade erst die Leviten gelesen hast.“
Emily lächelte erleichtert. Sie hatte schon befürchtet, dass Joe es ernst meinte mit ihrer Laune. „Ach so, das meinst du“, sagte sie und erhob sich wieder von dem Stuhl. „Aber wie ich höre, kommst du doch super alleine zurecht! Im Atelier geht das Gerücht um, du hättest eine Präsentation abgehalten.“
Joe errötete sofort. Sie hatte nicht geahnt, dass sich so etwas so schnell herumsprach, geschweige denn, dass es überhaupt jemanden interessierte, was sie so trieb. Verlegen nahm sie ihre Näharbeit wieder auf und ließ ihre Maschine rattern. Sie hoffte, dadurch einem Kommentar entgehen zu können, doch ihre Freundin wartete geduldig, bis sie wieder den Fuß vom Pedal nahm und sah sie abwartend an.
Durch diese simple Geste total aus dem Konzept gebracht vergaß Joe für einen Moment, was sie überhaupt heute nähen sollte, pfefferte das Kostüm von Tauriel auf den Tisch und sagte genervt: „Das ist überhaupt nicht wahr! Ich habe nur zwei, drei kleine Entwürfe vorgetragen. Mehr nicht! Und ich weiß auch überhaupt nicht, wieso das die Leute interessieren sollte. Ich meine, was geht es euch an, was ich mit Richard und den anderen bespreche?“
„Also, Erstens: Eure Arbeit geht uns insofern etwas an, weil wir diejenigen sind, die sie später ausführen dürfen. Zweitens: Was in diesen Besprechungen abgeht, interessiert jeden außerhalb davon, weil nur in solchen Besprechungen wirklich interessante Dinge besprochen werden. Und Drittens: Machst du Witze?! Seit dem Tag, an dem du in dieses Team gekommen bist, schließen die Leuten Wetten darüber ab, wie lange du es wohl noch hier aushältst.“ Emily konnte Joes Emotionen über diese pikante Eröffnung von ihrem Gesicht ablesen, als hätte sie sie sie selbst dorthin geschrieben. Deswegen beeilte sie sich, zu ihr zu kommen, sie bei den Händen zu nehmen und sie beruhigend zu drücken. „Aber das war, bevor sie dich kennengelernt haben. Jeder, der dir nun etwas näher steht, hat seine Wette zurückgezogen, weil sie erkannt haben, dass du nicht kauzig sondern etwas Besonderes bist.“ Sie versuchte ihre Freundin mit einem Lächeln für dieses Argument zu gewinnen, doch in Joes Augen sammelten sich die Tränen.
Zutiefst verletzt wollte sie Emily ihre Hände entwinden, doch die hielt sie unverwandt fest. Musste ihr denn so etwas immer passieren? Wieso nur mussten die Leute sich immer über sie lustig machen? Sie konnte doch nichts dafür, dass sie so war, wie sie nun einmal war. Musste man ihr daraus einen Strick drehen?
Dann kam ihr ein anderer Gedanke: Ob die Schauspieler davon wussten? Hatten sie vielleicht sogar selber Wetten darüber abgeschlossen und mal wieder hatte ihr niemand etwas darüber erzählt, weil man sich den Spaß mit ihr nicht verderben wollte? In diesem Moment stellte sie alles Positive, was sie im letzten halben Jahr erlebt hatte, in Frage und hasste sich selbst umso mehr dafür.
Endlich schaffte sie es, Emily ihre Finger zu entreißen, während ihr nun unaufhaltsam die Tränen über die Wangen strömten. „Hast du“, begann sie, musste aber innehalten, weil ihr die Stimme zu versagen drohte. Sie musste sich erst kurz sammeln, bevor sie weitersprechen konnte. „Hast du etwa auch gewettet?“
Eigentlich wollte sie die Antwort gar nicht hören. Doch die kleine Masochistin in ihr, die meist in einer stillen Ecke darauf wartete, herausgelassen zu werden, schrie ihr zu, diese Frage zu stellen.
Und allein Emilys Zögern, ihr diese Frage zu beantworten, war für Joe Bestätigung genug. Sie biss sich auf die Unterlippe, um zu verhindern, dass neue Tränen kamen. Doch es nützte nichts. Ein nasser Schleier nahm ihr die Sicht und sie konnte nur noch die Silhouette ihrer Mitbewohnerin erkennen, die beschwichtigend die Hände hob. „Am Anfang, ja“, sagte sie. „Doch wie ich ja schon sagte: als ich dich besser kennengelernt habe, habe ich meine Wette zurückgezogen, weil ich weiß, was für ein wunderbarer Mensch du bist. Und das haben viele getan, mit denen du mittlerweile zusammengearbeitet hast. Erinnerst du dich an Beverley? Sie hat den Jungs sogar ordentlich ins Gewissen geredet, den Pott aufzulösen.“
„Pfft“, machte Joe, „na toll, vielen Dank auch dafür!“
Langsam verlor Emily die Geduld. Sie konnte zwar verstehen, dass Joe verletzt war, doch sie musste auch verstehen, wie sie auf Fremde wirkte. So etwas konnten normale Menschen nicht ignorieren. Zumindest nicht in der richtigen Welt. Und wenn sie nicht bald lernte, damit wie eine Erwachsene umzugehen, dann würde sie vermutlich nie richtig Fuß fassen können im Berufsleben, denn dann würde sie immer wieder weinend weglaufen und Trost in der Einsamkeit suchen. Konnte das etwa die Lösung sein?
Genau das sagte sie ihrer Freundin nun und fummelte gleichzeitig ein Taschentuch aus ihrer Hosentasche heraus, was sie Joe reichte. Die schnäuzte sich geräuschvoll, dann sah sie Emily lange aus geröteten Augen an.
Konnte sie Recht haben? Musste sie einfach über solchen Dingen stehen? Doch wie sollte sie das machen? Das hatte sie nie gelernt. Selbst in diesen absolut nutzlosen Therapiesitzungen hatte man ihr nur immer wieder versichert, dass sie gut so war, wie sie nun einmal war. Und jetzt sollte das plötzlich nicht mehr stimmen? Das veränderte ihr gesamtes Weltbild. Außerdem war es unmöglich, sich von Heute auf Morgen um hundertachtzig Grad zu drehen. Man konnte sich nicht von Jetzt auf Gleich einfach so ändern, wenn man zuvor neunundzwanzig Jahre so gelebt hatte und damit sehr gut gefahren war.
Emily seufzte. So etwas hatte sie befürchtet. „Aber niemand erwartet von dir, dass du dich sofort änderst. Geh kleine Schritte. Vielleicht setzt du dir Wochenziele wie zum Beispiel, dass du bei der nächsten Besprechung wieder etwas vorstellst. Oder du fragst Dean, wenn er wieder hier ist, ob er mit dir etwas trinken gehen will.“
„Dean? Wieso Dean?“, fragte Joe verwirrt. Noch immer weinte sie, doch die Tränen kamen nun nicht mehr in ganz so kurzen Abständen. Und insgeheim wünschte sie sich Denver herbei. Die würde sie in Schutz nehmen, sie umarmen und trösten, und sie nicht so hart angehen, sondern ihr sanft erklären, was sie zu sagen hatte. Emily war dagegen manchmal ein regelrechtes Trampeltier. Doch vielleicht war das genau die richtige Methode, die kleine Joe Taylor aus ihrem Schneckenhäuschen herauszuholen. Sofern das überhaupt möglich war.
Die Schneiderin lächelte jetzt, als sie sagte: „Glaubst du ernsthaft, dass ich nicht mitbekommen habe, wie du ihn ansiehst? Du magst ihn.“
„Das stimmt überhaupt nicht!“ Sofort stellte Joe wieder die Stacheln auf. Wenn sie etwas nicht leiden konnte, dann die Tatsache, dass jemand ihr sagte, was sie gerade fühlte. Das hatte sie noch nie gemocht.
„Ach, komm schon! Das ist doch nichts Schlimmes. Und vielleicht hast du ja Glück und er mag dich auch. Immerhin kommt ihr beide aus Auckland, habt eine Leidenschaft fürs Fotografieren und - wenn ich das mal so plump sagen darf - er hat genau die richtige Größe für dich.“ Sie zwinkerte ihrer Freundin verschwörerisch zu, die das Ganze aber überhaupt nicht so lustig fand wie Emily vielleicht. Ihre Stimme klang hoch und schrill, als sie sagte: „Die richtige Größe?“
Emily hob abwehrend die Hände. „Das sollte doch gar nicht abwertend gemeint sein!“, beeilte sie sich zu sagen und brachte als Vorschlag zur Versöhnung noch einmal das Mittagessen ins Spiel. Nur sehr wiederwillig ließ Joe sich davon überzeugen, doch sie wusste, dass sie ihre Mitbewohnerin niemals aus ihrem Atelier herausbekommen konnte, solange hier noch dicke Luft herrschte. Was das anging war Emily ein Harmoniemensch, der immer alles geklärt haben musste. Sie selbst hatte es im Gegensatz dazu lieber, wenn man Dinge, die einem unangenehm waren, ignorierte, bis es vorbei war.
In der Kantine nahm wie immer niemand Notiz von ihr, als sie sich zu den anderen Schneiderinnen an einen großen Tisch setzen. Ohne die Schauspieler hier zu essen war irgendwie seltsam, doch Joe fand schließlich doch irgendwie den Einstieg in das Gespräch, das über die Waldelben entbrannt war.
„Habt ihr schon gehört, dass Orlando Bloom nächste Woche anreisen soll?“, fragte eine von ihnen ganz aufgeregt und ihre Augen blitzten, als sie das sagte. „Er ist wirklich ein ziemlich heißer Elb.“ Einige ihrer Freundinnen kicherten verlegen wie kleine Schulmädchen.
„Ist er denn eigentlich Single?“, fragte eine andere vom linken Ende des Tisches. Und zur allgemeinen Überraschung antwortete Joe, die gerade mit ihrem Salat fertig war, der wie immer äußerst grauenvoll geschmeckt hatte. Das einzige, was sie hier wirklich zu sich nehmen konnte, ohne zu befürchten, eine Lebensmittelvergiftung erleiden zu müssen, was der Kaffee von der Kaffeebar.
„Nein“, sagte sie und aller Augen wandten sich ihr zu. Das machte es irgendwie nicht leichter für sie, doch sie zwang sich, den Satz zu Ende zu sprechen, nun da sie ihn angefangen hatte. Sonst würde sie sich immer wieder verstecken. „Er ist verheiratet.“
„Mit wem denn?“ Die Erste, die gesprochen hatte, meldete sich wieder, und der missbilligende Unterton in ihrer Stimme war nicht zu überhören. Dabei war allerdings nicht so ganz klar, ob der Joe galt oder der Frau, die es gewagt hatte, Orlando vom Markt zu nehmen, bevor sie die Chance gehabt hatte, sich an ihn ranzumachen.
Joe musste sich wundern. Die Leute hier hatten schon vor über zehn Jahren zusammen gearbeitet, doch scheinbar wussten sie nichts über die Darsteller. Wobei die Zicke, die sie nun abwartend ansah und vielleicht darauf hoffte, dass sie entweder doch nicht die Wahrheit sagte oder sich blamierte, vermutlich sogar noch jünger war als Joe selbst. Sie hatte also damals auch noch nicht mit an den Der Herr der Ringe-Filmen gearbeitet. Und Joe hatte über die Zwergen-Darsteller sogar noch weniger gewusst, als sie hier angefangen hatte.
Daher zuckte sie nur mit den Schultern, zum Zeichen, dass sie auch nichts Genaueres wusste. Sagte aber: „Mit dem Ersatz für Carolynne. Sie heißt Teti und sie sieht ziemlich...“ Sie überlegte kurz. Wie sollte sie Teti nur mit einem Wort beschreiben? Gut? Zweifellos, doch das brachte hier niemanden weiter. Dunkel? Auch das stimmte, war aber ebenfalls nicht besonders hilfreich, denn so hätte man auch Manu Bennett beschreiben können. Schließlich entschied sie sich für ein schlichtes „exotisch“.
Das schien jedoch niemanden sonderlich zu befriedigen und ein paar der jüngeren Schneiderinnen beschlossen, im Produktionsbüro nachzufragen. Joe winkte ihnen zum Abschied und machte sich wieder auf in ihr Atelier. Da Richard, Ann und Bob hauptsächlich an den Kostümen der Goblins für die Szenen in Moria arbeiteten, blieb es an ihr hängen, dafür zu sorgen, dass die Waldelben etwas zum Anziehen hatten, wenn sie hier ankamen. Denn das sollte schon im Laufe der Woche sein.
Der erste Drehblock hatte ganz den Zwergen, Gandalf und Bilbo gehören sollen, damit sie sich besser als Einheit verstehen und zusammenwachsen konnten. Das war nun nach Peters Meinung geschehen und deswegen musste es weitergehen.
So betraten am Ende der Woche gleich drei der Schauspieler ihr kleines Atelier, um sich ihre neuen Kostüme anzusehen. Joe war sichtlich nervös, knetete die ganze Zeit ihre Hände und hatte sich sogar kleine Karteikarten gemacht, damit sie nicht vergaß, was sie sagen sollte. Und falls es gar nicht funktionieren würde, konnte sie die Karteikarten immer noch den Schauspielern unter die Nase halten und sie selber lesen lassen, was es zu beachten gab.
Zusätzlich hatte sie sich Unterstützung von Emily und Beverley geholt, die bei den Anproben helfen würden. Das Ganze würde sich auch nicht so schwierig gestalten wie bei den Zwergen, da die Elben keine Fatsuits zu tragen hatten.
Trotzdem war es für Joe eine regelrechte Offenbarung, als schließlich die schöne Evangeline, der riesenhafte Lee und ihr „Schwarm aus Teenager-Tagen“ Orlando den Raum betraten. Es herrschte sofort eine ganz andere Atmosphäre und Joe begriff, wieso das hier die Waldelben waren, wohingegen Hugo und Cate eindeutig zu den Hochelben zu gehören schienen.
Alle drei lachten ausgelassen, als sie hereinkamen, verstummten aber augenblicklich, als sie die Reihe an Kostümen sahen, die Joe und ihre beiden Helferinnen aufgebaut hatten. Dazu hatten sie sich gefühlte hundert Kleiderpuppen ausleihen müssen, um alles ordentlich drapieren zu können. Doch offenbar verfehlte es seine Wirkung nicht, denn die drei Elbendarsteller sahen sich nun mit offenen Mündern um.
„Wahnsinn“, sagte Lee schließlich, als er Joe, Emily und Beverley zwischen all den Puppen bemerkte. „Die sind unglaublich.“
Joe errötete sofort wieder, doch Emily stupste sie leicht in die Seite, zum Zeichen dafür, dass sie nach vorne gehen und sich vorstellen sollte. Doch wen sollte sie zuerst begrüßen? Sie hatte Angst, dass sie etwas falsch machen könnte, dass sie sich wieder blamieren oder stolpern könnte. Sollte sie zuerst auf Lee zugehen, den sie kaum kannte? Oder auf Evangeline als die einzige Frau unter ihnen? Auf Orlando konnte sie unmöglich zuerst zugehen, denn dann würde vermutlich jeder sofort wissen, dass sie als Mädchen für ihn geschwärmt hatte.
Sie entschied sich, zuerst Evangeline die Hand zu gehen. Feine, zierliche Finger umschlossen ihre kleine Hand und grüne Augen strahlten sie warm an. „Hi“, sagte die Schauspielerin.
„Hi“, hauchte Joe als Antwort, die sich von der Präsenz der Kanadierin augenblicklich in den Schatten gestellt fühlte. Sie musste sich kurz räuspern, um sich zu Ende vorzustellen. „Ich bin Joe, die Designerin.“
Orlando klatschte unvermittelt in die Hände, drängte seine Kollegin zur Seite und ergriff nun seinerseits Joes Hand, die in seinen großen, aber doch ziemlich schlanken und weichen Fingern zu verschwinden drohte. „Du bist Joe Taylor?“ Er lachte kurz auf, was Joe nur wieder zum Erröten brachte. „Und ich dachte, Joe ist ein Kerl.“ Er warf Lee einen Blick zu, den die Designerin nicht deuten konnte, dann ließ er sie wieder los und sie konnte dem Dritten im Bunde die Hand geben.
Danach stellten sie Emily und Beverley noch vor und sie losten aus, wer als erstes mit der Anprobe beginnen durfte. Natürlich ließen sie der Dame den Vortritt, die sich artig bedankte und allen Anwesenden sagte, dass sie bitte Evi genannt werden wollte.
Sie und die Männer trugen bereits ihre Perücken und Ohren, sodass es leicht war, sie sich als Thranduil, Legolas und Tauriel vorzustellen. Und als sie alle in ihren Kostümen steckten, war bloßes Vorstellen schon gar nicht mehr nötig. Vor ihnen stand tatsächlich ein Teil des Filmes. Und nicht nur die Schauspieler waren hin und weg.
Vorsichtig bewegte Lee sich in der langen Robe von Thranduil die Treppenstufen hinauf und hinunter. „Der Mantel ist wirklich ziemlich lang“, witzelte er und versuchte bei jedem Schritt, nicht auf den Saum zu treten. Im Gegensatz zu Legolas und Tauriel, die beide hauptsächlich Kampfkleidung tragen würden, hatte er es da eindeutig schwieriger.
„Aber es sieht unglaublich gut aus!“, bestätigte Evi noch einmal. Ihre schlanken Finger fingen den Stoff ein und spielten damit, sodass er im Licht der Lampen glänzte.
„Und ich komme mir vor wie in einem Déjà-vu!“ Orlando hatte sich ebenfalls vollständig in Legolas verwandelt und betrachtete sich nun in einem bodenlangen Spiegel. Dabei befühlte er seine Brust, die sehr eingeengt wirkte. „Spannt ein wenig, meint ihr nicht?“
Sofort brachen alle in schallendes Gelächter aus und selbst Orlando musste schließlich auch darüber lachen. Joe sagte, sich die Lachtränen aus den Augenwinkeln wischend: „Seit dem letzten Mal, als Sie Legolas waren, Mr. Bloom, sind auch ein paar Jahre vergangen. Damals waren Sie immerhin erst zweiundzwanzig.“
„Ja, ja“, sinnierte er, „die Brust wird mit dem Alter wohl immer breiter. Und bitte,“ er wandte sich an Joe, „nenn mich nicht Mr. Bloom. Sonst fühle ich mich noch älter. Ich bin Orlando.“ Er reichte ihr erneut die Hand und hielt sie dieses Mal etwas länger fest. Dabei sah er sie aus seinen braunen Augen an, als suche er etwas in ihren grünen. Verlegen wandte Joe sich schließlich ab, entzog ihm ihre Finger und strich sich ihre Haare wieder hinter die Ohren, um irgendetwas zu tun zu haben und nicht allzu blöd dazustehen.
Dass ausgerechnet sie sich um sein Kostüm kümmern musste, konnte man nur als Schicksal bezeichnen. Schon als junges Mädchen hatte sie immer davon geträumt, ihn einmal in ihrem Leben kennenzulernen. Als vor zwölf Jahren Der Herr der Ringe in die Kinos gekommen war, hatte sie für den blonden Elb geschwärmt, hatte in der Nacht nach dem Kinobesuch von ihm geträumt und sogar den ungewöhnlichen Namen des Schauspielers erraten, bevor sie sich am nächsten Wochenende die erstbeste Jugendzeitschrift gekauft und ein Interview mit ihm gelesen hatte. Wäre sie fünf Jahre jünger gewesen und hätte ein eigenes Zimmer besessen, hätte sie vermutlich all ihre Wände mit Postern von ihm zugepflastert. Und nun stand er leibhaftig vor ihr und lächelte sie so an, wie sie sich das immer in ihrem Träumen vorgestellt hatte.
Mit weichen Knien kramte sie ihre Kamera aus der Tasche und schoss ein paar Probeaufnahmen von allen dreien, dann entkleideten sie, Emily und Beverley die Schauspieler wieder und entließen sie in die Mittagspause. Evi schlug vor, dass sie alle zusammen gehen sollten, doch Joe winkte ab, sie hätte noch etwas zu tun, Maße zu notieren und ein paar Dinge an den Kostümen noch zu ändern. Also ließen die fünf sie mit ihren Gedanken alleine.
Als sie wenig später doch noch in die Kantine kam, entdeckte sie Evi und Orlando an einem der Tische. Sie waren jedoch nicht mehr nur zu dritt. Bei ihnen saßen nun auch Teti und ein anderer Mann, der wohl zu Evi gehörte. Außerdem hatten sie eine Horde von Kindern dabei, die einen Höllenlärm veranstalteten, und ein junges Mädchen, das dem ganzen Chaos Herrin zu werden versuchte.
Bevor sie jemand entdecken konnte, stahl sich Joe lieber wieder davon. Doch trotzdem hatte sie das Gefühl, mit Evi jemanden gefunden zu haben, mit dem sie sehr gut zurecht kommen würde. Vielleicht würden sie sogar Freunde werden.