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Kapitel 26

 

~ A Touch of Destiny

 

„Hallo, Jack!“ Will ging auf seinen alten Freund zu und breitete die Arme aus, als wolle er ihn umarmen. Jack jedoch wich vor ihm zurück, hob die Hände abwehrend und verzog dabei seinen Mund, sodass man seine erstaunlich gut gepflegten Zähne sehen konnte. Er wackelte mit den Fingerspitzen, als müsse er etwas zu fassen bekommen, und bog seinen Kopf ein wenig nach hinten, was seine defensive Haltung nur noch mehr betonte.

 

Will jedoch ließ sich davon nicht einschüchtern. Er ahnte, was den ehemaligen Captain der Black Pearl so sehr beschäftigte, dass er sich scheute, einen alten Freund angemessen zu begrüßen. Daher hob Will nun seinerseits die Hände und lächelte Jack freundlich und entwaffnend an. „Keine Sorge, deine Schuld an die Dutchman wurde mit Davy Jones’ Tod beglichen. Ich bin nicht hier, um dich an Bord zu holen.“

 

Es dauerte noch ein, zwei Augenblicke, in denen Jack seinen Gegenüber forschend ansah und versuchte, jegliche Hinterlist voraussehen zu können, doch dann entschied er, dass der Sohn von Stiefelriemen Bill Turner dafür einfach nicht verschlagen genug war. Auch, wenn er das schon einmal gedacht und ihn mächtig unterschätzt hatte. Doch welchen Grund hätte er nun, ihn anzulügen?

 

Also ließ er seine Arme sinken und reichte Will seine rechte Hand. Bevor der diese jedoch ergreifen konnte, zog Jack sie wieder zurück. „Du willst mir auch sicher kein Schwarzes Mal aufdrücken?“, fragte er skeptisch und als Will antwortete: „Du hast mein Wort!“, griff Jack endlich zu.

 

„Hab doch gewusst, dass du ein Ehrenmann bist, Kleiner“, sagte er, ließ die Hand des Captains allerdings schnell wieder los. Nur um sicher zu gehen.

 

Nun breitete Will die Arme aus und sagte: „Wie wäre es, wenn ihr mich auf mein Schiff begleitet und wir ein wenig über alte Zeiten plaudern? Was meint Ihr, Barbossa? Ich habe erst gestern ein Schmugglerschiff untergehen sehen und mir dessen Ware vereinnahmt. Und wenn mich nicht alles täuscht waren auch ein paar Fässer Rum dabei. Ob er allerdings gut ist oder nicht, das kann ich nicht sagen. Ihr werdet ihn selbst versuchen müssen.“

 

Bevor der Captain der Queen Anne’s Revenge etwas sagen konnte, schob sich Gibbs nach vorne, nahm Wills dargebotene Hand und schüttelte sie kräftig. „Gegen einen ordentlichen Schluck hätte ich nichts einzuwenden, Junge. Freut mich, dass Ihr wohlauf seid. Wie laufen die…“

 

Gibbs merkte gar nicht, dass seine alten Füße für einen Moment vom Deck abgehoben waren, und als er seinen Satz beenden wollte, spuckte er nur Wasser aus. Will glaubte so etwas wie „Fefäfte“ gehört zu haben, war sich allerdings nicht ganz sicher. Zerknirschte ließ er Gibbs’ Hand wieder los, als seine Füße die sauberen Planken der Queen Anne verließen und auf dem von Seegras und Tang überzogenen Holz der Dutchman wieder aufsetzten. Diesen Trick mit dem von Bord zu Bord gehen, ohne nass zu werden, hatte er noch nicht ganz drauf. Allerdings störte ihn das nicht sonderlich, da er sowieso von morgens bis abends nass war. „Tut mir leid, Gibbs. Trocken krieg ich es noch nicht hin.“

 

Und während hinter ihm Jack und Barbossa ebenfalls Wasser spuckten, zuckte der weißhaarige Seebär nur mit den Schultern. „Der Rum wird mich schon trocknen.“

 

Sie betraten gemeinsam die Kajüte des Captain und Jack musste sich eingestehen, dass Will hier einiges verändert hatte. Die riesige Orgel war gänzlich verschwunden, obwohl er glaubte, noch immer ihre Klänge hören zu können, und es jagte ihm einen Schauder über den Rücken, als er daran zurück dachte. Diese düstere Musik des Meeres hatte ihm noch nie sonderlich gefallen. Er bevorzugte deftige Trinklieder oder anzügliche Gedichte. Besonders aber gefiel ihm eine Mischung aus beidem.

 

„Setzt Euch!“ Will zeigte auf einen großen Tisch, der eine gewisse Ähnlichkeit mit einer gigantischen Qualle hatte, jedoch aus robustem Holz war. Es gab ein Dutzend Stühle und Jack fragte sich, wer hier wohl Platz nahm, denn für einen alleine nur zum Essen war diese Tafel zu groß. Er setzte sich so weit von Will entfernt hin, wie er nur konnte, schob sich mit dem Stuhl vom Tisch weg und verschränkte angewidert die Arme als er sah, dass der Stuhl ebenfalls einer Qualle ähnelte. „Du hast wirklich einen… eigenartigen Geschmack.“

 

„Gefällt es dir? Ich dachte mir, ich behalte die düstere Stimmung bei. So musste ich nicht viel verändern.“ Bevor Jack allerdings antworten konnte, was er im Übrigen gar nicht wollte, öffnete sich eine Türe und Stiefelriemen Bill trat ein. Er brachte ein Tablett mit einem Becher für jeden und einer großen Falsche Rum. Mit einer ausladenden Geste stellte er das Tablett ein bisschen zu hart vor Barbossa ab und warf ihm von der Seite her einen giftigen Blick zu. Als seine Augen schließlich Jack fanden, nickte er ihm zu. „Jack“, sagte er kurz.

 

„Stiefelriemen“, erwiderte Jack und beobachtete dabei seinen ehemaligen Untergebenen. Offenbar hatte der alte Bill ihm noch nicht verziehen, dass er ihn damals auf dem Grund des Meeres hatte versauern lassen wollen. Was Jack allerdings auch nicht wunderte. Er selbst hatte auch ziemlich lange gebraucht, um sich mit Hector auszusöhnen, was nicht zuletzt daran lag, dass er ihn aus Davy Jones’ Reich befreit hatte. Selbst wenn das ziemlich eigennützig war. Er hatte aber auch keine Lust sich weiter damit zu befassen. Was damals geschehen war, war nun schon zu lange her, um noch darüber zu streiten.

 

Die Sache mit der Pearl in der Flasche war allerdings etwas anderes. Das hatte er Hector noch nicht verziehen, selbst wenn der dafür sein rechtes Bein geopfert hatte. Das würde er erst wieder vergessen, wenn sein Schiff aus seinem Gefängnis befreit wäre und er wieder ihr Captain war.

 

„Nun, Freunde“, sagte Will, nachdem er einen kräftigen Schluck getrunken hatte. Bill hatte ihnen allen eingeschenkt, wobei sich Will nicht sicher war, ob sein Vater nicht in den Becher gespuckt hatte, den er Barbossa hingestellt hatte. Doch das war ihm egal. Sein Vater war wieder verschwunden und hatte sie alleine gelassen, auch wenn er ihn gerne dabei gehabt hätte. Aber er konnte wohl nicht von ihm verlangen, mit seinem Fast-Mörder an einem Tisch zu sitzen und auf sein Wohlsein zu trinken. „Was führt euch zur Dutchman? Hattet ihr einfach Sehnsucht nach mir? Immerhin haben wir uns sechs Jahre nicht gesehen.“

 

„Lieber William“, warf Jack sofort ein, bevor Barbossa oder Gibbs etwas sagen konnten, und erhob sich, „ich kann dir versichern, dass meine letzten Jahre ziemlich öde waren ohne deine Gesellschaft. Und ohne deine ständigen Rufe nach Hilfe, weil sich dein Mädchen mal wieder in Schwierigkeiten befunden hat. Wie geht es der guten Elizabeth eigentlich?“

 

Sofort huschte ein Schatten über das immer noch sehr jugendliche Gesicht des Captains der Flying Dutchman und Jack wusste, dass er einen wunden Punkt getroffen hatte. So ganz nachvollziehen konnte er es nie, doch Will liebte Elizabeth und daran würde sich vermutlich auch nie etwas ändern.

 

Zerknirscht antwortete Will: „Du weißt genauso gut wie ich, dass ich sie nicht sehen kann. Ich kann erst in vier Jahren wieder einen Hafen anlaufen. Bis dahin ist die See meine Frau. Das müsstest du doch am besten verstehen können.“ Er warf Jack einen bösen Blick zu und hoffte, ihn damit zum Schweigen zu bringen. Er wollte das Thema nicht weiter verfolgen, dafür schmerzte es ihn zu sehr.

 

Es herrschte eine Weile Schweigen, in der sich alle betreten umsahen, weil es ihnen unangenehm war. Gibbs schenkte sich noch ein bisschen Rum nach, während Barbossa gierig auf die Schale grüner Äpfel schielte, die auf einer Anrichte an der Wand stand; Jack fummelte verlegen an seinen Fingernägeln herum und Will starrte ihn an, als würde er ihm bei nächster Gelegenheit gerne eine Ohrfeige verpassen. Doch jeder im Raum wusste, dass er dies niemals tun würde. Auch er selbst nicht.

 

Gibbs brach das Schweigen schließlich, indem er in seinen Becher voller Rum hustete, weil er sich verschluckt hatte. Das brach den Bann und Wills Augen richteten sich auf Barbossa. „Ihr habt mir noch immer nicht gesagt, warum Ihr hier seid“, sagte er und Barbossa kniff das eine Auge zusammen, während er den Kopf steif nach hinten neigte und laut und deutlich rief: „Aye, das haben wir nicht!“ Er erhob sich von seinem Stuhl und ging auf die Äpfel zu. „Denn wenn wir ehrlich sind, wissen wir es nicht genau.“

 

„Dann war es Zufall, dass wir uns hier begegnet sind?“

 

„Das glaube ich wohl kaum“, sagte er, nahm einen Apfel aus der Schale, polierte ihn gründlich an seiner zerschlissenen Jacke und biss kräftig hinein. Mit vollem Mund sprach er weiter. „Jacks Kompass hat uns hierher geführt. Eigentlich hatten wir gehofft, wieder auf die Pearl zu treffen, doch dem war offenbar nicht so.“

 

„Was ist mit der Pearl geschehen? Auf wessen Schiff segelt Ihr nun?“

 

„Das Schiff gehört mir“, sagte Barbossa in einem Ton, der Will die Nackenhaare aufstellte. Es war diese Art, die man vernahm, wenn dem aktuellen Ereignis etwas Schlimmes vorausgegangen war. Und seine Vorahnung wurde bestätigt, als Barbossa fortfuhr: „Doch wenn Ihr damit fragen wolltet, wem es vorher gehört hat, kann ich nur sagen, dass es Blackbeards Schiff war, bevor ich ihn getötet und es als Rache in Anspruch genommen habe.“

 

Will schnellte von seinem Platz hoch, stemmte die Handflächen auf den Tisch und sah seinen Gegenüber erstaunt an. „Ihr habt Blackbeard getötet? Warum weiß ich davon nichts?“

 

Nun schaltete sich Jack ein. Er erhob sich ebenfalls, was nun Gibbs seinerseits dazu bewegte, nun als einziger noch sitzend, auch aufzustehen. „Weil Blackbeard nicht auf See gestorben ist. Der Gute fiel der Quelle zum Opfer, als er das Leben seiner Tochter rettete.“

 

„Der Quelle?“ Will zog eine Augenbraue nach oben. „Doch nicht die Quelle der ewigen Jugend?“ Und als keiner etwas erwiderte: „Ihr wart bei der Quelle? Dann hast du ja jetzt endlich, was du wolltest, Jack: ewiges Leben.“ Er wusste, dass Jack ihn damals nur gerettet hatte, weil er ihm so sehr am Herzen lag. Wäre er jemand anderes gewesen, hätte Jack das Herz selbst erstochen und wäre zum Captain ernannt worden. Denn Jack wollte das, was jeder ehrliche Pirat wollte: einen Schatz, Freiheit und Unsterblichkeit. Mit der Flying Dutchman hätte er zumindest zwei Dinge davon bekommen. Doch Davy Jones hatte Will erstochen und Jack hatte ihm nur so das Leben retten können. Ob er ihm es noch übel nahm, dass er ihm dadurch die Entscheidung abgenommen hatte?

 

„Ich muss dich leider enttäuschen, William, aber die Quelle schenkt keine Unsterblichkeit. Sie schenkt dir Jahre. Jahre, die du jemand anderem entreißen musst. Das ist der Haken an der Sache.“

 

„Und du willst mir erzählen, dass du es nicht konntest, jemandem seine Jahre zu entreißen, weil du ein so gutes Herz hast?“ Der Spott in Wills Stimme schien Jack jedoch hart zu treffen. Er packte sich an die Brust und ließ sich zurück auf seinen Stuhl sinken. „Du verletzt mich, William. Und du solltest mich besser kennen. Denn wenn du richtig zugehört hättest, hättest du schon längst geschlussfolgert, dass ich derjenige war, der Blackbeard seine Jahre entrissen hat. Jedoch nicht für mich, sondern für seine Tochter. Die übrigens durch Hectors vergiftete Klinge erst im Sterben lag.“

 

„Oh, dann gibst du also mir die Schuld, dass die Träne der Meerjungfrau verschwendet wurde, ja?“

 

Ein Tumult brach los, als Barbossa sein Schwert zog und auf Jack losging. Er hatte den halb gegessenen Apfel achtlos fallen gelassen und wurde nun nur noch von Gibbs zurück gehalten, der sich zwischen die beiden gestellt hatte. Will sankt müde in seinen Stuhl zurück. Irgendwie hatte er die Hoffnung gehabt, dass sich etwas geändert hatte. Doch als er nun sah, wie sich die beiden gegenseitig anschrien und Gibbs versuchte zu schlichten, musste er sich eingestehen, dass sich rein gar nichts geändert hatte.

 

Er stützte den Kopf in die Hände und seufzte tief. Grade wollte er sich selbst verfluchen und alle wieder von Bord jagen, als er hörte, wie Barbossa sagte: „Wir sind nur hier, weil dein dreimal verfluchter Kompass uns hierher gebracht hat! Wir wollten die Pearl finden, haben aber stattdessen dieses Geisterschiff gefunden.“

 

Sofort erhob sich Will wieder und ging nun anstelle von Gibbs dazwischen. „Moment!“, rief er und hob beide Hände, um diese beiden Streithähne zum Schweigen zu bringen. „Was soll das heißen“, wandte er sich an Jack, „dass dein Kompass euch hierher gebracht hat? Was, bei den sieben Weltmeeren, könntest du hier wollen?“

 

„Nun, das weiß er nicht. Scheinbar hat Jack Sparrow wieder einmal keine Ahnung, was er eigentlich will“, rief Barbossa aus, warf dabei die Hände in die Luft und ignorierte Jacks „Captain“-Einwurf gekonnt, während er Will spöttisch anlächelte. „Kommt dir das bekannt vor, Junge?“

 

„Wie wäre es“, schaltete sich Gibbs nun wieder ein, „wenn Jack noch einmal den Kompass befragt? Er hat uns auf dieses Schiff gebracht, also muss es etwas auf diesem Schiff sein, wohin er uns führen will.“ Es dauerte zwei Wimpernschläge, bis alle anderen begriffen hatten, worauf Joshamee Gibbs hinauswollte, doch dann erschien es allen eine gute Idee zu sein. Auch das hatte sich also nicht geändert, dachte Will ironisch und verdrehte die Augen, als Jack den Kompass öffnete und sich sofort alle darüber beugten, um zu sehen, wohin er denn nun zeigen würde. Einen winzigen Augenblick lang pendelte die Nadel hin und her, dann blieb sie stehen und deutete auf die Türe.

 

Vorsichtig schob Gibbs Jack nach vorne, schubste ihn auf die Tür zu, sodass er vorgehen musste. Barbossa ging dahinter, Gibbs folgte den beiden unentschlossen, während Will nur den Kopf schüttelte und schließlich doch noch hinterher ging, als alle den Raum verlassen hatten. Er durfte sie keinesfalls auf seinem Schiff aus den Augen lassen, so viel war klar!

 

Oben an Deck angekommen sah er, dass seine Mannschaft die Laternen angezündet hatte, denn die Sonne war mittlerweile untergegangen. Nur zögerlich erschienen die ersten Sterne am Himmel, der Mond jedoch war noch nirgends zu sehen. Er überlegte kurz, in welchen Breitengraden sie sich grade befanden, verwarf den Gedanken jedoch wieder, weil er dachte, dass es eh unwichtig war.

 

Seine Augen glitten suchend über das Deck, fanden schließlich die drei Piraten in einer Ecke hockend und abwechselnd auf den Kompass und in die Dunkelheit unter der Treppe zur Brücke starrend. Will musste sich ein Lachen verkneifen, als er sie so sah. Dann ging er näher heran und das Lachen erstarb ihm in der Kehle, bevor es überhaupt die Chance hatte, herausgelassen zu werden. Stattdessen schluckte er schwer. Am liebsten wäre er hingelaufen, hätte Jack den Kompass aus der Hand geschlagen und sie sofort wieder alle von Bord geworfen. Doch er wusste, dass es nun zu spät war.

 

Während Will sich zögerlich näherte, weil er nicht wusste, was er nun tun sollte, starrte Gibbs noch immer den Kompass an. Barbossa sah Jack an, der wiederum mit aufgerissenen Augen auf die Frau sah, die unter der Treppe hockte. Allerdings sah er ihr nicht ins Gesicht, sondern seine Augen waren gebannt von dem, was sie um den Hals trug: das Medaillon schimmerte bleich und gespenstig in der Dunkelheit, in der kein Mond Licht spendete und der Schein der Laternen den Platz unter der Treppe nicht fanden. Und doch leuchtete es. Und es kam Jack beinahe so vor, als grinse der Schädel darauf ihn an und lockte ihn.

 

© by LilórienSilme 2015

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