LilórienSilme
~ Fanfiction-Autorin ~
Kapitel 25
~ Just like a Thrill
Der Morgen der Hochzeit brach mit etwas Regen an. Leise plätscherten die Tropfen auf die Straße und blieben dort in kleinen Pfützen liegen. Doch da es Sommer war, hielt das schlechte Wetter nicht lange vor und bald schon zeigte sich wieder die Sonne. Vittoria stand vor dem großen Spiegel in ihrem begehbaren Kleiderschrank und beäugte sich kritisch. Das Kleid, welches sie als Trauzeugin tragen würde, hatte man ihr auf den Leib schneidern lassen und trotzdem wirkte sie nicht zufrieden damit. Es betonte ihre schmale Taille so schrecklich und ließ sie dünner wirken, als sie eigentlich war.
Früher war sie immer stolz auf ihre schlanke Figur gewesen, aber in den letzten Jahren, und besonders nach den Dreharbeiten, als sie Anna in diesen tollen Kleidern gesehen hatte, wünschte sie sich manchmal, sie wäre etwas weiblicher. Vielleicht sollte sie einfach mehr Schokolade essen, beschloss sie und streckte ihren Hintern raus.
Pünktlich um neun klingelte es an der Haustür. Lelex wartete draußen und er sah fabelhaft aus. Er trug einen dunkelgrauen Anzug mit Nadelstreifen und dazu passend ein dunkelgrünes Hemd mit einer hellgrünen Krawatte. „Wow“, sagten sie beide gleichzeitig, als Vittoria die Tür öffnete. Sofort lachten sie und umarmten sich gegenseitig. „Ich würde sagen“, sagte er feierlich und hielt ihr seinen Arm hin, „wir passen farblich wirklich hervorragend zueinander.“
Sie nickte bekräftigend. „Allerdings! Da hat dein Vater gut auf dich aufgepasst.“ Er reckte sein Kinn beleidigt in die Höhe. „Das war nicht der Captain. Das war ich selbst. Den Anzug wollte ich mir schon lange kaufen, hatte aber noch keinen wirklichen Grund dazu. Da kam mir das wirklich gelegen.“
Während er ihr die Tür zum Wagen aufhielt, grinste sie ihn breit an. „Das kauf ich dir nicht ab.“
„Doch!“, erwiderte er. Schnell lief er ums Auto herum und schmiss sich auf den Fahrersitz. Er genoss es richtig, wieder alleine fahren zu dürfen. Der Unfall damals hatte ihn sehr mitgenommen und er hatte gefürchtet, nie wieder richtig gehen zu können. Doch seine Ängste hatten sich zum Glück als unbegründet erwiesen und mittlerweile war er sogar wieder auf Jobsuche.
Die Fahrt zur Hochzeitsfeier dauerte etwa eine halbe Stunde, dann hatten sie die Innenstadt hinter sich gelassen und waren in Greenwich gelandet. Hier hatten Erics Eltern ein kleines Anwesen, was man sich als Oberarzt in der Vorstadt eben so leisten konnte, und die beiden staunten nicht schlecht, als sie auf einen riesigen Innenhof rollten, der an allen vier Seiten von Gebäuden umgeben war. Offenbar war Villa nicht die richtige Bezeichnung für das Wohnhaus. Es hätte auch ein kleines Schloss sein können.
Lelex parkte den Wagen an einem Schattenplatz und half Vittoria schließlich beim Aussteigen. Da das Kleid doch recht eng saß, würde es sicher lustig werden, wenn sie bei der Trauung ständig aufstehen und sich wieder hinsetzen musste. Aber daran wollte sie erst mal noch nicht denken.
Kaum hatte sie sich zu Recht gezupft hörte sie auch schon ihre Mutter ihren Namen rufen. Karolina hätte in ihrem hellblauen, luftigen Kleid sicher wundervoll ausgesehen, wenn sie nicht einen vor Aufregung roten Kopf hätte und sich aus ihrer kunstvollen Frisur schon die ersten Strähnen zu lösen begannen. „Mein Gott, Mutter, jetzt beruhige dich doch! Was ist denn los?“
Karolina holte ein paar Mal tief Luft, warf Lelex einen Blick zu, der offenbar höflich gemeint war, und zerrte ihre jüngste Tochter schließlich am Oberarm zum Haupthaus. Als sie wieder richtig atmen konnte, sagte sie: „Deine Schwester hat einen Nervenzusammenbruch erlitten. Ich fürchte, sie wird nicht vor den Altar treten können. Oh mein Gott, was werden denn die Leute bloß sagen?“
Vittoria riss sich von ihrer Mutter los und legte ihr stattdessen beide Hände an die Wangen. Sie registrierte, dass sie glühten, doch ignorierte es und sah ihr fest in die Augen. „Mom, du wirst dich jetzt beruhigen. Atme tief durch und fass dich wieder. Ich regel das schon mit ihr. Wo ist sie?“
Von oben ertönte ein schrilles Kreischen. „Oh, schon gut“, sagte Vittoria noch, dann ließ sie ihre Mutter vor dem Eingang stehen und hastete die große Haupttreppe hinauf, was sich als nicht allzu leicht herausstellte, denn das Kleid ermöglichte ihr eigentlich nur kleine Schritte. Doch sie raffte es einfach über die Knie und ignorierte das protestierende Geräusch des Stoffes.
Auf dem Treppenabsatz wandte sie sich nach links und folgte dem aufgeregten Stimmengewirr. Sie klopfte an eine zweiflüglige Tür, hörte dahinter wirres Stuhlgerücke und nervöse Ausrufe, dann rief jemand Herein. Sie drückte die altmodische Klinke herunter und betrat einen Raum, der vollkommen blau war. Alles war in einem royalen Farbton gehalten und sogar die Türen sahen von Innen so aus. Die Stuckleisten an den Decken waren mit Gold abgesetzt. In einer Ecke stand ein Paravent mit verschnörkelten Ornamenten, hinter dem nun Katarina hervor kam. Ihr Make-up war von Tränen verschmiert und ihr Schleier saß schon lange nicht mehr da, wo er eigentlich hingehörte. Sie wirkte völlig aufgelöst.
Schluchzend warf sie sich in Vittorias Arme, die das Ganze mit einem leicht angewiderten Blick quittierte. Tränen benetzten ihre Schultern und sie konnte spüren, dass ihre Schwester zitterte. Irgendwie hatte sie Mitleid mit ihr, auch wenn sie sich das nicht erklären konnte. Wenn man nicht heiraten wollte, hätte man das besser vorher entschieden. Bevor die Gäste eingeladen, das Essen bestellt und das Anwesen geschmückt war. So hätte man sich eine Menge Aufwand und Geld sparen können.
Vorsichtig, um das Kleid nicht kaputt zu machen, bugsierte sie ihre ältere Schwester nun zu dem großen Himmelbett und ließ sich mit ihr darauf plumpsen. „So, und jetzt beruhigen wir uns alle wieder“, sagte Vittoria und tätschelte ihr unsicher die Schulter.
Katarina sah sie mit roten Augen an. „Ich kann das nicht, Vic!“, schluchzte sie. „Ich bin viel zu nervös. Ich hab mich schon drei Mal übergeben und mir ist immer noch schlecht. Bitte, ich möchte mich einfach nur verkriechen.“
Sie zog ihre Schwester noch etwas näher an sich heran, nahm sie in den Arm und wiegte sie wie ein kleines Kind. Sie kam sich absolut lächerlich vor und zum Glück war niemand in der Nähe, der das sehen konnte. Die zwei anderen Brautjungfern waren viel zu sehr mit sich selbst beschäftigt. „Kein Problem“, sagte Vittoria und Katarina sah sie erleichtert an. „Wir sagen den Ganzen Mist einfach ab. Sagen den Gästen, dass sie umsonst gekommen sind, schmeißen das ganze Essen weg und erklären der überbezahlten Hochzeitsplanerin, dass du heute einfach nicht in der Stimmung bist zu heiraten. Dafür werden alle sicher Verständnis haben.“
Katarinas Erleichterung war Trotz gewichen. „Spinnst du? Das können wir doch nicht machen!“, sagte sie und wand sich aus der Umarmung heraus. Vittoria griff aber gleich wieder nach ihr und drückte sie übertrieben an ihre Brust. „Nein, nein, das ist schon in Ordnung so“, sagte sie, streichelte die wirren Haare ihrer Schwester und rollte mit den Augen. „Wenn du dich nicht so gut fühlst, sagen wir eben alles ab. Ist doch wirklich kein Problem.“
Mit einem Satz war Katarina auf den Beinen. Ihre Augen sprühten Funken und ihre Hände hatte sie zu Fäusten geballt. „Du hast sie echt nicht mehr alle“, zischte sie. Als sie sich wieder an der Kommode mit dem übergroßen Spiegel niederließ, lächelte Vittoria zufrieden. Obwohl sie und ihre Schwester nie besonders eng miteinander waren, wusste sie genau, was eine Marconi auf die Palme bringen konnte. Schließlich war sie selbst eine. Vorsichtig begann sie den Schleier aus der total zerstörten Frisur zu lösen und kämmte das Haarspray wieder raus. Dann warf sie einen Blick auf die Uhr.
„Ich muss los und den Gästen sagen, dass es noch etwas dauern kann“, sagte sie sanft. „Kann dir jemand helfen, das Desaster wieder zu richten?“ Katarina nickte. „Ja“, sagte sie, „Helen hat mir die Haare gemacht.“
Vittoria gab ihr einen Kuss auf den Scheitel und drückte noch mal ihre Hand. „Du schaffst das schon“, sagte sie. Dann drehte sie sich zu den beiden Frauen um. „Hey, Hanni und Nanni, kümmert euch um die Kleine hier. Sie wird heute vor den Altar treten und dabei soll sie gefälligst umwerfend aussehen.“ Sie ignorierte die wütenden und abfälligen Blicke, die man ihr zuwarf, und verließ den Raum wieder.
Unten an der Treppe angekommen gab sie ihrer Mutter gegenüber schnell eine Erklärung ab und bewegte sich dann gemächlich Richtung Altar.
Dieser war hinten im Schlosspark aufgebaut wurden. Direkt dahinter plätscherte ein kleiner künstlich angelegter See vor sich hin und im Hintergrund standen hohe Bäume und ein altes, romantisch baufälliges Gebäude mit dichten Rosenbüschen vor dem Eingangstor. Die Gäste hatte man auf bequeme, mit cremefarbenen Hüllen bezogene Stühle gesetzt, die um den Rücken eine große dunkelrote Schleife trugen. Die ganze Dekoration hatte man auf das Hochzeitskleid abgestimmt und es sah einfach wundervoll aus. Vittoria schritt an den Gästen vorbei, ignorierte dabei das Geflüster, was augenblicklich hinter ihrem Rücken startete, und flüsterte dem Pfarrer etwas ins Ohr. Dieser nickte bedächtig und wandte sich an alle: „Die Braut wird in Kürze bei uns sein. Es gibt wohl noch ein kleines Problem mit der Frisur, aber es ist alles in Ordnung.“
Eric warf Vittoria nervöse Blicke zu, doch sie lächelte ihn beruhigend an. Sie konnte sehen, wie sehr er schwitzte, obwohl es nicht außergewöhnlich warm war. Aber vermutlich war er einfach nur unglaublich aufgeregt und sie konnte es ihm nicht mal verdenken.
Mit jeder Minute, die verstrich, ohne dass die Braut den kleinen Hügel hinauf kam, wurde das Getuschel immer lauter, bis schließlich der Hochzeitsmarsch ertönte und alle augenblicklich verstummten. Eric atmete erleichtert aus. Dann sah er Ernesto mit seiner ältesten Tochter am Arm hinter der Hügelkuppe auftauchen. Ihr Gesicht wurde von einem Schleier verborgen, aber er wusste auch so, dass sie es war.
Vittoria blickte, entgegen allen anderen, zu Eric hin. Er hatte die Hände ineinander gelegt und seine Augen klebten förmlich an der Gestalt im Hochzeitskleid. Seine Augen gingen über vor Liebe und Vittoria konnte nicht anders, als neidisch zu werden. Wie lange hatte sie sich gewünscht, dass sie jemand so ansehen würde. Es war erstaunlich, wie viel ein Mensch für einen anderen empfinden konnte und es war noch erstaunlicher, dass Eric dies alles für ihre sture, überhebliche, eifersüchtige Schwester empfand. Doch sie gönnte es beiden aus vollem Herzen.
Als Katarina endlich vor dem Altar angekommen war, hielten alle Gäste den Atem an. Ernesto drückte Eric die Hand, dann nahm er neben Karolina Platz. Vittoria blieb neben ihrer Schwester stehen, die ihr ihren Brautstrauß reichte, und ihrem Bald-Ehemann verliebt in die Augen sah. Die Funken, die das Brautpaar sprühte, waren beinahe sichtbar. Dann begann der Pfarrer mit der Zeremonie.
Als sich das Paar bald darauf zum ersten Mal als offizielles Ehepaar küsste, klatschte die Familie der Braut begeistert Beifall, während die Familie des Bräutigams ziemlich verhalten wirkte. Vittoria schmunzelte. Hier trafen zwei völlig unterschiedliche Welten aufeinander. Die Feier würde sicher lustig werden.
Und sie behielt Recht. Während das Essen noch recht gesittet verlief, da es kein Buffet, sondern ein Menü gab und die Leute an ihren Plätzen sitzen bleiben konnten, herrschte beim Tanzen anschließend ein heilloses Durcheinander. Das Brautpaar hatte gerade den ersten Walzer hinter sich, als ein Onkel aus Italien mit seiner Frau auch schon die Tanzfläche stürmte. Erics Eltern quittierten es mit einem abfälligen Blick, dann forderte sein Vater Katarina zum Tanzen auf, während Mrs. Thompson zu Ernesto herüber schwebte.
„Darf ich die gnädige Dame ebenfalls um diesen Tanz bitten?“ Lelex hielt Vittoria seine Hand hin, hatte den Rücken leicht gebeugt und trug ein unverschämtes Grinsen zur Schau. Sie wollte ihm schon eine passende Antwort auf seine Frage an den Kopf werfen, als sie den aufmunternden Blick ihrer Oma auffing. Sie wusste, dass Lex ein anständiger Kerl war und vielleicht hätte sie sogar ein wenig mehr für ihn empfinden können, wenn ihr Herz nicht schon längst vergeben wäre.
Während sie durch die wilden Verwandten ihrerseits und die etwas steifen Familienmitglieder von Eric tanzten, fragte sie sich, wie es wohl wäre, mit Ben hier zu sein. Es war lange her, dass sie ihn gesehen hatte und sie hatte auch sonst nichts mehr von ihm gehört. Ab und zu las man im Internet etwas über die Schauspieler der Narnia-Filme, aber nichts, was ihre Aufmerksamkeit auf sich gezogen hätte. Will und Anna schienen besonders ins Rampenlicht gerückt worden zu sein. Wahrscheinlich hätte die Weltöffentlichkeit es gerne gesehen, wenn die beiden ein Paar geworden wären. Und vermutlich hätte Will auch nichts dagegen gehabt. Doch irgendwie war es nie wirklich dazu gekommen.
Und Ben? Ob er wohl eine Freundin hatte? Sie wusste, dass er im Moment in London drehte und dachte oft darüber nach, ob sie ihm vielleicht in der Stadt begegnen könnte und was sie dann sagen würde. Doch zu ihrer Erleichterung waren sie sich noch nicht über den Weg gelaufen. Sie hatte sich eingebildet, ihn einmal auf der Oxford Street gesehen zu haben, aber der Moment war so schnell verflogen, wie er gekommen war. Wenn sie jetzt an ihn dachte, breitete sich in ihrem Magen ein merkwürdiges Gefühl aus. Sie konnte es nicht richtig zuordnen und hatte auch keine Lust, groß darüber nachzudenken. Sie fand sich mittlerweile ganz gut damit ab, dass ihre Zeit bereits abgelaufen war. Sie hätten so viele Chancen gehabt sich während den Dreharbeiten näher zu kommen und hatten trotzdem nichts Besseres zu tun, als sich gegenseitig anzukeifen. Und jetzt war es wohl einfach zu spät.
„Woran denkst du?“ Lelex drückte ihre Hand etwas fester, um ihre Aufmerksamkeit zu erregen. Sie sah ihm in die Augen und es tat ihr fast leid, dass sie ihn so wenig beachtet hatte, obwohl er so nett gewesen war und sie zu diesem Fest begleitet hatte. Deswegen schüttelte sie den Kopf und sagte: „An nichts. Ich war nur ein wenig in Gedanken.“
Er versuchte sich nicht anmerken zu lassen, dass ihn diese Antwort ganz und gar nicht zufrieden stellte. Aber er wollte sie nicht drängen. Der Moment war viel zu schön. Wenn die Umstände anders wären hätte er sie vielleicht sogar noch ein wenig enger an sich heran gezogen. Doch er wusste nicht, was sie ihrer Familie über ihn erzählt hatte und wollte sie vor versammelter Mannschaft nicht in Verlegenheit bringen. „Dieses Nichts kann sich glücklich schätzen, deine Gedanken so sehr in Anspruch zu nehmen. Und das obwohl ein umwerfender Mann gerade mit dir tanzt.“
Sie schlug ihm spielerisch auf die Schulter. Dann legte sie den Kopf schief und betrachtete sein Gesicht genauer. Seit sie aus Neuseeland zurück war, schien er ein wenig erwachsener geworden zu sein. Früher hatte sie ihn immer für den blöden großen Bruder ihrer besten Freundin gehalten, und das obwohl sie eigentlich schon aus dem Teenageralter raus war. Doch jetzt sah sie ihn plötzlich mit anderen Augen. Als hätte sie früher eine furchtbar dreckige Brille getragen und sähe ihn jetzt zum ersten Mal richtig klar. „Ich würde sogar fast sagen“, sagte sie so leise, dass man es durch die Musik kaum verstehen konnte, „dass ich mit dem best aussehensten Mann dieser Party tanze.“
Seine Lippen verzogen sich zum einem Lächeln und seine Augen strahlten mit einem Mal. Dann wurde er wieder ernst. Er stoppte mitten in der Bewegung, löste seine Hand um ihre Hüfte und führte sie an der anderen aus dem Tanzsaal nach draußen. Kaum war die Tür hinter ihnen zugefallen, legte sich wieder Stille über den Hof. Er brachte sie zu einer gemütlich aussehenden Bank, die genau zwischen zwei Laternen stand, und setzte sich mit ihr zusammen hin. Sie fror ein wenig, also legte er ihr seine Jacke über die nackten Schultern. Dabei berührte er ihre weiche Haut am Oberarm.
„Darf ich dich etwas fragen?“, sagte er und wirkte dabei wie ein Schuljunge, der das erste Mal mit einem Mädchen alleine war. Sie nickte. „Was ist aus dem Kerl in Neuseeland geworden?“
Vittoria stöhnte. „Hat Meg dir etwa alles brühwarm erzählt? Tolle Freundin ist das! Dabei war da doch gar nichts. Okay, er sieht schon ziemlich gut aus und ist auch unglaublich charmant gewesen an dem Abend. Aber die restliche Zeit über war er ein Ekel, wie er im Buche steht. Ein überheblicher Schauspieler, der sich für was Besseres hält und keinen Hehl aus seiner Abneigung gegen das gemeine Fußvolk macht. Wie könnte man so einen schon mögen? Er lässt doch nicht zu, dass man an ihn ran kommt. Wenn es einen flüchtigen Moment gab, bei dem ich mich hätte annähern können, hat er alles wieder kaputt gemacht und so getan, als wäre er der Held des Tages. Männer sind manchmal wirklich zum…“ Sie unterbrach sich.
Neben ihr war Lelex in sich zusammen gesunken. Eigentlich hatte er sich eine andere Aussage erhofft, hatte gehofft, dass sie vielleicht etwas für diesen Schauspieler empfinden würde, damit er einen guten Grund hatte, sie nicht mehr zu mögen. Doch offenbar war da nichts als Wut über ihn. War das vielleicht seine Chance? „Nicht alle Männer sind so“, sagte er.
Vittoria begriff, dass sie ihn verletzt hatte. Sie drehte sich zu ihm hin und nahm seine Hände in ihre. „Nein, das weiß ich auch! Es ist nur…“ Er sah sie interessiert an, wie sie nach den richtigen Worten suchte, sie aber nicht finden konnte. „Es ist nur was?“, fragte er deswegen nach.
Sie seufzte. Dabei hoben sich ihre Schultern an und ihr Kleid rutschte ein paar Millimeter herunter. Man konnte es kaum erkennen, aber er hatte gesehen, wie der Stoff über ihr Dekollete fuhr und mehr von dem samtig weichen Braun freigab. „Ich denke einfach“, sagte sie und holte ihn aus seinen Gedanken zurück, „dass wir unsere Zeit gehabt haben. Es gab so vieles, was hätte zwischen uns passieren können, was vielleicht sogar hätte passieren müssen. Aber es ist einfach nichts passiert. Wir haben uns stattdessen immer nur beschimpft und versucht, den anderen zu erniedrigen. Und jetzt ist es einfach zu spät.“
„Was meinst du damit?“
Sie zuckte mit den Schultern. „Der Dreh ist zu Ende, die Premieren sind alle gelaufen und danach haben wir uns einfach aus den Augen verloren. Ich weiß nicht, wo er wohnt, habe keine Telefonnummer von ihm und weiß nicht, wer seine Freunde sind. Wie sollte ich ihn in einer Stadt wie London mit ihren über sieben Millionen Einwohnern da finden?“
Natürlich wusste er, was sie meinte. Sie fragte sich einfach, ob er es überhaupt wert war, so weit zu gehen und etwas über ihn in Erfahrung zu bringen. Lohnte es sich, nach ihm zu suchen oder würde sie am Ende nur enttäuscht werden. Doch irgendetwas in ihrer Stimme ließ ihn zweifeln. „Möchtest du ihn denn finden?“
Wieder seufzte sie. Diese Frage hatte sie sich auch schon oft gestellt. Doch was war, wenn er nicht dasselbe für sie empfand? Was, wenn sie ihn durch ihren urplötzlichen Aufbruch aus New York so verletzt hatte, dass er nie wieder etwas mit ihr zu tun haben wollte? Was, wenn sie sich ganz umsonst so viele Gedanken machte? Sie ließ die Schultern wieder hängen und starrte in ihren Schoß. „Ich weiß es nicht“, sagte sie schließlich und sah ihm wieder in die Augen. „Ich weiß es wirklich nicht.“
Sanft löste er eine Hand aus ihrem Griff und legte sie auf ihre Wange. Seine Handfläche war warm und es jagte ihr eine wohlige Gänsehaut über den Rücken, als sie sie auf ihrer kalten Haut fühlte. Er sah ihr tief in die Augen, fuhr mit dem Daumen die Konturen ihrer Lippen nach, fühlte dabei ihren Atem auf seiner Haut. „Denk nicht zu viel nach“, flüsterte er. „Lass einfach los und genieße den Augenblick. Und halte dich nicht an Dingen, die vielleicht geschehen sollten, fest. Wenn sie nicht geschehen sind, sollten sie es wahrscheinlich auch nie.“
Genüsslich schloss sie die Augen, genoss seine Berührungen, fühlte seine Nähe, die ihr Halt gab, und gab sich dem Moment hin. Ein leichtes Kribbeln breitete sich von ihrer Wange aus, bis es ihre Finger- und Zehenspitzen erreicht hatte. Dann wurde es jedoch durch ein viel stärkeres Gefühl ersetzt, was von ihren Lippen ausging.
Zuerst konnte sie es nicht zuordnen, weil sie so etwas schon seit einer gefühlten Ewigkeit nicht mehr gespürt hatte. Doch dann begriff sie. Sie öffnete die Augen und sah Lelex’ Gesicht ganz dich bei ihrem. Er hatte die Augen geschlossen, seine eine Hand hielt noch immer ihre fest, während die andere langsam in ihren Nacken wanderte.
Für einen kurzen Augenblick wollte sie entsetzt aufspringen und davon laufen. Doch dann war aller Widerstand mit einem Mal verschwunden. Wie von selbst fanden ihre Händen nun ihrerseits seinen Nacken, in welchem sie sich festhielt. Völlig willenlos gab sie sich dem leidenschaftlichen Kuss hin und vergas für eine Weile, dass ihr Herz eigentlich keinen Platz mehr für jemand Neues hatte.