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Kapitel 25

 

~ Words like Poison

 

Henry Miller hatte eigentlich gar nicht die Absicht gehabt, die gute Elizabeth so zu behandeln. Doch leider hatte sie ihm keine besonders große Wahl gelassen, als sie sich ihm widersetzt hatte. Dabei hatte er so sehr gehofft, ihr seine Argumente zugänglich machen zu können. Leider schien er da bei ihr jedoch auf Stein zu beißen.

 

Nun saß sie vor ihm, die Hände auf dem Rücken an einen Stuhl gefesselt, und starrte ihn finster an. Ihren Sohn hatte man aus ihrer Reichweite entfernen lassen, damit ihre schädlichen Gedanken nicht weiter zu ihm durchdringen konnten. Die Idee, ihr zu folgen, war jedenfalls geglückt. Dummerweise hatte sie ihn nicht, wie erhofft, zum Stützpunkt der Piraterie geführt, sondern nach Tortuga.

 

Diese versoffene kleine Insel voller Kleinbauern und Seeräuber war nicht sein bevorzugtes Ziel gewesen, doch sie würde für den Anfang reichen. Gleich, nachdem er sie in ihrem winzigen Beiboot eingeholt hatte, etwa fünf Meilen vor der Küste der kleinen Insel, hatte er einen seiner Vertrauten an Bord mit der Jolle zurückrudern lassen, um seine restliche Flotte in Bereitschaft zu setzen. Ein Berittener würde dann über den Landweg so schnell es ging eine Botschaft an Gouverneur Spotswood überbringen, die dafür sorgte, dass nicht nur die Schiffe der East India Company, die in der Karibik stationiert waren, auf schnellstem Wege nach Tortuga kamen, sondern auch die Schiffe, die unter Spotswood Befehl standen. Dies war nämlich die Gelegenheit, auf die man schon lange gewartet hatte.

 

Dass die Schildkröteninsel voller Piraten war, war nie ein Geheimnis gewesen. Doch bisher hatte sich niemand getraut, diese anzugreifen. Auch alleine schon deswegen, weil es hier nicht besonders viel zu holen gab. Doch Miller wollte ein Exempel statuieren. Er wollte ein deutliches Zeichen setzen, dass sich mit seiner Vorherrschaft hier etwas geändert hatte. Er war nicht einer dieser verweichlichten Befehlshaber, die sich auf andere verließen. Er wusste ganz genau, dass er mit der Schlagkraft seiner Schiffe diese Insel dem Meeresspiegel gleich machen würde. Doch er brauchte Spotswood als Verbündeten. Und so konnte er zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen: er würde Erstens einen der wichtigsten und sichersten Häfen der Piraten im Umkreis zerstören und Zweitens sich Spotswoods Loyalität sicher sein, wenn er ihm auch ein oder zwei Schiffe der berüchtigten Seeräuber überließ.

 

Doch was das Wichtigste war: durch diesen vernichtenden Schlag würde er – zumindest hoffte er das sehr inbrünstig – die anderen Piraten aus ihren Verstecken locken. Einen solchen Angriff würde niemand erwarten. Doch wenn er erst einmal erfolgt war, dann gab es kein Zurück mehr. Dann, so war er sich sicher, würden sie einen Vergeltungsschlag gegen ihn führen wollen. Und so konnte er sie schließlich aus der Reserve und direkt vor seine Kanonen locken.

 

„Ihr seid ein Scheusal!“ Elizabeth zog heftig an dem groben Seil, was ihre Handgelenkte auf ihrem Rücken und hinter der Lehne des Stuhls hielt. Es schnitt ihr nach fast einem ganzen Tag in Gefangenschaft mittlerweile tief in die Haut und sie konnte bereits spüren, wie ihr warmes Blut aus den Schürfwunden trat, doch sie weigerte sich, einfach so aufzugeben.

 

Sie hatte geahnt, dass man sie verfolgte. Doch entgegen ihres gesunden Verstandes hatte sie gehofft, es sich einzubilden. Sie hatte so sehr Jack und die anderen warnen wollen, dass sie nicht darüber nachgedacht hatte, dass sie den Feind wohlmöglich direkt in ihre Reihen führen würde. Und nun hasste sie sich nur noch mehr dafür, dass sie unbedacht gehandelt hatte. Damit hatte sie nicht nur die Piraten in Gefahr gebracht, die für sie so etwas wie eine Familien waren, sondern auch ihren kleinen Sohn.

 

Als sie an Billy dachte, schnürte sich ihr die Kehle zu. Sie musste sich stark zusammenreißen und ihre Tränen herunterschlucken, um sich nicht die Blöße vor Miller zu geben. Diesen Triumph wollte sie ihm nicht auch noch gönnen. Hätte sie doch nur besser aufgepasst! Die Vorstellung, vielleicht sogar Will hier zu treffen, musste ihr schier die pure Möglichkeit zu Denken genommen haben. Wie hatte sie nur so leichtsinnig sein können?

 

Henry beugte sich zu ihr herunter. Sein heißer Atem streifte ihre Wange und ließ sie erschaudern. „Nein, liebste Elizabeth, du bist das Scheusal. Denn es ist allein dir zu verdanken, dass wir jetzt hier sind. Und ich bin sicher, dass du es genießen wirst, in der ersten Reihe zu sitzen, wenn ich deine heißgeliebten Piraten auf den Grund des Meeres schicke. Ich muss nur noch auf den richtigen Moment warten.“ Seine klamme Hand fuhr ihr über die zarte Haut. Am liebsten hätte sie sich übergeben, so schlecht wurde ihr mit einem Mal, als sie merkte, wie nah er ihr doch war. Wie hatte sie auch nur für eine Sekunde einen Gedanken daran verschwenden können, – auch, wenn es nur und ausschließlich zu Billys Wohl gewesen wäre – diesen Mann zu ehelichen?

 

Sie entzog ihm ihren Kopf und sah ihn mit einem Blick an, der vermutlich jeden anderen Mann auf der Welt dazu gebracht hätte, den Kopf einzuziehen. Doch Miller war zäh. „Und worauf wartet Ihr dann noch? Oder traut Ihr Euch etwa nicht, diese gefährlichen Trunkenbolde, die vielen Bordsteinschwalben und die tatkräftigen Bauern anzugreifen? Habt Ihr Angst, sie schlagen vielleicht zurück und könnten Euch mit leeren Bierkrügen bewerfen?“ Ihr Stimm troff vor Hohn. Und als er nicht antwortete, fuhr sie fort. „Diese Menschen sich völlig wehrlos!“, schrie sie voller Verzweiflung, als er immer noch nicht reagieren wollte. „Wehrlos und absolut harmlos. Wie könnt Ihr nur…?“

 

Doch Miller unterbrach sie wirsch. Seine Hände fuhren auf die Armlehnen ihres Stuhls herab, dass sie die Erschütterung spüren konnte, die durch das Holz ging, und seine zu Schlitzen verengten Augen bohrten sich ihre weit aufgerissenen. „Harmlos?!“ Seine Stimme schraubte sich in unbekannte Höhen. „Diese Menschen sind nicht harmlos. Sie gefährden mit ihrer bloßen Existenz das Wohl der ehrlich arbeitenden Bevölkerung. Sie sind wie Parasiten, die sich an Mutter England festsaugen und ihr das Blut abzapfen, bis sie nur noch eine leere, gehaltlose Hülle ist. Diese Brut dort draußen hat dafür gesorgt, dass du deine Eltern verloren hast.“ Zur Bekräftigung seiner Worte wies er mit einer ausgestreckten Hand durch eines der großen Fenster, die sich am Bug seines Schiffes befanden. Am Horizont im Licht der untergehenden Sonne war gerade noch so der schemenhafte Umriss der kleinen Insel zu entdecken, vor der sie nun dümpelten und warteten.

 

Doch Elizabeth konnte nicht klein beigeben. Sie war zu wütend in diesem Moment, um einfach stillschweigend hinzunehmen, was er gerade gesagt hatte. Vielleicht wäre es klüger, schoss es ihr für einen winzigen Augenblick durch den Kopf, doch die standfeste Überzeugung in seiner lächerlichen kleinen Ansprache ließ sie rot sehen.

 

Miller hatte sich schon wieder von ihr abgewandt, als sie zu sprechen begann. Er hatte die Arme auf dem Rücken verschränkt und prüfte ein letztes Mal die Standorte seiner Flotte auf dem Wasser, als Elizabeth voller Verachtung in der eigenen Stimme sagte: „Nein, Captain Miller, das waren nicht die Piraten.“

 

Verwirrt über die plötzliche Kälte in ihren Worten drehte er sich zu ihr um. Sie konnte ihm ansehen, dass er nicht wusste, wovon sie sprach. Doch das hatte sie auch nicht erwartet. Lord Beckett war sicherlich nicht damit hausieren gegangen, dass er den damaligen Gouverneur von Port Royal hatte ermorden lassen. Woher also sollte Miller es auch wissen? Doch diese Lücke in seinem Bewusstsein im Bezug auf das Große Ganze würde sie nur allzu gerne füllen.

 

Sie erlaubte sich ein leichtes Lächeln, was Miller nur noch mehr zu verwirren schien. „Ihr wisst es wirklich nicht, oder?“ Doch sie wartete erst gar keine Antwort ab, sondern fuhr einfach fort: „Beckett hat meinen Vater ermorden lassen, als er ihm nichts mehr nützen konnte. Als alle Dokumente unterschrieben waren, hat er ihn von seinem lächerlichen Handlanger grausam umbringen lassen. Und ich bin nur noch am Leben, weil diese verachtenswerten Piraten, wie Ihr sie nennt, mich vor Leuten wie Beckett beschützt haben.“

 

„Unsinn!“, rief er aus, weil ihm nichts Besseres einfiel, und drehte sich wieder zu seinem übergroßen Schreibtisch herum. Wieso hätte Beckett so etwas tun sollen? Das ergab keinen Sinn. Es sei denn natürlich, er hätte sich selbst zum Gouverneur aufschwingen wollen. Doch wieso hätte er das tun sollen, wenn ihm doch bereits fast die gesamte Karibik zu Füßen lag? Außer, Gouverneur Swann hätte Informationen besessen, die Lord Beckett in arge Bedrängnis gebracht hätten. Aber konnte er dem Seemannsgarn wirklich festen Glauben schenken?

 

Elizabeth andererseits, immer noch an ihren Stuhl gefesselt, genoss es, nun endlich einmal den Spieß herumdrehen und Miller etwas offenbaren zu können, was dieser noch nicht wusste und was vielleicht sogar seine sorgsam aufgebaute Welt zumindest zum Schwanken bringen konnte. Deswegen spielte sie nun eine Karte aus, die sie eigentlich gehofft hatte, unangetastet lassen zu können.

 

Sie musste sich einmal kurz räuspern, weil der Gedanke daran sie immer noch mit Schuldgefühlen peinigte. Doch wie hätte sie damals auch nur ahnen können, dass es so fürchterlich nach hinten losgehen würde?

 

„Und falls Ihr es noch nicht wisst: James Norrington war ebenfalls ein Pirat. Vielleicht kein Geborener, doch in seinem Herzen wusste er, dass Beckett falsch gehandelt hatte. James rettete mir das Leben und ließ sein eigenes dafür. Es würde sein Andenken beschmutzen, ihn als ehrbaren Mann der Royal Navy auszuzeichnen.“

 

Bei Norringtons Erwähnung zuckte Miller leicht zusammen. Er hatte bereits viel von diesem Mann gehört, der nicht nur in der Karibik bekannt gewesen zu sein schien. Sogar am Hof in London hatte man in den höchsten Tönen von ihm gesprochen und Henry hatte sich immer vorgenommen, diesen Mann einmal zu treffen und ihn zu übertrumpfen. Nun, dies schien er allein schon damit geschafft zu haben, dass er noch lebte. Ihn jetzt auch noch als Piraten post mortem zu brandmarken, verschafft seinem eigenen Image natürlich einen erheblichen Schwung nach oben.

 

Feixend drehte er sich daher zu Elizabeth um. „Norrington ein Pirat? Das wäre in der Tat eine Neuigkeit. Die Damen am Hof würde das garantiert sehr bestürzen.“

 

„Es interessiert mich nicht, was man am Hof über ihn denkt! Er war ein Mann, der zu seinem Wort stand. Und als solcher ist er auch gestorben. Malt Euch darüber aus, was Ihr wollt. Doch vergesst dabei eines nicht.“ Sie machte eine Pause und lehnte sich dabei so weit in ihrem Stuhlgefängnis vor, wie der Strick um ihre Handgelenke es erlaubte. Dabei spürte sie, wie ihr wieder frisches Blut aus den Wunden trat, und sie glaubte, einen Tropfen leise auf den blank polierten Holzboden der Success fallen zu hören.

 

Miller jedoch wurde nun ungeduldig. Ihm gefiel es ganz und gar nicht, wie sich dieses Gespräch entwickelt. Eigentlich hatte er gehofft, Elizabeth einschüchtern zu können. Doch offensichtlich war das mit Worten allein nicht zu schaffen. Trotzdem wollte er noch hören, was sie zu sagen hatte. Es mochten vielleicht ihre Letzten in Hochmut gesprochenen sein. Daher trat er nun von seinem Schreibtisch zurück und kam wieder zu ihr hinüber. Seine Absätze hallten laut in der ansonsten gespenstig stillen Kabine des Captains von den Wänden wider. Es hörte sich nun beinahe so an, als halte die See selbst den mächtigen Atem an, um auch ja kein Wort davon zu verpassen.

 

Gerade in dem Moment, in dem sich die Sonne hinter den fernen Horizont schob und so ungewollt das Signal für den Angriff gab, sagte sie: „Es kommt nicht darauf an, in welche Stellung der Gesellschaft man hineingeboren wurde. Es kommt ganz allein darauf an, welch edle Gesinnung sich in Eurem Herzen manifestiert hat. Und für Euch, Captain Henry Miller, sehe ich in diesem Punkt schwarz.“

 

Ohne eine Erwiderung, nur mit einem letzten zutiefst feindseligen Blick, drehte er sich ruckartig von ihr weg, riss die Tür zu seiner Kabine auf und brüllte nach seinem engsten Vertrauten. Cook erschien so schnell, als habe er nur darauf gewartet, gerufen zu werden. Er versuchte, die Situation, die sich ihm darbot, mit einem Blick zu erfassen, doch es gelang ihm nicht ganz. Dass Elizabeth gefangen genommen worden war, wusste er. Doch wieso sie nun so siegessicher dreinblickte, konnte er nicht sagen. Er warf seinem alten Freund daher einen fragenden Blick zu, der diesen jedoch erst einmal ignorierte.

 

Stattdessen senkte er die Stimme, jedoch nur soweit, dass Elizabeth noch jedes einzelne Wort verstehen konnte. Sie sollte ruhig mitbekommen, was nun folgen würde, denn jetzt war der Augenblick gekommen. Nun würde der Kampf beginnen.

 

Er gestattete sich ein kurzes Lächeln, dann sagte er: „Lieutenant Cook, gebt den Befehl zum Angriff auf Tortuga. Lasst diese verlauste Insel in Flammen aufgehen.“

© by LilórienSilme 2015

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