LilórienSilme
~ Fanfiction-Autorin ~
Kapitel 24
~ Blaumann
Ich lass mein Handy klingeln, heut‘ geh ich nicht ran
Ich hab zu tun, ich starre Löcher in die Wand
Ich steh nicht auf, so wie immer, häng in meinem Zimmer,
Spiel mit meiner Katze Mau-Mau
Dean erwachte mit einem hämmernden Kopfschmerz. Es dauerte eine ganze Weile, bis er begriff, dass das, was gerade auf seinem Hirn herumsprang, das penetrante Klingeln seines eigenen Handys war. Völlig neben der Spur versuchte er danach zu tasten, doch seine Finger gehorchten ihm noch nicht. Sein Gesicht war in irgendetwas Weiches gedrückt, vermutlich ein Teppich oder Sofa, und er konnte kaum vernünftig atmen. Doch das Schlimmste an dem Wachwerden war der pelzige, ekelhafte Geschmack von Erbrochenem, der noch auf seiner bleischweren Zunge lag.
Der Versuch zu schlucken scheiterte kläglich an dem dicken Lederlappen, den er im Mund zu haben schien. Dann kam die Übelkeit mit einem Mal zurück. Ohne dass er wusste, wie er das schaffte, mobilisierte er die letzten Kräfte, die er hatte, und schob sich über den Rand des Sofas, sodass sein Gesicht nun frei war. Er blinzelte nicht mal, als er sich übergab, sondern tat es mit geschlossenen Augen.
Zu seinem großen Glück stand eine kleine Wäschewanne unter ihm. Doch zu seinem noch viel größeren Pech hatte er bereits alles herausgewürgt, was noch halbwegs herauszuwürgen war. Nun kam nur noch Galle.
Stöhnend schob er sich zurück und drücke sein Gesicht wieder in das Sofa, das mit einem dunklen Handtuch vor Verschmutzungen geschützt war. Wer ihn auch immer so hingelegt hatte, er war ihm unendlich dankbar. Doch noch dankbarer wäre er ihm, wenn jetzt noch jemand dieses penetrante Klingeln abstellen könnte!
Er hatte den Gedanken kaum zu Ende gedacht, als sein Handy verstummte. Erleichtert atmete er aus und richtete sich innerlich schon darauf ein, wieder einzuschlafen. Heute würde er sicher nicht mehr von der Couch aufstehen. Dazu wäre schon ein Kran nötig, um ihn hochzubekommen. Freiwillig jedenfalls wollte er sich nicht bewegen. In keiner Weise! Weder Aufsetzen noch Aufstehen war gerade drin.
Er musste weggedöst sein, denn plötzlich schreckte er wieder hoch, als sein Handy erneut zu schellen begann. Er versuchte sich ein Kissen über den Kopf zu ziehen, doch seine Hände konnten nur die Rücken- und Armlehne ertasten. Über ihm war nur eine dünne Decke ausgebreitet worden, die ihn mehr schlecht als recht warm hielt.
Erst jetzt bemerkte er, dass ihm kalt war, und er begann zu zittern. Wie er es hasste, einen Kater zu haben! Doch da musste er jetzt wohl durch. Wieso hatte er sich gestern überhaupt so volllaufen lassen? Er konnte sich noch daran erinnern, dass alle ihren Spaß gehabt hatten. Nur er irgendwie nicht. Klar, die Party war lustig gewesen, doch irgendetwas hatte ihn so sehr gestört, dass er es vorgezogen hatte, sich zu betrinken. Der Versuch, sich aber daran zu erinnern, scheiterte an den immer noch starken Kopfschmerzen und dem penetranten Handyklingeln. Vielleicht würde es wieder aufhören, wenn er nur lange genug liegen blieb.
Seine Gebete wurden erhört, nachdem der, der ihn gerade anrief, vermutlich schon fast aufgegeben hatte. Er konnte hören, wie sich Schritte näherten, dann verstummte das laute Geräusch und er hörte, wie jemand aus dem Hörer herausschrie: „Dean O’Gorman?“
Unverkennbar die Stimme von Carolynne Cunningham, dem persönlichen Drachen von Pete. Sie war seine Erste und oberste Assistentin und hatte das Sagen, wenn der Regisseur nicht persönlich am Set war. Was konnte sie nur von ihm wollen an einem Sonntag?
Joe hatte Deans Handy schon beim ersten Mal genau gehört. Doch sie hatte es nicht gewagt, ranzugehen. Immerhin war das ein persönliches Gerät mit allerhand Informationen darauf. Ganz zu schweigen davon, dass sie keine Ahnung hatte, wie so ein teures Smartphone funktionierte. Sie hatte noch nie so ein Teil besessen. Als sie jedoch schon zum zweiten Mal den Namen der First Assistant Director gelesen hatte, hatte sie einfach drangehen müssen.
Nun bereute sie es allerdings schon wieder, denn der Ton, den Carolynne anschlug, ließ Joe auf die Größe eines Fingerhuts zusammenschrumpfen. „Nein“, wisperte sie eingeschüchtert in das Telefon. Nur zu genau konnte sie sich in diesem Moment das Gesicht der anderen Frau vorstellen, wie sie finster dreinsah und jeden drohte, mit Feuer zu bespucken, der es auch nur wagte, falsch zu gucken.
Carolynnes Reaktion kam prompt. „Was?“, rief sie zurück. „Ich verstehe nichts. Dean, Herrgott, wo steckst du?“ Man konnte ihr anhören, wie wütend sie war. Sie hielt selten mit ihren Gefühlen hinter dem Berg. „Du solltest, verdammt noch mal, seit 45 Minuten in der Maske sitzen. Beweg deinen Arsch hierher!“ Und als weiterhin Stille am anderen Ende herrschte, fragte sie erneut: „Dean?“
Joe nahm all ihren Mut zusammen, den sie aufbringen konnte, was nicht besonders viel war, und räusperte sich. „Nein“, sagte sie nun ein bisschen lauter als vorher, „hier ist Joe.“
„Joe?“ Sie hatte nicht viel gehört von dem, was da geflüstert wurde, doch den Namen der Designerin hatte sie verstanden. Und dann setzte sich für sie auch ein Bild zusammen. Es machte Klick. „Joe, was soll das? Wo ist Dean? Ich will ihn sprechen.“
Der Schauspieler gab jedoch nur ein unwilliges Knurren von sich, weil er zum wiederholten Mal seinen Namen gehört hatte, der lauter aus dem Telefon klang als das, was die Person ins Telefon sagte, die mit ihm im selben Raum war. Deswegen hatte er noch nicht herausfinden können, wer denn nun bei ihm war. Doch das war ihm in diesem Moment auch reichlich egal. Er wollte nur seine Ruhe.
Joe warf einen Seitenblick auf den blonden Kiwi, der immer noch unbewegt mit dem Gesicht nach unten auf ihrer Couch lag. Die Wanne unter ihm hatte er schon gut gefüllt. Ihr graute jetzt schon davor, das sauber zu machen. Denn so, wie er aussah und sich benahm, würde er heute nirgendwo mehr hingehen.
Sie biss sich auf die Unterlippe. „Dean ist…“, setzte sie an, schluckte, räusperte sich noch einmal und fuhr fort. „Ihm geht es nicht gut.“
„Ist er krank?“ Das Misstrauen in Carolynns Stimme war nicht zu überhören. Gott allein wusste, was sie wohl gerade dachte. Joe hätte es vermutlich auch selbst nicht geglaubt, wenn man ihr das erzählt hätte. Allein die Fahrt am vergangenen Abend hierher war eine reine Qual gewesen.
Nachdem Dean sich auf ihre Stiefeletten übergeben hatte, hatte sie ihn nur mit Mühe und Not auf den Beifahrersitz verfrachtet bekommen. Er hatte stark geschwankt und war ziemlich zutraulich geworden, hatte versucht ihr an den Hintern zu fassen oder ihr einen Kuss aufzudrücken. Den Kuss hatte sie aber schon wegen seinem Mundgeruch abgelehnt. Als sie ihn endlich auf dem Sitz hatte, hatte sie das Fenster bis zum Anschlag heruntergekurbelt und ihn vorsichtig angeschnallt. Dabei hatte er sich natürlich anzügliche Sprüche nicht verkneifen können, die sie hatten rot werden lassen. Doch sie hatte es so gut wie möglich ignoriert.
Auf der Fahrt selbst war er dann zum Glück eingeschlafen. Nachdem sie das gemerkt hatte, war ihre unterdrückte Wut ein Stück weit zum Vorschein gekommen und sie hatte vor sich hin geflucht, dass sie ihn mit der Zahnbürste würde schrubben lassen, sollte er in ihren Wagen kotzen. Das war jedoch zu ihrer großen Erleichterung nicht passiert.
Zu Hause hatte sie ihn dann direkt zur Couch dirigiert und er war so liegen geblieben, wie er draufgefallen war. Sie hatte ihm nur zur Sicherheit noch die Wanne von ihrer Schmutzwäsche hingestellt und ein Handtuch unter den Kopf gelegt. Ihre Kissen hatte sie vorsorglich in Sicherheit gebracht.
Das ganze Schauspiel war nun nicht mehr als 5 Stunden her und sie hatte bisher kaum geschlafen, weil sie sich darum gesorgt hatte, wie es ihm ging. Was natürlich völlig bescheuert war, weil er sie ja noch nicht einmal leiden konnte. Doch diesen seltsamen Beschützerinstinkt, den sie auch schon bei Aidan und seiner Beule zur Schau getragen hatte, konnte sie leider nicht so einfach abschalten. Sein Handy hatte sie aber schließlich doch dazu gebracht, noch einmal nach unten zu kommen und nach ihm zu sehen.
Dass sie jetzt mit den größten Drachen der gesamten Produktion sprach, wäre ihr nicht einmal im Traum eingefallen. Carolynne machte ihren Job ohne Frage ganz hervorragend. Aber manchmal wirkte sie doch arg streng. Manche Leute, so munkelte man, beteten bereits, dass das Kind, mit dem sie gerade schwanger ging, sich nicht allzu viel Zeit lassen würde. Ein adäquater Ersatz für sie stand nämlich schon in den Startlöchern und es gab gewisse Personen am Set, die es gar nicht erwarten konnten, bis sie in den Mutterschutz ging.
Joe kaute auf der Innenseite ihrer Wange herum. Was sollte sie ihr denn jetzt nur sagen? Sollte sie ihr die Wahrheit sagen? Sie rang mit sich eine Weile, in der sie glaubte, dass die andere schon fast die Geduld verlor, dann sagte sie endlich: „Gewissermaßen.“
„Was soll das heißen?“, kam es sofort wie aus der Pistole zurückgeschossen, dass Joe unter den harschen Worten zusammenzuckte. Gewohnheitsmäßig zog sie den Kopf zwischen die Schulterblätter.
„Er kommt heute nicht!“
So, nun war es raus. Sie wusste nicht, wie sie es geschafft hatte, das zu sagen, doch jetzt hatte sie es gesagt und es gab kein Zurück mehr. Gewissermaßen war sie sogar ein bisschen stolz auf sich, dass sie das gesagt hatte. Doch dieses seltsame Hochgefühl verpuffte, als sie hörte, wie gefährlich leise es am anderen Ende wurde.
Es dauerte eine Weile, bis Carolynne ihre Sprache wiedergefunden hatte, dann atmete sie einmal tief durch und sagte zwar gefasst, aber leise und mit einem bedrohlichen Unterton in der Stimme: „Wenn er tatsächlich krank ist, kümmerst du dich gefälligst um ihn, sodass er morgen wieder arbeiten kann. Aber wenn ich rausbekomme, dass ihr nur rumvögelt, anstatt am Set zu arbeiten, werde ich dafür sorgen, dass wir nicht nur einen weiteren neuen Fíli casten müssen, sondern Richard sich auch noch eine neue Kostümdesignerin besorgen muss. Haben wir uns verstanden?“
Bevor Joe richtig ihre Fassung wieder gewonnen hatte, hörte sie schon das Klicken am anderen Ende zum Zeichen, dass aufgelegt worden war. Verstört hielt sie das Handy noch eine Weile am Ohr, dann ließ sie es langsam sinken und starrte es an, als wäre es eine giftige Schlange.
Hatte sie das gerade wirklich gehört? Sie konnte unmöglich glauben, dass Carolynne glaubte, dass sie und Dean...
Sie konnte diesen Gedanken nicht einmal zu Ende denken, so absurd war das Ganze.
Verwirrt blickte sie wieder auf ihn herunter. Sie hatte mit dem Rücken zu ihm gestanden, nun drehte sie sich um, legte dabei wie automatisch das Smartphone zurück auf den Couchtisch, wo sie es gestern nach auch hingelegt hatte, als es ihm aus der Hosentasche geglitten war. Daneben lagen noch immer seine Schlüssel und sein Portmonee.
Seine Haare hingen ihm strähnig ins Gesicht, die eine Hand hatte er neben seinen Kopf gelegt, die andere war vermutlich unter sich begraben. Seine Beine baumelten ein Stück vom Sofa herunter und er trug noch immer seine Klamotten und die Schuhe. Vielleicht sollte sie ihn ausziehen.
Entschieden schüttelte sie den Kopf. Nein, das würde sie bestimmt nicht tun. Letzte Nacht hatten sie beide schon genug Körperkontakt gehabt. Daher beschloss sie, Frühstück zu machen und Dean so lange noch liegen zu lassen. Er würde schon aufstehen, wenn ihm danach war.
Also ging sie in die Küche und versuchte dabei möglichst leise zu sein, sodass sie ihn nicht aufwecken würde. Doch diese Angst war unbegründet. Als der Kaffee fertig war, goss sie sich eine großzügige Tasse ein, kippte Milch dazu und stellte sich an den Tresen. Hinter ihr brutzelten ein paar Pancakes, während in einem kleinen Topf der Porridge kochte. Ihr Blick fiel erneut auf den schlafenden Kiwi. Es hatte etwas Friedliches an sich, wie er dort lag. Nur die Wanne unter ihm störte das Bild. So sah er gar nicht mehr nach dem sonst so feindseligen Schauspieler aus, der sie ständig schnitt und blöde Sprüche über sie riss.
Wieso hatte er sich nur so betrinken müssen? Sie konnte das nicht verstehen. Immerhin war er von allen Zwergen und der gesamten Crew bereits akzeptiert worden als der Neue. Jedenfalls war ihr das so vorgekommen. Hatte sie vielleicht etwas übersehen?
Das war natürlich nicht auszuschließen. Immerhin verbrachte sie ja nicht so viel Zeit mit den Schauspielern, wie zum Beispiel die Leute aus der Maske oder die aus dem Kostüm-Department, die sie jeden Tag fertig anzogen. Sie hatte die Kostüme nur gemacht.
Als die Pancakes fertig waren, rührte Dean sich plötzlich. Er hatte den Geruch von frischem Kaffee in der Nase und das weckte seine Lebensgeister ein wenig. Verwirrt blinzelte er zum ersten Mal. Das war eindeutig nicht sein Wohnzimmer. Wo war er nur gelandet? Er konnte sich nicht erinnern, was passiert war, nachdem er Aidans Haus verlassen hatte. Er wusste nur noch, dass er mit Jed gekuschelt hatte. Doch wieso?
Er versuchte sich auf die Arme zu stemmen, doch dann fiel ihm wieder ein, wieso er mit Jed gekuschelt hatte und was passiert war. Stöhnend sank er wieder zurück und hielt sich den Kopf. Das hatte er vermutlich verdient.
Dabei hatte der Abend so gut angefangen. Er hatte sich richtig auf die Party gefreut. Und besonders hatte er sich darauf gefreut, was Aidan wohl zu seinem Geschenk sagen würde. Sie hatten alle zusammengelegt und ihm Mütze, Schal und Handschuhe für den „Sommer“ in Neuseeland besorgt. Außerdem noch zwei warme Pullis, eine dicke Daunenjacke und Winterstiefel, denn so langsam begann auch hier der Schnee zu fallen.
Dean hatte es sich dabei nicht nehmen lassen, ihm noch ein paar Bilder aus Irland in zwei wunderschönen Rahmen zu besorgen. Worüber sich der junge Ire vermutlich am meisten gefreut hatte. Schließlich fehlte auch ihm seine Heimat.
Doch dann hatte Dean das Bier gefunden. Von da an war es irgendwie steil bergab gegangen. Erst hatte er mit Aidan angestoßen, dann war er auf der Suche nach Graham gewesen. Den hatte er jedoch nicht finden können. Stattdessen hatte er Katy gesehen, Aidans Maskenbildnerin, die er eigentlich ziemlich scharf fand. Er selbst hatte einen männlichen Maskenbildner, einen Typen namens Sean, der wahnsinnig viel Ahnung hatte, aber leider total unattraktiv war. Und er hatte sich an Katy rangemacht, die aber scheinbar keinerlei Interesse an ihm zu haben schien.
Immer wieder war ihm aufgefallen, wie sie verstohlene Blicke in Aidans Richtung geworfen hatte, bis der sie irgendwann erwidert hatte, was Dean einen ziemlichen Stich versetzt hatte. Auch, wenn er immer so cool und nahbar tat, eine offensichtliche Zurückweisung einer Frau schmerzte immer.
Und dann war da auch noch die Gesamtsituation mit den Zwergen gewesen. Obwohl sie ihn in ihrer Mitte akzeptiert hatten, fühlte er sich ihnen nicht zugehörig. Natürlich behandelten sie ihn wie einen von ihnen, doch trotzdem war da dieses Gefühl, dass er immer noch der Neue war, der noch nicht vollständig dazugehörte. Wohin er geblickt hatte, hatten sie in Gruppen zusammen gestanden: Mark, Jed und Adam; William, Jimmy und Stephen. Aidan war mit Katy beschäftigt, Martin stand mit Graham und Ken herum, John und Peter unterhielten sich und Richard hatte sich zu Joe gesetzt und schien mit ihr ein wichtiges Gespräch zu führen.
Wohin er auch gesehen hatte, nirgendwo wäre er sofort dazu gekommen, um sich in die Unterhaltung einzufügen. Stattdessen hatte er sich noch ein Bier gegönnt und war dann zu Richard und Joe gegangen, die ihm dann auch noch diesen blöden Spruch gedrückt hatte, was ihm mehr oder weniger den Rest gegeben hatte. Natürlich hatte er sich das nicht anmerken lassen wollen, doch nach dem vierten Bier hatte er irgendwie den Absprung verpasst und nun lag er hier mit diesem unglaublichen Kater.
Wieder der Duft von Kaffee. Und da war noch etwas anderes, was ihn ablenkte. Suchend glitten seine Augen durch den Raum und er staunte nicht schlecht, als er sich hier so umsah. Das Wohnzimmer sah aus wie aus einem Möbelkatalog für die Vintage-Abteilung fotografiert. Es war gemütlich, keine Frage, doch zu sehr Mädchen für seinen Geschmack. Obwohl er gewisse Stücke hier drin echt ziemlich cool fand.
Dann blieben seine Augen an der Küche hängen und er wäre fast vom Sofa gefallen, als er Joe erblickte. Sie sah ihn mit einer Mischung aus Belustigung, was er bei ihr noch nie gesehen hatte, und Mitleid an. „Guten Morgen“, sagte sie leise, aber ehrlich. „Wie geht es dir?“
Er fasste sich wieder an den Kopf. „Ich weiß nicht“, antwortete er wahrheitsgemäß. Und weil er merkte, dass ihm das Sprechen nicht gut bekam, presste er sich die Hand auf den Magen. Ihm wurde augenblicklich wieder schlecht. Jegliche Farbe wich ihm aus dem Gesicht und der Schweiß brach ihm aus. Zwischen zusammengepressten Zähnen sagte er nur ein Wort: „Bad!“
Sie deutete Richtung Haustüre und er stürmte los. Er nahm die einzige Tür, die nicht nach draußen führte, und verschwand dahinter eine ganze Weile. Als er wieder herauskam, hatte sie bereits den Esstisch für zwei gedeckt, den Wanne mit ihrem ekelhaften Inhalt nach draußen gestellt und ihm auch eine Tasse Kaffee eingeschenkt.
Er musste sich an der Wand im Flur abstützen, wobei sein Blick auf eine Reihe von Fotografien fiel, die dort über einem Sideboard hingen. Es waren meist Stillleben, jedoch alle im Vintage-Stil passend zur restlichen Einrichtung. Auf der gegenüberliegenden Seite, wo ein offener Türrahmen zu einer Garderobe führte, hingen noch weitere Bilder. Dieses Mal jedoch war es eine Bewegungsreihe, die die verschiedenen Posen beim klassischen Ballett zeigten. Fasziniert betrachtete er sie eine Weile, bis ihm auffiel, dass er beobachtet wurde.
Joe saß bereits am Tisch und sah ihm zu, wie er ihre Bilder musterte. Sie mochte diese Bilder besonders, weil sie zwar elegant und ruhig, aber trotzdem eine Dynamik ausstrahlten. Beim Schießen der Fotos hatte sie viel mit den Belichtungszeiten und Brennweiten experimentiert und daraus war diese Serie entstanden. Die schönsten Schnappschüsse hatte sie einrahmen lassen.
Noch ein bisschen schwach auf den Beinen kam er zum Esstisch rüber. Er hatte gar nicht gewusst, dass sie Bilder mochte. Er ließ sich auf den Stuhl sinken, der frei war und vor dem ebenfalls gedeckt war. Dann stützte er den Kopf in die Hände. Nach einer Weile fragte er: „Wer hat die Bilder gemacht?“
Sie schob ihm die zweite Tasse mit dem Kaffee hin und errötete dabei. Hatte er etwas Falsches gesagt? Doch im Moment war er noch zu müde und kaputt, um sich über ihre seltsame Art aufzuregen.
„Ich“, hauchte sie und trank schnell einen Schluck.
Seine Augen weiteten sich, als sie das sagte. „Tatsächlich?“ Er warf noch einmal einen Blick zurück zu den Fotos. „Die sind wirklich schön. Ich wusste gar nicht, dass du auch fotografierst. Was für eine Kamera benutzt du denn?“
Sie zuckte mit den Schultern, weil sie nicht so richtig wusste, was sie mit der plötzlichen positiven Stimmung anfangen sollte. „Ich hab mehrere.“
Das nahm Dean ein bisschen den Wind aus den Segeln. Eigentlich hatte er gehofft, dass sie ein bisschen erzählen würde, doch da hatte er sich wohl wieder einmal in ihr getäuscht. Also griff er endlich nach der Kaffeetasse und trank vorsichtig einen Schluck. Sein Magen dankte es ihm, indem er sofort lautstark rebellierte. Doch auch darauf schien Joe vorbereitet zu sein, denn sie schob ihm stattdessen nun eine Tasse mit Kamillentee hin.
Dankbar nahm er das Angebot an und linste verstohlen auf die Köstlichkeiten, die sie hier aufgetischt hatte. Sie selbst hatte sich Porridge mit frischen Früchten aufgetan. Die Pancakes lagen in seiner Reichweite, doch daran wollte er sich lieber noch nicht versuchen. Er wollte sich nicht noch einmal übergeben.
„Danke“, sagte er erleichtert, nachdem er den ersten Schluck getrunken hatte und sich sicher war, dass er auch drin bleiben würde.
„Gern geschehen.“ Sie sah ihn an und lächelte dabei. Das war ihm so fremd, dass er zuerst gar nicht bewusst bemerkte, wie hübsch sie eigentlich war, wenn ihr Gesicht so strahlte. Ob er sich vielleicht in ihr getäuscht hatte?
Er war immer genervt davon gewesen, dass sie mit ihrer Art, sich so schüchtern überall herumzudrücken, so viel Aufmerksamkeit bekam. Doch offensichtlich spielte sie das nicht nur, sie war tatsächlich so. Und wenn er sich das ansah, was sie heute für ihn getan hatte, dann musste er wohl oder übel seine negative Meinung von ihr revidieren.
Den Tee trank er in kleinen, vorsichtigen Schlucken. Als er ihn zur Hälfte geleert hatte, konnte er jedoch den Pancakes nicht mehr widerstehen. Verstohlen griff er nach dem Obersten und biss hinein. Glücklich kaute er eine Weile darauf rum und schluckte ihn schließlich runter. Joe beobachtete ihn dabei sehr genau. Als er den ersten Eierkuchen verschlungen hatte, lächelte sie ihn glücklich an.
Und weil ihm diese peinliche Stille so furchtbar unangenehm war, setzte er erneut an. „Deine Bilder sind wirklich schön. Hast du dafür eine EOS benutzt? Ich habe mir letztens erst eine Neue gekauft, doch die Bilder damit gefallen mir nicht so gut, wie wenn ich sie mit meiner Alten gemacht hätte. Seltsam, oder? Dabei sollte man doch denken, dass neu auch besser ist.“
Nun lächelte sie richtig. Dieses Mal erreichte es auch ihre grünen Augen, die buchstäblich anfingen zu strahlen. „Meine Lieblingskamera ist eine Canon von 1979, die meiner Mutter gehört hat. Damit mache ich immer noch die liebsten Bilder.“ Sie sprang auf und holte einen großen Bildband hervor, den sie vor ihm auf den Tisch legte. Sie schlug etwa die Mitte auf und zeigte ihm ein paar der Fotografien, die sie damit gemacht hatte.
Ehrlich fasziniert strich er mit dem Finger über die glatte Oberfläche der Bilder. Er fragte sie, wie sie dies und das genau aufgenommen hatte, und sie antwortete ihm mit mehr Worten, als sie in den letzten zwei Jahren insgesamt überhaupt gesprochen hatte. Und über das Gespräch hinweg vergaßen beide ganz, dass eigentlich Montag war und sie hätten arbeiten müssen. Doch morgen war schließlich auch noch ein Tag.