LilórienSilme
~ Fanfiction-Autorin ~
Kapitel 24
~ Davy Jones’ Mocker
Die Fahrt an sich war ziemlich ereignislos. Sie begegneten niemandem auf der Meer, geschweige denn, dass sie Land auch nur von Weitem sahen. Alles in allem war die Mannschaft ziemlich übel gelaunt und nicht wenige hatten den Einfall, den guten Jack über die Planke wandern zu lassen.
Doch niemand wagte es, dies laut auszusprechen. Immerhin schienen er und Barbossa einmal mehr ein Geschäft miteinander ausgehandelt zu haben, was für sie beide von Vorteil sein musste. Sonst hätte sich garantiert keiner von ihnen dazu herabgelassen, mit dem anderen zu verhandeln. Denn auch, wenn die beiden nun schon seit so vielen Jahren gemeinsam zur See gefahren waren, hatte sie nie so etwas wie Freundschaft miteinander verbunden. Immer war es eher das Pflichtgefühl der eigenen Kameraden gegenüber, der einen der beiden dazu gebracht hatte, den anderen nicht im Stich zu lassen. Oder der eine hatte dem anderen einen Deal vorgeschlagen, den der andere unmöglich ablehnen konnte.
„Also, Jack“, sagte Barbossa nun, nachdem sie schon eine ganze Weile dahin gesegelt waren, ohne ein Anzeichen zu entdecken, dass auch nur auf Angelica hingewiesen hätte. „Wo ist das Mädchen denn nun?“
Sorgsam und völlig übertrieben überprüfte Jack noch einmal den Kurs, den sie eingeschlagen hatten auf sein Wort hin, und musste zufrieden feststellen, dass sie in der Tat in die richtige Richtung fuhren. Allerdings tat der Kompass manchmal etwas ganz und gar Unvorhergesehenes und schwenkte plötzlich wieder in eine andere Richtung ab, die so weit von ihrem jetzigen Kurs abwicht, dass er drauf und dran war, seine ursprüngliche Aussage zu korrigieren. Nach wenigen Augenblicken jedoch hatte sich der Kompass meist wieder beruhigt.
„Wir sind auf dem richtigen Kurs, Hector. Du musst dir keine Sorgen machen.“
„Oh, ich mache mir auch keine Sorgen“, sagte Barbossa ruhig. Dabei verlagerte er sein Körpergewicht von dem gesunden Bein auf sein hölzernes und humpelte mit Hilfe seiner Krücke auf seinen neu ernannten Navigator zu. „Ich frage mich nur, wie lange es wohl noch dauern wird, bis wir sie gefunden haben.“
Schnell, bevor Barbossa etwas sehen konnte, klappte Jack seinen Kompass wieder zu und verstaute ihn sicher an seinem Gürtel. Dabei achtete er darauf, dass er richtig festgebunden war, sodass ihn niemand im Vorbeigehen einfach mitnehmen konnte. Natürlich hätte das niemandem wirklich genützt, denn nur Jack allein vermochte wohl so viel Willenskraft aufbringen und sie zu Angelica zu führen. Doch er wollte lieber kein Risiko eingehen. Wenn er das gute Stück verlor, würde er keinen Ersatz bekommen. Immerhin hatte er diesen hier von Tia Dalma bekommen. Und die war in letzter Zeit eher schlecht zu erreichen gewesen.
Er räusperte sich geräuschvoll. „Tut mir leid, Hector, aber der Kompass zeigt mir leider nur Richtungen an, keine Entfernungen. Ich kann dir nicht sagen, wie lange es noch dauern wird. Du wirst dich gedulden müssen.“
„Weil Geduld auch einer deiner Tugenden ist“, erwiderte der andere ironisch.
„Und schon immer war!“ Jack warf sich stolz in die Brust, den seltsamen Tonfall von Barbossa geflissentlich ignorierend. „Und auch immer sein wird. Es gibt keinen geduldigeren Menschen als mich.“
„Natürlich.“ Barbossa ließ ihn an Ort und Stelle stehen und ließ sich auf einer Kiste nieder. Dort winkelte er sein rechtes Bein an und entfernte mit einem kräftigen Zug den künstlichen Teil seines Beines. Die darin enthaltene, extra angefertigte Flasche entkorkte er sorgsam und führte sich einen genüsslich großen Schluck Rum zu.
Jack achtete gar nicht darauf. Er wollte sich nicht provozieren lassen. Stattdessen wandte er dem Captain den Rücken zu und stieg die Treppe zu der übrigen Mannschaft herunter. Die lagen alle an Decke verstreut und ließen sich genüsslich die Sonne auf den nackten Bauch scheinen. Sogar Gibbs hatte es sich am Hauptmast gelehnt gemütlich gemacht und genoss das laue Lüftchen, was ihm durch die Haare und den Bart strich und ihn ein wenig abkühlte. Jack ließ sich neben ihn plumpsen.
„So ein Schiff, das sich selbst lenkt, hat eindeutig seine Vorteile“, sinnierte der Ältere und strich sich durch den weißen Backenbart. „Zumindest große Vorteile für die Mannschaft. So muss sie niemand mehr zu Tode schuften.“
„Da muss ich dir Recht geben, alter Freund. So hat man weniger Männer an Bord. Und weniger Männer an Bord bedeutet?“ Er sah Gibbs herausfordernd, mit einer hochgezogenen Augenbraue und verschmitzt grinsend, an.
Der brauchte jedoch eine Weile, bis er begriff. Dann hellte sich sein Gesicht allerdings schnell auf und er zwinkerte Jack zu. „Mehr Beute für jeden.“
„Ganz genau!“
„Doch dazu müssten wir erst ma‘ Beute mach‘n“, mischte sich nun Scrum ein und setzte sich im Schneidersitz den beiden anderen gegenüber. „So, wie‘s aber im Moment aussieht, wird das nix.“ Er deutete mit dem Daumen nach oben, wo das Hauptsegel mit einem Mal schlaff herunter hing. Sofort spürte auch Jack, wie der Wind abflaute und die Sonne heftiger auf sie herunter brannte.
„Was zum...?“ Innerhalb eines kurzen Augenblicks war Jack auf den Beinen. Verwirrt blickte er sich um, konnte aber um sie herum nur Wasser entdecken. Was ging hier nur vor sich?
Er klappte den kleinen schwarzen Deckel seines Kompasses erneut auf und überprüfte den Kurs. Kein Lüftchen regte sich mehr, als er sah, wie die Nadel wild in alle Richtungen auszuschlagen begann. Offenbar hatten sie ihr Ziel erreicht. Doch was war es? Hier gab es weit und breit nichts zu sehen außer dem großen Ozean. Hatte sein treuer Gefährte ihn zum ersten Mal fehlgeleitet?
Eigentlich konnte er sich das nicht vorstellen, doch wie sollte er sich sonst erklären, dass sie hier, vor der Küste von Hispaniola, einfach im Nirgendwo dümpelten? Hier gab es nicht mal eine winzige Insel, auf der hätte Rum versteckt sein können. Wohin hatte sein verdrehter Verstand ihn nur geführt? Hatte er wieder diesen einen Wunsch, den er tief in sich verborgen hielt, wie Davy Jones damals sein Herz in einer Truhe? Jack wusste, dass das Unsinn war. Wenn überhaupt war sein eigenes Herz klein und verkümmert, gar nicht in der Lage, irgendetwas für jemanden zu empfinden.
Doch leider musste er sich eingestehen, dass dem wohl nicht ganz so war. Immerhin hätte er sonst nichts für Angelica empfinden können. Dummerweise war es nur so, dass er das gar nicht wollte. Er hatte nie etwas für sie empfinden wollen. Doch sein Schicksal hatte ihn damals, betrunken wie er nun einmal gewesen war, in dieses Kloster und zu ihr geführt. Und von da an hatte das Übel seinen Lauf genommen.
Aber was, im Namen der sieben Kreise der Hölle, hatten sie nur hier, mitten auf dem Atlantik, zu suchen? Wenn Angelica genau unter ihm auf dem Grund des Ozeans lag, dann würde derjenige, der sie dort hin befördert hatte, etwas erleben können!
Bevor er sich jedoch seine Rache in allen Einzelheiten ausmalen konnte, erschien sein Ziel, von dem er noch nicht einmal selbst etwas ahnte in diesem Moment, vor seinen Augen. Es war, als wäre es plötzlich aus dem Wasser selbst aufgetaucht und Jack wusste, dass dies kein allzu weit hergeholter Gedanke war. Dieses Mal jedoch war er verwundert.
Er betrachtete den Rumpf des Schiffes, der aussah wie das Maul eines gewaltigen Ungeheuers. Vielleicht hatte es die Form eines Schwertfisches mit Reißzähnen, zwischen denen ein Totenkopf hing. Doch vielleicht sah es auch nur im Licht der untergehenden Sonne so aus.
Einen Moment lang konnte er nur starrten, als hätte er einen Geist gesehen. Sein erster Instinkt war, Gibbs das Kommando zum Wenden zu geben und zu fliehen, wie er es vor so vielen Jahren bereits zweimal getan hatte. Doch dann fiel ihm wieder ein, wer jetzt Captain dieses Schiffes war, und er entspannte sich wieder. Die Stelle, an der damals sein Schwarzes Mal gesessen hatte, begann jedoch augenblicklich zu jucken.
Fluchend drehte er sich von dem Schiff weg, eilte die Treppe zurück zur Brücke hinauf und sah Barbossa eindringlich an. Sein ehemaliger erster Maat verzog nur die Lippen zu einem freudlosen Lächeln, entblößte dabei seine Holzzähne, während er sein rechtes Bein wieder an Ort und Stelle verschraubte. „Nun, Jack, wohin hast du uns wohl dieses Mal geführt?“
„Weißt du, Hector“, begann er, „ich finde ja, dass wir ein Zusammentreffen nicht unbedingt provozieren sollten. Es gibt zwar einen neuen Captain, aber ich weiß nicht, ob meine Schuld schon beglichen ist, wenn du verstehst, was ich meine.“ Er beugte sich ganz weit vor und sprach so leise, dass nur Barbossa es eigentlich hätte hören dürfen. Doch wie immer war Gibbs ihm gefolgt und hielt seine Ohren dorthin, wo sie nicht sein sollten, und sagte: „Warum sollte er dich noch haben wollen? Ich dachte, ihr seid damals im Guten auseinander gegangen. Ich finde, wir sollten mit ihm sprechen, wenn der Kompass uns hierher geführt hat.“
„Aye, das sehe ich wohl auch so“, sagte Barbossa, kniff ein Auge zusammen und erhob sich ächzend von der Kiste, auf der er immer noch saß. Als er stand, rückte er seinen Gut zurecht und brachte seine Jacke in eine angemessene Position. Er war zwar ein Pirat und ein Gesetzloser, doch er wollte um keinen Preis unschicklich vor einen anderen Captain treten. Auch, wenn es nicht unbedingt ein Captain war, der ihm viel bedeutete.
Lächelnd drehte er Jack den Rücken zu und klapperte mit seinem Holzbein auf den Planken herum. „Heißen wir ihn doch Willkommen!“
Gerade wollte er sich dem Schiff zuwenden, was nun kaum mehr fünfzig Meter entfernt war, als plötzlich eine Gestalt an Deck stand, die noch vor wenigen Sekunden nicht dort gewesen war. Alle drei zuckten zusammen, taten jedoch auf mehr oder weniger elegante Weise so, als wäre nichts geschehen. Barbossa fing sich als erster wieder, während Jack und Gibbs noch versuchten, das gerade Gesehene zu verarbeiten. Mit seinem üblichen schrägen Gesichtsausdruck nickte er der Gestalt zu und verneigte sich spöttisch, als er sagte: „Willkommen an Bord der Queen Anne’s Revenge, Captain Turner.“