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Kapitel 24

 

~ Simply the Rest

 

Der Tag mit Katarinas Verlobten war bei Weitem nicht so schlimm, wie Vittoria befürchtet hatte, als ihre Schwester sie darum gebeten hatte, mit ihm einen Anzug zu kaufen, der zum Hochzeitskleid passen würde. Natürlich hatte Vittoria das Kleid als Trauzeugin schon gesehen und wusste genau, dass zu einem elfenbeinfarben Rock mit roter Korsage kein dunkelblauer Anzug getragen werden durfte. Auch wenn sie sonst von Mode nicht besonders viel verstand. Einen Sinn für Farben hatte sie alle male.

 

Und ganz uneigennützig hatte sie auch nicht zugesagt, denn bisher hatte sie es noch nicht geschafft, sich ein neues Handy zu besorgen. Da kam ihr der kleine Shopping-Tripp ganz recht. Und da Eric Arzt war und auf sein Handy mittlerweile so sehr angewiesen war wie ein Komapatient auf seine Beatmungsmaschine, verstand er einiges von der Technik. Sie besuchten zwei Shops, danach hatte er einen guten Tarif für sie ausgehandelt und sie war stolze Besitzerin eines neuen Mobiltelefons.

 

Nun saßen sie gemeinsam auf einer Bank im Hyde Park, hatten jeweils ein Sandwich von Pret-a-manger auf dem Schoß und redeten über ihre Einkäufe. Das Wetter war für englische Verhältnisse ausgesprochen mild und die Sonne sogar recht warm. So war es auch kein Wunder, dass der Park um diese Uhrzeit bereits ziemlich voll war. Sie hatten sich gerade so einen Sitzplatz erkämpfen können. Denn sobald jeder seine Einkäufe auf der nahe gelegenen Oxford Street erledigt hatte, kamen viele Leute hierher, um noch ein wenig auszuspannen.

 

„Bist du zufrieden mit deinem Anzug?“, fragte Vittoria, während sie genüsslich ihr Sandwich mampfte. Eric nickte. Auch er hatte den Mund voll. „Tut echt gut, so ein Tag völlig ohne Stress“, sagte sie weiter. Sie hatte bei Jim eine kleine Auszeit beantragt, um sich darüber klar zu werden, was sie wollte, und hatte ihm gleichzeitig klar gemacht, dass sie für neue Projekte nicht zur Verfügung stand. Also war sie gewissermaßen arbeitslos und es gefiel ihr.

 

Als Eric den Bissen herunter geschluckt hatte, nickte er erneut. „Ich bin auch positiv überrascht, dass wir uns so gut verstehen. Katarina hat mir schon Horrorgeschichten über dich erzählt, dass ich dachte, ich würde mit Chuckys Braut einkaufen gehen. Aber zum Glück hat sich das ja als ziemlich unbegründet herausgestellt.“ Den letzten Satz fügte er mit einem breiten Lächeln hinzu, als er ihr entsetztes Gesicht sah. „Ich bring sie um“, zischte Vittoria und bearbeitete den Salat etwas heftiger, als beabsichtigt.

 

Eric winkte ab. „Schon gut, ich denke, sie hat es nicht so gemeint. Ihr habt doch ein ziemlich inniges Verhältnis zueinander, oder?“

 

Sie schnaubte. Noch allzu gut erinnerte sie sich an den Tag, an dem sie eigentlich mit ihrer Familie hatte brechen wollen, stattdessen aber ungewohnte Gefühle in ihnen wachgerufen hatte. Natürlich waren ihre Großeltern nicht ganz unschuldig daran, aber es hatte sie trotzdem mehr als nur erstaunt. Seit dem hatten sie und Katarina schon so etwas wie eine schwesterliche Beziehung. Doch so ganz konnte sie die Vergangenheit immer noch nicht ausblenden. Wahrscheinlich würde sie das auch nie können. Aber sie zur Trauzeugin zu machen hatte einiges, was in den letzten Jahren falsch gelaufen war, wieder gut gemacht. „Die Geschichte erspar ich dir lieber“, sagte sie stattdessen.

 

Auf dem Rückweg zum Auto kamen sie wieder ein Stück über die Oxford Street und Vittoria hatte eine Art Déjà-vu-Erlebnis. Unergründlicherweise kam ihr plötzlich das Gesicht von Ben in den Sinn und sie sah sich um, ob sie jemanden sehen konnte, der ihm ähnlich war oder zumindest sein Parfum trug. Doch nichts dergleichen. Verwirrt schüttelte sie den Kopf. „Alles okay?“, fragte Eric und drehte sich zu ihr um, denn er hatte bemerkt, dass sie stehen geblieben war. „Ja“, sagte sie stockend, „ich dachte nur, ich hätte jemanden gesehen.“

 

Als sie wieder zu ihm aufgeschlossen hatte, legte er den Arm um ihre Schultern und sah sie neugierig von der Seite an. „Wie kommt es eigentlich, dass du noch keinen Kerl an der Angel hast?“, fragte er. Sie knuffte ihn in die Seite. „Sei doch nicht so verdammt neugierig. Vielleicht bin ich ja auch lesbisch.“

 

„Bist du nicht!“, rief er aus. „So eine heiße Frau wie du ist niemals lesbisch.“

 

Sie lachte schallend auf. „Lass das bloß nicht meine Schwester hören. Sonst lässt sie dich vor dem Altar doch glatt stehen.“ Finster blickte er sie an. „Das würde sie nicht wagen.“ Doch sie zuckte nur unverbindlich mit den Schultern und schwenkte ihre Tüte hin und her. Sie konnte es kaum erwarten, ihr neues Smartphone auszuprobieren, obwohl sie eigentlich keine Ahnung von Technik hatte. Vielleicht konnte ihr Meg ein bisschen helfen. Wenn sie nicht zu sehr damit beschäftigt war, Zeit mit Thomas zu verbringen.

 

Als sie an das glückliche Pärchen dachte, verfinsterte sich für einen Moment ihr Gesicht. Doch dann fasste sie sich wieder. Es gab überhaupt keinen Grund, eifersüchtig zu sein. Sie wollte weder noch was von Thomas, noch wollte sie Meg ihr Glück verwehren. Wenn er der Richtige für sie war, würde sie ihr alles Glück der Welt wünschen.

 

Zu Hause setzte sie sich mit einem Eistee raus in den Garten und studierte aufmerksam die Gebrauchsanweisung. Jemand, der dickere Finger hatte, wäre sicher damit schwer zurecht gekommen. Doch zum Glück waren ihre Hände ziemlich zierlich. Sie musste nicht befürchten, dass, wenn sie einmal heiraten würde, den größeren Ring auf dem Kissen würde tragen müssen.

 

Die Hochzeit war schon in einer Woche und eigentlich hatte sie gar keine Lust einen auf Fröhlich zu machen. Alleine auf einer Hochzeit aufzutauchen war ein Garant dafür, als alte Jungfer bezeichnet zu werden. Und wenn sie Pech hatte, würde noch irgendwer auf die Idee kommen, sie mit dem Sohn von irgendwem verkuppeln zu wollen. Sie hätte viel lieber jemanden mitgenommen, aber wen sollte sie schon fragen? Der einzige, der ihr einfiel, war Andrew. Oder vielleicht noch Will. Doch sie würde sich eher selber einzeln die Haare auszupfen, als einen von ihnen zu fragen.

 

Konnte sie wohlmöglich Ben fragen? Doch den Gedanken verwarf sie sofort wieder. Nachdem sie ihn auf der Party nach der Premiere so stehen gelassen hatte, hatten sie nicht mehr miteinander gesprochen. Sie vermied es, über ihn zu sprechen, geschweige denn über ihn nachzudenken. Sie wollte sich lieber nicht ausmalen, was passiert wäre, wenn sie den Kuss erlaubt hätte. Eigentlich war er auch gar nicht ihr Typ, doch er hatte irgendwas an sich, was sie anzog.

 

Schnell stopfte sie diese unliebsamen Gedanken zurück in die Aktenschublade in ihrem Kopf, wo sie hingehörten, und widmete sich wieder ihrem neuen Handy. Sie dachte daran, dass sie nicht mal die Nummer von Anna hatte, denn seit sie in Neuseeland ihr altes Handy in den Wald geworfen hatte, hatte sie es eigentlich genossen, nicht ständig erreichbar zu sein.

 

Endlich schien das Handy zu machen, was sie von ihm wollte, und sie gab auch gleich alle Nummern ein, die sie noch irgendwo aufgeschrieben hatte. Danach schickte sie eine Rundmail an alle Bekannten und Freunde, dass sie nun eine neue Nummer hatte und ihrerseits um alle möglichen Kontaktdaten bat. Nachdem sie das erledigt hatte, blieb sie noch eine Weile unschlüssig vor ihrem Laptop sitzen und starrte auf den Bildschirm. Wie sollte sie es eigentlich aushalten, ganz ohne das Schreiben auszukommen, bis sie wusste, was sie wollte?

 

Und wie von selbst legten sich ihre Finger auf die Tastatur und sie begann zu tippen. Aus einem etwas holprigen Anfang wurde bald eine Seite, der in kurzer Zeit die nächste folgte, bis das Dokument etwas über zehntausend Wörter zählte und sie selber erstaunt darüber war, was sich in ihrem Kopf doch alles verborgen hielt.

 

Das, was sie geschrieben hatte, hatte große Ähnlichkeit mit einem Fantasy-Streifen, den sie mal gesehen hatte, indem es um eine zerstörte Welt ging, die erneut aufgebaut und in welcher Ordnung geschaffen werden musste. Es klang nach einem ziemlich billigen Abklatscht von Tolkiens Meisterwerk, doch irgendwie gefiel es ihr, ein bisschen zu spinnen. Schnell hatte sich aus dem Anfang ein Mittelteil entwickelt und sie überlegte, wie wohl der tatsächliche Anfang aussehen und wie das Ende sein konnte.

 

Als es langsam dunkel wurde, erwachte sie aus ihrer Schreibwut und blickte sich verwirrt um. Draußen stand schon der Mond am Himmel und die Uhr zeigte halb elf abends. Hatte sie so lange geschrieben?

 

Langsam erhob sie sich und streckte den Rücken durch. Sie hatte ganz vergessen, wie viel Spaß es machte, einfach das zu tun, worauf sie Lust hatte, ohne sich an die Angaben eines Regisseurs oder Produzenten zu halten. Wie lange war es eigentlich her, dass sie so etwas getan hatte? Viel zu lange, stellte sie fest.

 

Und was ihr außerdem auffiel, als sie es sich mit einer heißen Tasse Tee erneut vor ihrem Schreibtisch gemütlich machte, war, dass sie so eigentlich viel lieber arbeiten wollte. Das letzte Drehbuch, was sie geschrieben hatte, hatte sie nicht eine Sekunde glücklich gemacht. Und bisher war es immer so gewesen, dass sie zumindest mit sich zufrieden war. Doch dieses Mal war anders gewesen. Die Tatsache, dass sie und Jim völlig verschiedene Ansichten von ihrer Arbeit hatten, hatte ihr einen Stoß versetzt und sie etwas erkennen lassen, was sie vielleicht schon viel früher gewusst hatte, sich aber nicht eingestehen wollte.

 

Aufgewühlt ging sie wenig später zu Bett, konnte aber fast kein Auge zu machen. So war sie auch schon um sechs Uhr wieder auf den Beinen. Doch jetzt konnte sie noch nicht bei Jim anrufen. Er war vermutlich noch nicht mal wach. Also schmiss sie sich in ihr Joggingoutfit und lief erst einmal eine Runde. Als sie zurück kam, roch das Haus bereits nach Kaffee. „Guten Morgen, Chiyo“, flötete sie gut gelaunt, als sie in die Küche kam, und ihre Haushälterin hätte beinahe ihre Lieblingstasse fallen gelassen.

 

„Miss Marconi!“, rief sie erstaunt aus. „Was machen Sie denn schon hier? Ich dachte, Sie schlafen noch!“ Mit einem breiten Grinsen im Gesicht griff Vittoria sich die volle Tasse und trank genüsslich einen Schluck. „Heute nicht, Chiyo! Heute werde ich nämlich kündigen!“ „Sie werden was?“

 

Vittoria wischte ihre Vorurteile mit einer Handbewegung bei Seite. „Mach dir keine Sorgen. Ich hab mir das die halbe Nacht lang durch den Kopf gehen lassen. Es wird das Beste so sein. Ich bin nicht mehr glücklich mit dem, was ich mache. Deswegen muss eine Veränderung her. Guck bitte nicht so! Ich weiß, was ich tue. Und jetzt gehe ich erst mal duschen und danach hätte ich gerne eine riesen Portion French Toast!“ Sie fuhr sich genüsslich mit der Zunge über die Lippen, während Chiyo nur den Kopf schütteln konnte. Seit wann war ihre Arbeitgeberin denn so glücklich? Das letzte Mal, dass sie sie so gesehen hatte, war in der Anfangszeit gewesen, wo ihr Leben ihr noch als die Erfüllung erschien. Doch das war nichts im Vergleich zu jetzt.

 

Ihre Verwirrung nahm sogar noch zu, als sie Vittoria wenig später lauthals unter der Dusche singen hören. Sie wusste, dass sie das ab und zu tat. Aber nur dann, wenn sie glaubte, dass niemand im Haus war. Heute schien sie jedoch gar nichts zu stören. Also gestattete Chiyo sich auch, als Vittoria mit einem Bademantel und einem Turban auf dem Kopf kurz darauf am Tisch saß und hungrig das Frühstück verschlang, um eine Gehaltserhöhung zu bitten.

 

Ohne mit der Wimper zu zucken sagte Vittoria Ja. „Du guckst ja schon wieder so“, lachte sie. „Hör mal, ich hab heute so gute Laune, ich würde dir wahrscheinlich alles versprechen. Also nimm es als Gott gegeben und freu dich!“

 

„Sind Sie sich ganz sicher, Miss?“ Die Japanerin beugte sich zu ihrer Chefin runter und versuchte in ihren Pupillen vielleicht ein Anzeichen von Drogen zu finden, doch sie glänzten wie die eines Welpen beim Anblick eines Spielballs. „Also, wenn du noch mal nachfragst, überleg ich es mir vielleicht noch mal anders.“

 

Chiyo hob abwehrend die Hände und ging ins Wohnzimmer, um dort zu wischen. Vittoria lächelte zufrieden. Kurz überlegte sie, ihre Schwester anzurufen und sie zu fragen, ob sie noch Hilfe bei den Vorbereitungen für die Hochzeit benötigte. Doch dann fiel ihr ein, dass Eric eine professionelle Wedding Planerin beauftragt hatte. Da würde sie wohl eher nur im Weg rumstehen, als zu helfen. Thomas und Meg schliefen wahrscheinlich noch, doch dann kam ihr die rettende Idee.

 

Schnell griff sie zum Telefon, den Mund noch halbvoll mit dem köstlichen Weißbrot, und wählte die Nummer der Hardings. Sofort nach dem zweiten Klingeln hob der Captain ab. „Guten Morgen, Sir“, sagte Vittoria brav und verkniff sich kurz das Kichern. Sie hatte jedes Mal, wenn sie bei den Hardings zu Besuch war, der Versuchung widerstehen müssen, vor Megs Vater zu salutieren. „Hier ist Vittoria Marconi. Ist Lelex zu Hause?“

 

„Natürlich, Kind“, sagte er, „einen Moment bitte.“ Er legte eine Hand auf die Sprechmuschel und brüllte den Namen seines Sohnes. Gefühlte zwei Augenblicke später meldete er sich auch schon. „Vic? Alles okay? Was ist denn los?“

 

„Nichts ist los“, sagte sie gut gelaunt. „Kann ich nicht mal den Bruder meiner besten Freundin anrufen, ohne dass gleich ein Unglück passiert sein muss?“

 

Sie konnte hören, wie er schmunzelte. „Nein“, sagte er, „kannst du nicht. Also?“

 

Vittoria seufzte theatralisch. „Okay, du hast mich erwischt. Hast du nächsten Samstag schon etwas vor?“ Während er offenbar überlegen musste, hielt sie ihre Finger hinter dem Rücken gekreuzt. Bitte hab nichts vor, betete sie in Gedanken und wurde erhört. „Nein, ich glaube nicht.“

 

Bevor er noch etwas sagen konnte, jubelte sie ihm auch schon so laut ins Ohr, dass er den Hörer ein wenig von seinem Gesicht weghalten musste. „Warte, warte“, versuchte er ihren Ausbruch zu bändigen. „Erzähl mir doch lieber erst mal, was du mit mir vorhast. Sonst hab ich vielleicht doch noch etwas sehr Wichtiges zu erledigen.“

 

„Nein, mein Lieber! Aus der Nummer kommst du nicht mehr raus. Du musst mich zur Hochzeit meiner Schwester begleiten.“ Am anderen Ende herrschte Stille und sie fürchtete schon, er würde einfach auflegen. Doch dann hörte sie, wie er stöhnte. Die Fingerknöchel traten bereits weiß hervor, so fest hielt sie sie immer noch gekreuzt. Er musste einfach Ja sagen! Wenn sie da alleine auftauchte, würde sie vermutlich sterben.

 

Lelex fuhr sich mit der freien Hand durch seine Haare. Angestrengt dachte er darüber nach, was Vittorias Anruf wohl zu bedeuten hatte. Er hatte sie schon immer ziemlich gerne gehabt. Aber eher wie eine kleine Schwester und nicht wie eine Freundin. Natürlich war sie sehr attraktiv und unter anderen Umständen hätte sie ihm vielleicht sogar gefallen, aber sie war immer noch die beste Freundin seiner Schwester. Wenn er jetzt zusagen würde, würde das vermutlich ziemlichen Diskussionsbedarf beim nächsten Familientreffen geben und darauf konnte er verzichten. Trotzdem wollte er sie nicht enttäuschen.

 

Vittoria hatte nun lange genug gewartet. Da seine Antwort immer noch ausblieb, sagte sie: „Ich frage dich als Freundin, nicht weil ich ein Date brauche. Natürlich brauche ich auch ein Date, aber hast du eigentlich eine Ahnung, wie beschissen es ist, auf einer Hochzeit alleine aufzutauchen? Bitte, Lex, du musst mir da raushelfen. Es wird keine unnötigen Gefühle geben, nur zwei Freunde, die sich betrinken, tanzen und einfach Spaß haben werden. Okay?“

 

Erleichtert atmete er aus und sie wusste, dass sie gewonnen hatte. „Ich hatte gehofft, dass du das sagen würdest“, sagte er und wieder konnte sie das verschmitzte Grinsen aus seiner Stimme heraushören. „Unter diesen Umständen begleite ich dich natürlich gerne! Muss ich im Smoking kommen?“

 

„Ich danke dir!“, sagte sie, ehrlich erleichtert. „Einen Smoking wirst du aber nicht brauchen. Ein einfacher Anzug reicht. Ich werde ein weinrotes Cocktailkleid mit einem cremefarbenen breiten Gürtel tragen. Also keinen blauen Anzug, kein blaues, orangenes, gelbes, rosanes oder gar pinkes Hemd! Und, um Himmels Willen, keine Tennissocken!“

 

Er musste laut auflachen. Wenn er jemals mit weißen Socken zu einem Anzug aus dem Haus gegangen wäre, hätte sein penibler Vater ihn vermutlich enterbt. „Na, da mach dir mal keine Sorgen. Mein alter Herr wird schon dafür sorgen, dass ich gut gekleidet bin. Allerdings ist das bei meinem Gesicht überhaupt nicht mehr nötig. Ich kann alles tragen!“ Vittoria gab ein würgendes Geräusch von sich. „Mach mal das Fenster auf“, sagte sie, „das stinkt ja zum Himmel!“

 

Eine Weile redeten sie noch über belanglose Dinge, dann gab sie ihm die Uhrzeit vor, wann er sie abzuholen hatte, dann legte sie erleichtert auf. Sie hatte sich eine Zeit lang halbwegs erfolgreich vormachen können, dass es vermutlich gar nicht so schlimm gewesen wäre, alleine dort aufzutauchen. Doch jetzt, wo Lelex zugesagt hatte, war sie froh, dass sie sich nicht mehr selber belügen musste. Und sie war froh, dass sie ihrer Familie mit einem Mann am Arm entgegen treten konnte. Auch wenn sie nicht zusammen waren. Solange nach außen hin der Schein gewahrt war, musste sie sich keine Sorgen machen. Jedenfalls würde keiner unangenehme Fragen stellen.

 

Doch jetzt, da sie sich eine Begleitung ergattert hatte, musste sie wohl oder übel in der Agentur anrufen. Mittlerweile waren es auch schon zehn Uhr, also konnte sie ohne schlechtes Gewissen die Nummer wählen. Der Nachteil war natürlich, dass Jim direkt nach dem ersten Klingeln abhob. „Hey Jim, hier ist Vic“, sagte sie mit zusammen gebissenen Zähnen.

 

„Gut, dass du anrufst!“, sagte er und klang erleichtert. „Grade hat Adamson angerufen, du weißt schon, der Regisseur von dem Narnia-Ding. Er möchte dich für den dritten Teil als Autorin verpflichten. Ich hab ihm schon zugesagt. Du musst ihn nur noch anrufen.“ Bevor er weiter reden konnte, stieß sie einen spitzen Laut aus und brachte ihn damit zum Schweigen. „Du hast was?“ Ihre Stimme schraubte sich schrill in die Höhe.

 

Irritiert blickte Jim seinen Telefonhörer an, als könnte dieser ihm sagen, warum sie auf einmal so ausflippte. „Ja natürlich. Was hast du denn gedacht? Wolltest du es ihm selber sagen? Kein Problem. Du hast doch noch seine Nummer, oder? Du musst auch dieses Mal gar nicht viel tun. Du sollst nur das Drehbuch schreiben und ihm ein bisschen assistieren. Die Dreharbeiten finden wahrscheinlich in Australien statt, aber das wird ja für dich kein Problem sein. Ist ja sogar ein Stück näher als Neuseeland.“

 

„Jim!“, rief sie dazwischen. „Halt doch Mal die Luft an. Ich habe nicht angerufen, weil ich wieder arbeiten möchte. Ich rufe an, weil ich kündigen will.“ Jetzt, da es gesagt war, kam es ihr gar nicht mehr so schrecklich vor, wie noch ein paar Minuten zuvor. Doch sein Wortschwall und die Selbstverständlichkeit, mit der er sie an irgendwen verkaufte, machte sie in diesem Moment so unglaublich wütend, dass es einfach so aus ihr herausgepurzelt war.

 

Das Schweigen am anderen Ende ließ ihr jedoch wieder das Herz in die Hose rutschen. Würde er das einfach so akzeptieren oder würde er einen Aufstand machen?

 

Nach einer Weile räusperte er sich. „Sag das noch mal“, sagte er leise. Sie schluckte schwer. „Hör zu, Jim, ich weiß, dass das jetzt sehr überraschend kommt, aber es ist wirklich das Beste so. Meine Arbeiten sind der größte Mist und ich bin überhaupt nicht mehr glücklich damit, was ich fabriziere. Das fordert mich alles nicht mehr und ich möchte etwas Neues ausprobieren. Ich möchte eigene Ideen zu Papier bringen und nicht das machen, was man mir sagt. Verstehst du das?“

 

„Ehrlich gesagt Ja.“ Nun war es an ihr, das Telefon anzustarren. „Glücklich bin ich nicht darüber, das kann ich wirklich nicht sagen. Aber ich muss deine Entscheidung akzeptieren. Ich erwarte deine schriftliche Kündigung innerhalb einer Woche auf meinem Tisch. Falls du noch was hier gelassen haben sollst, kannst du es dir gerne noch abholen. Und wenn du dich doch noch anders entscheidest und zurück kommen willst, glaub mir, hier wird immer ein Platz für dich frei sein.“

 

„Ich danke dir, Jim! Du glaubst gar nicht, wie froh ich bin, das losgeworden zu sein.“ Sie wollte noch allerhand anderer Loblieder auf ihn loslassen, doch er unterbrach sie rüde. „Schon gut“, knurrte er. „Und jetzt leg auf, bevor ich es mir noch anders überlege.“ Sie bedanke sich noch ein letztes Mal, versprach, den Brief persönlich vorbei zu bringen und legte mit einem langgezogenen Seufzer auf. Danach glotzte sie noch eine Weile auf das Telefon, vielleicht weil sie dachte, dass er noch mal anrufen würde, doch als alles still blieb, atmete sie durch und begann damit, ihre Kündigung zu verfassen.

 

Als sie den Brief eintütete, dachte sie daran, was sich in den letzten Wochen alles verändert hatte. Es hatten sich Dinge ergeben, die sie nie für möglich gehalten hätte, in positiver wie auch negativer Weise. Würde so der Rest ihres Lebens aussehen? Ein inniges Verhältnis zu ihrer Familie und ein Leben als freie Autorin? Vorstellen konnte sie es sich auf jeden Fall. Doch irgendwie hatte sie das Gefühl, dass das noch nicht alles war. Was jedoch konnte ihr zu ihrem Glück noch fehlen? Doch so sehr sie sich auch anstrengte, auf das Naheliegenste kam sie nicht.

© by LilórienSilme 2015

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