LilórienSilme
~ Fanfiction-Autorin ~
Kapitel 24
~ Düstere Prophezeiung
Die Tage nach meiner Genesung verbrachte ich hauptsächlich im Haus. Es war mir nun nicht mehr möglich, so viel Zeit im Freien zu verbringen, da bereits seit dem gemeinsamen Abend mit meinen Liebsten vor zwei Tagen der Himmel dunkel über uns war. Es waren nur graue dünne Wolken, doch sie brachten kühlen Wind und sogar ein paar Regentropfen mit sich, die mich an den Herbst erinnerten.
So etwas hatte es hier schon sehr lange nicht mehr gegeben. Wenn es regnete, dann tat es das meist nur nachts, wenn wir schliefen. Morgens wirkte die Luft dann gereinigt und frisch. Doch dies hier waren keine gewöhnlichen Regenwolken mehr. Dies sah aus wie ein Sturm, der noch dabei war, sich zu bilden.
„Was bedrückt dich, meleth-nîn?“ Legolas war hinter mich getreten. Ich hatte Silme in ihre Wiege gelegt und war ans Fenster getreten. Ich hatte mir meinen Mantel über die Schultern gelegt, denn es fröstelte mich.
Ich seufzte tief und lehnte mich an ihn. Seine Hände fanden wie von selbst ihren Weg um meine Taille und ruhten schließlich auf meinem nun wieder flacheren Bauch. Ganz hatte ich meine alte Form noch nicht wieder, doch sie würde kommen. Dessen war ich mir sicher. „Das Wetter beunruhigt mich, Legolas. Ich kann mich nicht erinnern, dass wir hier jemals einen solchen Sturm hatten“, sagte ich und drückte mich noch ein wenig enger an ihn. Sein Körper strahlte eine Wärme aus, dass es mir eine wohlige Gänsehaut bereitete.
Er küsste mich auf den Scheitel meines Haares. „Hättest du noch die Voraussicht, könntest du vermutlich sagen, ob uns etwas bevorsteht.“ Ich drehte mich zu ihm um, sah ihm in die Augen. „Ich habe diese Gabe für mein Leben gegeben“, flüsterte ich. „Und ich würde es auch nicht anders wollen. Nicht einmal ein halbes Leben ist es wert, in die Zukunft sehen zu können. Dafür habe ich nämlich dich und unsere wundervollen Kinder erhalten.“
Sein Lächeln brachte mich noch immer zum Erröten, wenn er seinen rechten Mundwinkel ein wenig nach oben zog und mich mit diesem Blick ansah, der mich jedes Mal schwach werden ließ. „Und auch ich bin froh, dass es so gekommen ist. Wenn ich mir vorstelle, dass wir beide am jeweils anderen Ende der Welt unser Dasein gefristet hätten - einsam und allein, ohne den anderen. Dann wird mein Herz ganz schwer und ich danke Manwe und Varda nur noch mehr dafür, dass sie uns zueinander geführt haben.“
Langsam und leidenschaftlich senkte er seine Lippen auf meine und zog mich in eine feste Umarmung. Er streichelte über meinen Rücken und ließ mich spüren, wie sehr er mich liebte. Und auch ich liebte ihn, mehr als mein Leben. Und doch gab es etwas, was mir noch mehr bedeutete, als unsere Zuneigung zueinander.
Unten in der Stube saßen meine beiden älteren Töchter mit Sahîrim zusammen. Er hatte im Kamin ein Feuer entzündet, was für die Mittagsstunde ganz ungewöhnlich war. Doch die Wolken ließen nur noch wenig Sonne bis zu uns durchdringen, sodass es nicht mehr richtig warm wurde. Sogar die Blätter an den Bäumen begannen sich bereits zu verfärben.
„Glaubst du, dass lasbelin kommen wird?“, fragte Mîram ihre Schwester. Sie hatte sich eines ihrer Kleider zum Flicken aus der Truhe genommen und sich mit Nadel und Faden bewaffnet. Doch ihr Blick war immer wieder aus dem Fenster geglitten und hatte das Wetter draußen beobachtet, sodass sie noch keinen einzigen Stich gesetzt hatte.
Nefertirî sah von ihrer Stickarbeit auf. Sie hatte sich vorgenommen, ein besonders schönes Kissen für ihre neue Schwester zu machen. „Es sieht ganz danach aus“, sagte sie und sah ebenfalls aus dem Fenster. „So etwas habe ich noch nie erlebt. Hast du schon einmal ein Unwetter erlebt, Sahîrim?“
Er blickte sie nicht an. Auch sah er nicht aus dem Fenster. Seine Augen blieben an seiner Arbeit hängen. Was es werden sollte, hatte er noch niemandem verraten. Doch es sah verdächtig nach einem Spielzeug aus, was man einem Kleinkind geben würde. „Nein“, sagte er nur und schnitzte weiter an dem dunklen Holz.
Meine beiden Mädchen sahen sich kurz an, dann zuckten sie beinahe gleichzeitig mit den Schultern. Das brachte sie dazu, sich gegenseitig frech anzugrinsen. Wenn sie viel Zeit miteinander verbrachten, konnte es öfter vorkommen, dass sie Dinge zur selben Zeit taten oder sagten. Sie hatten ein starke Verbindung zueinander und liebten sich, wie nur Schwestern sich lieben konnten. Und das machte mich sehr glücklich.
Plötzlich wurde die Türe aufgerissen und Gimli betrat die Stube. In seinem Bart und auf seinem Mantel glitzerten Wassertropfen. Er schlug die Kapuze von seinem Kopf und schüttelte sich einmal kräftig. Dabei sagte er: „Dieses Wetter setzt meinen alten Knochen gehörig zu. Nefertirî, sei so gut und bereite dem alten Gimli einen warmen Tee zu. Dort draußen ist es viel zu kalt für jemanden wie mich. Wir Zwerge mögen die Wärme tief unter der Erde, wenn wir bei der Arbeit im Berg schwitzen und sich der Dreck auf unsere feuchte Haut legt. Doch diese kalte Nässe ist nichts für mich.“ Mit diesen Worten hängte er seinen Mantel über die Lehne eines Sessels am Kamin und ließ sich darin nieder.
Wir hatten ihn oben gehört und so kamen Legolas und ich gemeinsam nun die Treppe hinunter. Ich war noch ein wenig unsicher auf den Beinen, doch mein Gemahl stützte mich. „Gimli, alter Freund“, sagte Legolas fröhlich. Er ließ mich nur einen kurzen Moment los, doch es genügte bereits. Ein plötzlicher Schwindel erfasste mich und ließ mich in die Knie gehen.
Der Finger, an dem Caeya stets saß, kribbelte augenblicklich und es kam mir vor, als würde das Metall des Ringes warm werden. Der Stein glühte auf, warf dabei ein paar kleine Lichtreflexe an die Wand und blendete mich. Ich schloss die Augen, während ich versuchte, mich am Geländer der Treppe zu halten.
Aber als ich die Augen schloss, schien es, als hätte ich sie gar nicht geschlossen. Denn auf einmal war ich wieder in Ilmarin und vor mir stand Varda, meine Göttin. Mein Körper fühlte sich jung und kräftig an und die Zeichen, die die schwere Geburt meines letzten Kindes auf ihm hinterlassen hatten, schienen verschwunden. Sofort kniete ich vor ihr nieder.
Gemächlich schritt sie auf mich zu, blieb direkt vor mir stehen und hob meinen Kopf sachte an. Ich sah in ihre unendlichen Augen, die so blau waren, wie der Himmel. „Lilórien“, sagte sie und es jagte mir einen Schauer über den Rücken, wie sie meinen Namen aussprach. „Sell-nîn, es ist an der Zeit, dass wir noch einmal miteinander sprechen.“
Ich erhob mich. „Aber wie kann das sein?“, fragte ich. Nicht, dass ich es hätte ungeschehen machen wollen, doch es erstaunte mich doch sehr. „Sagtet Ihr nicht, dass es das letzte Mal gewesen sei, als wir vor so vielen Jahren miteinander gesprochen haben?“
„Es sind nun über vierzig Jahre vergangen, seit wir uns das letzte Mal sahen“, sagte sie und drehte sich um. Ihr Kleid raschelte über den Boden. Der Stein unter ihren Füßen war unversehrt. Ilmarin sah aus, als wäre keine Zeit vergangen seit der Herrschaft der Valar. „Und du hast viel bewirkt in dieser Zeit, sell-nîn. Der Glaube ist wieder neu entfacht worden in den Herzen der Elben. Er ist noch nicht zu einer Flamme geworden, aber es reicht, um durch deine Träume zu dir zu sprechen. Du musst wissen, dass wir sehr stolz auf dich sind.“ Sie drehte sich wieder zu mir um und lächelte mich warm an und mein Herz hüpfte vor Freude in meiner Brust.
„Und doch scheint es“, fuhr sie fort, „als würde nun ein großer Sturm aufziehen. Die Wolken über uns verdunkeln sich. Die Zeit zum Handeln ist gekommen.“
Ich hielt inne, ihr zu folgen. „Wie meint Ihr das?“
„Aman ist schon lange kein Kontinent mehr. Das Meer verschlingt das Land und hat alle Wege in die neue Welt gekappt. Ihr lebt nun auf einer Insel, der letzten Insel vor dem Äußeren Meer. Ilmarin und der Taniquetil verschwinden im Nebel, genauso wie die Strände und Küsten. Bald wird es selbst über dem Seeweg keine Möglichkeit mehr geben, diese Insel zu betreten. Außer von denen, die schon einmal hier waren und um das Geheimnis wissen. Es gibt nun nur noch euch, die Caradhrim und die Elben der Îfhrim.“
Sie kam auf mich zu, legte mir ihre Hände auf die Schultern und sah mich an. „Ihr müsst aufhören, euch zu bekämpfen“, sagte sie leise, dann küsste sich mich auf die Stirn und nahm mich in den Arm.
„Aber wir bekämpfen uns nicht“, protestierte ich. Sie ließ mich wieder los und blickte mich prüfend an. „Seit ich auf Aman bin, habe ich kein Schwert mehr in die Hand genommen, um einen Kampf zu führen.“
„Doch bald wirst du es müssen.“ Ihre Augen sahen sehr traurig aus. Und ich konnte es ihr nicht verdenken. In Mittelerde gab es kaum noch Elben. Und wenn, dann waren sie unweigerlich dem Tode geweiht. Ihre einzigen Kinder verweilten hier und wir waren in zwei Lager gespalten, die sich seit über fünfzig Jahren nicht friedlich hatten einigen können. Wir führten zwar keine Kriege gegeneinander, doch wir sprachen auch nicht miteinander. Wenn meine beiden Töchter so verfeindet wären, wäre ich vermutlich genauso traurig, wie Varda jetzt.
Sie wandte sich wieder von mir ab und trat an eines der Fenster. Ich stellte mich neben sie und konnte unter mir Valmar sehen. Über der Stadt, die wir erbaut hatten, hing der Glanz der alten Paläste und mir rollte eine einsame Träne die Wange hinunter, als ich daran dachte, was wir alles hätten erreichen können, wenn wir nur zusammengearbeitet hätten. Doch Delos hatte diesen Packt nicht gewollt. Er hatte sich dafür entschieden, uns den Rücken zuzukehren.
Als hätte sie meine Gedanken gelesen, sagte Varda: „Delos sammelt seine Kräfte. Er wird euch bald angreifen, wenn ihr es nicht verhindert. Der Sturm ist eine Warnung. Wenn er erst hereinbricht, wird Avalóna verloren sein.“
Ihre letzten Worte hallten tief in mir nach und alles verblasste plötzlich. Ich hatte nicht einmal die Zeit, mich von ihr zu verabschieden, da verging die Vision wieder, die mir so wirklich vorgekommen war. Meine Hand lag um das Geländer unserer Treppe und mein rechter Fuß hing über der nächsten Stufe in der Luft, als wäre ich mitten in der Bewegung erstarrt. Alle sahen mich an, dann eilte Legolas auf mich zu und fing mich auf, bevor ich fallen konnte.
„Liebste!“, rief er. „Geht es dir gut? Was hast du? Du siehst ganz blass aus.“ Er strich mir eine Haarsträhne aus dem Gesicht und führte mich zum nächstgelegenen Stuhl. Dort setzte er mich hin und ging vor mir in die Knie. „Ist alles in Ordnung?“
Ich brauche noch ein wenig, bis ich wieder in der Realität angekommen war. Die Vision hatte mich mitgenommen. Was wäre, wenn Varda Recht hatte? Wenn Delos wirklich zum Kampf rüstete und unsere Stadt angreifen würde? Wir müssten sie verteidigen, sonst würden Unschuldige den Tod finden.
„Sternchen, sei so gut und hole deiner Mutter etwas Wasser“, sagte Legolas zu unserer Tochter und Mîram eilte pflichtbewusst zum Brunnen. Im Laufen griff sie nach dem Henkel des Eimers neben der Türe und war verschwunden. Auf einmal herrschte Stille im Haus. Ich schaute mich um, sah in die besorgten Gesichter meiner Familie und schließlich blieben meine Augen auf Sahîrim ruhen.
Sein Gesicht kam mir so ungeheuer vertraut vor, doch ich konnte es einfach nicht zuordnen. Seine Augen waren so blau, wie der Mittagshimmel, und groß und rund wie zwei Murmeln. Er hatte eine gerade Stupsnase, ein kantiges Kinn und schmale Lippen. Wieso nur kam er mir so außerordentlich bekannt vor?
„Wer bist du?“, fragte ich ihn und hielt seinen Blick fest. Er versuchte, mir tapfer ins Gesicht zu blicken, doch es gelang ihm nicht. Er musste sich abwenden. „Das habe ich Euch bereits erklärt“, sagte er leise.
Nun schaltete sich Gimli ein. „Gar nichts hast du uns erklärt, Jungchen. Wir wissen rein gar nichts über dich. Findest du nicht, dass es höflich wäre, zumindest den Namen deiner Eltern zu nennen, damit wir sie informieren können, dass es dir gut geht?“
„Es interessiert sie nicht.“ Seine Stimme war noch leiser geworden. So leise, dass wir ihn selbst mit unseren guten Ohren beinahe nicht verstehen konnten. Und da begriff ich, was ihm solche Angst machte: er schämte sich für seine Herkunft. Deswegen hatte er es uns nicht erzählt. Seine Eltern waren eine Schande für ihn.
Auch meine Tochter musste das begriffen haben, denn sie stellte sich nun zwischen uns und ihn. „Hört auf, so in ihn zu dringen“, sagte sie. Ihr Blick zeigte die gleiche Entschlossenheit, wie ihr Vater sie manchmal zutage trug. „Ich finde, er hat uns mehr als einmal bewiesen, dass er ein gutes Herz hat. Er war für mich da, als ich um das Leben meiner Mutter und meiner ungeborenen Schwester fürchtete. Er verrichtet Arbeiten bei uns, ohne auch nur ein Wort des Unmutes zu sagen. Ich finde, er hat unser Vertrauen verdient.“
Sie drehte sich zu ihm um und wollte ihn bei der Hand nehmen, um ihm Mut zu machen. Doch er entzog sich ihr. Wütend drehte er sich zu ihr um und blickte ihr in die Augen. „Ich habe euer Vertrauen nicht verdient“, sagte er, dann stürmte er hinaus in den Wind.
Einen Moment lang blieb es still, dann lief meine Tochter ihm hinterher. Seufzend blickte ich ihr nach. Es war mir nicht ganz klar gewesen, da ich zu sehr mit meiner jüngsten Tochter beschäftigt war. Doch jetzt war es nicht mehr zu übersehen: meine Tochter hatte ihr Herz an diesen Elb verloren.
In den zwei Wochen, die er nun bei uns war, hatte sich Nefertirî in Sahîrim verliebt. Doch war es auch umgekehrt der Fall? Oder würde er meiner geliebten Tochter wohlmöglich ihr kleines, unschuldiges Herz brechen wollen? Ich konnte für ihn nur hoffen, dass er nichts dergleichen im Sinn hatte. Sonst würden ihn nicht einmal mehr die Götter schützen können.
Legolas‘ Berührung holte mich in die Gegenwart zurück. Ich sah ihn an und versuchte ein Lächeln. „Du kannst mich nicht täuschen, Lilórien“, sagte er. „Ich kenne dich. Sag mir, was du auf dem Herzen hast.“
Ergeben lehnte ich mich im Stuhl zurück. Er und Gimli waren die einzige, die noch hier waren. Ihnen konnte ich vertrauen. Immerhin hatte ich ihnen schon mehr als einmal mein Leben zu verdanken. Und sie mir ihres. Wenn es jemanden gab, dem ich alles erzählen konnte und der noch am Leben war, dann waren es meine alten Kampfgefährten.
Also erzählte ich ihnen von meiner Vision. Ich ließ nichts aus, wiederholte jedes Wort, welches Varda an mich gerichtet hatte, und berichtete von allem, was ich gesehen hatte. Als ich geendet hatte, sah jeder in eine anderen Richtung.
Schließlich ergriff Gimli das Wort. „Wenn es stimmt, was du sagst, dann müssen wir uns tatsächlich vorbereiten. Denn es steht uns ein Krieg bevor.“
„Ich sage es nicht gern“, führte Legolas weiter, „aber ich fürchte, dass Gimli Recht behält. Die Götter haben noch nie ohne Grund zu dir gesprochen, das weiß ich. Und du weißt es auch. Und wenn es dir noch so schwer fällt, es wieder zu tun, wirst du es doch tun müssen.“
Entschlossen schüttelte ich den Kopf. „Nein“, sagte ich. „Es muss einen anderen Weg geben. Ich habe nicht den Ringkrieg überlebt, einen Ozean überquert, um hier erneut dasselbe durchmachen zu müssen. Wenn es tatsächlich zu einem Kampf kommen sollte, werden nur Unschuldige darunter leiden. Und das lasse ich nicht zu.“
„Du wirst keine Wahl haben“, sagte Gimli. „Wenn er kämpfen will, dann wird er es tun.“
„Gimli hat Recht, meleth-nîn. Du wirst ihn nicht davon abhalten können, wenn er es wirklich will. Und so wie es aussieht, meint er es ernst, wenn sogar Varda zu dir spricht.“
Erneut schüttelte ich den Kopf. Das durfte alles nicht geschehen. Irgendetwas musste es für mich doch zu tun geben, womit ich dieses Chaos verhindern konnte. Ich wollte es in keinem Fall riskieren, dass einer meiner Töchter etwas geschah.
„Wenn du ihm nicht entgegen trittst“, sagte Legolas, legte eine Hand auf meinen Arm und sah mir in die Augen, „wird er uns garantiert vernichten. Und alle, die wir lieben.“ Ich versuchte, die Tränen zurück zu halten, die in mir hochstiegen. Doch es gelang mir nicht. Ich wusste, dass sie Recht hatten. Aber etwas an mir wehrte sich entschieden dagegen.
Legolas setzte sich auf den Stuhl neben mir und zog mich auf seinen Schoß. Er nahm meinen Kopf an seine Schulter, legte sein Kinn auf meinem Haar ab und schloss mich in eine feste Umarmung ein. Meine Tränen benetzten den Stoff seiner Tunika, doch es war ihm egal. Tröstend streichelte er mir über mein Haar. „Ich weiß, was du jetzt denkst“, sagte er leise. Doch selbst wenn er derjenige war, der mich beinahe besser kannte, als ich mich selbst, konnte er nicht wissen, was nun in mir vorging.
„Nein“, sagte ich, „wenn er kommt, werde ich mit ihm und den anderen reden. Es muss etwas geben, was sie zur Vernunft bringen kann. Delos kann dies alles nicht wollen. Und selbst wenn er es will, müssen die anderen doch sehen können, dass es Wahnsinn ist.“ Gimli schnaubte. Ich konnte mir vorstellen, was er dachte und meine Gedanken wurden durch seine Worte bestätigt. „Er wird nicht reden wollen“, sagte der Zwerg. „Sein Herz wird vom Hass verzehrt sein und seine Worte werden die, die ihm folgen, eingehüllt haben, bis sie glauben, dass es nur noch eine Wahrheit gibt. Diplomatie ist hier nicht der richtige Weg.“
„Wie kannst du das wissen?“, rief ich aus. „Vielleicht will er gar nicht kämpfen. Wohlmöglich ist sein Herz nur von Trauer zerfressen, weil er das Liebste verloren hat, was er besaß. Niemand versteht das besser als ich.“ Den letzten Satz hatte ich nur noch geflüstert, doch Legolas hatte meine Worte genau vernommen. Ich konnte es an seiner Umarmung spüren, die augenblicklich fester wurde.
Er drückte mich enger an sich, küsste mich auf Schläfe und Stirn. „Gut“, sagte er schließlich, „dann verhandle mit ihnen. Doch ich werde nicht zulassen, dass dir etwas geschieht. Bei dem geringsten Anzeichen für einen Hinterhalt oder einen offenen Angriff, werde ich eingreifen und denjenigen töten, bevor er den ersten Schlag ausführt.“
Ich wollte schreien, wollte meine Wut an etwas auslassen, wollte mich nicht mehr hilflos fühlen. Doch das einzige, was ich hätte tun können, war, Delos‘ Herausforderung anzunehmen, die mir die Götter übermittelt hatten. Wie sonst hätte ich verhindern können, dass er meinen Kindern, meiner Familie und meinen Freunden etwas tat? Ich würde ihm entgegen treten, erst mit Worten und, wenn es sich nicht vermeiden ließe, anschließend mit dem Schwert. Und wenn ich sein Herz nicht erreichen konnte, dann vielleicht die Herzen derer, die ihm folgten. Dabei konnte ich nur hoffen, dass seine Worte ihren Verstand nicht mit Lügen verdorben hatte. Wenigstens sie müsste ich überzeugen können, dass ein Krieg sinnlos war.
Unter Tränen nickte ich. Ich wusste, dass sie beide Recht hatten. Selbst wenn es nun beinahe zwei Jahrhunderte her war, dass es geschehen war, so würden sich meine Hände doch daran erinnern, was sie zu tun hatten, wenn alles Verhandlungsgeschick versagen sollte. Nach so vielen Jahren würde es noch ein letztes Mal geschehen, um die zu verteidigen, die sich nicht verteidigen konnten. Hoffentlich zum letzten Mal würde ich in einen Krieg ziehen. Und hoffentlich zum letzten Mal würden meine Hände den Griff eines Schwertes halten.
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Übersetzungen:
meleth-nîn=meine Liebe
lasbelin=Herbst
sell-nîn=meine Tochter
Îfhrim=Klippenvolk
Avalóna (Quenya)=Äußere Insel, neuer Name für Aman, das nun kein Kontinent mehr ist, sondern nur noch eine Insel im Äußeren Meer, umgeben von Nebel (eigentlich die Bezeichnung für die Insel Tol Eressea)