LilórienSilme
~ Fanfiction-Autorin ~
Kapitel 23
~ Die Grauen Anfurten
Und so geschah es, dass das Vierte Zeitalter in Mittelerde anbrach. Und die Gemeinschaft des Ringes, obgleich ewig verbunden in Liebe und Freundschaft, löste sich auf. Arwen und Aragorn regierten nun in Minas Tirith als König und Königin von Gondor. Legolas und Gimli traten ihre eigene Reise an. Die Hobbits schließlich konnten nun endlich in ihr geliebtes Auenland zurückkehren, was sie vor genau dreizehn Monaten hatten verlassen müssen.
Und ich kehrte mit Elrond, Elladan und Elrohir nach Lórien zurück.
Als wir die Grenzen passierten, wurden Erinnerungen in mir wach, wie ich sie das letzte Mal überschritten hatte. Es war vor nicht allzu langer Zeit gewesen, und doch kam es mir wie ein ganzes Leben vor, das seitdem vergangen sein musste. Alles hatte sich geändert; nichts war mehr so wie vorher. Und doch machte sich ein vertrautes Gefühl von Heimat in mir breit, als ich auf einer Anhöhe stand und auf Caras Galadhon hinabblickte.
Feierlich ritten wir in die Stadt der Bäume ein und sogleich wurden wir von ein paar Elben empfangen, die uns erkannten. Es gab viele Glückwünsche für uns, denn auch hier hatte man vernommen, dass der Krieg nun vorüber war.
Dann endlich konnte ich mich losmachen. Ich betrat den Thronsaal und sah meine Eltern an der Stirnseite stehen. Froh, sie endlich wiederzusehen, rannte ich auf sie zu und warf mich in die Arme meiner Mutter. Tränen der Freude rannen uns allen über die Wangen. Auch sie waren froh, ihre jüngste Tochter gesund wiederzuhaben.
Am Abend setzten wir uns mit Elrond zusammen und meine Eltern erzählten uns, dass es auch hier Kämpfe gegeben hatte. Orks aus Mordor hatten versucht, in das Zauberreich einzudringen, doch dank der Macht des Ringes Nenya hatten sie nicht obsiegen können. Ich war froh, das zu hören. Denn auf der Reise ins Innere des Waldes waren mir Spuren der Verwüstung aufgefallen. Und wenn ich aus dem Fenster blickte, konnte ich eine Vielzahl von frischen Gräbern sehen.
Gleichzeitig konnte ich in den Augen meiner Mutter lesen, dass auch sie müde geworden war. Der Kampf musste sie geschwächt haben und wahrscheinlich würde sie bald Mittelerde verlassen.
Ich fürchtete diesen Tag. Denn es würde für mich bedeuten, dass ich den Platz meiner Mutter, als Oberhaupt der Galadrim in Mittelerde, einnehmen würde. Doch ich hatte Angst, dass ich das Volk des Lichts in die Dunkelheit führen würde. Konnte jemand wie ich überhaupt so eine große Aufgabe übernehmen?
~*~*~*~
In der Zeit, die nun verging, seit wir Elrond und meine Neffen nach Imladris verabschiedet hatten, versuchte meine Mutter mich so gut es ihr möglich war, auf meine bevorstehende Aufgabe vorzubereiten. Sie ließ mich nun alle wichtigen Entscheidungen treffen. Auch nahm ich an allen offiziellen Anlässen teil. Und irgendwie war ich auch froh, dass ich nun nicht mehr Hosen, sondern wieder Kleider tragen konnte. Auch wenn ich das Kämpfen vermissen würde.
Eines Tages rief meine Mutter mich zu sich in ihre privaten Gemächer. Es war lange her, dass ich hier gewesen war. Vermutlich war ich noch ein Elbenkind gewesen, als ich das letzte Mal das intime Familiengemälde von uns Vieren gesehen hatte, was über ihrem Bett hing. Es zeigte uns in anderen, in glücklicheren Zeiten, als ich noch nichts von meinem Schicksal wusste und noch unbeschwert gelebt hatte. Auch meine Schwester hatte damals noch nicht unter dem Schatten von Mordor gelebt. Ich vermisste diese Zeiten. Aber ich wusste, dass sie unwiderruflich vorbei waren.
„Du warst ein hübsches Kind“, sagte meine Mutter. Sie strich mir eine Strähne von meinem silbernen Haar aus dem Gesicht und nahm mich in den Arm. Mein Kopf ruhte auf ihrer Schulter und ich fühlte mich fürchterlich jung.
Sie löste die Umarmung wieder und hielt mich ein Stück von sich, damit sie mich betrachten konnte. „Doch deine Schönheit damals ist nichts im Vergleich zu dem, wie du nun aussiehst. Du bist eine Frau geworden, die nun Verantwortung übernehmen muss. Ich weiß, dass es nicht mehr viel ist, worauf du nun achten musst, denn viele unseres Volkes werden mit mir in den Westen gehen. Doch wenn schon nicht auf die Elben, dann musst du wenigstens auf den Wald Acht geben. Versprich es mir, Silme.“
Ein Kloß hatte sich in meinem Hals gebildet. Obschon ich wusste, dass dieser Tag kommen würde, hatte ich nicht gedacht, dass er sobald kommen musste. Eine Träne stahl sich aus meinem Augenwinkel und meine Mutter küsste sie weg. „Ich verspreche es dir, nana“, sagte ich mit belegter Stimme. Es war lange her, dass ich sie Mama genannt hatte.
Erneut nahm sie mich in den Arm. Danach half ich ihr dabei, das Bild von der Wand zu nehmen. Es war das einzige, außer dem Ring, was sie in den Westen mitnehmen wollte. Auch wenn die Erinnerung an mich vermutlich nie verblassen würde solange sie lebte, wollte sie sich lieber an mich erinnern, als ich noch ein Kind war. Vermutlich konnte sie es nicht ertragen, dass die Götter mich so hatten werden lassen. Sie hatte sich gewünscht, nachdem meine Schwester Mittelerde hatte verlassen müssen, dass ich eines Tages ihr Erbe antreten und über die Elben regieren würde. Sie hatte gehofft, dass ich und ein Elb alle Elbenvölker hier vereinigen würden. Doch dazu hatte es nicht kommen sollen.
Schweren Herzens ritten wir also eines Morgens im Frühling, als die mallorn-Bäume gerade ihr Blätterkleid erneuert hatten, über den Pass des Caradhras. Der Schnee war schon geschmolzen und bildete kleine Rinnsale, die irgendwann in den großen Fluss Anduin und danach ins Meer fließen würden.
Die Hufe meiner Stute sanken noch in den feuchten Boden ein, doch als wir auf der anderen Seite der Berge wieder hinuntergingen, war die Erde bereits trocken. Die Reise dauerte beinahe zwei Wochen. Doch es erschien mir viel zu kurz. Ich wollte meine Mutter nicht gehen lassen. Genauso wenig wie mein Vater. Obwohl es zwischen ihnen in den letzten paar hundert Jahren keine tiefe Liebe mehr gegeben hatte, waren ihre Herzen doch bis ans Ende der Zeit miteinander verbunden. Und sie würden es bleiben. Auch wenn das große Meer bald zwischen ihnen liegen würde.
An einem Abend im Mai erreichten wir schließlich Bruchtal. Still war es hier geworden, denn auch die Elben aus Imladris hatten zum großen Teil den Weg in den Westen angetreten. Nur Elladan und Elrohir würden hier verweilen, als letzte Zuflucht für verlorene Seelen.
Auch trafen wir hier auf Gandalf. Er wollte ebenfalls heimkehren zu seinen Brüdern. Doch er wirkte nicht, wie meine Mutter, aufgebraucht. Er strahlte noch immer dieselbe Ruhe aus, die ich bei ihm unter Fangorns Blättern bemerkt hatte. Ich freute mich, ihn wiederzusehen. Er berichtete mir eines Abends, wie es den Hobbits ergangen war.
„Im Auenland weiß niemand davon, was sie alles geleistet habe?“, fragte ich ungläubig. Wie hatte man dort nicht bemerken können, sie sich die Welt gewandelt hatte?
„Du musst wissen, dass die Hobbits ein eigenartiges Völkchen sind“, sagte er. „Sie halten nicht viel von Veränderungen. Das einzige große Ereignis, was sich in den letzten Jahren dort zugetragen hat, war die Hochzeit von Sam und Rosie.“ Ich lachte. Es war sicher schön im Auenland, wo noch alles seinen Platz und seine Ordnung hatte. Eines Tages würde ich einmal dorthin reisen, das versprach ich mir selbst.
Doch schon viel zu bald kam der Tag des Aufbruchs. Gandalf brach zuerst auf, denn er würde Bilbo mit einem Wagen nach Hobbingten fahren und dort Frodo abholen. Er hatte von den Elben, genau wie sein Onkel, die Ehre erhalten, auch eines der Schiffe zu besteigen, die in den Westen fahren würden. Ich wünschte, ich wäre an seiner Stelle.
~*~*~*~
Ein paar Wochen später erreichten wir die Küste. Sehnsucht machte sich in meinem Herzen breit, als ich das wogende Meer und den Horizont vor mir sah. Wann würde es für mich soweit sein, dass ich hinübersetzen konnte? Würde ich jemals wieder Valinor sehen?
„Schau nicht so traurig“, sagte meine Mutter. Sie war hinter mich getreten und hatte mir eine Hand auf die Schulter gelegt. „Du wirst sehen, dass wir uns erneut begegnen werden, meine Tochter. Mach dir nicht zu viele Sorgen.“
Ich seufzte. „Wie soll ich mir keine Sorgen machen? Ich kann nicht sehen, was vor mir liegt. Ich habe die Voraussicht verloren. Ich bin blind für die Zukunft.“
„Also ergeht es dir nun so, wie es den meisten Wesen auf dieser Welt ergeht. Nicht einmal viele von den Elben können sich damit rühmen, in die Zukunft zu sehen. Außerdem ist das, was wir sehen, und das, was schließlich eintrifft, ein Unterschied wie Tag und Nacht. Habe keine Angst. Es wird alles gut werden.“
„Woher willst du das wissen?“ Ich konnte es nicht ertragen, dass sie so großes Vertrauen in die Zukunft setzte, wo unsere Familie doch schon so vieles Schreckliche hatte erleben müssen.
Doch sie lächelte nur, küsste mich auf den Scheitel. „Ich weiß es einfach.“
Ein paar Tage später traf Gandalf mit den Hobbits ein. Ich wusste, dass keiner ihnen gesagt hatte, dass Frodo mit auf die große Reise gehen würde. Sie glaubten, dass sie ihn nur dabei begleiteten, wie er seinem Onkel Lebewohl wünschte. Für sie musste es ebenso schwer sein, wie für mich. Ich war nicht gut im Verabschieden.
Doch schließlich war es soweit. Das Schiff lag bereit und der Wind stand günstig. Meine Eltern und Elrond waren an den Steg getreten. Der Aufgang an Bord wurde anleget und der Kapitän betrat das Schiff. Círdan überprüfte noch einmal, ob alles halten würde bei der großen Überfahrt, dann wurde Bilbo, gestützt von Frodo und Sam, die Stufen hinuntergeführt.
Der alte Hobbit machte große Augen, als er dies alles sah, und ein Lächeln stahl sich auf seine Lippen. „Dies ist ein Anblick, der bot sich mir noch nie zuvor.“ Und vermutlich würde sich ihm auch nie wieder so etwas bieten. Dies würde seine letzte Reise sein. Der Eine Ring hatte ihm ein langes Leben verliehen. Doch auch das längste sterbliche Leben musste einmal zu Ende gehen. Und er hatte großes Glück, dass er sein Grab in Valinor finden würde. Dort würde man seine Geschichte bis zum Ende aller Dinge weitererzählen. Dort würde er Unsterblichkeit erlangen.
Bilbo verneigte sich steif vor den Elbenfürsten und auch diese neigten leicht ihre Köpfe. Daraufhin ergriff meine Mutter das Wort. „Die Macht der Drei Ringe hat ein Ende. Die Zeit ist gekommen für die Herrschaft der Menschen.“
Nun würden die Elbenringe ebenfalls Mittelerde verlassen, samt ihren Trägern. Meine Mutter trug Nenya, den Wasserring. Gandalf war auserwählt worden, Narya, den Feuerring zu tragen. Und mein Schwager Elrond hatte Vilya, den Ring der Luft und Mächtigsten der Drei, erhalten. Ihre Macht war erloschen, als der Eine Ring vernichtet worden war. Denn Sauron hatte mit seinem Schmieden versucht, die Elbenringe zu unterwerfen. Es war ihm auch ein Stück weit gelungen. Doch durch die Reinheit der Elben hatte er es nie ganz geschafft.
Elrond begrüßte seinen alten Freund, indem er die Arme ausbreitete und sagte: „I Aear cân van namar.“ [1] Dann kam Bilbo auf uns zu. Ich trat hinter meine Eltern zurück, als Elrond den Hobbit an Bord führte. Ich wusste, dass es nun einen Abschied für immer geben würde.
Meine Mutter drehte sich erneut zu mir um, breitete ebenfalls die Arme aus. „Ich liebe dich, Silme“, sagte sie. Unfähig, etwas zu sagen, weinte ich nur und barg mein Gesicht an ihrer Schulter. Ich bat sie stumm, nicht zu gehen, doch nach einer viel zu kurzen Zeit löste sie sich von mir, küsste mich ein letztes Mal auf die Stirn und wand sich meinem Vater zu. Sie sprachen kurz miteinander, dann sah ich zum ersten Mal, wie sie sich umarmten. Schließlich betrat meine Mutter das Deck des Schiffes. Ehe ich erneut in Tränen ausbrechen konnte, wandte ich mich ab.
Es dauerte eine Weile, bis die Hobbits sich ebenfalls verabschiedet hatten. Dann ging auch Frodo an Bord. Gandalf wollte ihm schon folgen, doch dann sah er, wie ich weinend am Ufer stand. Er kam auf mich zu. „Ich will nicht sagen: weine nicht. Denn nicht alle Tränen sind von Übel.“
„Doch diese schon“, sagte ich, während ich unverwandt auf das Meer starrte. „Ich will nicht, dass sie geht.“
„Es ist ihre Zeit, Herrin. Du musst sie nun loslassen. Vertraue darauf, dass ihr euch wiedersehen werdet.“ Verzweifelt warf ich mich ihm in die Arme. Er drückte mich ein letztes Mal fest an sich, dann schob er mich sanft von sich weg. Als letztes betrat er nun das Schiff und ich wusste, dass es für mich darauf keinen Platz geben würde.
Ich versuchte, meine Trauer in Grenzen zu halten, doch all die Jahre, die ich hatte so viele Schmerzen erdulden müssen, brachen nun über mir zusammen und ich konnte nicht an mich halten. Weinend brach ich am Ufer zusammen. Die Hobbits versuchten noch, mich zu trösten, doch in diesem Moment gab es für mich keinen Trost. Von nun an würde ich alleine mein Dasein in Mittelerde fristen, mit niemandem an meiner Seite, der mich verstehen konnte. Wie konnte ich da nicht traurig sein?
Und weil ich so herzzerreißend weinte, schickten mir die Götter ein letztes Mal die Voraussicht: ich sah, wie ich selbst am Bug eines Schiffes stand. Ein grauer Regenvorhang zog sich zurück und verwandelte sich in silbernes Glas. Und dann sah ich es: weiße Strände, und dahinter ein fernes grünes Land unter einer rasch aufgehenden Sonne. Und ich wusste, dass ich eines Tages heimkehren würde nach Valinor.
Erschöpft, und doch etwas gestärkt durch diese Vision erhob ich mich. Ich wand meinen Blick ein letztes Mal dem Meer zu. Ich sah meine Mutter am Heck stehen und mir zuwinken. Doch schon viel zu bald verschwand das Schiff am Horizont und ich blieb allein am Ufer zurück.
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[1] I Aear cân van namar.= Die See ruft uns Heim.