LilórienSilme
~ Fanfiction-Autorin ~
Epilog
~ Mittelerde
In der Zeit, die nun folgte, flogen die Tage an mir vorbei. Hätte ich 120 Jahre lang geschlafen, ich hätte nicht unbeteiligter sein können.
Die meiste Zeit verbrachte ich in Lórien unter den Bäumen meiner Kindheit. Auch wenn die Bäume, die damals bei meiner Geburt hier gestanden hatten, schon längst nicht mehr waren. Doch hier fühlte ich mich glücklich. Zumindest so weit man glücklich sein konnte, wenn man ganz alleine war.
Den Sommer und den Herbst verbrachte ich meist auf der anderen Seite des Gebirges, bei meinen Neffen Elladan und Elrohir. In Imladris gab es wenigstens Bücher, die mich ablenken konnten. Doch schon bald hatte ich alles gelesen, was dort zwischen Pergamentseiten niedergeschrieben stand und ich begann mich zu fragen, ob es jemanden geben würde, der meine Geschichte einmal lesen würde. Immerhin hatte ich in der Bibliothek viele Erzählungen aus den Altvorderen Tagen entdeckt, die das Leben einer Elbe oder eines Elbs beschrieben.
Also begann ich damit, mein Leben niederzuschreiben.
Zunächst kam ich sehr stockend voran, doch schon bald floss es mir sehr leicht aus der Feder und ich konnte jeden Tag erfreut auf ein paar beschriebene Seiten blicken.
Eines Abends im Herbst hatte ich gerade das letzte Wort auf eine Seite von dünnem Pergament geschrieben und feinen Sand darüber gestreut, damit die Tinte trocknen und keine Flecken hinterlassen konnte, als ein Bote in Imladris eintraf. Er brachte einen Brief von meiner Nichte Arwen aus Gondor. Ich wusste, dass sie sehr glücklich war mit ihrem Leben, denn manchmal des Nachts träumte ich von ihr.
Sie hatte nur ein paar Zeilen geschrieben:
Liebste Brüder,
liebste Tante,
ich weiß vom ersten Moment an, dass ich ein Kind unter dem Herzen trage. Nun wird es bald soweit sein, dass ich niederkomme. Ich wünsche mir so sehr, dass Ihr Drei dabei seid.
In Liebe,
Arwen
Ich wusste, was es bedeuten würde, nach Minas Tirith zu reiten: ich würde ihm begegnen. Doch für meine Nichte war ich bereit, dieses Risiko zu tragen.
In der Nacht träumte ich von ihm, von unserer letzten Begegnung. Es war Jahre her und doch kam es mir vor, als wäre ich nun wieder dort. Es zerriss mir beinahe das Herz, als ich ihn erneut so vor mir sah mit seinen blauen Augen, die mich anklagend anblickten.
Erschrocken fuhr ich hoch. Mein Hemd klebte an meinem schweißnassen Körper. Hatte er mich wirklich damals so angesehen? War sein Blick nicht eher traurig, denn klagend zu nennen gewesen? Er war nie wütend auf mich gewesen, das wusste ich. Jeder andere wäre es, doch er zeigte seinen Großmut, indem er mir diese Güte zuteil werden ließ. Güte, wie sie nur jemand mit einem reinen Herzen geben konnte.
Wie hatte ich nur so töricht sein können? Ich hatte ihn vor den Kopf gestoßen. Und was noch schlimmer war, ich hatte ihn von mir weggeschoben, in der Hoffnung, es würde mir dadurch besser gehen. Doch jeder Tag meiner Existenz, ja beinahe jede Stunde, machte mir bewusst, was ich für einen großen Fehler gemacht hatte.
Mit dem unfertigen Skript meiner Lebensgeschichte in der Satteltasche ritt ich ein paar Tage später voller Vorfreude auf die Weiße Stadt zu. Mein Herz schlug wie will in meiner Brust, als müsse es sie sprengen. Meine Hände zitterten, konnten kaum die Zügel halten. Ich war so aufgeregt wie selten zuvor in meinem Leben. Ich wusste, ich hatte die richtige Entscheidung getroffen. Heute würde ich es ihm endlich sagen.
Doch er war nicht in Minas Tirith. Die Tage verstrichen, ohne dass etwas geschah. Weder traten die Schmerzen der Geburt bei Arwen ein, noch betrat er die Stadt. Ob er wusste, dass ich hier war und deswegen nicht kam? Ich fragte Aragorn, doch er konnte mir nur sagen, dass er nach seinen alten Kampfkumpanen geschickt hatte. Wo diese geblieben waren, wusste er nicht. Eigentlich wusste Aragorn kaum, wo sich Gimli aufhielt. Und noch weniger wusste er, wo Legolas sind die Jahre über befand. Gelegentlich reisten die beiden alten Freunde noch zusammen, doch das war zu einer Seltenheit geworden.
Ich bekam ein schlechtes Gewissen. Hatte ich ihn so sehr verletzt, dass er nun keine Freude mehr am Leben hatte? Ich beschloss mit ihm zu reden, sobald er eintraf. Leider wartete ich vergebens. Selbst nachdem Arwen ihre erste Tochter zur Welt gebracht und ich sie mit dem Namen Silme aus der Taufe gehoben hatte, traf er nicht ein. Ich wartete noch ein paar Wochen auf ihn, doch langsam wurde es Winter und ich musste zurückkehren in den Norden, bevor die Straßen drohten unwegsam zu werden.
Den Winter verbrachte ich erneut zu Hause. Ich schloss mich nun immer häufiger ein um zu Schreiben. Doch es wurde immer seltener, dass ich etwas zu Papier brachte. Frustriert warf ich die Feder und das Tintenfass in den brennenden Kamin. Mit einem leisen Zischen verdampfte die Tinte. Danach rührte ich meine Schriften jahrelang nicht mehr an.
Ich verbrachte nun meine Zeit damit, den Wäldern beim Wachsen zu helfen. Ich reiste in den Süden des Düsterwaldes zu unserer Ostgrenze und bewachte dort den Bau einiger neuer Siedlungen. Sie würden aber hauptsächlich von Menschen bewohnt werden. Denn immer weniger Elben lebten nun in Mittelerde. Um die Wahrheit zu sagen hatte ich kaum mehr als ein Dutzend im letzten Jahr gesehen.
Und so verstrichen die Jahre. Ziellos wanderte ich von Ort zu Ort, fühlte mich nirgends richtig zu Hause, hatte nur einen gewissen Frieden, wenn ich Arbeiten verrichten oder im Sattel sitzen konnte. So zog ich durch Mittelerde, alleine. Meine einzige Begleitung war meine treue Stute Alagos.
Eines Tages ritt ich sogar einmal ins Auenland, um den alten Samweis zu besuchen. Er und seine große Familie begrüßten mich herzlich und ich konnte sogar eine Weile dort etwas Ruhe finden. Doch bald begann mein Herz sich wieder nach neuen Anblicken zu sehnen und ich wollte nur noch alleine sein. Also schloss ich Sam ein letztes Mal auf dieser Erde in die Arme, wünschte ihm und seiner Rosie alles Glück der Welt und brach erneut auf. Da es bereits tiefer Hebst war, kehrte ich in Imladris ein, wo ich kurzerhand ein paar Jahre mit meinem Vater verbrachte.
Aber auch jetzt wieder war mein Herz ruhelos. Selbst mein Vater konnte mir nicht den Frieden geben, den ich suchte. Ich wusste nicht einmal genau, wonach ich suchte. Ich wusste nur, dass ich es noch nicht gefunden hatte.
Um die Kälte in meinem Inneren zu vertreiben reiste ich in den Süden. Doch auch hier gab es nichts, was meinen Geist hätte erfreuen können. Bald schon stand ich vor einer riesenhaften, öden Wüste und der Wunsch kam in mir hoch, mich einfach dort hineinzubegeben und dort zu verdursten. Doch so sehr ich Alagos auch vorantrieb, sie bewegte sich nicht.
So kehrte ich in den Norden zurück, Heim nach Lórien. Es war still geworden unter den goldenen Bäumen und so wurde es auch endlich still in mir. Ich sehnte mich danach zu schlafen, danach nicht mehr zu erwachen. Doch schon bald erreichte mich die Nachricht, dass Sam nicht mehr in Mittelerde weilte. Nach dem Tod seiner geliebten Rosie war er auf ein Elbenschiff gestiegen und in den Westen gesegelt. Nur ein paar Jahre später kam die Kunde, dass die beiden Hobbits, mit denen ich auf der schicksalhaften Reise so viel Spaß hatte, dass Merry und Pippin gestorben waren. Bald würden nicht mehr viele unserer Gemeinschaft übrig sein.
In der nächsten Zeit widmete ich mich wieder dem Schreiben. Ich erzählte die Geschichte so, wie sie mir in Erinnerung geblieben war. Natürlich würde sie Lücken haben oder Ungereimtheiten vorweisen. Doch man möge es mir nachsehen. Schließlich gab es eine Menge zu erzählen. Und so hatte ich auch viel Zeit zum Nachdenken und ich kam letztendlich zu dem Schluss, dass es so, wie es nun einmal geschehen war, am besten für alle sein musste. Es hatte viel Schmerzen und Trauer gegeben, doch die Zeit würde alle Wunden heilen lassen und die Narben, die zurückblieben, würden uns stets an das erinnern, was einmal gewesen war.
~*~*~*~
Es vergingen weitere Jahre, in denen ich kaum etwas anderes tat, als mich in mich selbst zurückzuziehen. Es gab kaum noch Elben in Lórien. Keine Gesänge ertönten mehr aus den Kronen der Bäume. Niemand lachte, niemand weinte. Alles zog in einer unendlichen Eintönigkeit dahin.
Bis der König starb.
Ein Bote aus Gondor brachte mir die Nachricht als der Frühling gerade Einzug im Lande hielt. Ich wusste schon längst nicht mehr, in welchem Jahr wir uns befanden, so sehr hatte ich mich von der Welt gelöst. Doch ich wusste, dass Arwen mich nun brauchen würde. So trat ich meine letzte Reise nach Gondor an, in das Königreich der Menschen.
Die Beerdigung war trauriger, als ich es mir vorgestellt hatte. Nicht nur die engsten Vertrauten des Königs beweinten sein Ableben. Es schien, als würde die ganze Stadt, ja das ganze Land, um einen Menschen weinen, der ihnen so nah gestanden hatte wie ein Vater. Und ich konnte sie verstehen. Auch wenn ich Aragorn nur sehr kurz kennenlernen durfte, hatte ich doch seine Güte und seine Weisheit erfahren können, die ihn zu einem ganz besonderen Menschen gemacht hatten.
Ich hatte mein Gesicht hinter einem Schleier verborgen und mich in die Mitte von Arwens Kindern eingereiht. Mein Patenkind klammerte sich Halt suchend an meinen Arm und weinte voll Verzweiflung. Arwen hingegen stand aufrecht neben dem aufgebarten Leichnam ihres Mannes, der zwar alt aber nicht gebrochen wirkte. Mit einem einzigen Blick in dieses friedvolle Gesicht wurde mir klar, dass er in seinem kurzen Leben mehr Frieden gefunden hatte, als so mancher Unsterblicher. Ich beneidete ihn.
Als sein lebloser Körper nun in die Halle der großen Könige gebracht wurde, begegnete ich Legolas zum ersten Mal seit über 120 Jahren wieder. Er erkannte mich durch den Schleier nicht und ich meinerseits zeigte ihm auch nicht, dass ich es war. Schweigend stahl ich mich an ihm vorbei. Doch für einen flüchtigen Moment glaubte ich Erkenntnis in seinem Blick aufblitzen zu sehen, doch dann wandte er sich wieder ab und ich wusste, dass er mich aufgegeben hatte.
Nachdem die Beisetzung vollendet und das Volk sich von ihrem König verabschiedet hatte, blieb die Familie alleine in der Gruft zurück. Ich stützte Silme, die ihrem Vater am nächsten gestanden hatte, zu seiner Nische. Sie hatte die Inschrift auf dem Sockel ausgesucht und als ich sie las, war ich unglaublich stolz auf sie:
Und wenn du dich getröstet hast, wirst du froh sein, mich gekannt zu haben.
Das war der erste Moment in meinem Leben, in dem ich es bereute, keine Kinder zu haben, die mein Erbe irgendwann einmal weitertragen würden.
Ich blieb noch eine Weile in der Stadt, bis sich Arwen von ihren Kindern verabschiedet hatte, dann kehrten wir gemeinsam nach Lórien zurück. Kurze Zeit später vernahmen wir die Kunde, dass Legolas und Gimli sich ein Schiff gebaut und in den Westen gesegelt waren. Nun war ich die letzte unserer Gemeinschaft in Mittelerde.
Doch die Zeit mit Arwen unter den sterbenden Mallos-Bäumen sollte nur kurz sein. Sie kam noch dazu, meine Schriften zu lesen und vieles zu verstehen, doch ein Jahr später, als der Winter das Land fest in seinen Fängen hielt, starb auch sie. Ich setzte sie in aller Einsamkeit auf Cerin Amroth bei und stellte einen Stein dort auf, auf dem geschrieben steht:
Êl eria e môr. I lîr en êl luitha uren. Arwen Undómiel [1]
Nun gab es für mich nichts mehr, was mich hier noch hätte halten können. Ich schickte den Kindern von Arwen einen Brief, dass ihre Mutter gestorben war und wo ich sie beerdigt hatte. Dann packte ich das Wenige zusammen, was ich besaß, unter anderem auch die Rohschrift meiner Lebensgeschichte, und ritt im tiefsten Winter über den Pass des Caradhras nach Bruchtal. Ich schloss meine Neffen ein letztes Mal in die Arme, dann überquerte ich den Fluss. Ich konnte noch meilenweit spüren, dass ihr Blick in meinem Rücken lag.
Während ich zur Küste ritt wirbelten die Gedanken in meinem Kopf wild umher. Tat ich das Richtige, wenn ich meine restliche Familie nun alleine ließe? Würde ich jedoch glücklich werden, wenn ich hier blieb?
Ich konnte es nicht mit Gewissheit sagen. Ich wusste nur, dass mein Herz niemals Ruhe finden würde, wenn ich diesen Ort nicht endlich verlassen würde. Denn egal, wohin ich auch gereist war, immer hatte mich etwas an den Ringkrieg erinnert. Ich hatte nicht weit genug weglaufen können, um das alles hinter mir zu lassen.
Kurz überlegte ich, ob ich noch einmal im Auenland vorbeisehen sollte, doch dort gab es vermutlich niemanden mehr, der sich an mich erinnerte. Es war schrecklich zu wissen, dass man nun alleine war. Es schien, als hätte man mich auf einem Stück Land ausgesetzt, das von Wasser umgeben und unbewohnt war. Und ich hatte nun zu lernen, wie ich mich zu Recht finden konnte.
Ich hasste meine Situation. Und hasste es, allein zu sein und nur mit einem Pferd sprechen zu können. Ich wollte nur noch dort hin, wo ich wenigstens ein wenig die Nähe meiner Zieheltern und meiner richtigen Eltern spüren konnte. Nun musste ich nur noch hoffen, dass es noch ein Schiff für mich gab.
Als ich Wochen nach meinem Aufbruch aus Bruchtal die Küste erreichte, es wurde bereits Frühling, kam mir Círdan schon entgegen. Er hatte sich, seit ich ihn das letzte Mal vor einer Ewigkeit gesehen hatte, nicht ein bisschen verändert. Er war noch genauso jung, oder alt, wie er an jenem Tag war, als ich von Valinor aus hierher kam.
„Lilórien“, sagte er fröhlich und schloss mich in die Arme, „ich dachte schon, dass Ihr nicht mehr kommen würdet. Dabei habe ich eigens für Euch ein Schiff bereitgehalten.“ Ich lächelte dankbar zurück, drückte kurz seine Hand. Er wünschte mir auf meiner Reise den Segen Manwes, dann verlies auch er mich.
Erst zögerlich, dann entschlossener, sattelte ich Alagos ab und flüsterte ihr etwas ins Ohr. Meine Stute stupste mich noch einmal mit ihren weichen Nüstern an, dann trabte sie davon. Ich schulterte meine Satteltaschen, holte noch einmal tief Luft, dann stieg ich die Treppen hinunter.
Und dort stand ich nun alleine am Strand von Mittelerde. Und ich erblickte das Meer.
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[1] Êl eria e môr. I lîr en êl luitha uren. Arwen Undómiel=Ein Stern erscheint aus der Dunkelheit. Das Lied des Sternes erfreut mein Herz. Arwen Abendstern