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Kapitel 23

 

~ Whistle to your Heart

 

Seit der Premiere in New York war bereits ein Monat vergangen. In dieser Zeit war er in Australien und Japan gewesen und war wieder zurück nach England gekommen, doch sie war nicht auf einer weiteren Präsentation des Films dabei gewesen. So oft hatte er sich dabei erwischt, wie er Ausschau nach ihr hielt, aber Vittoria war nicht aufgetaucht. Andrew war jedes Mal alleine gekommen. Und er hatte es nicht gewagt, seinen Regisseur nach der Drehbuchautorin zu fragen.

 

Mittlerweile hatte er sogar schon wieder zu Drehen begonnen. Die Dreharbeiten fanden zum Glück in den Ealing Studios in London statt, sodass er es nicht allzu weit zur Arbeit hatte. Und es gefiel ihm sehr mit Jessica und Collin zu arbeiten. Doch das wichtigste war, dass es ihn alles ein wenig ablenkte. Ständig schienen seine Gedanken um die Dreharbeiten zu Narnia zu kreisen. Er konnte sich keinen Reim darauf machen, doch wenn er nach einem anstrengenden Tag zur Ruhe kam und in seiner Wohnung auf der Couch saß und an die Decke starrte, weil er zu geschafft war, um auch nur den Fernseher einzuschalten, war er plötzlich wieder in Neu Seeland.

 

Das Jahr war für ihn eines der bisher anstrengendsten, die er erlebt hatte. Kaum dass er einen Film abgedreht hatte, rutschte er bereits in einen neuen hinein. Nur dieses Mal musste er nicht um die halbe Welt reisen, sondern konnte in seiner geliebten Stadt bleiben. Das ermöglichte ihm auch, sich mehr mit seiner Familie zu treffen und wieder bei seinen Freunden anzurufen und zu fragen, ob man nicht mal wieder etwas unternehmen wollte.

 

Also lud er an einem Samstagabend im Juli seine beiden besten Freunde Fred und James und seinen Bruder Jack zu sich ein. Er hatte vor, für sie alle zu kochen und sich dann mit dem leckeren Essen auf den Balkon zu setzen. Schließlich war das Wetter ausnahmsweise mal schön und das musste man ausnutzen. Gerne hätte er einen Tag im Park verbracht, doch als er letztens zum Einkaufen unterwegs gewesen war, hatten ihn mindestens hundert Leute angesprochen und nach einem Autogramm gefragt.

 

Eigentlich liebte er seinen Job und er tat dies alles schließlich nur, um die Leute zu inspirieren. Und da musste man eben damit rechnen, dass man auf der Straße erkannt wurde. Dass es aber so schnell ging, hätte er nicht gedacht. Noch vor einem halben Jahr hatte er ohne Mütze und Sonnenbrille das Haus verlassen können. Jetzt war es beinahe zu seiner Standardbekleidung geworden. Und manchmal nervte es ihn ein wenig, dass er nicht einfach er selbst sein konnte. Doch wenn er dann das strahlende Gesicht eines Fans sah, wenn er ihm ein Autogramm schrieb, schob er den Gedanken schnell bei Seite und freute sich darüber, jemandem eine Freude gemacht zu haben.

 

Heute Abend hatte er jedoch nur vor, seinen Kumpels eine Freude zu machen. Bereits gegen achtzehn Uhr schmiss er den Herd an, marinierte das Hähnchenfleisch, knetete den Pastateig und schnitt das Gemüse klein. Zum Nachtisch hatte er sich ein Schokosouffle vorgenommen, allerdings war es ihm, schon wieder, nicht gelungen. Fluchend kratzte er die eingefallene Pampe, zu der der lockere Teig geworden war, in den Mülleimer. Gott sei Dank wusste er um seine Backkünste und hatte einen Plan B in der Hosetasche versteckt.

 

Dazu hatte er jedoch keine Zeit mehr, denn sein Bruder klingelte bereits an der Tür. Schnell machte er auf, begrüßte Jack und verschwand wieder in der Küche. Wobei verschwinden dabei nicht das richtige Wort war. Seine Wohnung bestand nur aus genau drei Räumen: einem Badezimmer mit Wanne und Regendusche, einem Ankleidezimmer, worüber sich die männlichen Besucher, die er hier hauptsächlich empfing, bereits übermäßig amüsiert hatten, und einen riesigen Wohnraum, der gleichzeitig Wohnzimmer, Küche und Schlafzimmer war. Die Decken waren etwa acht Meter hoch und in der Mitte gab es eine Treppe, die zu einer mitten im Zimmer stehenden Plattform führte, auf der sein Bett stand.

 

Der Küchenblock stand ein wenig schief im Raum und war erhöht. Die Arbeitsplatte, welche aus dunklem Granit bestand, war übersät mit Kochutensilien, von denen Jack noch nicht einmal gewusst hatte, dass sie existierten. Doch sein Bruder hatte in der Zeit, in der er alleine lebte, offenbar gelernt, mit allen umzugehen. Was ziemlich erstaunlich war, da er handwerklich gesehen zwei linke Hände hatte. Aber die Feinmotorik schien bei ihm hervorragend zu funktionieren.

 

„Brauchst du noch Hilfe?“, fragte Jack und lehnte sich auf die Arbeitsplatte. Ben überlegte einen Moment, dann drückte er ihm einen Mixer in die eine und eine Schüssel mit Sahne in die andere Hand. „Du könntest die Sahne steif schlagen“, sagte er und widmete sich wieder dem Fleisch.

 

Jack zog eine Augenbraue hoch. „Dir ist schon klar, dass das ziemlich pervers ist?“ Doch Ben reagierte nicht darauf. Er warf nur ein Stück Zucchini nach seinem Bruder und wendete die Fleischstücke einmal in der Pfanne. Danach ging er auf den Balkon, deckte den neuen Tisch, den er sich gekauft hatte und warf schnell noch die Polster auf die Stühle. Dann kehrte er nach drinnen zurück.

 

In der Zwischenzeit hatte sein Bruder die Sahne zu einer dickflüssigen Masse geschlagen und rührte ein wenig lustlos darin herum. „Wann bist du eigentlich zu Jamie Oliver geworden?“, fragte Jack. Er steckte einen Finger in die Schüssel und leckte ihn genüsslich ab. Schnell nahm Ben ihm den Mixer wieder ab und machte den Rest selber. Er sah seine Küche schon im Chaos versinken. „Setz dich einfach schon mal, okay?“, sagte er und scheuchte den Jüngeren raus auf den Balkon. „Und fass nichts an!“, rief er ihm vorsichtshalber noch hinterher.

 

Nachdem der Nachtisch sicher im Kühlschrank stand und das Essen soweit war, legte er die Schürze ab und begab sich in den abgetrennten Raum, in dem seine Kleiderschränke standen. Schnell zog er sich eine dunkle Jeans an und warf sich ein graues Shirt über. Kurz überlegte er noch, einen Schal anzuziehen, entschied sich dann aber aufgrund des Wetters dagegen. Wenn es später kälter wurde, konnte er sich immer noch einen umlegen.

 

Keine Sekunde zu früh klingelte es erneut an der Tür. Seine Freunde waren wie immer pünktlich. Danach konnte er die Uhr stellen. Das war einer der Gründe, warum er sich so gerne mit ihnen traf. Wenn sie sagten, sie würden sich um neunzehn Uhr treffen, dann trafen sie sich auch alle um neunzehn Uhr. Und nicht erst eine halbe Stunde später.

 

Ben schlitterte über den glatten Laminatboden zur Tür und öffnete. Sofort schall ihm die lautstarke Begrüßung von James und Fred entgegen und sie fielen sich in die Arme. „Hey, Big B“, rief Fred und drückte seinen besten Freund an sich. „Wie lange haben wir uns schon nicht mehr gesehen?“

 

„Viel zu lange“, sagte James, zog seine Jacke aus und überreichte Ben eine Flasche Rotwein als Begrüßungsgeschenk. „Mann, deine Bude ist echt der Hammer. Ich hatte vergessen, wie riesig das ist.“

 

Ben wies mit einer ausladenden Handbewegung in den Raum. „Fühlt euch wie zu Hause. Ihr könnt euch schon zu Jack auf den Balkon setzen. Das Essen ist gleich fertig.“ Und während seine Freunde nach draußen gingen, bereitete er die Teller vor. Immer zwei zusammen trug er nach draußen, dann setzte er sich auf den übrig gebliebenen Platz. James hatte den Wein bereits auf vier Gläser aufgeteilt und sein Glas erhoben. „Auf Big B“, sagte er. Sie stießen an, dann widmeten sie sich dem köstlichen Mahl.

 

Als Fred den ersten Bissen genommen hatte, stieß er einen überraschenden Laut aus. „Alles okay?“, fragte Ben, während er seinen Freund aus Kindertagen musterte. Sie kannten sich bereits aus dem Sandkasten, hatten ihn ihrem Leben viele Höhen und Tiefen erlebt. Doch wann immer einer in Schwierigkeiten gesteckt hatte, war der andere für einen da gewesen. Egal, wie sehr sie sich vorher gezofft oder wie lange sie nichts voneinander gehört hatten.

 

James war ein Kollege von der Uni, der irgendwann zu den beiden Außenseitern gestoßen und seit dem nicht mehr gegangen war. Sie waren zu einem Trio unzertrennlicher Freunde geworden, die zusammen so ziemlich jeden Blödsinn angestellt hatten, den man sich vorstellen konnte. Und während James der Ladykiller schlechthin war und jedes Wochenende eine andere Frau mit zu sich nach Hause nahm, war Fred bereits seit der Uni mit Amanda zusammen und hatte vor ihr nächstes Jahr einen Antrag zu machen.

 

Jetzt starrte er seinen besten Freund ungläubig an, während er kaute und schließlich schluckte. „Seit wann kannst du eigentlich so gut kochen?“ Alle brachen in schallendes Gelächter aus und James schlug Fred auf den Rücken.

 

Empört warf Ben seine Serviette nach ihm. „Wieso überrascht es euch eigentlich alle so sehr, dass ich in der Lage bin, mich selbst zu versorgen? Ich lebe schon eine Weile alleine und wäre sicher schon längst verhungert, wenn ich nicht ab und zu selber zu Töpfen und Pfannen gegriffen hätte.“

 

James gluckste. „Das in allen Ehren, Ben“, sagte er und wischte sich den Mund ab, „aber sei mal ehrlich: wie viele Chinesen gibt es hier in der Nähe?“ Natürlich wusste Ben, dass es eine Anspielung auf seine erste Zeit in der neuen Wohnung war. Am Anfang hatte er sich beinahe jeden Tag beim Chinesen etwas bestellt und nicht im Traum daran gedacht, den Herd in der Küche zu was anderem zu nutzen, als sonntags den Kuchen seiner Mutter darin noch mal warm zu machen. Mittlerweile war er aber davon überzeugt, dass Kochen sogar Spaß machen konnte.

 

Als er das sagte, lachte James nur noch lauter. „Kochen soll Spaß machen?“ Er klopfte sich auf den Oberschenkel und schnappte nach Luft. „Warte, warte. Wie heißt noch mal dieser schwule Koch?“

 

„Jamie Oliver?“, sagte Jack und bekam direkt den Korken der Weinflasche an den Kopf. Doch als Ben geworden hatte, wünschte er sich, er hätte das Geschoss für seinen Freund aufgespart. Jetzt blieben ihm nur noch das Besteck und die Gläser. Und die wollte er nicht an den Dickschädel von James verlieren.

 

Er straffte die Schultern, versuchte die Seitenhiebe so gut es ging zu ignorieren und aß langsam weiter. Irgendwann hörte das Gelächter auch auf und alle waren wieder mit dem Essen beschäftigt. Schließlich waren sie fertig und Fred half Ben die Teller in die Küche zu tragen. „Hast du das wirklich alleine gekocht?“, fragte er ihn.

 

Ben seufzte. „Natürlich hab ich das! Schließlich hab ich keine Freundin, die mir mein Essen macht, wenn ich nach Hause komme.“ Als er den mitleidigen Ausdruck auf dem Gesicht seines Freundes sah, lenkte er ein. „Tut mir leid, das wollte ich gar nicht sagen. Es ist nur…“ Doch er brach ab und schüttelte den Kopf.

 

Fred trat einen Schritt näher an Ben heran und sah ihm in die braunen Augen. Sie wirkten trauriger als früher. Er konnte sich immer nur an einen lachenden Ben erinnern. Doch heute schien ihm die Freude abhanden gekommen zu sein. „Ist alles in Ordnung bei dir? Ist es wegen dem Job?“

 

Er schüttelte erneut den Kopf. „Nein, es ist alles okay.“ Um von seiner Situation abzulenken, denn er wusste genau, dass Fred ihn sofort durchschauen konnte, bereitete er den Nachtisch fertig zu. Doch seine Handgriffe wirkten zu steif und zu wütend, als dass Fred ihm abgenommen hätte, was er eben gesagt hatte. Also hielt er seine Hände an und zwang ihn so, ihn anzusehen. „Wenn du dich prügeln willst, wie früher, anstatt zu reden, dann können wir das gerne tun.“

 

Sie fochten ein paar Sekunden lang einen lautlosen Kampf aus, während sie sich in die Augen sahen, doch dann senkte Ben schließlich den Kopf. Er atmete ein paar Mal tief durch. Doch bevor er etwas sagen konnte, steckte James den Kopf zur Tür herein. „Was macht ihr denn da? Sollen wir euch alleine lassen?“ Fred warf ihm einen viel sagenden Blick zu, woraufhin James wieder verschwand.

 

Fred zog Ben in Richtung Balkon. „Los, wir reden jetzt. Und wir werden dir alle zuhören, denn wir sind deine Freunde. Okay?“ Müde nickte er. Eigentlich hatte er gar keine Lust, seine Seele vor allen auszubreiten. Das war nicht seine Art. Und James hätte ihn dazu auch sicher nicht gezwungen, geschweige denn Jack. Aber Fred war da eben anders. Er war der Sensible unter ihnen und irgendwie schien er in jeder Situation immer genau zu wissen, was er tun musste.

 

Wenig später saßen alle vier mit der selbst gemachten Mousse au Chocolat und erneut gefüllten Weingläsern draußen. Die Sonne ging bereits unter und so hatte Jack ein paar Kerzen angezündet. James ahnte schon, worum es ging und hätte sich am liebsten verdrückt. Aber Fred hatte ihn grade noch davon abhalten können und ihn gezwungen, sitzen zu bleiben. Schließlich wäre Ben sein Freund und er könne ihn in so einer schweren zeit nicht einfach alleine lassen.

 

Nun saßen sie da, starrten ihren berühmten Freund an und warteten, dass er ihnen erzählte, was mit ihm los war. Ben wusste jedoch nicht so richtig, was er sagen sollte und wie er beginnen könnte, da er eigentlich nicht einmal selber wusste, was er für ein Problem hatte. An seinem Job konnte es nicht liegen. Die Arbeit machte ihm Spaß. Dafür hatte er sein Leben lang hart gekämpft, um es bis hierhin zu schaffen. Wie kam es also, dass er sich plötzlich so alleine fühlte?

 

Da er nicht so recht wusste, wie er das Ganze anpacken sollte, begann er einfach von den Dreharbeiten in Neu Seeland zu erzählen. Es war nicht besonders chronologisch, doch schon bald fiel den Jungs auf, dass er überraschend oft über eine Frau namens Vittoria sprach. Als er bei der Premiere war, war für James offensichtlich, dass er sie ziemlich mögen müsste. Nur Ben selber schien das nicht klar zu sein.

 

„Letzte Woche hab ich sie dann in der Stadt getroffen“, sagte Ben. Ohne es zu merken hatte er den Rest ausgeblendet und war nun wieder auf der Oxford Street. Er hatte sich neue Schuhe kaufen wollen und sich alleine zum Shoppen aufgemacht. Als er schließlich ein gutes Paar gefunden und es bezahlt hatte, war er noch ein wenig über die Straße geschlendert und hatte das Treiben genossen. Dabei war ihm wie zufällig ein brauner Haarschopf fast vor die Füße gelaufen. Allerdings hatte sie es gar nicht bemerkt, dass sie ihm beinahe die Tüte aus der Hand geschlagen hätte. Stattdessen lachte sie laut, lief ein paar Schritte weiter, blieb stehen und schaute zurück. Dabei glänzte ihr Haar in der Sonne und ihre Augen strahlten so sehr, dass er es kaum glauben konnte.

 

Sofort war ihm klar gewesen, dass es Vittoria war und hätte sie auch angesprochen, wenn in diesem Moment nicht ein Mann zu ihr gegangen wäre, seinen Arm um ihre Taille gelegt und sie weggeführt hätte. Dabei sagte er: „Du bist echt schrecklich! Die Schuhe kann ich doch niemals zu dem Anzug anziehen. Das passt nicht.“

 

Wieder lachte sie und hielt sich dabei den Bauch. „Aber es würde wirklich hervorragend zum Kleid passen.“ Sie knuffte ihn in die Seite. „Schließlich weiß ich schon, wie es aussieht. Du darfst es erst in der Kirche vor dem Altar sehen.“

 

Ben war das Herz in die Hose gerutscht als er das hörte, und sein Herz zog sich unwillkürlich zusammen. Er wusste nicht, wieso er so heftig darauf reagierte, aber es war doch erst knappe zwei Monate her, dass sie sich das letzte Mal gesehen hatten. Wie hatte sie so schnell jemanden finden können, den sie auch noch heiraten wollte? So hatte er sie überhaupt nicht eingeschätzt. Oder hatte sie vielleicht die ganze Zeit über jemanden hier in London gehabt und es nur nicht erzählt, weil sie ihr Privatleben streng von der Arbeit trennen wollte? Wieso aber hatte sie sich dann in Prag, als sie auf der Karlsbrücke gestanden hatten, an ihn gelehnt und so vertraut mit ihm gewirkt?

 

„Erde an Ben!“ James’ Hand tauchte in seinem Blickfeld auf und er zwinkerte ein paar Mal, um wieder in die Realität zu finden. „Entschuldige“, murmelte er. Verwirrt über sich selbst stand er auf, nahm sein Glas mit und ging wieder zurück zur Kücheninsel. Etwas unsanft stellte er es ab, griff sich die Weinflasche und nahm einen Tiefen Schluck daraus. Fred folgte ihm, doch Ben wehrte jeden Versuch, weiterhin über seine Gefühle sprechen zu müssen, sofort ab. „Ich will nicht darüber reden, okay?“, sagte er und nahm noch einen Schluck Wein.

 

Fred lehnte sich an die Ecke der Kücheninsel und sah ihn an. „Worüber sollten wir auch schon reden?“, sagte er und zuckte die Schultern. Sein Blick wanderte scheinbar ziellos durch den großen hohen Raum. „Du bist das erste Mal seit Ewigkeiten wieder verliebt und scheinst es selber gar nicht zu bemerken. Ganz zu schweigen davon, dass sie es weiß.“

 

„Sie braucht es auch nicht zu wissen“, zischte Ben, bereute es aber im selben Moment, als er es gesagt hatte, schon wieder, da er damit zugegeben hatte, dass es der Wahrheit entsprach, was James gesagt hatte. „Jedenfalls jetzt ist es nicht mehr wichtig.“

 

„Nicht mehr wichtig?“, rief Fred und wäre beinahe umgefallen. Er konnte sich noch genau daran erinnern, dass Ben niemals derjenige war, der viel Aufhebens um seine Gefühle gemacht hatte. Er war eigentlich immer der typische Macho gewesen, der gerne mit einer Frau ins Bett ging, aber weniger davon hielt, ihr zu sagen, wie er sich dabei fühlte. Vermutlich waren er und James deswegen immer so gut miteinander ausgekommen. Doch diese Vittoria schien ihm regelrecht den Kopf verdreht zu haben. Zum ersten Mal, seit er ihn kannte, und er kannte ihn lange genug, schien er wirklich ernsthaft verknallt zu sein. Wenn das nicht wichtig war, was war es denn dann?

 

Fred zwang sich zur Ruhe. Er atmete ein paar Mal tief durch, dann startete er einen neuen Versuch. „Ich weiß, dass diese Idioten da draußen sich keinen Deut darum scheren, wie es dir dabei geht. Aber ich, Ben, ich sehe, dass dir das wirklich zu schaffen macht. Du scheinst sie echt gern zu haben und ich weiß bei Gott nicht, wann du das letzte Mal so geguckt hast, wenn du von einer Frau gesprochen hast. Deswegen beknie ich dich, es ihr zu sagen. Sag ihr, was du für sie empfindest. Und wer weiß, vielleicht empfindet sie ja das Gleiche für dich.“

 

„Sie wird heiraten“, sagte Ben, selber überrascht, dass seine Stimme so ruhig dabei klang. Eben noch hatte sein Herz schmerzhaft gezogen, wenn er daran dachte, dass sie wohlmöglich mit einem anderen glücklich werden konnte. Doch jetzt spürte er nichts mehr. Er betrachtete die Sache völlig nüchtern. Wem nützte es was, wenn er jetzt seinen Gefühlen freien Lauf ließ, wo es doch ohnehin zu spät war? Genauso gut hätte er mit Kanonen auf Spatzen schießen können. Sie würde einen anderen heiraten und damit war er raus aus der Nummer.

 

„Bist du dir denn wirklich sicher, dass sie heiraten wird?“, fragte Fred. „Hat sie vielleicht über jemand anderen gesprochen?“ Doch er schüttelte den Kopf. Er war sich sogar ziemlich sicher, dass sie die Braut sein würde. Und wenn sie an dem Tag, an dem sie zum Altar ging, auch nur halb so viel strahlen würde, wie in dem Moment, in dem er sie auf der Straße gesehen hatte, würde sich der Kerl, dem sie das Jawort gab, vor Glück überschlagen.

 

Als die Drei endlich gegangen waren und er sie alle davon überzeugen konnte, dass es ihm gut ging, wobei er mehr Fred als James und Jack hatte überreden müssen, setzte er sich mit dem gefühlt zehnten Glas Wein auf die Couch und starrte aus dem Fenster. Viel konnte man nicht mehr sehen, da es bereits dunkel war. Doch der Anblick der vielen undefinierbaren Lichter tröstete ihn ein wenig. Er stellte sich vor, dass genau in diesem Moment ebenfalls ein junger Mann wie er heillos durcheinander mit einem Glas Wein auf seinem eigenen Sofa saß und über die Frau nachdachte, die ihm den Kopf verdreht hatte. Wobei er noch nicht mal genau sagen konnte, wann das eigentlich passiert war.

 

War er denn überhaupt richtig verliebt? Er konnte sich noch daran erinnern, dass er, jedes Mal, wenn er sie sah, ziemlich wütend auf sie war. Allerdings lagen Zorn und Zuneigung so dicht beieinander, dass sie gelegentlich miteinander verwechselt wurden.

 

Lag es an ihren Augen, die vor Funken nur so sprühten, wenn sie ihn angesehen hatte? Waren es ihre Lippen, die so weich aussahen? Oder war es ihr aufmüpfiges Wesen, was ihn so anzog? Oder bildete er sich einfach nur ein, sie zu mögen?

 

Entschlossen, das alles erst einmal auszublenden und sich auf seinen Karriere zu konzentrieren, kippte er das Glas in einem Zug hinunter und begab sich in sein Bett. Die erhoffte Wirkung des Alkohols blieb jedoch aus. Noch immer schienen seine Gedanken ihn auf eine Reise mitzunehmen, die immer nur im Kreis ging und jedes Mal auf denselben Punkt hinauslief. Wütend über sich selbst stopfte er sich zwei Kissen in den Nacken und zog das nächste Drehbuch heran. Nachdem er jedoch die ersten beiden Seiten überflogen hatte, fielen ihm die Augen zu und er schlummerte sanft ein.

 

Der Schlaf hielt sein Gehirn aber leider nicht davon ab, ihm weitere Streiche zu spielen. Und so träumte er die ganze Nacht davon, wie Vittoria in einem atemberaubenden Kleid einen großen Unbekannten heiratete. Und jedes Mal, wenn es zu der Stelle kam, an der jemand, der etwas gegen die Ehe einzuwenden hatte, jetzt sprechen oder für immer schweigen sollte, hielt Anna ihm den Mund zu und zwang ihn still zu sein.

© by LilórienSilme 2015

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