LilórienSilme
~ Fanfiction-Autorin ~
Kapitel 23
~ Wonderwall
And all the roads we have to walk are winding
And all the lights that lead us there are blinding
Dass Joe sich zumindest ein bisschen gegenüber eigentlich Fremden geöffnet hatte, verpasste ihr an diesem Wochenende ein leichtes Hochgefühl. Noch nie hatte sie so etwas getan. Und dann hatte sie auch noch so intime Gedanken mit Leuten geteilt, die sie kaum kannte. Über den Tod ihrer Mutter und die Zeit mit ihr zu sprechen war immer noch etwas, was sie sehr schmerzte. Doch irgendwie hatte es Emilys Hand auf ihrem Oberschenkel weniger schlimm gemacht. Vielleicht war ja doch etwas dran an der Behauptung: Geteiltes Leid ist halbes Leid.
Über diesen Spruch dachte sie weiter nach, als sie sich Aidans Haus näherten an besagtem Sonntag. Emily fuhr den Wagen, während Joe eine riesige Dose mit Cupcakes fest umklammerte, damit sie ihr nicht vom Schoß rutschten. Denn weil die beiden keine Ahnung gehabt hatten, was sie Aidan hätten schenken können, hatte Joe die Idee gehabt, für ihn zu backen. Das Ganze war dann in einer mittelgroßen Orgie ausgeartet und hatte die komplette Küche unter einer feinen Schicht Mehl begraben. Doch sie hatten ein halbes Dutzend verschiedene Sorten zustande gebracht und etwas um die Fünfzig der kleinen Gebäckstücke schließlich aus dem Ofen holen und mit hübschem Frosting verzieren können.
„Glaubst du, sie schmecken ihm?“, fragte Joe unsicher, als sie in die Straße einbogen, die zu Aidans Hütte führte.
Emily grinste nur. „Er ist ein Mann. Natürlich schmecken sie ihm! Welcher Mann steht nicht auf süße Sachen?“ Sie wackelte zweideutig mit den Augenbrauen. Vor ihnen fädelte sich nun plötzlich noch ein Wagen ein, der eindeutig in dieselbe Richtung wollte. „Sind wir etwa zu spät?“, fragte Emily mit einem schnellen Blick auf die Uhr am Armaturenbrett. Die digitale Anzeige war das einzig Moderne an Joes altem Cabrio.
„Nein, das ist Aidans Auto“, sagte Joe nur. Sie hatte den Wagen vor sich schnell wiedererkannt.
„Woher weißt du das?“
Die Designerin zeigte wagte mit einem Finger nach vorne. „Die dritte Bremsleuchte. Da sind ein paar Birnen kaputt. Das habe ich letztens schon gesehen, als er vor mir von den Studios weggefahren ist.“ Sie verzichtete darauf zu erwähnen, dass die Form der Rückleuchten des Audi A3 aus dieser Baureihe ziemlich einzigartig waren, da sie zwar bei Helligkeit betrachtet durch die Heckklappe zweigeteilt waren, im Dunkeln aber aussahen, als wären es zwei rechteckige Leuchtbänder.
Diese Eigenschaft, Autos an den Rückleuchten zu erkennen, hatte sie irgendwann einmal entwickelt, als sie von der Uni immer sehr spät nach Hause gefahren war und lange Zeit im Verkehr gesteckt hatte. Damals hatte sie sich einen Spaß daraus gemacht und mit sich selbst immer Wetten abgeschlossen, ob sie richtig lag oder nicht. Meistens hatte sie gewonnen.
Emily zuckte nur mit den Schultern und bog direkt nach Aidan in die Einfahrt ein. Sie stellte sich neben ihn und schaltete den Motor ab. Mit einem letzten Röhren erstarb der BMW. Gleichzeitig öffneten sie die Türen und Aidan lächelte sie direkt an. „Hallo!“, rief er erfreut aus, dass sie seiner Einladung tatsächlich gefolgt waren.
„Happy Birthday“, sagten die beiden Frauen im Chor, wobei er es hauptsächlich daran sah, dass Joe die Lippen bewegte, dass sie es auch gesagt hatte. Doch der Gedanke zählte ja schließlich.
Er war, wie in Neuseeland üblich, auf der rechten Seite seines silbernen Autos ausgestiegen, sodass er sie nur über das Dach hinweg betrachten konnte. Nun ging er zum Kofferraum und öffnete ihn. Dabei fiel sein Blick auf Joes Auto. „Deiner, Emily?“
Die schüttelte nur den Kopf und wies mit dem Daumen auf Joe. „Nein, ich habe kein Auto. Der ist von Joe.“
„Cooles Gerät! Ein Linkslenker. Aus Europa?“
Joe zog überrascht eine Augenbraue hoch. Dann erinnerte sie sich daran, dass Aidan selbst aus Europa kam und vermutlich mehr Ahnung von den Autos dort hatte. „Ja, deutsches Import aus den 90er Jahren.“
„Welches Baujahr?“ Er belud sich selbst mit Einkäufen aus dem Kofferraum, während Emily den Wagen abschloss und ihm helfend unter die Arme griff. Joe bugsierte die Cupcakes sicher zum Haus. Dabei sagte sie: „’94, zwei-Liter-Motor, 150 PS. Und dank des guten Wetters hier rostet er kaum.“
Beeindruckt schloss er die Haustür auf. „Wow, du verstehst etwas von Autos!“ Auch Emily wirkte überrascht. Das hatte sie der kleinen blonden Künstlerin gar nicht zugetraut.
Joe errötete gleich wieder und versuchte sich hinter ihren Haaren zu verstecken, die Emily ihr in Locken gelegt hatte. „Nur ein bisschen“, winkte sie schüchtern ab.
Sie gingen nach unten in die Küche und luden alles ab. Aidan ging noch einmal nach oben, um den Rest zu holen. Dabei sagte er: „Macht es euch gemütlich und fühlt euch wie zu Hause! Ich bin gleich wieder da.“
Eine halbe Stunde später war die Bude bereits brechend voll. Die meisten waren kurze Zeit nach ihnen gekommen, kaum dass sie die Getränke im Kühlschrank verstaut hatten. Nun brieten im Ofen ein paar Würstchen, während in großen Schüsseln diverse Salate und gekochte Kartoffeln bereitstanden. Auf dem Grill, der auf der hinteren Veranda, ein bisschen geschützt vor dem mittlerweile kalten Wind, stand, brutzelte das andere Fleisch. Dazu gab es einen scharfen Eintopf, sowie ein paar Tortillas zum selber belegen. Zum Nachtisch standen Joes Cupcakes bereit und zum Knabbern gab es salziges Gebäck und tütenweise Chips und Nüsse.
„Oh Gott, wer soll das denn alles nur essen?“ Emily schüttelte den Kopf, als sie sich eine Tortilla mit Salat belegte. Joe hatte sich ein bisschen was von dem Coleslaw aufgetan und wartete auf die Würstchen. Viel Hunger hatte sie nicht, denn die Anwesenheit von so vielen Leuten raubte ihr immer den Appetit. Sie konnte das nicht vernünftig erklären, außer vielleicht damit, dass sie Angst hatte, sich in der Öffentlichkeit zu blamieren, sollte ihr etwas von dem Essen im Gesicht kleben oder in den Zähnen stecken bleiben.
Um Emilys Frage zu beantworten langte Graham, der hinter ihnen gestanden und gewartet hatte, gleich noch einmal kräftig zu und schaufelte sich seine zweite große Portion auf einen Pappteller. Aidan hatte in weiser Voraussicht beschlossen, kein Porzellan zu verwenden, da er befürchtete, nach diesem Abend nur noch die Hälfte oder gar nichts mehr zu haben. Außerdem ersparte ihm das zusätzlich das Spülen.
„Macht euch keine Sorgen, Mädels“, sagte der große Schotte und grinste. „Wir kümmern uns schon um das Buffet.“
„Und um den Alkohol!“, warf Dean ein, der mittlerweile schon seine zweite Flasche Bier trank. Wenn er in dem Tempo weitermachte, würde er den Abend nicht heil überstehen. Doch Joe sagte nichts. Sie lehnte auch jegliche alkoholische Getränke ab, selbst als Graham sie fast dazu nötigte. „Trinkst du gar nichts?“, fragte er überrascht.
„Ich habe in meiner Jugend ein bisschen viel getrunken und habe jetzt vermutlich meinen Soll schon erfüllt.“ Sie schaffte es, ihm zuzuzwinkern, was er mit einem dröhnenden Lachen quittierte. Er klopfte ihr auf die Schulter, was ihr beinahe den Teller aus der Hand hüpfen ließ, und quetschte sich wieder zurück aufs Sofa zwischen Stephen und Mark.
Ein Arm legte sich von hinten um sie und Aidans Gesicht tauchte neben ihr auf. Als alle versammelt gewesen waren, hatten sie zu einem Geburtstagslied angesetzt und danach hatte jeder noch einmal herzlich gratuliert. Und offenbar hatte er mit jedem angestoßen, denn auch er roch bereits sehr nach Bier. „Dann warst du in der Jugend wohl eine ganz Wilde, was? Ich wusste es ja immer: Stille Wasser sind tief!“
Mark lachte schallend. „Und dreckig!“, fügte er hinzu, was alle, die es gehört hatten, zu einer ebenfalls mehr oder weniger schmutzigen Lache verführte. Richard rettete sie aus der Situation, indem er Aidan von ihr wegschob und sie vorsichtig wegführte. Er schenkte ihr ein aufmunterndes Lächeln. „Keine Sorge, die meinen es nicht so.“ Und weil sie nichts antwortete, ergänzte er: „Harte Schale, weicher Kern.“
„Trifft das auch auf dich zu?“ Fragend zog sie eine Augenbraue in die Höhe, als er sie beide zu den Barhockern bugsiert hatte und sie sich darauf niederließen.
Nun war es an Richard, etwas verlegen zu sein. Und sie hätte schwören können, dass er einen leichten Hauch von Rosa auf den Wangen trug. „Nein“, sagte er, „meine Schale ist gar nicht so hart.“
Beide schwiegen eine Weile, dann beschloss er, dass es nun an der Zeit war, zu reden. Auch, wenn das mit der lauten Musik im Hintergrund nicht einfach werden würde. Aber eine bessere Gelegenheit würde sich vermutlich nicht mehr bieten, ohne dass es peinlich wurde. „Es tut mir wirklich leid, was neulich Freitag passiert ist.“
„Was denn?“
Die Frage war ihr herausgerutscht, bevor sie sie hatte aufhalten können. Und sie konnte in seinem Gesicht ablesen, was er dachte: Typisch Frau! Sie wollen nicht nur, dass wir uns entschuldigen. Sie wollen auch noch, dass wir wissen, wofür wir uns entschuldigen. Eigentlich hatte er gehofft, aus dieser Nummer raus zu sein.
Sie überlegte kurz, ob sie das Gesagt wieder zurücknehmen sollte, doch er kam ihr zuvor mit seiner Antwort. „Dass ich dich nicht verteidigt habe. Du bist ein wirklich nettes Mädchen und hast so etwas nicht verdient. Und ich hätte mich viel früher bei dir entschuldigen sollen.“
Joe biss sich auf die Unterlippe. Jetzt, wo sie es aus seinem Mund hörte, erschien ihr ihr eigenes Verhalten an diesem Abend als ziemlich lächerlich. Wieso hatte sie sich nur so aufgeregt wegen dieser paar Worte? Eigentlich gab es gar keinen Grund dafür. „Schon gut“, antwortete sie. „Vielleicht habe ich ein bisschen überreagiert.“
Mit einem schiefen Grinsen sah er sie an und beide wussten genau, dass er an die Situation dachte, als er sie in eine Decke gewickelt zum Auto getragen hat. „Meinst du?“, fragte er ironisch und zog eine Augenbraue hoch.
Ihr schoss augenblicklich wieder das Blut in die Wangen, doch er winkte nur ab. „Schwamm drüber“, sagte er entschieden, dann hielt er ihr seine Flasche Bier hin und nahm sich eine neue. „Trinken wir lieber ein bisschen was. Schließlich ist das hier eine Feier!“
Skeptisch beäugte sie die Flasche. Sie hatte schon lange nicht mehr getrunken. Genauer gesagt war das letzte Mal schon ein paar Jahre her und nicht gerade gut ausgegangen. Sie war zwar nie Alkoholikerin gewesen, doch sie konnte nicht abstreiten, dass Jim, Jack, Johnny Red, Johnny Black und Jose damals zu ihren Lieblingen gehört hatten. Zum Glück hatte sie das hinter sich gelassen. Und das Leben, was damit zusammenhing. Doch ein Bier würde sie nicht umbringen. Oder?
Entschlossen griff sie nach der Flasche. „Und worauf trinken wir?“, fragte sie, als Richard schon mit ihr anstoßen wollte. Er hielt einen Moment inne, dachte nach, dann sagte er: „Wie wäre es mit Neuanfängen?“
Sie nickte zufrieden, doch da schob Dean sich dazwischen und gab ihrem Bier mit seinem einen Stoß. Glas klirrte auf Glas und er legte ungefragt einen Arm um ihre Schultern, während er Richard starr in die Augen blickte. „Darauf trinke ich auch!“ Er lallte bereits, als er das sagte, und der ältere Brite war versucht, dem jüngeren Kiwi den Alkohol abzunehmen. Doch er ließ es. Das hätte vermutlich nur zu weiterem Streit geführt. Stattdessen nickte er, behielt dabei aber einen prüfenden Blick auf Dean. „Cheers!“
Als sie ausgetrunken hatte, hing Dean immer noch an ihr. Mittlerweile hatte er sich jedoch einen eigenen Hocker zugelegt. Er hatte die Ellbogen auf den Tresen aufgestützt und das Kinn in die Hände gelegt. Mit glasigen Augen beobachtete er sie von der Seite, während Richard versuchte sie mit einem Gespräch abzulenken. Da Joe sich aber absolut unwohl fühlte, wenn sie beobachtet wurde, gelang ihm das kaum.
Doch schließlich war es Joe, der der Kragen platzte. Sie drehte sich zu Dean um und sah ihm direkt in die Augen. Sie wusste nicht, ob es die ausgelassene Stimmung, der Alkohol oder vielleicht auch das Gespräch mit Emily waren, vielleicht sogar auch alles zusammen, doch sie fühlte sich in diesem Moment wieder wie die alte Joe aus der High School. Wütend funkelten ihre grünen Augen, als sie sagte: „Hab ich vielleicht einen Pickel auf der Nase oder warum glotzt du die ganze Zeit so?“
Ziemlich perplex ruderte Dean zurück und wäre beinahe von seinem Stuhl gefallen. Damit hatte er nicht gerechnet. So einen Gefühlsausbruch hätte er ihr nicht einmal dann zugetraut, wenn jemand Galadriels Kleid wissentlich zerstört hätte. Doch so schnell sie ihn auch aus der Fassung gebracht hatte, so schnell hatte er sich wieder gefasst. Zwinkernd rückte er wieder näher. „Ich finde es nur so interessant, wie viel du auf einmal redest. Das kenne ich gar nicht von dir. Ist diese Schweige-Nummer vielleicht nur eine Art Masche von dir, um Aufmerksamkeit zu bekommen?“
Hinter Joe versteifte Richard sich merklich. Er wollte schon drohend den Finger erheben, doch die Designerin war schneller. „Ich an deiner Stelle wäre ziemlich vorsichtig mit solchen Aussagen. Immerhin bist du nur hier, weil Robert gegangen ist.“
Beide kniffen die Augen zusammen und musterten sich abwartend, aber keiner von beiden wollte nachgeben. Erst Aidan brach das eisige Schweigen, indem er Dean am Arm packte und auf die Tanzfläche zerrte. Joe war danach die Lust auf Party vergangen. Als die beiden Film-Brüder verschwunden waren und sie mit Richard wieder alleine war, fiel ihre neu gewonnene Selbstsicherheit wieder in sich zusammen wie ein Kartenhaus bei Windstärke neun. Ihre Schultern sanken herab und sie stieß einen tiefen Seufzer aus. Mitfühlend spürte sie Richards große Pranke auf ihrem Unterarm. „Alles okay?“
Sie nickte langsam. „Ja, ich denke nur, dass es an der Zeit ist, zu gehen.“
Demonstrativ sah sie auf die Uhr. Es war gerade mal kurz nach sieben. Niemand würde ihr glauben, dass sie jetzt schon ins Bett gehen wollte. Doch das war ihr in diesem Moment egal. Dean hatte ihr ganz gehörig die Stimmung versaut. Sie entschuldigte sich bei Richard und machte sich auf die Suche nach Emily.
Doch ihre Freundin war wie vom Erdboden verschluckt. Sie hatte gerade das obere Stockwerk inspiziert und war wieder nach unten gekommen, als Graham sie freudestrahlend zur Seite nahm. An seinem rechten Mundwinkel klebte noch ein bisschen von dem Frosting der Cupcakes. „Also, Kleines, mit deinen Backkünsten kannst du definitiv heiraten. Die Dinger sind der Hammer! Wo hast du das gelernt?“
Er verstrickte sie in eine Unterhaltung über das Backen, wobei sich herausstellte, dass seine Frau Tami auch eine begeisterte Hobbybäckerin sei und ebenfalls aus Neuseeland komme. Als sie sich beide schließlich wieder trennten, weil Joe dann doch so langsam aufbrechen wollte, musste sie feststellen, dass über die Hälfte der Leute schon gegangen waren und es mittlerweile kurz vor zehn Uhr abends war. Zum Glück musste sie nicht um halb fünf Uhr morgens in der Maske sitzen, dachte sie erleichtert.
Sie verabschiedete sich von Graham und begab sich erneut auf die Suche nach Emily. Doch wie schon vor ein paar Stunden blieb die Schneiderin verschwunden.
Mist, dachte sie, jetzt muss ich wohl jemanden fragen. Und das tat sie ja so gerne! Unsicher sah sie sich im Raum um, doch offenbar waren nicht nur Emily und Aidan abhandengekommen, sondern Richard war mittlerweile auch schon nach Hause gegangen. Nur ein immer noch gut gelaunter und aufgedrehter Jed Brophy wuselte umher. Als er ihren fragenden Gesichtsausdruck bemerkte, kam er näher.
„Hallo, schöne Frau!“, begrüßte er sie überschwänglich. Bisher hatten sie nicht viele Worte miteinander gewechselt, weil er mit ihrer zurückhaltenden Art überhaupt nicht klarkam. Doch so ganz alleine hier herumstehen lassen wollte er sie auch nicht. „Hast du jemanden verloren?“
Sie nickte. „Meine Mitbewohnerin Emily. Ich kann sie nicht finden.“
Jed legte nachdenklich einen Finger an sein Kinn und tat, als müsse er angestrengt nachdenken. „In etwa so groß“, sagte er und hielt seine flache Hand neben sein Ohr, „braune, lange Haare, einen gestreiften Pulli und Jeans?“
„Ja?“ Joe war überrascht, wie gut er sie beschreiben konnte. Das Ganze machte sie ein bisschen skeptisch.
„Die ist mit einem Kerl namens John verschwunden.“ Er tat so, als wäre das das Natürlichste der Welt und nicht der Rede wert. Dann zog er wieder die Brauen zusammen, als dächte er nach. „Und Aidan ist mit seiner Maskenbildnerin verschwunden, wenn ich mich recht erinnere. Das heißt, dieses Haus ist im Moment herrenlos. Hast du Lust, etwas anzustellen?“ Er sah sie mit so einem breiten Grinsen an, dass sie zurücklächeln musste. Er schien ja doch ganz nett zu sein.
„Nein, danke“, sagte sie aber, obwohl die Verlockung echt groß war. „Eigentlich will ich nur noch nach Hause und ins Bett. Müsst ihr morgen früh nicht auch schon um vier Uhr aufstehen?“
„Jep“, sagte er und schaute dabei auf sein Handgelenk, als würde er auf eine Armbanduhr schauen. Doch er trug grundsätzlich keine. „Deswegen bin ich vermutlich auch der Letzte von den Bastards, der übrig ist.“ Er sah sich kurz um, entdeckte dann jedoch noch Dean, der schwankend auf sie beide zukam, und fügte hinzu: „Nein, sieh einer an! Unser guter Deano ist auch noch hier. Wie sieht‘s aus? Fahren wir nach Hause?“
Dean hickste vernehmlich und hüllte die beiden anderen in eine Alkoholfahne ein. „Nein, danke“, lallte er, „aber ich fahre mit Joe nach Hause.“
Die Angesprochene riss die Augen auf, während Dean sich an Jed hängte und Joe anstarrte. Dabei war sie sich allerdings nicht sicher, ob er nicht doch irgendwo anders hinsah. Offenbar hatte er schon große Probleme, geradeaus zu schauen.
Leider schien mit einem Mal der Alkohol des halbes Bieres, was sie von Richard bekommen hatte, und ihre gute Laune unter dem plötzlichen Adrenalinstoß zu verdampfen, sodass sie nur ein stammelndes „Ähm“ zustande brachte. Ihre Wangen glühten auf und die Hitze kroch ihren Hals hinauf. Meinte er das tatsächlich ernst? Wieso sollte gerade sie ihn nach Hause fahren? Er mochte sie ja nicht einmal!
Bevor sie Zeit hatte, etwas zu sagen, ergriff Jed auch schon die Leitung der kleinen Gruppe. Er drehte sich mit Dean zur Treppe nach oben um und schleppte ihn einfach mit. „Gut, dann hätten wir das ja auch geklärt. Auf geht’s!“
Es dauerte eine Weile, bis Joe begriff, was hier gerade passierte. Dann hatte sich die Bedeutung endlich in ihr Hirn gefressen und plötzlich wollten sich ihre Beine nicht mehr bewegen. Denn wenn sie jetzt dort hinausging, dann würde sie Dean tatsächlich mitnehmen müssen. Aber das wollte sie nicht. Hierbleiben konnte sie aber auch nicht. Sie hatte keine große Lust, am nächsten Tag von einem nackten Aidan oder einer nackten Maskenbildnerin geweckt zu werden. Den Anblick wollte sie sich lieber ersparen!
Doch was war nun schlimmer? Dean nach Hause zu fahren oder hier zu bleiben? Widersprechen hätte ja doch keinen Sinn gehabt.
Kurz wog sie ab, dann entschied sie, dass sie schließlich nicht die ganze Nacht hier stehen bleiben konnte. Mit einem letzten kurzen Blick bemerkte sie, dass tatsächlich niemand mehr anwesend war, den sie kannte oder um Hilfe bitten konnte, dann ergab sie sich in ihr Schicksal.
Als sie oben in der Einfahrt ankam, lehnte Dean schon an ihrem BMW. Wie er herausgefunden hatte, dass es ihr Auto war, war ihr schleierhaft. Sie sah nur mit Entsetzen, dass er sich krampfhaft an ihrem linken Außenspiegel festhielt, um nicht umzufallen. Jed musste ihn hier einfach abgestellt haben. Jedenfalls konnte sie den älteren Kiwi nicht mehr entdecken.
Fluchend kam sie auf das Auto zu und schloss auf. Sie schob Dean dabei ein Stück zur Seite. „Du musst auf die andere Seite. Hier ist die Fahrerseite.“
Verwirrt sah er sie einen Moment an, dann veränderte sich sein Gesichtsausdruck schlagartig. Er riss die Augen ein Stück auf, sämtliche Farbe war plötzlich verschwunden und er schluckte schwer. Bevor Joe auch nur reagieren konnte, beugte er sich vor und erbrach sich auf ihre neuen Wildlederstiefel.
***
Dein Kopf ist schwer vom Alkohol. Deine Zunge fühlt sich an wie ein dicker Lederlappen. Sie gehorcht dir nicht mehr, doch du findest es gut. Nur am Rande registrierst du, wie Denver dir noch einen Whiskey einschenkt und dir zuprostet. Deine beste Freundin ist genauso betrunken wie du. Und dabei musst du Morgen eigentlich zur Schule.
Eine warme Hand schiebt sich von hinten unter dein Shirt und du spürst, wie er sie auf deine nackte Brust legt. Er zwickt dich kurz, bevor er anfängt dich zu streicheln. Dann beginnt er an deinem Ohrläppchen zu knabbern.
Sofort spürst du die Hitze, die sich zwischen deinen Beinen sammeln, und das Kribbeln in dir wird stärker. Der Alkohol hat deine Hemmungen fallen lassen und dir ist es egal, dass ihr nicht alleine seid. Auch Denver sitzt auf dem Schoß eines fremden Kerls, während die anderen Bandmitglieder sich um eine Bong versammelt haben. So frei hast du dich schon lange nicht mehr gefühlt.
„Nick.“ Deine Lippen hauchen seinen Namen, als seine Berührungen immer drängender werden. Du weißt, was er will. Und du willst es auch. Ergeben beugst du deinen Kopf zurück und bietest ihm deinen Hals an. Du willst ihn, seitdem du ihn das erste Mal gesehen hast. Und er will – aus dir bisher völlig unerfindlichen Gründen – nur dich, obwohl er auf der Schule jede haben könnte. Alle Versuche, von ihm loszukommen, sind bisher kläglich gescheitert. Denn ihr beide wisst, dass ihr zusammengehört. Ihr seid füreinander bestimmt. Und nichts wird euch jetzt, da ihr endlich zusammen seid, jemals wieder trennen können.